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Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

10. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





Die beiden Särge waren nach Wien gebracht worden. Auch Tante Lotti hatte sich dorthin begeben und laut testamentarischer Vollmacht mit sich genommen, was von intimerem Werthe war; alles Uebrige wurde an Arme und Bedürftige vertheilt, so daß nur, was gewissermaßen niet- und nagelfest war, im Schlosse zurückblieb. Dieses selbst aber wurde nunmehr an allen seinen Eingängen versperrt und die Schlüssel dem Gemeindevorstand überantwortet, der seinerseits einen verläßlichen Mann als Aufseher anstellte. Mit seiner Familie im Amtshaufe untergebracht, hatte dieser darüber zu wachen, daß nichts in Verfall gerathe; wie denn auch zweimal des Jahres alle Räumlichkeiten geöffnet wurden, um die nothwendige Lüftung und Säuberung vorzunehmen.



Inzwischen war die neue Aera wirklich angebrochen und eine fröhliche Wahlbewegung ging durchs Land. Lang erhoffte Einrichtungen, erlösende Gesetze machten sich geltend, aber mit ihnen auch tiefere nationale Spaltungen, die fast in allen Theilen der Monarchie zu Tage traten. Es war ein freierer, aber auch unruhigerer Geist in die Zeit gekommen, deren Hauch von nun an das stille Schloß umwehte, während die Mauern allmälig eine düstere Färbung annahmen und auf den unbetretenen Gängen der Avenue sich langhalmiger Graswuchs entwickelte.



Plötzlich wurde es von feindlichen Truppen überschwemmt. Denn der Krieg des Jahres 1866 hatte sich in die Nähe gezogen und die Kanonen donnerten in der Runde. Man hatte das weitläufige Gebäude einem preußischen General erschließen müssen, der dort sein Heerlager aufschlug.



Auch das ging vorüber und es wurde wieder still auf der einsamen Höhe. Unten aber regte sich aufs neue der Gewerbefleiß friedlicher Hände – und der Marktflecken dehnte sich weiter und weiter aus. Ein stattliches Schulhaus, ein neues Rathhaus in gothischem Rohbau erhoben sich – und als nun gar auf frisch gelegten Schienen die erste Lokomotive vorüberdampfte: da war auch das Ziel erreicht – und der Ort zum Range einer Stadt erhoben worden. Und schließlich waren auch die fünfundzwanzig Jahre abgelaufen, welche dem Schlosse neue Bewohner ferne gehalten hatte.



Mit demselben Tag aber, an welchem diese Frist zu Ende ging, waren auch schon ganze Schaaren von Handwerkern erschienen, welche nunmehr daran gingen, das verlassene Gebäude nach jeder Richtung hin im modernsten Geschmacke aufzufrischen und einzurichten. Denn einer der bedeutendsten Industriellen des Landes, der sich im Laufe der Jahre ein erstaunliches Vermögen erworben, war bei einer Geschäftsreise von diesem, gewissermaßen in der Luft schwebenden Herrensitze in Kenntniß gesetzt worden und hatte sofort hinsichtlich des Erwerbes in der ganzen früheren Gutsausdehnung ein glänzendes Angebot gethan. Die Väter der jungen Stadt gingen um so rascher auf den Verkauf ein, als damit alle weiteren Sorgen und Mühen der Verwaltung entfielen und das Gemeindevermögen um ein beträchtliches, zur Stunde flüssiges Capital wuchs. Und so hielt denn, nachdem im Schlosse die zahlreichen, vordem sehr einfach gehaltenen Gemächer durchweg mit neuen Parketböden, mit goldgemusterten Tapeten, mit Sammt, Seide, Spitzen und stylvollen Möbeln ausgestattet, die Vorhalle und die Treppen mit Nischen und Statuen, mit kostbaren Teppichen und exotischen Gewächsen ausgeschmückt waren, an einem dunklen Septemberabend der neue Besitzer seinen Einzug – und zwar bei elektrischem Lichte, dessen weißes Fanal die Avenue weithin erhellte.



Selbstverständlich waren auch bedeutende Eingriffe in den Park geschehen. War doch dieser im Laufe der Jahre mit seinem Unterholze derart ins Laub geschossen, daß eine förmliche Durchforstung Platz greifen mußte. Dabei fielen auch alle vermorschten Eremitagen, Tempelchen, Brückchen und Ruhebänke, die sammt und sonders aus Birkenästen hergestellt waren; nur das Tirolerhaus an der großen Wiese hatte man als wunderliches Denk- und Wahrzeichen einer engbrüstigen und geschmacklosen Vergangenheit unberührt gelassen. Auch konnte man dort immerhin vor einem plötzlich niedergehenden Regen Schutz finden, oder auch an kühlen Herbsttagen das Gouter einnehmen. Als man aber das Letztere wirklich einmal ausführte, da zeigte sich, daß die Räumlichkeiten für die höchst zahlreiche Familie des neuen Schloßherrn sammt allen Hofmeistern, Gouvernanten und Bonnen doch viel zu klein und unbequem waren. Die Damen konnten keinen rechten Platz zum Sitzen finden – und die Herren stießen mit den Hüten an die Decke. Oeffnete man die Fenster, so drang empfindliche Zugluft herein; schloß man sie, so waren die Zimmerchen – denn auch die Damen rauchten Cigaretten – alsbald mit unerträglichem Tabaksqualm angefüllt. Und welche Bruthitze mochte in der schönen Jahreszeit hier innen herrschen! Man mied also das Haus im nächsten Sommer vollständig; nur die englische Gouvernante, eine ältliche Miß mit messingblonden Haarwickeln, suchte es jezuweilen an Sonntagen auf, um, von keinem Menschen gestört, in der Bibel lesen zu können. Und als im darauf folgenden Winter das Unerhörte geschah, verwegene Strolche nächtlicherweile einbrachen und alles Bewegliche wegschleppten: da kam man auch sofort zu dem Entschlusse, den alten »Kasten« dem Erdboden gleich zu machen und an seiner Stelle ein geräumiges, den Anforderungen modernen Comforts entsprechendes Sommerhaus zu errichten. Wirklich entstand auch, wie hervorgezaubert, in kürzester Zeit ein ganz stattliches Gebäude im Schweizerstyl, von dessen breiter, luftiger Terrasse man bequem auf einen weit abgesteckten Lawntennis-Platz niederblicken konnte, der einen guten Theil der Wiese einnahm. Dort bewegen sich, wenn – was häufig geschieht – das Schloß zahlreiche Gäste beherbergt, anmuthig jugendliche Gestalten in vollem Eifer des körperbiegenden Spieles. Die Herren in Jockeymützen und farbigen Wollenhemden; die Damen, hochgeschürzt, in grell bunter Tracht – Alle aber in gelben, mit Gummi besohlten, absatzlosen Schuhen. Und während unten bei fröhlichen Scherzen und schallendem Gelächter die Bälle hin und her, oder über das Gitternetz fliegen: weilt oben auf der Terrasse eine Schaar gesetzterer Männer und Frauen in anregendem Geplauder. Da wird Alles berührt, Alles gelobt oder getadelt, begriffen oder mißverstanden, was der Tag bringt: die neuesten Verordnungen der Regierung und die neuesten Moden; die Schwankungen der Curse und die Differenzen zwischen diesem oder jenem Theaterdirector und dieser oder jener Schauspielerin. Die letzte sensationelle Ehescheidung, das letzte siegreiche Rennpferd, der Sozialismus, der Hypnotismus und die Erzeugnisse der naturalistischen Schule. So regt und bethätigt sich geräuschvoll an dem Orte, wo Clotilde in tiefer Stille an der schwermüthigen Gluth Lenaus sich entzückte, an ihrer idealen Landschaft pinselte – und im Uebergefühle der Schuld zusammenbrach: ein neues, bestimmteres, zuversichtliches Geschlecht mit anderen Empfindungen und Anschauungen, mit anderen Zielen und Hoffnungen – daher auch mit anderen Schicksalen. Aber auch dieses Geschlecht wird dereinst zu den vergangenen zählen – und wieder ein neues ausblicken nach den ungewissen, ewig wechselnden Fernen der Zukunft.

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