Frei Lesen: Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

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Kapitelübersicht

I. Odin-Wotan. | II. Thor-Donar. | III. Tyr-Ziu. | IV. Freyr-Frô. | V. Baldur-Forseti. | VI. Loki-Loge. | VII. Hel-Nerthus | VIII. Freya und Frigg. | IX. Die Nornen. | X. Die Walküren. | XI. Andre Götter und Göttinnen. | XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen. |

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Felix Dahn

Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

II. Thor-Donar.

eingestellt: 6.7.2007





Die Naturgrundlage von Odins kraftstrotzendem Sohn1) Donar, nordisch Thôrr, ist, wie sein Name besagt, das donnernde Gewitter; nach seiner idealen Bedeutung aber ist er der schützende Gott des Ackerbaues und - folgeweise - aller menschlichen Fortschritte.



Der Zusammenhang dieser auf den ersten Anblick befremdenden Verbindung liegt darin, dass das Gewitter nicht in seinen den Menschen und ihren Werken schädlichen, sondern in seinen dem Ackerbau wohltätigen, die Erde befruchtenden Wirkungen als die Naturgrundlage des Gottes gefasst wird; nicht der Blitz, der den Pflüger und sein Rind hinter dem heiligen Pflug erschlägt und die gefüllte Scheune entzündet, nicht der Gewittersturm, der dem Gehöfte das Dach von dem Haupte wirft, nicht der Wolkenbruch, der die Herde dahinschwemmt, oder der Hagel, welcher die Saaten zerschlägt; - nicht solche Wirkungen des Gewitters gehen aus von Donar, dem Beschützer des Baumannes, "der Menschen Freund" -; diese sind vielmehr die Werke seiner Feinde, der Riesen, eines älteren riesischen Donnergottes (Thrymr) und der Sturm- und Hagelriesen. Donars Sendungen, Gaben und Werke sind vielmehr der befruchtende, warme Gewitterregen, welcher das Saatkorn2) aufquellend keimen lässt und in würzigem Brodem aus den befeuchteten, dunkelbraunen Schollen wieder in die gereinigten Lüfte steigt; sein Atem ist der erfrischende, erquickende Hauch, welcher die brütende Schwüle des Sommertages in die wohlige Kühlung auflöst und seines kräftigen Armes Tat ist die Zerschmetterung und Zermürbung des öden, unfruchtbaren Felsgebirges durch den Wurf seines nie fehlenden und nach jedem Wurf von selbst in seine Hand zurückfliegenden Steinhammers (die ältesten Waffen und Werkzeuge der Germanen waren von Stein) Miölnir, des Zermalmers3); die trotzigen Häupter der Steinriesen trifft er mit zertrümmernden Blitzen4) und verwandelt allmählich die Schroffen von Kalk, Granit und Basalt, welche jedes Wachstum ausschliessen, dem Pflug des Menschen nichts gewähren, zerbröckelnd und verwitternd in fruchtbares Bauland, das dereinst die golden wogende Ernte tragen mag.



So ist der Gewittergott zugleich der Gott des Ackerbaues, der schützende Gott des Bauern5); ausdrücklich wird er im Gegensatz zu Wotan, dem Gott der Könige und Helden, der "Bauern-Gott" genannt. Daher zieht er durch die Lüfte auf rollendem Wagen, dessen Räder eben das Geräusch des Donners erzeugen, dem Sämann Segen herunterstreuend; daher wird sein Wagen6) von den ihm heiligen Ziegenböcken Tann-gniostr und Tann-grisnir, Zahn-Knisterer und Zahn-Knirscher, gezogen; - die Ziege, das Haustier der Armut, folgt dem Menschen nachkletternd bis an die oberste Grenze urbaren Fruchtlandes und unwirtlicher Felsen. Da nun aber mit dem Übergang vom schweifenden Hirten- und Jäger-Leben zu Ackerbau in festen Sitzen der Anfang aller höheren Gesittung gewonnen ist, wird Donar auch zum Gott der menschlichen Kultur überhaupt; sein Steinhammer ist nicht nur Kriegswaffe im Kampfe gegen die Felsriesen, er dient auch friedlichen Zwecken; die Berührung mit dem Hammer weiht das Mädchen zur bräutlichen Frau und heiligt wie den Becher bei dem "Becherfrieden" des frohen Gelages, so die Schwelle des Hauses mit erhöhter Befriedigung; der Hammerwurf bildet auch das uralte Mass bei Landnahme und Landzuteilung, bei der Ansiedlung7). Der Hammer schlägt die ehrwürdigen Marksteine in den Boden, er festigt die Wegsäulen, er schlägt die stämmeverbindende Brücke und lässt die Grenzen "enden und wenden"; ja er, der "Weiher" (vêorr), weiht zuletzt noch den Scheiterhaufen, auf welchen fromme Hände den Toten zur letzten Ehrenfeier gebettet.



Dieser Gott des germanischen Bauers ist nun aber - und das ist Donars Bedeutung als Ausdruck des germanischen Volksgeistes - niemand anders als: der germanische Bauer selbst, wie er leibt und lebt, wie er arbeitet und rastet, wie er zecht und schmaust, wie er einen guten, derben Spass gern antut und gern verträgt, gutmütig im Gefühl der gewaltigen Kraft, plump, oft überlistet, aber auch, wenn gereizt, unbändig und ungetüm in alles zerschmetterndem Jähzorn. Diese wohlbekannten Züge aus dem breiten Gesicht des germanischen Bauers; - wir finden sie alle wieder in dem Bild, das uns die alten Sagen vom rotbärtigen Gott des Donners zeichnen.



Der germanische Bauer ist der beste Bauer der Erde; sein Fleiss, seine unermüdliche, liebevolle Hingebung an Pflug und Ackerwerk haben ihn dazu gemacht; unablässig schafft und ringt er gegen die Ungunst der Natur; er gerät in Eifer, in einen wahren Zorn der Arbeit, wo es gilt, dem Boden urbar Land abzugewinnen. Denselben Zug hat Donar; unablässig, unermüdlich ist er hinter seiner Bauarbeit her; diese aber besteht nicht darin, hinter dem Pfluge zu gehen; - erst muss Boden für den Pflug gewonnen sein; und diesen Boden zu gewinnen, ist Donar unaufhörlich unterwegs 8)im Kampf mit den Steinriesen; wo er nur ein solches Fels-Ungetüm noch unbezwungen ragen weiss, dahin fährt er sofort auf dem rollenden Wagen, ihm den harten Schädel zu spalten; er gerät in Zorn, wo er die spröden Gesellen trifft, er weichet nicht, bis sie zermürbt sind; es ist der germanische Bauer der Urzeit, der einen grimmen Kampf ums Dasein mit dem Gestein des Felsgebirges führt; die Stahlhandschuhe des Gottes, welche er führt, sich an dem glühenden9) Blitzhammer nicht die Hand zu verbrennen, sind die festen, arbeitharten Fäuste des deutschen Pflügers, der zauberkräftige Stärkegürtel (Megin-Giadr) des Gottes aber, der immer wieder neue Kräfte leiht ("die Kraft verdoppelt"), wenn man ihn fester anzieht, ist der Entschluss unweichender Ausdauer, die nimmer erlahmt.



Auch äusserlich spiegelt die Erscheinung des Gottes den germanischen Bauer wider: er ist nicht fein, zierlich oder von natürlicher Anmut wie Baldur, nicht geheimnisvoll, grossartig, erhaben-schön wie Wotan; breitknochig, breitschulterig, breitbackig, mit wirrem, fuchsrotem10) Bart rund um das Kinn und die Wangen, wie ihn heute noch der westfälische Landmann trägt, um ihn fliegend im Wind oder in der Wut, wenn er zornig darein bläst; derb, ja pump, langsam, ungefüg, von schwerfälliger Bewegung, aber von unwiderstehlicher, bärenstarker Kraft.



Der deutsche Bauer, sagten wir, ist ein trefflicher Bauer; aber er ist auch ein sehr starker Esser und Trinker.



Auch darin ist Gott Thor ein Vorbild - oder richtiger; ein Nachbild! - des germanischen Bauers, dessen Verzehrungsvermögen man in den Polizeiordnungen des Mittelalters bei den Schmäusen zur Taufe, Kirchweih, Hochzeit und Begräbnis von Amtswegen Schranken ziehen Musste. In einem der schönsten, weil abgerundetsten und einheitlichsten, Lieder der Edda, Hamarsheimt, des Hammers Heimholung, oder Thrymsquida, das Lied vom Riesen Thrym (oder nordisch: Thrymr), wird uns erzählt, wie Thor, dem, während er schief, der Riese Thrym 11)seinen Hammer entwendet hat und nur zurückgeben will, wenn ihm Freya als Braut zugeführt wird, sich als Freya verkleidet zu dem Riesen begibt und hier beinahe durch sein ungeheures Zulangen bei dem Hochzeitsschmaus sich verrät; die Braut verzehrt einen ganzen gebratenen Ochsen und acht Lachse, ferner sämtliches süsse Gebäck, welches für alle Mädchen und Frau bestimmt gewesen war, und trinkt dazu drei Kufen Met. Der Bräutigam verwundert sich: "Wer sah," meint er kopfschüttelnd, "wer sah je Bräute so gierig schlingen! Nie so viel Met sah ein Mädchen ich trinken." Der schlaue Loki, der, als Freyas Magd verkleidet, daneben sitzt, weiss freilich Rat, um den durch seinen eignen Durst beinahe verratenen Freund herauszulügen; acht Tage und Nächte, erklärt er entschuldigend, habe die Braut nichts genossen - vor Sehnsucht nach dem Bräutigam. Dadurch ist Zeit gewonnen, bis der ersehnte Hammer herbeigebracht wird, die Braut zu weihen! - sofort ergreift der Gott die vertraute Waffe, - das Herz lacht ihm im Leibe, wie er sie wieder schaut - und zerschmettert dem Riesen und sämtlichen Gästen von dessen Sippe die harten Häupter.

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< I. Odin-Wotan.
III. Tyr-Ziu. >



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