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Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

7. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





Der Freiherr erschien heute allein zu Tisch. »Die Baronin ist unwohl,« bedeutete er dem Kammerdiener. Dieser schaffte sofort das aufgelegte zweite Gedeck bei Seite, ohne sich irgendwelche Gedanken zu machen; denn es war ihm bekannt, daß die Herrin, wenn auch selten, dann aber um so heftiger an Migräne leide und sich in solchem Falle stets gänzlich zurückziehe.



Mit der äußeren Ruhe eines Weltmannes, der im Leben jede Art von Selbstbeherrschung erlernt und geübt hatte, nahm der Freiherr das Diner ein, wenn auch flüchtiger als sonst; was ja nicht auffallen konnte, da er ohne Gesellschaft speiste. Er athmete aber befreit auf, als endlich der Kammerdiener das Kaffeebrett mit der kleinen chinesischen Tasse und dem silbernen Kännchen vor ihm niedersetzte und hierauf verschwand. Nun konnte er sich, in den Stuhl zurückgelehnt, vollständig seinen Gedanken überlassen.



Was sich da zugetragen, hatte ihn nicht ganz unerwartet getroffen. Ein Vorgefühl davon hatte auf ihm mit dumpfem Drucke gelegen seit jenem Tage, an welchem er die Zuschrift des Gemeindevorstehers erhalten. Aber nach Art erfahrener Naturen wollte er nicht vorschnell an ungewiß drohende Dinge rühren, um nicht etwa den Gang derselben zu beschleunigen; er vermied es später sogar, seine Gemahlin zu beobachten, auf daß er durch verfrühte Wahrnehmungen nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werde. Da sich aber nun Alles, überraschend genug, vollzogen hatte, erkannte er auch sofort sehr deutlich, wie klar und einfach die Sache lag – und Clotilde allein war es, die er dabei unmittelbar ins Auge faßte. Er selbst kam ja gar nicht in Betracht; er war ein alter Mann, den nur getroffen hatte, was ihn früher oder später einmal treffen mußte – und Graf Poiga-Reuhoff war eben ein gewohnheitsmäßiger Roué, gegen welchen er für seine Person nicht einmal Gereiztheit empfand, den er nur mit Hinblick auf den Seelenzustand Clotildens haßte. »Armes Weib!« flüsterte er vor sich hin. »Welche Zukunft steht ihr bevor!« Aber nicht die Zukunft galt es jetzt zu bedenken, nur die Gegenwart. Und über diese mußte sie unter allen Umständen hinweg gebracht werden!



Als jetzt der Kammerdiener wieder eintrat, sagte er: »Ich möchte heute dem Herrn Rittmeister einen Besuch machen, da ich ihn das erste Mal nicht angetroffen und blos eine Karte zurückgelassen habe. Erkundigen Sie sich, ob er zu Hause ist. Lassen Sie aber nichts von meiner Absicht verlauten; vielleicht besinne ich mich noch anders.«



Er erhielt bald die Meldung: der Graf befinde sich in seiner Wohnung. Nachdem er noch eine Weile sitzen geblieben, begab er sich auf sein Zimmer, um eine Änderung in seinem Anzuge vorzunehmen. Dann griff er nach seinem Hute und schritt langsam die Treppe hinunter.



Es schlug eben vier Uhr, als er quer über den Hof dem Amtshause zuschritt. Auf einer der Stallbänke sah er den Reitknecht des Grafen sitzen, träg hingelümmelt neben dem Wachtmeister, mit welchem er in einer Unterhaltung begriffen schien. Sobald der Wachtmeister des Schloßherrn ansichtig wurde, erhob er sich und salutierte; der Reitknecht aber, ein bartloser, in der Art solcher Leute hochmüthiger Bursche, zögerte sichtlich; erst als der Freiherr gerade auf ihn zutrat, erhob er sich rasch und brachte den Stummel einer Virginia-Cigarre, den er mehr kaute, als rauchte, aus dem Munde.



Der Freiherr sagte, er wünsche den Grafen zu sprechen; wie er gehört habe, sei derselbe zu Hause.



»Ja,« erwiderte der Bursche in schwer verständlichem Deutsch; »aber er schläft. Ich habe jedoch den Befehl, ihn um vier Uhr zu wecken. Es ist jetzt gerade Zeit,« fuhr er mit einem Blicke nach der Schloßuhr fort, »und ich werde den Herrn Baron melden.«



»Thun Sie das,« versetzte der Freiherr, »ich werde einstweilen hier warten.« Und er schlug die Richtung nach dem Rondél in der Mitte des Hofes ein, wo er den kleinen Teich zu umschreiten begann.



Es dauerte ziemlich lange, bis der Andere mit der Nachricht zurückkam: der Herr Graf lasse bitten, einstweilen oben Platz zu nehmen, er werde gleich erscheinen.



Der Freiherr folgte nun dem Reitknechte, der offenbar auch die Verrichtungen eines Dieners besorgte, in das Eintrittszimmer, wo es ziemlich wüst aussah. Auf einem niederen Schranke gewahrte man, neben einer Anzahl von Gerten und Reitstöcken, die Mütze und die Handschuhe des Grafen; zwei Säbel, ein schwerer und leichter, lehnten in einer Ecke, und auf dem Tische vor dem Sofa lag bei den Resten eines Frühstücks, die jetzt der Bursche rasch entfernte, ein zur Hälfte gerauchter Tschibuk. Obgleich ein Fenster offen stand, war doch ein scharfer Geruch nach türkischem Tabak im Gemach verbreitet, der sich dem Freiherrn, welcher selbst nicht rauchte, höchst unangenehm aufdrängte. Durch die geschlossene Thür des Nebenzimmers herein klang das zornige, ab und zu herrisch beschwichtigte Gekläff eines Hundes, der den Fremden witterte; dazwischen Schritte und Geräusche, welche verriethen, daß der Graf eben im raschen Ankleiden begriffen war.



Endlich öffnete sich die Thür, durch deren Spalt sofort ein gelber, affenartiger Pintscher laut aufbellend dem Freiherrn entgegenschoß; auf einen drohenden Ruf seines Herrn kroch er unter das Sopha, wo er leise nachknurrte.



»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, Excellenz,« sagte der Graf, indem er den erst halb eingeknöpften Uniformrock vollends schloß, »ich muß sehr um Entschuldigung bitten, daß ich Sie so lange habe warten lassen, aber ich war auf Ihren Besuch durchaus nicht vorbereitet – –.« Seine Bewegungen waren hastig, unsicher und ließen Verlegenheit erkennen.



»Vielmehr muß ich Sie, Herr Graf, um Verzeihung bitten, daß ich zu so wenig geeigneter Stunde bei Ihnen erschienen bin –.«



»O, das hat gar nichts zu sagen,« unterbrach ihn der Andere, während sich nun Beide setzten. »Wir machen jetzt größere Übungen, die einigermaßen ermüdend sind – und da habe ich eine Stunde geschlafen –.«



»Nun, es war immerhin eine Störung – aber ich habe Ihnen eine dringende Mittheilung zu machen.«



»Eine dringende Mittheilung? Welcher Art, wenn ich fragen darf?«



»Dürfte ich mir vielleicht erlauben, jenes Fenster zu schließen?« sagte der Freiherr nach einer kurzen Pause, indem er Miene machte, sich zu erheben.



»O sehr gern!« rief der Graf und sprang zuvorkommend auf. »Excellenz fürchten wahrscheinlich die Zugluft?«



»Nein. Ich fürchte nur, daß meine Mittheilung Erörterungen nach sich ziehen könnte, welche besser im Hofe nicht gehört werden.«



Der Graf zuckte zusammen. Er konnte kaum mehr im Zweifel sein, um was es sich handeln würde; jetzt aber hatte er auch sofort die vollständigste Fassung gewonnen. »Excellenz treffen sehr seltsame Vorkehrungen,« sagte er kurz.



»Sie dürften vielleicht nöthig sein. Ich mochte Sie sogar bitten, im Vorhause nachzusehen, ob nicht Jemand –«



Der Graf blitzte ihn mit seinen dunklen Augen zornig an. »Was soll das heißen? Ich bin von keinen Spionen umgeben und bitte Sie, zur Sache zu kommen.«



»Wie es Ihnen beliebt. Ich für meine Person pflege niemals sehr laut zu sprechen – und eigentlich handelt es sich ja nur um eine Bitte, die ich Ihnen vortragen werde. Wenn Sie ihr Gewährung schenken, so entfällt jede weitere Verhandlung von selbst.«



»Und was wäre das für eine Bitte?« fragte der Graf, der sich wieder gesetzt hatte und nun die Arme über der Brust verschränkte.



»Daß Sie diese Behausung so bald, wie nur irgend möglich, verlassen möchten.«



»Herr Baron!«



»Bleiben Sie ruhig, Herr Graf,« sagte der Freiherr sanft. »Betrachten Sie es wirklich nur als Bitte.« Es klang in der That ein flehender Ton durch diese Worte.

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