Frei Lesen: Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

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Kapitelübersicht

I. Odin-Wotan. | II. Thor-Donar. | III. Tyr-Ziu. | IV. Freyr-Frô. | V. Baldur-Forseti. | VI. Loki-Loge. | VII. Hel-Nerthus | VIII. Freya und Frigg. | IX. Die Nornen. | X. Die Walküren. | XI. Andre Götter und Göttinnen. | XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen. |

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Felix Dahn

Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch

V. Baldur-Forseti.

eingestellt: 6.7.2007





Wie Freyr ist auch Baldur, ebenfalls Odins Sohn, ein Gott des Lichtes, der Sonne, doch in vielfach abweichender Richtung; so wird nicht der Erntesegen wie auf Freyr-Frô, sondern der Frühling auf ihn zurückgeführt; er ist das aufsteigende Licht des wachsenden Jahres und muss daher sterben, wann das Jahr sich neigt, wann die Tageslänge nicht mehr zunimmt, sondern abnimmt, und die Nacht dem Tageslicht zu obsiegen anhebt; also zur Sommersonnenwende, ungefähr zwischen dem einundzwanzigsten und dem vierundzwanzigsten Juni; die Kirche hat auf letzteren Tag das Fest Johannis des Täufers verlegt, des lichtverkündenden Vorgängers des Heilands; die Sonnwendfeuer, welche in dieser Nacht in Oberdeutschland auf den Gipfeln der Berge entzündet werden, deuten den Scheiterhaufen, auf welchem, nach altgermanischem Brauch, die Leiche des Gottes verbrannt wird, wie das in Mittel- und Norddeutschland häufigere Osterfeuer umgekehrt der Scheiterhaufe ist, auf welchem der bei Frühlingsanfang von Baldur besiegte und getötete Winterriese verbrannt wird.



Schon oben ward darauf hingewiesen, wie der gemeinarische Lichtkult, welchen die Germanen mit aus Asien gebracht, eine ganz besondere Färbung annehmen musste, seit dieselben in Nord- und Nordost-Europa lebten; die Sehnsucht nach Licht und Wärme des Frühlings und Sommers musste während der langen Winter schon in den Urwäldern Deutschlands, noch mehr in Skandinavien eine die Seelenstimmung geradezu beherrschende werden; zu dem lebhaften, durch das Waldleben gesteigerten Naturgefühle der Germanen trat hierbei, dass die Bauart und Einrichtung ihrer Holzgehöfte wenig Behaglichkeit im Winter bot, das Leben im Freien, im Lenz und Sommer, daher um so inniger herbeigewünscht werden musste. Daher durchzieht ihre ganze Volkspoesie, ihre Feste und Spiele die Vorstellung des Kampfes zwischen dem lichten, wohltätigen, Leben und Freuden spendenden Gott des Frühlings (des Maien, des Sommers) mit dem Kälte, Dunkel, Erstarrung und Tod verbreitenden Winterriesen. Das Frühlingslicht gerade in diesem Sinn ward nun in Baldur personifiziert.



Der Name1) dieses Frühlings- und Lichtgottes war bei den verschiedenen Stämmen verschieden, Wesen und Bedeutung waren dieselben; wie heute noch in den Osterfeuern der Winterriese verbrannt wird, so feiert man in vielen Landschaften den Tag Sankt Georgs, welch ritterliche Heiligengestalt an Stelle des alten Frühlingsgottes getreten ist, als den des Sieges des Lichtes über die Winternacht; wie Baldur den Winterriesen, erlegt Sankt Georg mit goldener Lanze (dem Sonnenstrahl) den Drachen und befreit die ihm preisgegebene Jungfrau, die in Wintersbanden schmachtende Erde. Zu Furth im bayrischen Walde wird dieser Drachenstich noch jährlich am Sankt Georgitag feierlich begangen; ein Jüngling in schimmernden Waffen, auf weissem Ross, ein Symbol des siegreichen Lichtes, stösst den Speer in den Rachen eines greulichen Drachen, dessen Blut aus einer in dem Rachen verborgenen Blase spritzt; - es wird von den Bauern, welche von nah und fern zu diesem Feste herbeiziehen, aufgefangen und auf die Felder gesprengt, Fruchtbarkeit zu spenden2), zum deutlichen Beweis, dass der Sieger der Sonnen- und Frühlingsgott ist. Anderwärts zogen und ziehen heute noch alt und jung in den Wald, den "Herren Maien" festlich zu empfangen, wann ihn der Kuckucksruf oder der erste Storch, die erste Schwalbe, das erste Veilchen verkündet hat; auch hier wird oft eine Hochzeit mit einer "Maikönigin" gefeiert. (Über Baldurs Gemahlin Nanna, seine Brüder Hödur, Wali, Hermodur s. unten.) Baldur ist als strahlend schöner Jüngling gedacht.



Die Freude der Germanen an dem Frühlingslicht drückt die Edda naiv und rührend aus: "Von Baldur ist nur Gutes zu sagen (was von den andern Asen, die wir sahen, nicht gerühmt werden mag; aber diese Gestalt ist schuldlos und rein verblieben), er ist der Beste, er wird gepriesen von allen. So schön ist er von Antlitz und so hell, dass ein leuchtender Glanz von ihm ausstrahlt; ein Kraut ist so hell, dass es mit Baldurs Brauen verglichen wird; das ist das lichteste (weisseste) aller Kräuter: "Baldurs-braue". Daraus kannst du ermessen, wie schön sein Haar und sein Leib sein muss. Von allen Asen ist er der weiseste, mildeste, beredteste; er hat die Eigenschaft, dass seine in Streitsachen andrer ausgesprochenen Urteile niemand schelten kann3) (d. h. im altgermanischen Recht: ihrer Unrichtigkeit und Ungerechtigkeit halber anfechten und einen andern Wahrspruch verlangen). Er bewohnt im Himmel jene Stätte, welche Breida-blick (Weit-Glanz) heisst; und wird da nichts Unreines geduldet4)."



Das Licht, die Reinheit, gilt auch als Symbol der sittlichen Reinheit und des guten Rechts; daher mahnt ein in manche Sage gekleidetes Sprichwort: "Die Sonne bringt es an den Tag", d. h. das Unrecht, das Verbrechen, z. B. den Mord, der sich tief verborgen und sicher wähnt. Diese einzelne Seite Baldurs - dass niemand seine Urteile schelten kann - die lichte Gerechtigkeit und Rechtswahrheit, wird, nach einer uns nun schon geläufigen Ausdrucksweise der Götterwelt, so ausgedrückt, dass der Gott des Rechts, genauer der Rechtsprechung, ein Sohn Baldurs genannt wird; er ist Forseti (Forasizo5), seine Mutter ist selbstverständlich Nanna). In germanischer Rechtspflege hatte der König oder der Graf, als "Richter" das Ding, d. h. das Gericht, zu leiten, feierlich zu eröffnen, zu hegen, das Wort zu verleihen, den Dingfrieden zu schützen, Scheltworte, Waffenzücken zu verbieten und zu strafen, Umfrage an das versammelte Volk, später an die Schöffen, zu halten, welche das Urteil fanden; dieses Amt des Vorsitzes wird von Baldurs Sohne bekleidet. Er bewohnt in der Himmelsburg den Saal, welcher der Glänzende (Glitnir) heisst; dort steht sein Richterstuhl, der beste für Götter und Menschen; alle, die sich im Rechtsstreit an Forseti wenden, gehen, mit seinem Schiedsspruch zufrieden, versöhnt und ausgeglichen, von diesem Richterstuhl nach Hause6).



In einer schönen Sage von Entstehung des Rechts der Friesen wird erzählt, dass deren zwölf Rechtssprecher (â-sega) in steuerlosem Boot auf dem Meere treiben; sie vermögen das Land nicht zu finden (und auch nicht das Recht, d. h. das "Hintreiben auf steuerlosem Schiff" ist das vergebliche Bemühen, die Rechtsentscheidung im Meere der Zweifel zu finden). Sie beten, ein Dreizehnter möge ihnen gesendet werden, der sie das Recht lehre und an das feste Land lootse. Sofort sitzt ein Dreizehnter am Schiffshinterteil, führt ein Ruder und steuert gegen Wind und Wellen sicher und glücklich ans Land; dort angelangt, wirft er eine Axt, die er auf der Schulter trägt, zur Erde; da entspringt an dieser Stelle ein Quell; hier setzt er sich nieder, die zwölf andern um ihn, und er weist ihnen das Recht. Keiner der zwölf kannte ihn, jedem der zwölf glich er von Angesicht und nachdem er sie das Recht gelehrt - waren ihrer wieder nur zwölf; der dreizehnte war verschwunden; er war nur der Ausdruck ihrer Gemeinvernunft, ihres übereinstimmenden Rechtsbewusstseins gewesen. -



Der Unbekannte war ursprünglich wohl Odin, später aber, nachdem ein besonderer Gott des Rechts aus Odin (als dem Gott des Geistes, daher ist er Fosites Grossvater) und Baldur, als dem Gott der sittlichen Reinheit und Wahrhaftigkeit, herausgelöst war, eben dieser neue Gott. Man verlegt jene Rechtsbelehrung auf die Insel Helgoland (die Grenze der Friesen und Dänen), welche nach diesem Gott "Fositesland" hiess und wo ein heiliger Brunnquell in hoher Verehrung stand; nur schweigend durfte man schöpfen das reine und geheimnisvolle Nass.



Sankt Wilibrord wagte es, um das Jahr 740 in dem Quell drei Heiden zu taufen; kaum entging er lebend dem Zorn des Volks über solche Entweihung und Verwendung des Brunnens der alten Götter zum Dienst ihrer Feinde. Erst Sankt Liutger (gestorben im Jahre 809), selbst ein Friese, führte das Christentum auf der Insel ein, die heute noch das "heilige Land" genannt ist (auch in Norwegen gab es einen Forseti-Wald).



Von Baldurs Tod wird besser in anderm Zusammenhang gehandelt; seine Spuren - unter diesem Namen - in Deutschland sind sehr selten; gar mancher Ortsname, der, mit Pfol zusammengesetzt auf Phol, angeblich gleich Baldur, gedeutet wurde, geht auf "Pfahl" zurück, auf den Pfahlgraben, den alten römischen Grenzhag (limes). Und wenn man eine Bekräftigung jener Annahme darin finden wollte, dass diese Orte auch oft "Teufels"-Graben, "Teufels"-hag genannt werden - da nämlich auch dieser Gott im Mittelalter als ein Teufel gedacht worden sei - so ist zu erinnern, dass die Deutschen das ihnen so verderbliche und grossartige, fast übermenschliche Werk der römischen Feinde, den Grenzhag, den Pfahlgraben7), auf Riesen oder andre böse Gewalten, d. h. in der christlichen Zeit auf Teufel zurückführten. So bleibt als Zeugnis für "Phol" fast nur der Merseburger Zauberspruch über, der bei Verrenkungen gesprochen wurde; eingekleidet in epische, ja dramatische Form:

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