Friedrich Wilhelm Hackländer
Der Augenblick des Glücks
Kapitel 4
eingestellt: 15.7.2007
O, der Augenblick des Glücks, dem er so nahe gewesen, er war ihm unter den Händen entschlüpft, und wenn er träumerisch aufwärts blickte, so sah er es trügerisch in alle Weiten hinaus flattern, schillernd, glänzend, strahlend: Ämter, Orden, Würden! - -
Wenn er so in finsteren, fast verzweifelten Gedanken auf und ab schritt, wollte ihn der Glaube an seine Theorie vom Augenblick
des Glücks verlassen; und doch hatte sich dieselbe an Fernow glänzend erwiesen. Hatte dieser Kerl in den wenigen Tagen seit jenem verfluchten Abend nicht ein ganz unverschämtes Glück gehabt? War er nicht inzwischen Major und wirklicher Adjutant des Regenten geworden? Ja, man flüsterte sich mit ernstem Kopfschütteln zu, er sei der allmächtige Vertraute und Günstling des Fürsten, der Regent habe ihm sein Herz geschenkt, »er nenne ihn seinen
Sohn, er führe seine Siegel, und seine Alba seien nicht mehr.«
So viel war gewiß, daß der gewaltige Herr Kindermann den neuen Major mit unbegreiflicher Zuvorkommenheit behandelte. Er hatte nicht nur sein freundlichstes Lächeln, sondern auch immer ein geheimnisvolles Wort für ihn. Wodurch Fernow so plötzlich in Gunst gestiegen, das konnte sich bei Hofe niemand erklären. Die einen glaubten, der Regent habe sich erinnert, welch ein
verdienstvoller Mann sein Vater, der selige Minister gewesen; gutmütige Leute, denen die Ehre und der gute Name ihrer Nebenmenschen heilig war, spitzten ihr breites Maul, zogen die Augenbrauen hoch empor und bemühten sich, schlau auszusehen, wenn sie flüsternd sagten: »Es war uns schon lange nicht unbekannt, wie angesehen der junge Fernow in allerhöchsten Kreisen ist, ein schöner junger Mann, vortrefflicher Reiter, immenser Tänzer - hm! hm!« Alternde
Hofdamen, die anfingen, sich mit Schmerz daran zu erinnern, daß die Heirat die eigentliche und richtige Bestimmung des Mädchens ist, und daß weder Soireen noch Bälle das Herz auf die Dauer zu erwärmen vermögen, die, selbst vom reinsten Adel, mit mindestens sechzehn toten Ahnen hinter sich, darauf verzichten mußten, diese ehrwürdige Kette um ein Glied zu vermehren, die es für eine Mesalliance ansahen, wenn der Baron ein Fräulein von
oder der Graf eine Baronin heiratete, sie waren der Quelle von der Gunst des Herrn von Fernow am nächsten gekommen. Wer war Herr von Fernow? Sein Urgroßvater hieß noch schlechtweg Monsieur Fernow, und selbst der Vater des seligen Ministers, der doch in den Freiherrnstand erhoben worden war, hatte ein Mädchen geheiratet, deren Adel sehr zweifelhaft, wenigstens sehr jung war. Wird es der Enkel besser machen? Im Gegenteil. Ach! jetzt wußten sie ganz genau,
woher dieses plötzliche Avancement. Herr Kindermann hatte eine einzige Tochter, die sollte aus dem Vorzimmer in den Salon verpflanzt werden.
Daß bei dieser Idee ein krampfhaftes Lachen die Herzen mehrerer Hofdamen erschütterte, ist selbstredend, und daß sich gegen dies Ereignis wenigstens ein Dutzend Todfeindinnen zu inniger Freundschaft, zu Schutz und Trutz verbanden, können wir der Wahrheit gemäß versichern.
Über alle diese Sachen, Reden und Vermutungen hatten den Kammerherrn seine Freunde begreiflicherweise au fait gehalten; und daß er darin etwas zum Nachdenken hatte, zerstreute hie und da seine Langeweile. Gleich darauf aber kam dieselbe wieder riesengroß, erdrückend, und er eilte alsdann durch seine Zimmer, die Hände auf den Rücken gelegt, tief seufzend, fast der Verzweiflung nahe.
In einem dieser Momente war er an das Fenster seines
hinteren Zimmers getreten und hatte melancholisch in die finstere Gasse hinausgeschaut, die sich hier seinen Blicken öffnete. Früher hatte er öfters am gegenüberliegenden Hause ein frisches Mädchengesicht bemerkt, das häufig am Fenster lag und verstohlen zu ihm herabblickte, wenn er einige auffallende Bewegungen gemacht. In der Langeweile greift man nach allem, und so beschloß denn auch der Kammerherr von Wenden, jenes Haus und Fenster in
förmlichen Belagerungszustand zu versetzen. Rosa war dieser Mühe schon wert, das mußte er sich am ersten Morgen gestehen, als er die äußerste Parallele eröffnet und eine Demontierbatterie aufgeführt hatte, bestehend aus einem kolossalen Opernglas, vermittelst dessen er die Nachbarin auf zwei Schritte heranzog. Ei der Tausend! wo hatte er bis jetzt seine Augen gehabt? War das ein prächtiges Geschöpf! Und gelehrig, bildsam. Dies Kompliment
glaubte er ihr schon nach einigen Stunden machen zu müssen. Wenn sie auch anfänglich nur flüchtig und schüchtern herüberschaute, so gewöhnte sie sich doch bald an seine Blicke; ja, sie konnte lächeln, wenn er in einer melancholischen Attitude am Fenster stand, sie konnte lachen und ihren Kopf aufwerfen, wenn er einen Veilchenstrauß, von welchen Blumen er während seines Zimmerarrestes eine unglaubliche Anzahl konsumierte, schmachtend an
die Lippen brachte. Wie sie hieß und wer sie war, wußte er am Abend des ersten Tages; am Morgen des zweiten schenkte er seinen sämtlichen Bekannten kleine zierliche Zigarrenetuis aus Stroh geflochten, so daß einige auf die Vermutung kamen, er habe vielleicht einen alten Florentiner Onkel beerbt, der ein Lager in Stroharbeiten gehalten.
Wenn er auf die vorhin erwähnte Art wohl zufrieden war mit seinen Vorarbeiten zur Belagerung der
schönen Rosa, so hatte er dagegen in der That einige Furcht, ihr zu tief in die braunen Augen zu sehen. Der Kammerherr von Wenden hatte ein empfindsames Herz, er glaubte, daß es nichts Lächerlicheres in der Welt gäbe als eine unerwiderte Liebe, und hatte sich nach seinen Erfahrungen zuweilen sagen müssen, daß diese schönen Bürgermädchen mitunter den Teufel im Leibe haben. Ein merkwürdiges Zusammentreffen war es, daß ihm am
vierten Tage seines Arrestes Baron Rigoll bei einem Besuche die wunderbare Photographie der schönen Nachbarin zeigte. Er fühlte mit Schrecken, daß er fast eifersüchtig geworden wäre. Doch als ihm die Exzellenz hoch und teuer versicherte, sie habe das Porträt in der unschuldigsten Absicht erworben, um es einer Dame vorzulegen, da hatte er sich beruhigt. Daß er aber in der That unruhig gewesen, das wollte ihm durchaus nicht gefallen, besonders da er
an einem eigentlich seltsamen Umstande deutlich sah, welchen Eindruck er auf das Herz des jungen Mädchens gemacht. Er stand am Fenster, oder vielmehr er lehnte malerisch hingegossen an einem Flügel desselben. Es war um die Mittagsstunde, und er betrachtete nicht nur die Photographie, sondern er verglich sie Punkt um Punkt mit dem schönen Original, das ebenfalls drüben sichtbar war. Dann gab er sie dem Baron zurück mit der deutlich ausgedrückten
Pantomime: Nimm hin einen großen Teil meines Herzens! »Ach, wenn du wärst mein eigen, wie lieb solltst du mir sein!« Dazu warf er einen in Wahrheit zerschmetternden Blick auf das unglückliche junge Mädchen. Und siehe da, sie fühlte in der That innig mit ihm, sie zuckte zusammen, sie wandte den Kopf ins Zimmer, nur in der Absicht, um sich zu vergewissern, daß niemand ihre Emotion sehe, dann - der Kammerherr hatte sein Opernglas angesetzt - füllten
sich ihre Augen mit Thränen, ja sie trat weinend ins Zimmer zurück - ein göttliches Geschöpf! - Das war aber eben der Moment, wo Herr Heinrich Böhler sich schmerzlich verletzt in sein höheres Stockwerk zurückzog.
An dem gleichen denkwürdigen Tage hatte der Kammerherr von Wenden einige seiner Bekannten zu einem Diner, ausdrücklich auf Krankensuppe, Gerstenschleim und Apfelkompott, eingeladen. Gegen halb fünf Uhr hatte
er eine gewählte Toilette gemacht, sich in seinen Fauteuil an dem bewußten Fenster gesetzt, um vermittelst weißer Halsbinde und Ordensband eine neue Demontierbatterie gegen die schöne Nachbarin zu eröffnen. Der liebenswürdige Feind ließ sich übrigens nicht häufig sehen, nur einmal kam Rosa ans Fenster, dagegen aber, als er in diesem Augenblicke wie beteuernd seine Hand aufs Herz legte, schien sie tief ergriffen zu sein, seufzte
sichtlich und verschwand nach einem langen Blicke.
Der Kammerdiener meldete den Major Fernow, weshalb sich Baron Wenden in seinen kleinen Salon zurückbegab, um ihn freundlich zu empfangen. Fernow kam ihm lächelnd entgegen und reichte ihm die Hand, indem er sagte: »Es geht dir gut, nicht wahr? Seine Hoheit, mit dem ich die Ehre hatte, ausreiten zu dürfen, sagte mir ausdrücklich, du müßtest auf deine Wiederherstellung Bedacht nehmen, damit du nächster Tage wieder ausgehen könnest.«
»Das sagte er wirklich?« erwiderte der Kammerherr. »Nun, ich bin in der That Seiner Hoheit für die fortgesetzten Aufmerksamkeiten um mich den größten Dank schuldig. Das wirst du ihm sagen, und bitte ich dich, da du doch einmal das allerhöchste Ohr hast, hinzuzufügen, ich werde alles mögliche thun, um mich künftig vor dergleichen kleinen Krankheiten zu bewahren.«
»Soll ich ihm das wirklich sagen?«
»Du wirst mich damit sehr verbinden, lieber Freund. Doch da fällt mir eben ein, daß ich vielleicht zu viel verspreche. Weiß ich denn den Grund meiner Krankheit? - Weißt du ihn etwa?«
Der Major zuckte mit den Achseln.
»Der Teufel wird ihn wahrscheinlich wissen, - ich habe keine Ahnung davon,« fuhr der Kammerherr fort, indem er verdrießlich an seiner weißen Halsbinde zupfte, »und das ist gerade das
Schlimme, daß ich keine Idee davon habe, vor was ich mich in acht nehmen muß, um für die Zukunft von einer solchen - Schulkrankheit bewahrt zu bleiben. - Ja, du magst lächeln, wie du willst, das Ganze ist eine verdrießliche Geschichte, und, Spaß beiseite, sei so gut und gib mir einen Anhaltspunkt, gib mir eine Idee, was ich thun und lassen soll, um künftig in den Augen des Regenten nicht wieder unwohl zu erscheinen.«
»Du, ein Philosoph, ein Denker!« entgegnete lustig Herr von Fernow. »Wie kann ich, der nur so mit der ganzen Herde läuft, dir einen Rat geben!«
Der Kammerherr warf unruhig den Kopf auf die rechte Seite, dann sprach er: »Sei ein bißchen ehrlich, Fernow. Ich versichere dich, meine Krankheit ist mir rätselhaft. Wenn ich im gewöhnlichen Leben weiß, daß ich weder Austern noch
Trüffeln vertragen kann, so esse ich nicht das eine, nicht das andere. Wenn mir der Champagner Beschwerden macht, so trinke ich keinen, wenn mir die Zugluft schadet, so ziehe ich mich warm an - aber was ich thun soll, um in den Augen des Regenten nicht krank zu werden, davon habe ich, auf meine Ehre, keinen Begriff.«
Herr von Fernow strich seinen schwarzen Bart und blickte, ohne zu antworten, an die Decke empor.
»Nochmals, Fernow, sei
ehrlich,« fuhr Herr von Wenden fort, »sage, was du mir sagen kannst. Du weißt, daß ich wohl im stande bin, Andeutungen, wenn sie auch mit wenigen Worten gegeben sind, zu verstehen.«
»Was ich kann, will ich gerne thun,« antwortete der Major. »Laß uns einmal sehen, was könnte vielleicht auf deinen Fall passen?«
Er legte die Hand an die Stirn und schien in tiefes Nachdenken zu versinken. »Ja, ja, das wäre möglich,«
sagte er nach einer Pause. »Weißt du, lieber Wenden, es gibt Leute, die den Geruch von Blumen nicht ertragen können, - denen er die Nerven angreift.«
»Ach, ich verstehe; - also doch! Namentlich sind mir vielleicht solche Blumen gefährlich, in denen Papierstreifen verborgen sind. Meinst du nicht auch?«
»Ob irgend ein Papierstreifen etwas dazu beiträgt, wage ich in der That nicht zu entscheiden. Aber du wirst mich verstehen.«
»O, vollkommen!«
»Vielleicht gibt es auch noch andere Dinge, die deiner Gesundheit nicht zuträglich sind.«
»So, noch andere Dinge?«
»Ich meine nur so. Ich selbst, der ich recht gesund bin, habe doch zuweilen erfahren, daß die meisten Säle des Schlosses, besonders spät des Abends, eine feuchte, widrige Luft enthalten, die einem, der dazu geeignet ist, die Lunge angreifen kann.«
»Und da werden vor allem die Säle sehr gefährlich sein,« ergriff der überraschte Kammerherr die Andeutung, »die zum Appartement Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise führen.«
»Ob die gerade mehr oder minder Krankheitsstoff zu gewissen Stunden enthalten, wage ich nicht zu entscheiden; genug - «
»Der Beweis ist geliefert,« fiel ihm der Kammerherr unmutig ins Wort. - »Fernow, Fernow, du bist in den wenigen Tagen ein ganz
geriebener Patron geworden!«
»Das wird dich doch nicht wundern,« versetzte der Major, »nachdem ein Denker wie du sich die Mühe gab, mir einen langen Sonntagnachmittag seine kostbaren Theorien auseinander zu setzen.«
Der Kammerdiener meldete Seine Exzellenz, den Oberstjägermeister, Herrn Baron von Rigoll, und diese Exzellenz hüpfte freundlich durch das Vorzimmer, blieb aber unter der Eingangsthür zum Salon in einer
affektierten Haltung stehen. Das heißt, Rigoll heuchelte den Ausdruck der Bestürzung und Besorgnis. Er warf den Oberkörper zurück und breitete beide Arme aus, indem er rief: »Ist das Ernst oder Scherz, bester Freund? Sie haben mich auf Krankensuppe eingeladen, auf Gerstenschleim, was weiß ich; auf Apfelkompott, Horreur! Ich hoffe nicht, daß es Ihnen Ernst damit war, sonst müßte ich in der That bedauern, hierhergekommen zu sein. Ich habe
Ihretwegen sehr frühzeitig Fräulein von Ripperda, meine Braut, verlassen, - Teufel auch! In einem solchen Falle muß man wissen warum!«
»Beruhigen sich Euer Exzellenz nur,« lachte der Kammerherr, offenbar geschmeichelt durch den gnädigen Spaß. »Wenn ich auch bitten muß, mit der Küche eines Kranken Nachsicht zu haben, so wird sich doch wohl auch noch etwas für einen gesunden Appetit finden.«
Seine Exzellenz
hatte ein kleines Paketchen in der Hand; es sah ungefähr aus wie ein Buch in groß Oktav, welches er dem Kammerdiener übergab und aufs sorgfältigste anempfahl. Dann erst schien er den Major zu bemerken, der, die Hände mit dem Hut auf dem Rücken, mit gespreizten Beinen seinem eigentümlichen Wesen zuschaute. »Ah, Herr von Fernow,« sagte Baron Rigoll, und das bekannte unangenehme Lächeln wetterleuchtete auf seinem Gesicht.
»Ich
hatte schon die Ehre, Euer Exzellenz mein Kompliment zu machen,« entgegnete der Major, »und erlaube mir nun, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«
»Vortrefflich, danke schön. Außerordentlich gut. Es muß mir ja ausgezeichnet gehen. Darüber wird keiner der Herren im Zweifel sein.«
»Wenigstens sind Euer Exzellenz beneidenswert,« entgegnete Herr von Fernow mit der größten Ruhe von der Welt.
Der
Kammerdiener meldete noch drei Freunde des Hausherrn und ebenfalls genaue Bekannte der Anwesenden. Man trat ein, man reichte sich die Hände, man stülpte die Hüte auf irgend einen Fauteuil oder einen Diwan, man fand das Aussehen des Kammerherrn für einen Kranken unbegreiflich gut, man sprach über das Wetter, man erzählte von einem Ritt, von einer Soiree, man warf einen verstohlenen Blick in den Spiegel, man war zufrieden mit sich selber, und als nun der
Kammerdiener eintrat und mit leiser Stimme ankündigte, daß serviert sei, ging man ins Speisezimmer, setzte sich um den vortrefflich arrangierten Tisch und das Diner nahm seinen Anfang, verlief zwischen Lachen und Scherzen, unter vortrefflichen Schüsseln, ausgezeichnetem Sauterne, Bordeaux und Rheinwein, und endete, wie gewöhnlich, mit einem Fruchtaufsatz von Gefrorenem, mit Champagner und Tokayer.
Obgleich das Frühjahr schon angebrochen
war, konnte man doch abends im Zimmer noch ein leichtes Feuer ertragen, und die ganze Tischgesellschaft fand es außerordentlich komfortabel, als sie der Kammerherr in sein kleines Arbeitslokal führte, wo ein Kaminfeuer loderte, um welches sechs niedrige kleine Fauteuils standen, die so leicht auf ihren Rollfüßen liefen, daß sie der geringsten Bewegung nach rechts oder links nachgaben und so die Konversation außerordentlich erleichterten.
Der behagliche Aufenthalt, das muntere Gespräch, welches sich bei dem Dufte des Kaffees und dem Rauch der Zigarren entwickelte, hielt die Gesellschaft länger als sonst beisammen. Zu vorgerückter Stunde erst trennten sich die Gäste, mit Ausnahme der Exzellenz, von ihrem Wirte.
Als der Kammerherr aus dem Vorzimmer, wohin er seine Freunde begleitet, zurückkehrte, fand er den Oberstjägermeister mit einem Buch in der Hand an dem Tische stehend; wenn er aber auch dieses aufgeschlagen vor sich hielt, so sah er doch nicht hinein, vielmehr starrten seine Blicke, wie in tiefen Gedanken, weit darüber hinaus. Auch war von seinem Gesichte der Ausdruck der heiteren, sarkastischen Laune, den er während des Diners und auch nachher so
sorgfältig bewahrt, gänzlich entschwunden; auf seiner Stirn lag eine Wolke trüber Sorge, er hatte die Lippen zusammengekniffen, und das fast unvertilgbare Lächeln seiner Mundwinkel sah trotzig und höhnisch aus.
Er warf das Buch auf den Tisch, als er die Schritte des Zurückkommenden hörte, wandte sich gegen den Kammerherrn und sagte: »So wären wir endlich allein.« Dann setzte er in einem beinahe heftigen Tone hinzu: »Baron, ich
bewundere Sie. Mit Ihrer Gewandtheit kann es Ihnen nicht fehlen, eine große Carriere zu machen.«
Herr von Wenden sah ihn einigermaßen erstaunt an, und so war auch der Ton seiner Stimme, als er entgegnete: »Ich begreife in der That Euer Exzellenz nicht besonders. Sie sind so freundlich, von meiner Gewandtheit zu sprechen, - ich bitte Sie um Gotteswillen, sehen Sie denn nicht, wohin mich meine Gewandtheit gebracht? Zu einem Arrestanten auf Ehrenwort.«
»Das ist ja gerade, was Sie klug gemacht!« rief der Oberstjägermeister, indem er heftig auf und ab ging, »Sie haben sich von der Sirene nicht verlocken lassen. Sie warf Ihnen die goldene Angel hin; Sie haben nur ein bißchen danach geschnappt, aber das Schicksal in Gestalt Ihres Freundes Fernow hat Sie vor dem Anbeißen bewahrt.«
»Ich verstehe Euer Exzellenz in der That nicht.«
»Es ist aber nicht schwer, mich zu verstehen. Wie schon bemerkt, - Sie waren klug genug, sich hier in die Einsamkeit zurückzuziehen, und sind so dem Netze entgangen, welches man im Begriffe stand, über Sie zu werfen. Ich dagegen zapple darin wie eine gefangene Fliege.« Seine Exzellenz machte in der That bei dieser Bemerkung ähnliche krampfhafte Bewegungen, wie man sie wohl bei einem gefangenen unglücklichen Geschöpf der eben erwähnten
Art sieht.
»Darf ich Sie wohl bitten, mir durch Ihren Kammerdiener das Paketchen herbringen zu lassen, das ich ihm vorhin übergeben?« sagte die Exzellenz und fuhr alsdann fort, nachdem Herr von Wenden achselzuckend die Klingel gezogen und ihn mit unverkennbarem Erstaunen, fast mit Schrecken anstarrte: »Glauben Sie mir, lieber Freund, drüben im Schlosse sind alle zehntausend Teufel los.«
Der Kammerherr deutete pantomimisch an, indem er
die Augen weit aufriß und seine Hände von sich abstreckte: Sie sehen meine Überraschung.
»Ich versichere Sie, lieber Wenden, es war der klügste Streich Ihres Lebens, sich in Zimmerarrest setzen zu lassen. Hätte ich das vor acht Tagen nur auch gethan! O, über die intriganten Weiber! Sie wissen, weshalb ich an die Prinzessin gefesselt bin. Meine Verlobung mit Fräulein von Ripperda ist ausgesprochen, ich interessiere mich lebhaft
für das schöne Mädchen; es wird mich auch glücklich machen, sie zu heiraten, und ich will und kann nicht anders. Denn wenn ich selbst jetzt zurückträte, so würde sich doch die ganze Welt hohnlachend über den schönen Korb freuen, den der ältere Baron Rigoll von dem jüngeren Fräulein von Ripperda erhalten.« Hierbei sandte er einen Blick in den Spiegel, und da er mit seinen Betrachtungen nicht sehr zufrieden zu sein schien, so
warf er sich unmutig in seinen Fauteuil. Der Kammerdiener hatte unterdessen das bewußte Paketchen gebracht, Seine Exzellenz riß hastig Papier und Bindfaden ab und reichte von zwei Porträts, die darin waren, eines dem Kammerherrn, ohne es anzusehen.
»Eine Photographie von Ihnen? Vortrefflich gemacht!« sagte Herr von Wenden.
»Ah! Ich gab Ihnen das falsche!« rief der Oberstjägermeister. »Nehmen Sie dies da. Kennen Sie die
Person?«
Der Kammerherr betrachtete lange und aufmerksam das Bildnis. Dann bedeckte er die Augen mit der Hand und dachte nach. »Gesehen habe ich diesen Kopf,« sprach er nach einer Pause, »aber ich weiß nicht, ob die Person selber, oder ebenfalls nur ein Bildnis von ihr.«
»Vielleicht beides; erinnern Sie sich.«
Herr von Wenden sah den Oberstjägermeister mit einem eigentümlichen Blick an, doch bemerkte man wohl an
seinen Augen, daß er in seinem Gedächtnis wühlte. »Ja, ja,« sprach er alsdann, »das Gesicht ist mir bekannt. Ich meine, ich hätte es kürzlich gesehen.«
Seine Exzellenz nickte mit dem Kopfe.
»Wenn ich aber diesem Kopfe in meinen Gedanken ein Tuch gebe, wie es die Beduinen auf ihren Ritten in der Wüste zu tragen pflegen, und mir statt des Paletots einen Burnus denke - - - - Alle Teufel! ja, ich habs.« Bei diesen
Worten eilte er an seinen Bücherschrank, öffnete ihn hastig, zog ein sehr elegant gebundenes Buch hervor und hielt das Porträt in demselben dem Oberstjägermeister vor die Augen. - Dieser nickte abermals und sehr verdrießlich mit dem Kopfe.
»Herzog Alfred von D•.,« rief der Kammerherr im Tone der höchsten Überraschung, »und er ist hier in der Residenz, ich sah ihn kürzlich in - wo war es doch - in irgend einer Gesellschaft.«
»O, in der besten von der Welt. Der Herzog war - hier in diesem Zimmer, auf demselben Fauteuil, wo ich jetzt zu sitzen die Ehre habe.«
»Graf Hohenberg?«
»Graf Hohenberg.« - Einen Augenblick sahen sich die beiden forschend an. Ihre Gedanken konnten sich unmöglich vereinigen. Auf dem Gesichte des Kammerherrn bemerkte man deutlich, daß er in Vermutungen umhertappe, in den Blicken der Exzellenz dagegen lag eine unheimliche
Ruhe, die verriet, er wisse vollkommen, um was es sich handle, und er schweige vielleicht nur aus Schonung, um den anderen nicht plötzlich zu erschrecken.
»Aber um Gotteswillen, Exzellenz, was hat es zu bedeuten, daß sich der Herzog so inkognito bei uns aufhält? Denn, daß man bei Hofe von seiner Anwesenheit nichts weiß, liegt auf flacher Hand. - Sie lächeln so sonderbar. Wüßte man doch etwas davon, und hätte Ursache,
es zu verheimlichen?«
»Daß Personen vom Hofe um dieses in der That gefährliche Geheimnis wissen, beweisen wir beide. Wir gehören ja auch zum Hof.«
»Ich muß recht sehr bitten, Exzellenz. Ich erfahre soeben die ersten Andeutungen darüber.«
»Weil Sie sich schlauerweise auf die Krankenliste setzen ließen.«
»Das also hängt mit jenem Papierstreifen zusammen?« fragte der
Kammerherr in höchster Spannung.
»So ist es.«
»Also, um da zu irgend etwas mitzuhelfen, irgend welche Instruktionen zu empfangen, sollte ich an jenem verhängnisvollen Abend die bewußte Audienz haben?«
»Die Sie durch Ihren Freund, Herrn von Fernow, vereiteln ließen. O, Sie haben das schlau angefangen, bewunderungswürdig fein.«
»Aber ich versichere, daß es mir ein wahres
Glück wäre, der durchlauchtigen Prinzessin Elise mich und meine Dienste unbedingt und unbeschränkt anbieten zu können.«
»Und das sagen Sie mir?« rief der Oberstjägermeister, »mir, den Sie in diesem Augenblick fast darüber in Verzweiflung sehen, daß ich mich, verzeihen Sie mir den Ausdruck, der Prinzessin mit Leib und Seele übergeben habe?« Er war bei diesen Worten in die Höhe gesprungen und griff mit seinen Fingern
zwischen die Halsbinde, wie jemand, dem es zu warm wird.
Obgleich sich der Kammerherr bemühte, ein recht gescheites Gesicht zu machen, so mußte er sich doch gestehen, daß es der Situation angemessener gewesen wäre, recht dumm auszusehen; denn er verstand durchaus nichts von den Verlegenheiten des Oberstjägermeisters, wenn sich auch unzählige Vermutungen in seinem Kopfe kreuzten.
Seine Exzellenz hatte sich wie
ermattet in den Fauteuil zurückgelehnt; sie faltete ihre Finger zusammen und ließ die Daumen beider Hände umeinander herumspazieren. »Da ich fest auf Sie vertraue,« sagte Rigoll nach einer Pause, »und da ich eine Hilfe vielleicht notwendig brauche, so will ich Ihnen die ganze Geschichte mitteilen. Aber, lieber Wenden, es ist eine Sache, die, auf unrechte Art am unrechten Orte hinterbracht, ganz eigentümliche Folgen haben kann.«
»Für Sie, Exzellenz?«
»Ja. Eigentlich für jeden, der damit zu thun hat.«
»Da könnte sich also meine Krankheit ins Unendliche verlängern, ja, am Ende gar zu einem chronischen Übel werden.«
»Machen Sie keinen Scherz. Gerade Ihre so außerordentlich apropos eingetretene Krankheit überzeugt mich, mit welcher Gewandtheit Sie unsere Sache behandeln werden. Wenn man sich in die Intriguen
einer Dame wie die Prinzessin Elise einläßt, so spielt man va banque.«
»Spielen wir,« sagte entschlossen der Kammerherr. »Wie ich an Euer Exzellenz gesehen habe, ist Ihnen schon vor Beendigung des Spiels ein wunderbarer Treffer zugefallen. Vielleicht bin ich auch so glücklich.«
Der Oberstjägermeister unterdrückte einen leichten Seufzer. »Daß der Herzog also hier ist, wissen Sie. Ich habe ihn früher sehr gut
gekannt, daher suchte man auch gerade mich aus zu der höchst gefährlichen Kommission.«
»Und was will er?« fragte fast ungeduldig der Kammerherr.
»Was er will? Nun, nichts mehr und nichts weniger, als - die Prinzessin Elise heiraten.«
»Donner und Wetter!« sagte Herr von Wenden, und trat einen Schritt zurück.
»Und das habe ich einfädeln
müssen,« fuhr die Exzellenz fort, indem sie sich leicht mit der Hand über die Stirn strich. »Habe die notwendigen Korrespondenzen besorgt und habe den Herzog eingeladen, hierher zu kommen.«
»Und das alles hinter dem Rücken Seiner Hoheit des Regenten?« fragte der andere in einem sonderbar gedehnten Tone.
»Diese Frage, mon cher,« antwortete ungeduldig der Oberstjägermeister, »beweist mir, wie wenig Sie die Prinzessin kennen. Hat
es ihr jemals Spaß gemacht, irgend eine Sache gerade und offen zu betreiben? Ich wüßte mich der Art nichts zu erinnern, und Sie selbst vielleicht auch nicht. - Stellen Sie sich nun in meine Lage. Der Herzog, dem die Idee, die Prinzessin im geheimen kennen zu lernen, recht schön und romantisch vorkam, ist hier, die heillose Angelegenheit aber will nicht den kleinsten Schritt vorwärts thun.«
»Und aus welchem Grunde nicht?«
»Bester Wenden, nehmen Sie mirs nicht übel, Sie fragen wie ein unschuldiges Kind, aber nicht wie ein Kammerherr, der schon so und so viele Jahre an diesem Hofe gelebt. Warum? - Weil die Prinzessin nun einmal die Idee hat, die Sache nicht vorwärts zu treiben, sondern sie aufs langsamste oder vielmehr gar nicht gehen zu lassen.«
»Und sieht Sie den Herzog häufig?«
»Ihn häufig sehen? Sie hat ihn noch gar nicht gesehen, seit er
hier ist. Sie will sein Porträt, er soll das ihrige haben, und dann wird sie sich vielleicht entschließen, ihm auf Gott weiß welche verzwickte und geheimnisvolle Art zu begegnen. Da haben Sie die Geschichte meiner Leiden. Zwischen diesen beiden Feuern sitze ich, und kann es mir da ein vernünftiger Mensch übel nehmen, wenn ich mich zuweilen in einer völligen Verzweiflung befinde? - Aber das habe ich mir feierlich gelobt,« fuhr er fort, indem er
abermals aufstand, »geht diese Sache nun einmal glücklich vorüber, so weiß ich, was ich thue. Dann heirate ich in aller Stille, reise auf längere Zeit fort und sehe zu, wie sich die Sachen hier abwickeln.«
»O Euer Exzellenz haben eine beneidenswerte Zukunft,« sprach der Kammerherr träumerisch.
»Aber ehe ich dazu gelange, noch einen entsetzlichen Abgrund dicht vor meinen Füßen. Vielleicht einen jähen
Sturz.«
»Zu dem Euer Exzellenz mich einzuladen die Freundlichkeit haben,« antwortete lachend Herr von Wenden.
»Es ist was Wahres in Ihren Worten,« sagte der Oberstjägermeister nach einer Pause, während welcher er sich mit übereinander geschlagenen Armen ans Fenster gestellt hatte. »Aber beim Teufel! nein, zwei Leute wie wir stürzen nicht so leicht. Ich wette, wir bauen uns die schönste Brücke nach Gott weiß
welchem glücklichen Gefilde.«
»Eine Brücke des Glücks,« erwiderte nachdenkend der Kammerherr; »wenn nur der rechte Augenblick nicht verpaßt ist! - Und wünscht die Prinzessin,« setzte er nach einem momentanen Stillschweigen hinzu, »daß ich um die Geschichte wissen soll?«
»Wer kann daran zweifeln?« versetzte die Exzellenz nicht ohne eine kleine Verwirrung. »Sie stehen in ihrer Gunst, die Prinzessin hätte Ihnen an
jenem Abend alles anvertraut; - kann ich auf Sie rechnen?«
Der Kammerherr hatte einen Gang durch das Zimmer gemacht, er kämpfte mit sich selber. Er kannte den Oberstjägermeister, und weil er ihn kannte, kam ihm die ganze Sache verdächtig vor. Zu einer Angelegenheit, bei der etwas zu gewinnen war, hätte die Exzellenz nicht wohl einen zweiten eingeladen; auch erinnerte er sich jenes Abends, als er dem Baron Rigoll im Schlosse begegnete, und es
sich fand, daß sie den gleichen Weg zu den Gemächern der Prinzessin hatten, wie ihm der Oberstjägermeister in der ersten Überraschung ein nichts weniger als freundliches Gesicht machte. - Daß aber Herr von Wenden jetzt mit einer Antwort zögerte, schien dem Baron Rigoll durchaus nicht zu gefallen. Er wandte sich unmutig gegen ihn und sagte in einem etwas scharfen Tone:
»Ei, bester Baron, wie nehme ich Ihr Stillschweigen? Sie
ließen mich mein Geheimnis ruhig erzählen, und jetzt, da Sie es wissen, zögern Sie auf eine für mich fast beängstigende Art.«
»Sie sollen sich in mir nicht verrechnet haben,« antwortete Herr von Wenden entschlossen. »Sagen Sie der Prinzessin in Gottes Namen, ich sei ganz zu ihren Diensten, und lassen Sie mich wissen, was ich thun soll.«
Der Oberstjägermeister schien freier aufzuatmen. Er reichte dem anderen die Hand
und erwiderte: »Ich danke Ihnen herzlich und werde Ihre Bereitwilligkeit bestens anzubringen wissen. Jetzt werden Sie aber vor allen Dingen gesund, lassen Sie sich morgen bei der Prinzessin melden; sie wird von unserer Angelegenheit beginnen, und dann tragen Sie mit Ihrer ganzen Überredungskunst dazu bei, daß sie uns endlich einmal eine vernünftige Antwort gibt, die wir dem Herzog mitteilen können.«
»Daran solls nicht fehlen. Sobald ich ausgehen
kann,« setzte er mit Beziehung hinzu, »und mich die Prinzessin annimmt, werde ich mein mögliches thun.«
»Gott sei Dank, ich sehe endlich ein wenig Licht in dieser Finsternis,« sagte der Oberstjägermeister nach einem tiefen Atemzuge. »Seien Sie zufrieden, daß Sie jetzt ruhig in Ihrer Wohnung bleiben können. Ich habe noch eine Verhandlung mit dem Herzoge und fürchte, ich bekomme pikante Redensarten zu hören. Also auf Wiedersehen
morgen,« - er reichte ihm die Hand, »zu Schutz und Trutz!«
»Und auf gutes Gelingen,« antwortete Herr von Wenden, und darauf trennten sie sich.
Der Oberstjägermeister warf sich in seinen Wagen, und als er nach Hause rollte, dachte er begreiflicherweise an die eben gehabte Unterredung und sprach zu sich selbst: »Helf, was helfen mag! Ich glaube einen guten Blitzableiter gefunden zu haben.«
Der Kammerherr droben blickte
durch das Fenster auf die Straße, und als er die Equipage Seiner Exzellenz um die Ecke verschwinden sah, rieb er sich die Hände und meinte: »Ich glaube, diese Mitteilung könnte in der That im stande sein, mein Unwohlsein plötzlich aufhören zu machen. Fort mit diesen Intriguen! Sie sind mir schlecht bekommen. Ich werde nach Befund der Umstände bei dem Regenten schriftlich um eine Audienz nachsuchen.«
Elftes Kapitel.
Leuchtkäfer.
Als der Major von Fernow das Haus seines Gastfreundes verließ, fand er, daß es ein angenehmer Abend sei. Daß es ein wenig kühl war, achtete er nicht; erwärmten ihn doch die freundlichen Bilder und Gedanken, die ihn zahllos umschwebten und deren Mittelpunkt immer sie war. Wie fühlte er sich so glücklich, mit dem geliebten Mädchen ein Geheimnis zu haben, ein so entzückendes Geheimnis! Gesehen hatte er
sie selten seit jenem Abend, sich mit ihr unterhalten so gut wie gar nicht, es müßte denn eine Unterhaltung zu nennen sein, wenn er sie nach der Tafel fragte: »Sie besuchen heute die Oper?« und sie antwortete: »Ich glaube wohl, daß ich dort sein werde.« Dagegen aber war ein so vollständiger Telegraphen- und Zeichendienst zwischen beiden eingerichtet, daß die längsten Depeschen mit Leichtigkeit aufgegeben und ebenso verstanden wurden. Die Liebe ist
darin entsetzlich erfinderisch, entsetzlich für alle armen Hüter, mögen sie nun Ehemänner, Eltern, Vormünder oder wie immer heißen. Hat doch zwischen zweien, die einander verstehen, alles seine Bedeutung! Ob sie den Fächer in die rechte oder linke Hand nimmt, ob sie über ihre Stirn streift oder über ihr Haar, ob sie den Kopf auf den rechten oder linken Arm stützt, ob sie gegen ihre Nachbarin lächelt oder ernst mit ihr spricht.
Und bei ihm ist es ganz der gleiche Fall. Ein Hervorziehen des Sacktuches, ein-, zwei- oder dreimal schnell hintereinander; ein Augenblick mit aufgestütztem Arm, wie in tiefes Nachdenken versunken, dann ein plötzliches Auffahren, das Betrachten der Uhr, das Ausziehen eines Handschuhs oder beider, - wer kann alle diese Zeichen einer Sprache nennen, die so verschiedenartig ist, von jedem und jeder neu erfunden und mit so außerordentlicher Leichtigkeit erlernt wird. Es
geschieht das unbewußt, wir möchten sagen instinktartig, und das junge Mädchen, welches einmal beginnt, mit ihrem Gegenüber zu telegraphieren, hat, ehe es das selbst weiß, ein ganzes Alphabet bei einander und wird durch keinen Ausdruck in Verlegenheit gebracht.
Wie sich sein Schicksal in betreff des Fräuleins von Ripperda entwickeln würde, daran hatte Fernow eigentlich noch gar nicht gedacht. Er war in gewissen Beziehungen eine von den glücklichen Naturen, welche im stande sind, sich mit einer entzückenden Gegenwart zu unterhalten, und die es vermögen, die finster blickende Zukunft vollständig zu ignorieren. Was hätte ihm aber auch sein
Nachgrübeln helfen können? Wie die Sachen standen, konnte ihm nur etwas ganz Unverhofftes den Pfad ebnen, nur ein Wunder zum glücklichen Ziele führen. Und darauf hoffte er im Namen der Liebe und Treue.
So schritt er durch die Straßen bei dem herzoglichen Schlosse vorüber und trat in die Gärten, welche dasselbe von einer Seite umgaben. - Hier hatte der Frühling Bäume und Sträucher mit dem ersten saftigen Grün
aufgeputzt und die Blätter waren noch so wenig entwickelt, daß sich gerade dadurch die einzelnen Partien aufs zierlichste nüancierten. Ein mächtiges Bauwerk stand am Rande des Parkabhanges, von dem man eine entzückende Aussicht über die Anlagen ringsumher hatte. Es war eine ehemalige Bastion, zu den Befestigungen des früheren Schlosses gehörig, die man stehen ließ gerade wegen der wunderbaren Aussicht, die man von der Plattform desselben
genoß. Man ging von den oberen Gärten gerade hinauf, und wenn man an den Rand dieses Bollwerks trat, so erblickte man in der Tiefe die unteren Partien des schönen Parks. Oben standen riesenhafte Kastanien, deren breite Kronen einen Schattengang um den Platz bildeten, während die dicken Stämme die Landschaft stellenweise einrahmten und dieselbe noch malerischer erscheinen ließen.
Obgleich die Sonne nicht mehr am Himmel stand, so war
es doch noch so hell, daß man eine gute Strecke der Umgebung deutlich überblicken konnte. Die feine glänzende Sichel des jungen Mondes schwebte im Osten über einer fast schwarzen Föhrenpartie und glitzerte anmutig zwischen den fein gezackten Zweigen und Nadeln hindurch, gerade wie das Diadem der Nachtkönigin, die langsam herniederschwebt, um in dem dampfenden Abendnebel den Spielen ihres lustigen Hofstaates zuzuschauen.
Als der Major
die Terrasse betrat, glaubte er hier allein zu sein, wenigstens bemerkte er niemand, und erst als er dicht vor der Brüstung stand, erblickte er in seiner Nähe einen Mann, der auf derselben saß, und den er bis jetzt nicht bemerkte, da ihn einer der dicken Kastanienbäume verdeckt. - Da es nichts Seltenes war, hier jemand anzutreffen, so bekümmerte sich auch Herr von Fernow nicht weiter darum, sondern lehnte sich an einen der Bäume und blickte auf die
schattenhaften Buschpartien zu seinen Füßen. Sein Nachbar auf der Brüstung schien mit Interesse den Mond betrachtet zu haben, doch wandte er sein Gesicht dem neuen Ankömmlinge zu und begrüßte ihn durch höfliches Abnehmen des Hutes, sowie durch den freundlichen Wunsch eines guten Abends.
Herr von Fernow dankte und warf einen Blick auf den Dasitzenden. Es war ein anständig gekleideter junger Mann mit hübschen einnehmenden
Gesichtszügen; er hatte den rechten Arm um das eiserne Geländer geschlungen, womit die Brüstung erhöht war, und da er seinerseits nun ebenfalls den anderen betrachtete, so trafen sich ihre Blicke, und es war nichts Auffallendes darin, daß der junge Mann sagte: »Es ist dies ein schöner Abend - vielleicht ein Vorbote des kommenden Frühlings.«
»In der That, ein angenehmer Abend,« entgegnete der Major, und damit wäre die
Unterhaltung wahrscheinlich abgebrochen gewesen, wenn nicht der Fremde gesehen hätte, daß der andere seine ausgegangene Zigarre musterte und eben im Begriff war, dieselbe über die Brüstung hinabzuwerfen.
»Wünschen Sie vielleicht Feuer?« fragte er, und als der Major, durch die freundliche Bereitwilligkeit einigermaßen überrascht, darum bat, holte der andere ein kleines Etui hervor und zündete ein Streichhölzchen an, dessen
Flämmchen sich bei dem ruhigen Abend kaum bewegte. Herr von Fernow warf das Hölzchen, nachdem er es benutzt, brennend über die Brüstung, und der andere blickte ihm sich herabbeugend nach.
»Es kam glimmend unten an,« sagte er, »es sah aus wie ein Leuchtkäfer, und ich habe eine ungemeine Vorliebe für Leuchtkäfer.«
Diese Bemerkung machte den Major lächeln und er interessierte sich für den gefälligen
jungen Mann, der eine Vorliebe für Leuchtkäfer hatte. Auch ihm rief die Erinnerung an dieselben die Stunde eines warmen Maiabends ins Gedächtnis, wo man nach der Tafel in den Gärten von Eschenburg promenierte, und er ganz zufällig an der Seite des Fräuleins von Ripperda einen kleinen Leuchtkäfer erblickte, den beide zu gleicher Zeit aus dem Grase aufheben wollten, wobei es denn kam, daß Helenes kühles duftiges Haar seine heiße Wange
streifte, und das ist eine der gefährlichsten Berührungen, die es im Menschenleben gibt. Ihm war es wie ein elektrischer Funken ins Herz gefallen; es hatte ihn so eigentümlich berührt, daß er nachher häufige, aber vergebliche Versuche machte, wieder zu einer ähnlichen Berührung zu kommen. Leider fanden sich nicht so bald wieder Leuchtkäfer, und wenn er später einen sah, so war das schöne Fräulein nicht in seiner Nähe.
War es die Äußerung des jungen Mannes über die Leuchtkäfer oder die Gefälligkeit desselben, ihm Feuer zu geben, was den Major veranlaßte, dem Fremden eine Zigarre anzubieten, genug, er that es, und der andere nahm sie zögernd an. Dabei war er von seinem Sitze aufgestanden und hatte mit seinem Hut respektvoll gedankt.
Wenige Zeit darauf brannten beide Zigarren, und Herr von Fernow, dem es nicht unerwünscht
war, seine mannigfaltigen Gedanken für den Augenblick verabschieden zu können, und ein wenig über gleichgültige Dinge zu plaudern, setzte sich auf die Brüstung an die Seite seines neuen Bekannten.
Nun ist es nicht leicht, mit einem gänzlich fremden Menschen ein Gespräch anzuknüpfen, welches nicht schon den Keim des Todes in sich trägt, ehe es zum Leben gelangt. Versuchsweise sagte deshalb Herr von Fernow: »Also Sie
interessieren sich für die Leuchtkäfer? Lieben vielleicht im allgemeinen die kleine Tierwelt? Und sind wohl, was man einen Insektensammler nennt?«
»Nein, davor graut mir,« antwortete der andere. »Ich könnte um alles in der Welt so ein unschuldiges Geschöpf nicht mit der Nadel durchstoßen, wie sie es zu machen pflegen. Und dann hätte ja auch ein aufgespießter Leuchtkäfer durchaus keinen Sinn. Wenn er tot ist, hat er Licht und
Glanz verloren, und das ist eigentlich recht traurig.«
»Ja, das ist allerdings recht traurig,« pflichtete der Major bei, um das Gespräch nicht einschlafen zu lassen. Aus demselben Grunde fragte er auch: »Weshalb lieben Sie also Leuchtkäfer? Ich hoffe nicht, daß ich mit meiner Frage unbescheiden bin.«
Auf dem Gesichte des anderen zeigte sich ein trübes Lächeln, und er schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete. »Wenn ich
Ihnen das erzähle,« sagte er, »so werden Sie lachen; und es ist auch vielleicht schon oft vorgekommen.«
»Erzählen Sie, ich werde nicht lachen; wenn es aber in der That lächerlich wäre, und ich müßte alsdann lachen, so würden Sie es mir wohl auch nicht übel nehmen.«
»O gewiß nicht. - Kennen Sie den Königsgarten?«
»O ja, ich kenne ihn.«
»Aber Sie waren noch
nie dort, wenn er schön beleuchtet ist und abends die Musik spielt, kurz, bei einer italienischen Nacht? Das ist langweilig für die vornehmen Herren.«
»Ich bin kein vornehmer Herr.«
»Lassen wir das meinetwegen gut sein. Ihre Zigarre ist vortrefflich. Nun also, in den Königsgarten ging ich früher häufig, ich hatte so mein Interesse dabei.«
»Ah! ich verstehe.«
»Natürlich, man ist
jung, man sucht, man findet. Genug, ich hatte denn auch gefunden, ein sehr schönes, junges und liebenswürdiges Mädchen. Es kommt das sehr häufig in der Welt vor, es wird Ihnen auch schon passiert sein, und ich erzähle es Ihnen nur, weil es mit den Leuchtkäfern zusammenhängt. Also wir hatten uns gefunden, wie man sich so findet. Wissen Sie, eigentlich noch ganz ohne Absicht und Zweck. Wie sie gern nach mir sah und lieber mit mir tanzte als mit jedem
anderen, so war es auch bei mir der Fall. Weiter nichts. Da spazieren wir eines Abends vom Tische ihrer und meiner Familie hinweg, ich führe sie durch den dunklen Garten, und da sehen wir auf einmal auf dem Boden zwischen dem Grase einen Leuchtkäfer glühen. - Wir bücken uns beide zu gleicher Zeit, um ihn zu fangen, und da streifte sie mit ihrem kühlen Haar an mein heißes Gesicht. Es war das erste Mal, daß wir uns so nahe kamen, und es machte auf
mich einen unbeschreiblichen Eindruck. Von da an war ich eine Zeitlang sehr glücklich. Sehen Sie,« fuhr er nach einer Pause fort, als sein Nachbar schwieg; »das ist die ganze Geschichte von den Leuchtkäfern. Und sollten Sie das jetzt lächerlich finden, so mache ich mir am Ende nichts daraus, wenn Sie darüber lachen.«
Daß der Major diese Geschichte nicht lächerlich fand, brauchen wir dem geneigten Leser nicht zu sagen. Im Gegenteil, sie hatte ihn so außerordentlich überrascht, daß er ein fast gleiches Interesse für den Erzähler faßte. Es war ihm seltsam, so zufällig mit jemand zusammengetroffen zu sein , der etwas Ähnliches erlebt, wie er, und das Gleiche dabei gefühlt. Jetzt
hätte er aber auch gern erfahren, wie sich eine Liebe, gleich der seinigen beim Anblick eines Leuchtkäfers entstanden, weiter entwickelt, und um einen Versuch zu machen, das Gespräch über dieses Thema fortzuführen, sagte er: »Nun begreif ich freilich, weshalb Sie sich für die Leuchtkäfer interessieren, und verstehe auch vollkommen, daß es Ihnen ein höchst angenehmes Gefühl verursacht, wenn Sie einen solchen glänzenden Punkt
erblicken.«
»In der That, das hat mir lange ein großes Vergnügen gemacht,« fuhr der andere mit leiser Stimme fort, »doch jetzt - -; aber das kann Sie in der That nicht interessieren!«
»Für ein paar einander gänzlich Fremde sind wir da auf ein seltsames Thema geraten,« sagte Herr von Fernow: »glauben Sie aber nicht,« fuhr er in zutraulichem Tone fort, »daß ich unbescheidenerweise Ihre Verhältnisse erforschen will
oder daß ich mir von Ihnen geben lasse, ohne dafür etwas zurückzuerstatten.«
Es war etwas in dem ganzen Benehmen des jungen Mannes, ja in dem Tone der Stimme, sowie in der äußerst anständigen Art, mit der er erzählte, was den Major zu ihm hinzog. »Wie schon bemerkt,« fuhr der letztere fort, »es ist keine müßige Neugier, die mich zu der Frage getrieben hat, denn auch mir ist etwas ganz Ähnliches passiert, ich habe
die genauere Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Mädchens auf gleiche Art gemacht.«
»Aber da waren die Verhältnisse und ihre Folgen ganz anders, das kann ich mir denken. Sie, mein Herr, gehören zu den Bevorzugten dieser Erde, Ihrer Liebe stellt sich nichts entgegen, Rang und namentlich Vermögen ließen alle Schwierigkeiten verschwinden, und wenn Sie jetzt nicht schon zum ersehnten, schönen Ziele gekommen sind, so wird das doch
in kurzem geschehen.«
»O, ich wollte, Sie hätten wahr prophezeit!« sagte Herr von Fernow; »wie wollte ich dieser Stunde eingedenk sein und den glücklichen Propheten gewiß nicht vergessen.«
Das sprach er sehr leise, fast wie zu sich selber, und der andere schien auch in der That diese Worte nicht gehört oder nicht verstanden zu haben, denn er fuhr fort:
»Das ist Ihr glückliches Los, während mich
der Druck der Verhältnisse lange nicht aufkommen ließ, und da dies endlich zu geschehen scheint, andere Verhältnisse mich wieder tief zu Boden drücken. Ja, Reichtum und Rang, ich habe bisher nie daran gedacht, andere darum zu beneiden; aber jetzt sehe ich doch wohl ein, wie viel leichter man mit ihrer Hilfe zu dem kommt, was wir Menschen Glück, ja Seligkeit nennen.« Er hatte bei diesen Worten seinen Arm auf das eiserne Geländer gestützt, den Kopf
auf die Hand gelegt und blickte in das weiße, glitzernde Stückchen Mond, welches langsam zwischen den dunklen Föhren niedersank. Nachdem er die letzten Worte gesprochen, seufzte er tief und schmerzlich auf.
Unten im Park begann eine Nachtigall wie schüchtern ihr Liebeslied, und erst als die Sängerin gefühlt, daß Baum und Gras, Quell und Blüte in tiefer, feierlicher Stille aufhorchten, schlug sie stärker und immer
stärker, schmelzender und immer schmelzender und jubelte endlich unter Lachen und Schluchzen ihr Lied hinaus, ihr Lied ohne Worte, aber deutlich wie kein anderes redend von Liebesleid und Liebeslust, von Liebesschmerz und von der Liebe höchster Seligkeit.
Solch ein Lied dringt ans Herz, und wenn man das in stiller Nacht hört, so möchte man hinausjubeln sein Glück und hinausschreien sein Leid an irgend einen Stern hin, an des Mondes bleiche
Scheibe, an die duftende Blüte, wie viel lieber an ein Menschenherz, das denkt und fühlt wie wir.
Bewegt von diesen Klängen sagte denn auch Herr von Fernow zu dem unbekannten Nachbar, mit dem er fast willenlos Geheimnisse tauschte:
»Was Sie da reden von Rang und Vermögen, durch die Glück und Seligkeit zu erkaufen wären, ist ebenso unrichtig, als wenn Sie glauben, meiner Liebe habe es genützt, daß ich wohl
etwas von diesen Gütern besitze. - - Vielleicht ist es Ihnen tröstlich zu vernehmen, daß ich mich der Dame, die ich liebte, lange Zeit kaum nähern durfte, und daß dieselbe jetzt - die Braut eines anderen ist.«
»O!« rief der junge Mann und fuhr aus seiner Stellung empor, »so sind Sie also auch unglücklich? Das trifft sich eigentümlich.«
»In der That seltsam,« entgegnete Herr von Fernow, und mußte
lächeln über dieses Zusammentreffen. Es entstand in dem Gespräch eine kleine Pause. Der junge Mann lehnte sich über die Brüstung und schaute in die Tiefe hinab, wo man jetzt nur noch schwarze Schatten und kaum sichtbar das Leuchten eines Wasserspiegels bemerkte.
»Wie lieb ist es mir,« sagte er endlich, »daß ich hier war, als Sie, mein Herr, kamen. Mein Herz war so voll, o so voll, daß es eine Wohlthat für mich ist, zu
jemand sprechen zu können, von dem ich überzeugt bin, daß er mich versteht. Ich habe wohl Verwandte, Freunde, aber die begreifen meine Verhältnisse nicht, ihnen ist es vielleicht lächerlich, was mein Innerstes zerreißt. Sie aber müssen mich verstehen; denn ich bin überzeugt, Sie kennen das, was man die hohe Welt nennt. Sie sind jung, vornehm, reich. Sie können mir Trost und Rat geben - nicht wahr, Sie sind jung, vornehm und reich?«
Während er das sagte, hatte er seine Hände zusammengelegt, und war dem anderen näher gerückt, nur mit einer leichten Bewegung, aus welcher man aber fühlen konnte, wie sehr es dem Sprecher darum zu thun war, daß seine Rede an das Herz des anderen dringe. Ebenso innig und anschmiegend war der Ton seiner Stimme.
»Nach den gewöhnlichen Begriffen,« beantwortete Herr von Fernow die Frage seines seltsamen Nachbars,
»habe ich allerdings von den Eigenschaften, die Sie eben nannten, und wenn mich dieselben befähigen, Ihnen einen Rat zu geben, so bin ich gern dazu bereit. Lassen Sie mich hören.«
»Von diesen Eigenschaften,« sprach der andere nach einer Pause, »habe ich nur eine einzige. Ich bin jung. Aber ich besaß Mut und Kraft, um mir eine Laufbahn zu schaffen. Ich bin Künstler, war ein geschickter und gesuchter Holzschneider, und kann das sagen, da ich
vorausschicke, ich war es. Ein Unglücksfall lähmte mir die Finger der rechten Hand, ich mußte mich nach einer anderen Beschäftigung umsehen und wählte die Photographie. Aller Anfang ist schwer, und wenn ich auch nicht viel zu thun hatte, so wurden doch meine Bilder gelobt, und ich konnte hoffen, nach und nach bekannt zu werden. Das ist eigentlich Nebensache,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort; »Nebensache in der Angelegenheit, in
welcher ich Ihren Rat zu hören wünschte; und doch gehört es wieder dazu, denn ich ernährte mit meinen photographischen Arbeiten nicht nur meine alte Mutter, sondern hoffte auch -«
»Ah! ich verstehe,« sagte Herr von Fernow, der sehr aufmerksam zuhörte, »das Mädchen, welches Sie liebten, hoffte sehnlich auf Vergrößerung Ihrer Kundschaft.«
»Ich glaube, daß sie darauf hoffte,« fuhr der andere mit
schmerzlicher Selbstüberwindung fort, »bis - nun ja,« rief er fast heftig, »bis sie sich eines anderen besann und glauben mochte, sie sei zu gut und schön, um die Frau eines armen Photographen zu werden!«
»So knüpfte sie ein anderes Verhältnis an?«
»Ja,« antwortete der junge Mann nach einer Pause, während welcher er mit sich selbst zu kämpfen schien, ob er weiter sprechen solle; »ja, sie ist wenigstens im Begriff
eines anzuknüpfen, und das möchte ich gern hindern, wenn es irgend in meiner Macht stände.«
Herr von Fernow sah sich in einer eigentümlichen Lage. Er hatte es mit einem Verliebten, einem Eifersüchtigen zu thun, und wußte wohl, wie schwer es bei solchen ist, die richtige Ansicht von der betreffenden Sache zu erhalten. Daß der junge Mann unendlich litt, daß es ihm ein Trost war, sich jemand anvertrauen zu können, das erkannte er daraus, daß er mit ihm, dem Fremden, über diese Angelegenheit sprach. Es war wie eine Beichte, nach deren Ablegung er sein Gemüt erleichtert fühlen mußte.
Wie schon bemerkt, hatte der junge Mann zögernd des Verhältnisses erwähnt. Als dies aber einmal geschehen war, und als ihn der andere mit sanften Worten aufforderte, ohne Rückhalt zu sprechen, wenn ihm dies einen Trost gewähre, so erzählte ihm der Photograph seine ganze Liebes- und Leidensgeschichte, wie glücklich er gewesen sei in seiner Liebe, bis plötzlich sein Gehilfe, Herr Krimpf, ihn auf gewisse Vorgänge am Fenster aufmerksam gemacht, und wie er die Anklage bestätigt gefunden.
»Und wer ist Herr Krimpf?« fragte der Major.
Die Schilderung, die der Photograph auf diese Frage von dem Wesen seines Gehilfen entwarf, war so lebendig und treffend, daß der andere ihn vor sich zu sehen glaubte, und daß der Zuhörer, trotz der Bemühungen des Erzählers, den guten Eigenschaften des Herrn Krimpf Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, doch auf ganz eigentümliche Vermutungen geriet. »Und wissen Sie, wer der Herr im gegenüberliegenden Fenster ist?« fragte Herr von Fernow.
»Ein Kammerherr Seiner Hoheit des Regenten, ein Herr Baron von Wenden,« antwortete der Photograph.
»Alle Teufel!« entfuhr es dem Major, indem er von seinem Sitze fast in die Höhe gesprungen wäre. Obgleich er sitzen blieb, so entging doch die Bewegung, die er machte, und der Ausruf des Erstaunens dem anderen nicht.
»Sie kennen ihn?« fragte er besorgt. »Sie kennen ihn vielleicht sehr genau, und am Ende that ich unrecht, darüber zu sprechen.«
»Und wenn es mein Bruder wäre,« entgegnete ernst Herr von Fernow, »so würde ich, nachdem Sie mir Ihr Geheimnis anvertraut, auf Ihrer Seite stehen. Aber seien Sie unbesorgt, ich kenne Herrn von Wenden gut, ich kenne ihn sogar recht genau und bin daher wohl im stande, Ihnen einen Rat zu erteilen. Nur muß ich in diesem Falle bitten, ohne Rücksicht zu sprechen, und mir auch nicht die kleinsten Umstände zu verschweigen, die in den letzten Tagen vorgefallen sind.«
Das that der Photograph, aber was er zuerst erzählte, drehte sich immer um denselben Punkt, daß sie am Fenster stand und hinüberblickte, daß er das Gleiche that und Zeichen gab. Als aber der Erzähler darauf zu dem gelungenen Porträt kam, das er von dem Mädchen gemacht, und daran knüpfend der beiden Herren erwähnte, die auf so geheimnisvolle Art bei ihm erschienen seien, da wurde die Aufmerksamkeit des Majors, welche diesem bis jetzt die Teilnahme für den jungen Mann eingeflößt, auf einmal ganz anderer Art. Er schaute vorsichtig umher, und beugte sich dann gegen seinen Nachbar, um kein Wort von der leisen Schilderung zu verlieren, welche dieser ihm von den beiden Herren entwarf. Die kleine, lebendige Figur mit dem forciert jugendlichen Wesen, mit dem ewigen, seltsamen Lächeln, mit dem wunderlichen Gange und der zuckenden Bewegung der Hände war sofort entdeckt: Baron Rigoll, wie er leibte und lebte. Die fernere Erzählung des Photographen, daß er später die beiden Herren an dem gegenüberliegenden Fenster bemerkt, machte die Entdeckung zur Gewißheit. Aber wer konnte der andere Herr sein? Der Regent, nach der ehrerbietigen Art, wie er von dem Baron behandelt ward? Unmöglich jedoch! Was sollte dieser davon haben, sich im geheimen photographieren zu lassen? Das hatte keinen Sinn. Wer also konnte es sein? Das einfachste war auf alle Fälle, den Photographen nach Hause zu begleiten und sich eine Kopie der beiden Köpfe zeigen zu lassen. Er nahm sich vor, ihm später diesen Vorschlag zu machen, doch, teils getrieben von der wirklichen Teilnahme, welche er für den jungen Mann gefaßt, teils auch, um das große Interesse nicht zu verraten, das er an den beiden geheimnisvollen Herren nahm, überlegte er einen Augenblick, was in der Sache zu thun sei. Baron Wenden war nicht ungefährlich; doch da ihm in allen Dingen Entschlossenheit und Energie fehlte, und er, statt sein Ziel durch ein gerades Darauflosgehen zu erringen, es liebte, seine Fäden langsam zu ziehen, wie die Spinne sein Opfer nach und nach zu umgarnen, es zu ermatten, bis es, zu fernerem Widerstand unfähig, in seine Netze fiel, so wurde der Kammerherr, wenn es einmal nötig war, einen kecken Schritt zu thun, leicht plump und täppisch. Darauf baute Herr von Fernow seinen Plan.
»Es ist eine delikate Sache,« sprach er nach längerem Nachsinnen, »und für einen dritten schwer zu raten. Sind oder waren Sie wenigstens von der Liebe des Mädchens zu Ihnen überzeugt?«
»Ob ich es war!« antwortete der junge Mann. »Wie sie mir, so war ich ihr alles. Sie hatte keinen anderen Gedanken als für mich und ihr Glück.«
»Und das Mädchen lebt bei ihrer Mutter?«
»Leider, leider!«
»Dies Leider! beweist mir, daß ich richtig vermute. Das Mädchen ist schön, die Mutter eitel; es schmeichelt ihr, wenn sich ein vornehmer Herr, wie sie es nennt, um ihre Tochter bewirbt.«
»So ist es,« seufzte der Photograph.
»Die Mutter protegiert die Geschichte mit dem Gegenüber, - ja, die Sache ist nicht ohne Bedeutung.«
»O, sie ist schmerzlich. Ich kann es nicht ertragen und werde darüber zu Grunde gehen.«
»Geduld,« antwortete Herr von Fernow mit ermunterndem Ausdruck, »man geht nicht sogleich zu Grunde, wenn man den Kopf oben und die Augen offen behält. Wir müssen sehen, wie zu helfen ist.«
»Wenn es ein guter Augenblick gewesen wäre, daß ich Sie hier getroffen!« sagte der andere im herzlichsten Tone.
»Vielleicht ein Augenblick des Glücks für uns beide,« versetzte lächelnd der Major, indem er an die geheimnisvollen Photographien dachte. »Armer Wenden,« sprach er zu sich selber; »ich fürchte, dir nochmals in die Quere zu kommen; es war unprophetisch von dir, mir deine Theorien so zuversichtlich auseinander zu setzen - doch zur Sache.« Er wandte sich abermals an seinen Nachbar. »Vor allen Dingen muß ich wissen, von welchem Charakter das junge Mädchen ist. Verzeihen Sie mir die peinliche Frage: Halten Sie sie in der That für fähig, sich in ein Verhältnis einzulassen, das durch Zeit und Umstände gefährlich werden könnte?«
»Wenn ich das zugebe,« entgegnete der junge Mann, »so müßte ich ja der Ansicht sein, sie liebe mich nicht mehr, und das kann und will ich nicht. Ich will und muß vieles von der Schuld, die sie vielleicht hat, auf die Einflüsterungen ihrer Mutter werfen. Sie wissen wohl selbst, was eine tägliche Umgebung vermag. Die Eitelkeit, von einem vornehmen jungen Manne beachtet zu werden, mag auch das Ihrige dazu beigetragen haben. Rosa berechnete in ihrer Unschuld nicht, was unter solchen Verhältnissen ein Blick des Auges, ein Zeichen zu bedeuten hat. - Aber vielleicht hat sie jetzt schon den Abgrund zu ihren Füßen erkannt und ist schaudernd dav