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Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

8. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





Am folgenden Nachmittag saß der Freiherr am Schreibtische und richtete folgenden Brief an Frau Charlotte Nespern in Wien:



»Ich schreibe Ihnen in größter Beängstigung, liebe Tanti Lotti! Meine theure Clotilde, welche sich schon gestern unwohl gefühlt, ist heute in den frühen Morgenstunden von einem Schüttelfroste befallen worden, in welchem ich sofort den Vorboten einer ernstlichen Erkrankung vermuthete. Dennoch unterließ ich es, auf ihre Einsprache hin, nach einem Arzte zu schicken, denn der Anfall ging vorüber, und nur eine gewisse Abspannung war zurückgeblieben, welche Clotilde bewog, im Bette zu bleiben, wo sie auch späterhin in einen, wie es schien, ruhigen und erquickenden Schlaf verfiel. Aber gegen Mittag erwachte sie unter erneuten Fiebererscheinungen – und nun zögerte ich keinen Augenblick, nach dem Doctor zu senden, der aber, wie das schon so zu gehen pflegt, nicht anzutreffen war, da er sich zu einem Kranken außerhalb der Ortschaft begeben hatte. Es konnte nur der Auftrag hinterlassen werden, daß er nach seiner Rückkunft sogleich im Schlosse erscheine. Bis jetzt (vier Uhr) ist er noch nicht da – und ich fange bereits an, die Minuten zu zählen; denn das Fieber ist im Zunehmen begriffen und die geliebte Kranke, obgleich sie nicht darüber klagt, scheint an den quälendsten Kopfschmerzen zu leiden. In dieser verzweifelten Gemüthslage schreibe ich diesen Brief mit der innigen Bitte: wenn es Ihnen die Umstände nicht ganz und gar unmöglich machen, so eilen Sie hierher und stehen in voraussichtlich schwerer Zeit bei Ihrer Sie zärtlich liebenden Nichte und Ihrem treu ergebenen Günthersheim.«



Der Freiherr hatte das Schreiben hastig fertig gestellt und dann durch einen Diener eilends zur Post bringen lassen. Es gab damals noch keine Telegraphenverbindungen, auch keine Eisenbahnen, die von den Hauptlinien abzweigten, und so mußten wenigstens vier Tage verstreichen, eh die sehnlich herbei Gewünschte eintreffen konnte. Der besorgte Gatte begann den Zustand der völligen Verlassenheit, in welchem er sich jetzt mit der Kranken befand, aufs verzweifeltste zu empfinden.



Nunmehr aber wurde das Erscheinen des Arztes gemeldet. Der Freiherr ging ihm rasch entgegen und führte ihn in das Zimmer, wo Clotilde lag, das Antlitz erhitzt, die Stirn mit einem kühlenden Umschlag bedeckt.



Der Doctor, ein hoher Fünfziger mit stark geröthetem, pockennarbigem Gesicht, trat auf seinen Stock gestützt – denn er hatte ein lahmes Bein – mit einer plumpen Verbeugung an das Bett und betrachtete sie aufmerksam. Dann entfernte er den kalten Bausch und befühlte die Stirn. »Diese Umschläge nützen nichts – Eis! Eis!« Er setzte sich auf einen Stuhl und prüfte den Puls der Kranken, an die er einige kurze Fragen richtete.



»Hm« – machte er nach einer Pause. »Ich werde eine Kleinigkeit verschreiben.« Damit erhob er sich und hinkte schwerfällig aus dem Zimmer.



Der Freiherr war ihm gefolgt und fragte jetzt ängstlich: »Nun, lieber Doctor – nun?«



»Cerebrales Fieber« erwiderte dieser trocken, indem er sich nach Schreibzeug umsah.



»Ich bringe Ihnen sogleich das Nöthige. – Aber sagen Sie: halten Sie den Zustand für sehr gefährlich?«



»Es kann eine Gehirnentzündung werden. Hat die Frau Baronin in letzter Zeit eine Aufregung durchgemacht?«



Trotz seiner Selbstbeherrschung und obgleich er auf die Frage vorbereitet gewesen, fühlte der Freiherr, wie er erröthete. »Sie hat sich allerdings einen Vorfall sehr zu Herzen genommen, aber –«



»Hm, ja. Kinderlose Frauen in solchem Alter und –« er warf einen eigentümlichen Blick auf den Freiherrn. »Uebrigens wer weiß, wie die Dinge zusammenhängen. Excellenz haben ja hier oben auch Einquartierung gehabt? Nicht wahr?«



Der Freiherr konnte eine Geberdc der Betroffenheit nicht unterdrücken. »Ja, gewiß –«



»Nun also. Ich kann Ihnen nur sagen, daß seit einigen Tagen im Orte Typhusfälle vorkommen. Vielleicht haben die Dragoner Etwas eingeschleppt und nun als Andenken zurückgelassen.«



Um seine Erregung zu verbergen, trat der Freiherr ins Nebenzimmer und brachte ein kleines zierliches Tintenfaß sammt Feder und Papier herein.



»So,« sagte der Doctor, nachdem er rasch ein Recept geschrieben, «das ist Alles, was ich thun kann. Im Uebrigen fortgesetzte Eisumschläge, kühlende Getränke. Unter allen Umständen aber möchte ich ihnen rathen, noch einen Arzt zu Rathe zu ziehen. Ich übernehme in solchen Fällen nicht gern allein die Verantwortung. Denn ich gelte, obgleich ich mein Diplom in der Tasche habe –« er schlug dabei an die Hüfte – »in den Augen vieler Leute doch nur als Landbader. Eine Capacität aus Prag – oder gar aus Wien hieher zu bescheiden, ist es freilich zu spät.«



»Zu spät!« rief der Freiherr angstvoll.



»Ja; denn die Krisis pflegt oft sehr rasch einzutreten.«



»Aber eine günstige Wendung ist doch möglich!«



»Möglich, ja. Schicken Sie daher gleich einen Wagen nach Trautenau – zu Doctor Lederer. Ein Schüler Oppolzers. Er ist zwar ein sonderbarer Heiliger und wird sich spreizen – schließlich aber kommen. Allerdings kann auch er vor zwölf Stunden kaum da sein,« fügte der Doctor nachdenklich hinzu.



»Sie beängstigen mich aufs äußerste!«



»Na! Na! Verlieren Excellenz den Kopf nicht. Eines muß ich Ihnen noch sagen, damit Sie nicht etwa allzu sehr erschrecken: es werden voraussichtlich schon heute Delirien eintreten. Jedenfalls komme ich Abends wieder. Guten Tag!«



Mit dieser gedankenlos gesprochenen Grußformel, die ihm bei jedesmaligem Kommen und Gehen zur Gewohnheit geworden, entfernte er sich und überließ den Freiherrn einer stummen Verzweiflung.



»Mein Gott! mein Gott! Sollte es schon so weit – und keine Rettung mehr sein?« flüsterte endlich der qualvoll Bedrückte und begab sich mit leisen Schritten in das Krankenzimmer zurück. Er beugte sich über Clotilde, die in unruhigem Schlummer zu liegen schien, und faßte leicht ihre Hand. Bei dieser Berührung schlug sie die Augen auf und sah ihn wie fremd an. Dann aber lächelte sie, und er fühlte, wie sich ihre Finger zu sanftem Drucke schlössen.



»Wie fühlst Du Dich?« fragte er.



»O nicht schlechter,« erwiderte sie mit matter Stimme. »Nur müde, sehr müde – ich möchte in einemfort schlafen.«



»Nun, schlafe, mein Kind, schlafe,« sagte der Freiherr zärtlich. Aber wir werden Eisumschläge machen müssen.«



»Das wird mir Wohl thun,« hauchte Clotilde, während sie schon die Lider geschlossen hatte.



Inzwischen war Eis gebracht worden und der Freiherr traf selbst die ersten Anstalten. Dann überließ er dem Kammermädchen die weitere Sorge, um jetzt die Absendung, des Wagens nach Trautenau veranlassen zu können. Er that es, wie er sich selbst eingestand, ohne tröstliche Erwartung. Denn mit jener ahnungsvoll düsteren Voraussicht, welche reifen und vielgeprüften Menschen eigen ist, zweifelte er bereits an einem glücklichen Ausgange. »Ich baue auf Ihre Umsicht,« sprach er zu dem Kammerdiener, den er mit der Botschaft an den Arzt betraute, »und weiß, daß Sie nichts verabsäumen werden.«



Dann kehrte er zu der Kranken zurück, hieß das Mädchen einstweilen sich entfernen und nahm dicht an dem Bette Platz. Clotilde schlummerte. Aber sie bewegte Kopf und Arme hin und her; ihre weißen Finger schienen von dem blauen Atlas der Bettdecke Flocken auflesen zu wollen.



Langsam, bleischwer zogen die Stunden vorüber, während draußen die Sonne tiefer und tiefer sank und ihr letztes röthliches Gold durch die Spalten der Jalousien schimmern ließ.

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