Frei Lesen: Schloß Kostenitz

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1. Kapitel | 2. Kapitel | 3. Kapitel | 4. Kapitel | 5. Kapitel | 6. Kapitel | 7. Kapitel | 8. Kapitel | 9. Kapitel | 10. Kapitel |

Weitere Werke von Ferdinand von Saar

Die Heirat des Herrn Stäudl |

Alle Werke von Ferdinand von Saar
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Schloß Kostenitz) ausdrucken 'Schloß Kostenitz' als PDF herunterladen

Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

9. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





Wie er den Rest der Nacht und den Morgen durchlebt, wie er den eingetroffenen zweiten Arzt empfangen, darüber konnte er später sich selbst keine Rechenschaft ablegen. Mit jener an Stumpfsinn grenzenden Apathie des Schmerzes traf er und hieß er die Anstalten treffen, welche nunmehr zum Begräbniß nothwendig erschienen. Er wurde dabei von dem wackeren Doctor unterstützt, der offenbar Mitleid mit dem vereinsamten Manne hatte; auch der Ortsvorsteher fand sich ein, um das Beileid der Gemeinde auszusprechen und sich dem Freiherrn zur Verfügung zu stellen. Und wie denn die Frauen bei ähnlichen Anlässen stets bemüht sind, eine warme und werkthätige Theilnahme zu bezeigen, so hatten einige angesehene Einwohnerinnen nicht ermangelt, der weiblichen Dienerschaft, welche sichtlich den Kopf verloren hatte, bei den letzten Diensten, die der todten Herrin zu erweisen waren, an die Hand zu gehen.



Und so war auch die Stunde gekommen, wo Clotilde im Salon aufgebahrt lag, von hochragenden Wachslichtern umflackert. Man hatte sie in schwarze Seide gekleidet, ihr einen Kranz aus weißen Rosen um die Stirn und ein kleines goldenes Cruzifix in die gefalteten Hände gelegt. Der Freiherr war im Innersten gegen solche Zurschaustellung gewesen; aber er konnte und durfte dieselbe den Menschen nicht entziehen, die jetzt voll scheuer Neugierde in Schaaren heraufkamen, die schöne todte Schloßfrau zu bewundern und zu betrauern. Und während dessen saß er im anstoßenden Gemache allein, ganz allein. Er hörte die vorsichtig gedämpften Schritte der Ab- und Zugehenden; hörte stilles Geflüster und unterdrücktes Weinen. Er aber konnte nicht weinen; wäre Tante Lotti hier gewesen, so wären mit ihren auch seine Thränen geflossen. Sie allein war es, die er entbehrte – aber sie konnte ja im besten Falle erst übermorgen eintreffen. Und so blieb sein heißes Auge trocken; blieb es die endlos lange Nacht hindurch, während welcher zwei arme Frauen an der Leiche beteten; blieb es, als er den letzten Kuß auf die Stirn seines Weibes drückte. Nur wie im Traum nahm er wahr, daß man jetzt den Sargdeckel über ihr schloß, wie im Traum sah er den Pfarrer mit zwei Kaplänen in weißen Chorhemden und goldgestickten Stolen eintreten; hörte die monotonen Gebete, die halb gesungenen, halb gesprochenen Responsorien, athmete den betäubenden Duft, der qualmend aus dem geschwungenen Weihrauchfasse drang. Und jetzt wurde der Sarg gehoben und fortgetragen. Hinter ihm folgten die Priester, hinter den Priestern er selbst. Dann die schwarzgekleidete Dienerschaft und endlich die Honoratioren des Ortes, welche mit ihren Frauen dicht gedrängt den Sarg umstanden hatten. Und so ging es in langsamem Zuge die Avenue hinunter, hinunter durch den heißen, leuchtenden Sommertag, hinunter zur Ortskirche, wo die Todte bis auf weiteres in einem zum Schloßbesitz gehörenden Gruftgewölbe beigesetzt wurde. Erst als er sich wieder – ein Wagen, der nachgefahren war, hatte ihn zurückgebracht – allein im Schlosse befand, erwachte er. Und da brach auch sein Jammer hervor und erfüllte die einsamen Gemächer mit stöhnender Wehklage.



Tante Lotti war angekommen. Er hatte sie stumm in seine Arme geschlossen und dann ein leise abwehrendes Zeichen mit der Hand gemacht. Daraus hatte sie entnommen, daß er nicht gefragt sein wollte – und sie frug nicht. Wozu auch? Daß Clotilde gestorben war, das wußte sie, und sie fand sich in diese Thatsache, wie sich starke und vielgeprüfte Naturen in das Unabänderliche zu finden wissen. War sie doch nicht außer sich gerathen, als man ihr den Sohn sterbend ins Haus gebracht. Sie hatte nicht, wie andere Mütter an ihrer Stelle gethan haben würden, mit Gott und der Weltordnung gehadert, nicht die teuflische »Camarilla« und die entmenschte »Soldateska« verflucht, nein: der Jüngling hatte sich im blauen Legionärrock, die Flinte auf der Schulter, zu voraussichtlichem Kampfe aufgemacht – konnte sie es Wunder nehmen, daß er jetzt mit durchschossener Brust vor ihr lag? Freilich, daß ihre Nichte in der vollsten Blüthe des Lebens so plötzlich dahin gerafft worden war, entzog sich jeder Voraussetzung. Aber wie viele Menschen erkranken und sterben nicht auf der weiten Erde? Auch die junge Frau hatte dieses Loos getroffen. Tief schmerzlich für den armen Gatten; schmerzlich auch für sie, die auf das Kind des Bruders all die segnende Liebe übertragen wollte, welche sie dem eigenen nicht mehr weihen konnte. Als kluge und erfahrene Frau hatte sie gefühlt, wie nothwendig gerade Clotilden, deren Ehe kinderlos geblieben, eine mütterliche Freundin sein mußte – umso nothwendiger, je mehr ihr Gatte in den Jahren vorschritt. Aber sie hatte auch sofort das Bewußtsein, nunmehr für diesen leben und sorgen zu müssen. Sie war auf seinen Brief über Hals und Kopf von Wien abgereist und hatte dort manches höchst Wichtige unerledigt zurückgelassen. Dennoch wollte sie jetzt fürs Erste hierbleiben und abwarten, bis sich der Trostlose einigermaßen gefaßt haben würde.



Und der Freiherr faßte sich auch allmälig. Das heißt, es wurde ihm nach und nach vollkommen klar und deutlich, was sich eigentlich zugetragen hatte. Sein geliebtes Weib war ihm weggestorben, einer Gehirnentzündung erlegen. Also einer Krankheit. Was aber hatte die Krankheit hervorgerufen? Jene Begegnung im Parke mit dem Grafen Poiga. Der also war ihr Mörder! Doch nein! Was hatte er denn gethan? Nicht mehr und nicht weniger, als was jeder Andere an seiner Stelle – was vielleicht der Freiherr selbst in seinen jüngeren Jahren – einer schönen Frau mit einem alternden Gatten gegenüber gethan haben würde. Konnte der Graf die Folgen voraussehen – ja auch nur ahnen? Nein. Denn keine andere Frau hätte sich dieses Abenteuer so zu Herzen genommen. Er jedoch, ihr Gatte, hätte sie kennen und es wissen sollen. Und so war es auch seine Pflicht gewesen, sie vor solchen Fährlichkeiten zu bewahren, zu schützen. Aber die Schuld lag noch viel tiefer. Er hatte als Fünfzigjähriger ein junges Mädchen geheirathet, hatte ein aufblühendes Leben an sein verwelkendes gefesselt. Und doch – das Mädchen hatte ihn geliebt! Es hatte als Weib zehn Jahre lang mit inniger Neigung an ihm gehangen! Dennoch durfte er damals nicht um sie werben. Denn als reifer, überlegter Mann mußte er voraussehen, daß die Natur im Laufe der Zeit gegen diesen Bund Protest einlegen würde. Und er gestand sich jetzt, daß ihn solche Bedenken auch wirklich stark beunruhigt hatten, aber von seiner Selbstsucht, von seinem Verlangen nach dem köstlichen Besitz waren sie zum Schweigen gebracht worden. Ja, es war ein Verbrechen, daß er um sie geworben! Was aber wäre geschehen, wenn er es nicht gethan? Sie würde einen Anderen geheirathet haben. Sie wäre jetzt noch eine glückliche Gattin – vielleicht eine glückliche Mutter. Bei diesem Gedanken krampfte sich sein Herz zusammen. Worin jedoch lag die Bürgschaft, daß es sich, bei all den Zufälligkeiten, die das menschliche Wohl bedingen, bei all den Gefahren, die es bedrohen, wirklich so verhalten würde? Wer konnte behaupten, daß Clotilde unter anderen Verhältnissen glücklicher – ja auch nur so lange glücklich gewesen wäre, wie sie es mit ihm war. Hätte sie nicht schon in ihrem ersten Wochenbette sterben können? Er athmete freier auf. Ja, ein Menschenschicksal läßt sich in all seinen Möglichkeiten nicht berechnen, und wenn er an dem seines geliebten Weibes Schuld trug, so büßte er es jetzt durch ein vereinsamtes, qualvolles Dasein, dem der erlösende Tod – er fühlte es im Tiefsten seiner Seele – nicht so bald nahen würde.......



Dennoch ging er jetzt daran, alle nothwendigen letztwilligen Anordnungen so rasch zu treffen, als sollte er morgen sterben. Fürs Erste hinsichtlich seines Vermögens. Er war kein reicher Mann: ja ohne den bedeutenden Ruhegehalt, den er vom Staate bezog, hätte er sich sehr einschränken müssen. Die Ersparnisse, welche die Günthersheim vor ihm zurückgelegt, waren von seinem Vater zum Ankauf des Gutes verwendet worden, das, weil man es nicht in eigener Verwaltung haben konnte oder mochte, nur geringe Erträgnisse abwarf. Er selbst hatte es blos als Sommeraufenthalt geschätzt – und das Schloß sollte einst der Wittwensitz seiner theuren Clotilde werden; denn daß er vor ihr zu Grabe gehen würde, unterlag keinem Zweifel. Nun war es freilich anders gekommen. Aber was sollte jetzt mit dem Gute geschehen? Es lebten zwar noch Anverwandte des Freiherrn; aber Keiner, den er für würdig erachtete, daß er ihm den Besitz vererbe. Sie sollten Alle, je nach ihren persönlichen Verhältnissen, durch Legate oder Jahresrenten befriedigt und versorgt werden – auch jene, die es nicht um ihn verdient hatten. Das Gut selbst aber, sammt allen darauf haftenden Lasten und mit dem ausdrücklichen, in schmerzlicher Pietät für die Verblichene wurzelnden Vorbehalt: daß das Schloß auf die Dauer von fünfundzwanzig Jahren nicht als Wohnsitz benützt werden dürfe, sollte nach seinem Tode der Ortsgemeinde zufallen. Damit waren dieser die Mittel an die Hand gegeben, durch größere industrielle Unternehmungen und Errichtung gedeihlicher öffentlicher Anstalten den Marktflecken – wie es das ehrgeize Streben der Einwohnerschaft war – im Laufe der Zeit zum Range einer Stadt zu erheben.

  • Seite:
  • 1
  • 2
< 8. Kapitel
10. Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.