Frei Lesen: Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

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Kapitelübersicht

I. Odin-Wotan. | II. Thor-Donar. | III. Tyr-Ziu. | IV. Freyr-Frô. | V. Baldur-Forseti. | VI. Loki-Loge. | VII. Hel-Nerthus | VIII. Freya und Frigg. | IX. Die Nornen. | X. Die Walküren. | XI. Andre Götter und Göttinnen. | XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen. |

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Felix Dahn

Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen.

eingestellt: 6.7.2007





Zwischen Göttern und Menschen stehen zahlreiche Mittelwesen; nicht so mächtig wie die Götter, - deren Macht aber freilich auch keineswegs unbeschränkt, keineswegs "Allmacht" ist, - jedoch mächtiger als die Menschen; zumal den Schranken des Raumes ganz oder doch zum Teil entrückt, mit übermenschlichen Gaben von Zukunfts-Kenntnis, Schönheit, Schnelligkeit, Verwandlungsfähigkeit ausgerüstet. Die Frage, ob ihre Seelen sterblich oder unsterblich, wird verschieden beantwortet. Diese Mittelwesen, fast unübersehbar schon an Mannigfaltigkeit und unschätzbar an Zahl, erfüllen in wimmelnder Menge den Äther, die Luft (obwohl hierfür die Zeugnisse schwach sind), die Erde, die Meere, die Ströme, die Bäche, die Wasserfälle, die Seen, die Quellen. Sie hausen auf Bergen, in Höhlen, in Felsen, in Wäldern, in einzelnen Bäumen und Büschen, im Moos, im Kelch der Blumen, ja zwischen Stamm und Rinde sogar vermögen die Winzig-Feinen sich einzunisten; sie sind die Träger, der Ausdruck des lebhaften Naturgefühls, in welchem, lebendiger noch als Hellenen und Italiker, die Germanen alles um sie her bevölkerten und beseelten mit übermenschlichen Wesen, welche, regelmässig unsichtbar und nur spürbar an ihren Wirkungen, manchmal sich den überraschten Augen der Menschen zeigen1). Solche "Mittelwesen" heissen mit allgemeinstem Namen "Wicht"; soviel wie Wesen2). Heute sagen wir der Wicht in abschätzigem Sinn, aber auch "das Wicht" hat sich mundartlich, z. B. westfälisch, erhalten und bedeutet, ohne ungünstigen Sinn, ein Mädchen. Die Kleinheit und zugleich die Übermenschlichkeit wird ausgedrückt durch Namen wie "Wichtel", "Wichtlein", "Wichtelmännchen".



Enger wohl ist der Name "Elben", "der Elbe", "die Elbin"3); aber doch machen die Elben und Elbinnen, selbst wieder in mehrere Gruppen gespalten, für sich ein ganzes Reich, eine ganze grosse Klasse von Wesen aus, wie Asen, Menschen, Riesen. Ursprünglich waren wohl alle Elben "licht"; denn der Name geht auf "albus" (weiss, hell) zurück4), und es ist vielleicht nicht ganz oder doch nicht allgemein richtig, die Dunkelelben als eins mit den Zwergen zu fassen. Die Lichtelben sind schöner (heller) als die Sonne, die Dunkelelben schwärzer als Pech; aber böse, schädlich sind auch diese nicht; die stehen vielmehr (in der Regel) auf Seite der Götter, denen die Waffen und Zaubergeräte schmieden, gegen die Riesen. Ihr Reich, Alfheim, liegt Asenheim nahe; Freyr, der Gott der Fruchtbarkeit, erhielt Alfheim als "Zahngebinde"; einmal wird auch "Vid-blain" ("weit blauend"), also blauer Himmel, als ihr luftig und leuchtend Heim bezeichnet.



Alle Elben sind die im Stillen unablässig wirkenden Geheimkräfte der Natur; sie "brauen" oder "spinnen" das Wetter, sie lassen die Halme spriessen, sie schaffen oder verarbeiten doch im Schosse der Erde als Dunkelelben oder Zwerge5) die Adern des Metalls. Aber mutwillig, ferner leicht reizbar, dann rachsüchtig sind alle Elben; auch Lichtelben lieben es, aus Mutwillen Menschen und Tiere, d. h. Pferde (daher "Pferdemahr")6), zu necken, zu plagen, sie vom Weg ab in die Irre zu locken, ihnen plötzlich überraschend und erschreckend auf den Rücken, auf den Nacken zu springen und sich dann, sie "reitend", von ihnen tragen zu lassen; so reiten die elbischen "Truden" Rosse und Menschen; das "Albdrücken" ist das Bedrücktwerden im Schlaf, in beängstigendem Traum, von einem auf des Geplagten Brust reitenden Elben, dem Nachtalb, Nachtmahr; "elf-ridden" sagen die Engländer. Aber auch Krankheiten, z. B. der Weichselzopf bei Menschen und Tieren, zumal plötzlich anfallende, besonders auch Hautausschläge sind vom "Elbengeschoss" dem Menschen angeblasen, angeschossen (daher "Hexenschuss" statt des ältern "Elbenschuss") und deshalb empfiehlt die Volksheilkunst als Hauptmittel, um solcher Krankheiten sich zu entledigen, zwischen zwei nahe aneinanderstehenden Bäumen, Felsen, durch eine Felsspalte hindurch sich zu drängen; je enger, desto besser, desto sicherer wird das elbische Geschoss, das winzige, unsichtbare, welches in der Haut des Erkrankten haftet, abgestreift. Jedoch auch durch den blossen Blick ("bösen Blick", "elbischen Blick") können sie Unheil über den Menschen bringen, der sie reizte.



Es gibt nur schöne Lichtelben7), dagegen bald schöne, bald hässliche ("eislich getane") Dunkelelben. Die Zwerge sind durch den dicken Kopf, die allzu kurzen Beine, den watschelnden Gang entstellt; oft haben sie Gänse- oder Krähenfüsse; und diese beschämende Ungestalt nächtlicher Gäste wird entdeckt, bestreut man Herd und Diele mit Asche; dann findet man am andern Morgen die Vogelfüsse abgedrückt. Aber das nehmen die (meist) wohltätigen Hausgeister sehr übel, und man verscheucht sie damit für immerdar. Auch die guten Schutzgeister eines Landes, einer Küstenstrecke waren, eben als Elben, leicht zu verscheuchen, zu erschrecken. Böse Feinde des Landes versuchten das durch "Neidstangen" zu bewirken; aber auch unabsichtlich konnten die Scheuen verschüchtert und vertrieben werden auf Nimmerwiederkehr durch plötzlich erschreckenden Anblick. Deshalb war es manchmal verboten, an den Schiffsschnäbeln Drachenköpfe oder andre Schreck einjagende Bilder von Ungetümen anzubringen, welche, wenn sie gegen die Küste heranfuhren, die guten "Landwichte" (zugleich Landwächter) leicht erschrecken und verscheuchen mochten.



Den Elben eignet manche den Menschen überlegene Weisheit und Kunst. Opfer werden ihnen dargebracht, ihre Gunst zu gewinnen oder zu erhalten, besonders auch, aber nicht allein, den Hausgeistern, welchen man Mehl und Salz auf dem Herde verstreut, einen Napf Milch hinstellt, wie man wohl auch den Feld- und Korn-geistern die letzten Baumfrüchte hängen, die letzten Ähren stehen lässt8). Sie lieben die Musik; sie führen wunderbare Tänze im Mondenlicht auf; am Morgen findet man die Spuren dieses "Elfenreigens", die "Elfringeln", im tauigen Grase. Während sie nach heidnischer Auffassung, abgesehen von neckischem Mutwillen, den Menschen nur zur Strafe für Missachtung oder Kränkung schaden, hat das Mittelalter auch diese wohltätigen "Lieblinge" (Liufinger im Norden) in teuflische, schädliche, hässliche, die "guten Holdchen9)" in "Unholde" verwandelt; einzelne Elben nehmen freilich sogar der (späten) Sage nach das Christentum selbst an durch die Taufe.



Bei den Zwergen tritt mancher Zug hervor, der darauf hinweist, dass zwar keineswegs allein oder auch nur vorherrschend, aber doch auch neben natürlichen Bedeutungen ein Gegensatz der Volksart und der Bildungsstufe zu Grunde liegt; zum Teil haben die einwandernden Germanen in ihre Zwergenwelt aufgenommen vorgefundene, an Kraft, Wuchs und Sitte tiefer stehende (finnische?) Bevölkerungen, welche scheu vor den hochragenden Siegern zurückwichen, in die Wälder und Felshöhlen, in die von Wasser, von Seen und Flüssen umgebenen Zufluchtsstätten10) (Pfahlbauten) einer älteren Einwohnerschaft, welche, zwar ärmer und bildungsloser, aber mit besserem, d. h. älterem, Recht im Lande sitzt11). Aus den Tiefen der Berge12) (Felshöhlen), aus den Teichen tönen die klagenden Lieder dieses aussterbenden Völkleins. Diese Leutchen sind ehrlich, ohne Falsch, sie essen nur einfache, ungekochte Speise, sie kennen kein Salz; die Kunst des Brotbackens zu erlernen, kommen sie an den Herd der germanischen Hausfrau; sie klagen über die Untreue und Arglist13) der ihnen weit überlegenen neuen Herren des Landes, vor denen sie verschwinden und aussterben müssen, etwa wie die Rothäute Amerikas vor den "Blassgesichtern" mit ihrem Feuergewehr und Feuerwasser. Sie wagen sich wohl manchmal noch - zumal junge Männlein und Weiblein - schüchtern aus ihrem Versteck im Wasser in das Dorf, teilzunehmen an dem Tanz um die Linde; und an Schönheit des Gesichts und an Feinheit der Tanzkunst übertreffen sie, z. B. "die drei Seejungfern", dann weit die Menschen. Aber bevor die Sonne sinkt, müssen sie flüchtig verschwinden; der nasse Saum ihres Gewandes bekundet dann etwa ihren gewöhnlichen Aufenthalt - im Wasser, auf den Pfahlbauten - oder der Abdruck ihrer Schwanenfüsse, welche sie sorgfältig verbergen, verrät sie. Verspäten sie sich, so zerreisst sie wohl ihr Vater oder König und ein Blutfleck schwimmt auf der Wasserfläche. Aber manche haben auch mit Menschen Ehebündnisse geschlossen und Kinder gehabt, welche sie viele Jahre pflegen, bis sie plötzlich, etwa weil man, gegen das Gelübde, um ihre Herkunft fragte oder ihre Füsschen entdeckte oder ihr nächtliches Fest mit andern zu Besuch kommenden Geistern störte, wehklagend verschwinden auf Nimmerwiederkehr.

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< XI. Andre Götter und Göttinnen.



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