Friedrich Wilhelm Hackländer
Der Augenblick des Glücks
Kapitel 5
eingestellt: 15.7.2007Herr Krimpf trank recht gern Wein, namentlich guten Wein, und wenn er auch anfänglich nur an dem Glase nippte, und mit der purpurnen Finsternis in demselben liebäugelte, so war doch der Duft des vortrefflichen La Rose zu verführerisch, als daß es lange dauerte, bis er sein Glas ausgeschlürft hatte, das ihm bereitwillig wieder gefüllt wurde. Bei dem Geschäfte des Austrinkens überlegte er und sagte zu sich selber: »Wenn der Herr da drüben wirklich etwas mit dir vor hat, so muß er wissen, wer du bist, was du treibst, und wenn er darauf anspielt, so haben wir uns doppelt in acht zu nehmen.«
»Es ist eigentümlich,« sprach der Offizier nach einer Pause, wobei er sich in den Stuhl zurücklehnte und aufmerksam die Gasflamme über dem Tische betrachtete, »wie zwei gänzlich fremde Leute durch Zufälligkeiten zusammengeführt werden können. Und doch sind Sie mir nicht ganz fremd. Ich erinnere mich, Sie schon irgendwo gesehen zu haben; vielleicht ist es Ihnen mit mir gerade so ergangen.«
»Kann mich wahrhaftig nicht erinnern,« entgegnete Herr Krimpf mit der größten Unbefangenheit. »Ich muß wirklich nie das Glück gehabt haben, den Herrn - verzeihen Sie mir, aber ich habe nicht die Ehre, Ihren Namen zu kennen.«
»Thut nichts zur Sache. Indessen heiße ich Müller, Kaufmann Müller; - Reisender, bin ziemlich fremd hier in der Stadt.«
»Richtig,« dachte der kleine Mann, »der will mich aus irgend einem Grunde einseifen.«
»Darf ich nun auch meinerseits wissen, mit wem ich das Vergnügen habe?« fragte Herr von Fernow nach einer Pause.
»Ist eigentlich nicht der Mühe wert, Herr Müller; aber wenn Sie mir erlauben, so heiße ich Franz Josef Maier, ein unbedeutender Lithograph!«
Der Major kniff die Lippen zusammen. »Krimpf verheimlicht seinen Namen,« sprach er zu sich selbst.
»Habe fast gar keine Bekanntschaften,« fuhr der andere fort, »komme wenig aus dem Hause. Hätte ich aber jemals das Glück gehabt, Herrn Müller zu sehen, so würde ich einen - verzeihen Sie mir - in der That so interessanten Kopf schon als Künstler nie vergessen haben.«
Eigentlich hätte Herr von Fernow sich für dieses Kompliment bedanken müssen, er war auch im Begriffe, es zu thun, um nicht aus der Rolle zu fallen; doch begleitete Herr Krimpf seine letzte Rede mit einem so sonderbaren Lächeln und seine Augen blitzten über das Glas so verräterisch herüber, daß der Major auf die Idee kam, der kleine Buckelige kenne ihn am Ende ganz genau.
Es war gut, daß in diesem Augenblicke das Nachtessen gebracht wurde. Herr Krimpf ließ sich nicht nötigen, griff tapfer zu und trank auch mehr von dem Bordeaux, als er sich im Anfang vorgenommen haben mochte. Nachdem das kleine Souper zu Ende war, bot der Fremde seinem Gaste eine Zigarre an, welche Franz Josef Maier mit außerordentlichem Danke annahm. Er hatte eine große Schwäche für gute Zigarren und wir müssen leider gestehen, daß er einen unverhältnismäßigen Teil seines Einkommens in Rauch aufgehen ließ. Vorsichtig, wie er war, sah er genau auf das hin, was der Major aus seiner Zigarrendose hervorzog, betrachtete sich die Art, wie er das that, die Hände, ferner das einfache elegante Etui und dann prüfend die Zigarre selbst, ehe er sie anzündete. Kaum hatte er den ersten Zug gethan und den Dampf, langsam genießend, wieder ausgestoßen, so sagte er: »Herr Müller rauchen ein vortreffliches Kraut.« Seine geheimen Gedanken bei diesen Worten aber waren: »Ich habe mich nicht geirrt, das ist weder Herr Müller, noch ein reisender Kaufmann, das ist jener Offizier vom Gefolge des Regenten.«
Der Major hatte sein Glas ausgetrunken und schenkte sich und seinem vis-à- vis ein. »Also Sie sind Lithograph?« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »liefern auch Porträts? Das trifft sich gut. Ich habe einen kleinen Auftrag in dieser Richtung, und wenn Sie mir Ihre Adresse geben wollen, so werde ich mir erlauben, Sie morgen zu besuchen.«
»Eine Visitenkarte besitze ich nicht,« sprach lächelnd Herr Krimpf, »kann aber meine Adresse auf ein Stückchen Papier schreiben. Der Speisezettel ist überflüssig groß, einen Bleistift habe ich bei der Hand; das ist gleich geschehen.« Er riß ein Stück Papier herunter, schrieb einige Worte darauf und übergab den Zettel. Herr von Fernow las: »Maier, Lithograph, Rosengasse Nr. 86.«
»Sie haben in Ihrem Geschäft viel zu thun?« fragte Fernow nach einer kleinen Pause.
»O ja,« erwiderte Herr Krimpf, »so ziemlich, bald wenig, bald viel. Man schlägt sich durch und lebt von einem Tag zum anderen, so gut es gehen mag.«
»Und hatten Sie Lust zu Ihrem Geschäft, haben Sie es aus Liebhaberei ergriffen?«
»Wie Sie mich da sehen,« sprach Herr Krimpf, und ein Schatten flog über seine Züge, »so mußte ich ein Geschäft ergreifen, dem mein schwacher krüppelhafter Körper nicht im Wege stand. O, ich hätte wohl einen anderen Beruf gewählt. Ich würde auch lieber fein gekleidet gehen, wie Sie, Herr Müller, in der Welt herumreisen, überhaupt lieber ein reicher, vornehmer Herr sein.«
Nachdem er das gesagt, stürzte er ein Glas Bordeaux hinunter und seine Augen flammten.
»Sie haben nicht unrecht; in manchen Beziehungen mag mein Leben angenehm sein,« antwortete der Major, »doch versichere ich Sie, ich halte es durchaus nicht für ein übles Los, ein Künstler zu sein, schöne Frauengestalten abzubilden, ihnen während des Arbeitens in die Augen zu blicken und nachher -« fügte er lächelnd hinzu.
»Und nachher,« wiederholte Herr Krimpf und seine weißen Hände zuckten mißmutig gegen sein Gesicht, »und nachher - wenn man die fertige Arbeit überreicht, in den Blicken lesen zu müssen: es ist eigentümlich, was der verwachsene Mensch für wohlgestaltete Sachen macht. Ja, Herr - - Müller,« fuhr er aufgeregt fort, »wenn ich wäre wie Sie, ein schlanker, schöner Mann, wohlgefällig den Weibern, dann wäre es auch für mich eine Lust Künstler zu sein. Dann säße ich gern vor ihnen und blickte ihnen in die blitzenden Augen, dann würde vielleicht auch ich triumphierend sagen: und nachher - .« Bei diesen Worten zuckte er mit der rechten Hand empor, seine Finger wühlten in dem spärlichen struppigen Haar, der Glanz seiner Augen erlosch, und indem er die dünnen Lippen aufeinander biß, versank er in tiefe Träumereien.
Der Major blickte ihn forschend an, dann erhob er sein Glas und sagte: »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen, ohne es zu wollen, wehe gethan. Jedem lächelt das Leben auf die eine oder die andere Art. Jeder hat einen Augenblick, wo ihn das Glück umschwebt, wo er nur zuzulangen braucht. Freilich sind die Glücksgüter verschieden, aber auch Ihnen schlägt gewiß einmal eine gute Stunde. Trinken wir darauf!«
Die beiden leerten die Gläser, und als Herr Krimpf darauf in die Höhe blickte, brannte ein düsteres Feuer in seinen kleinen Augen, seine sonst so kalten Wangen waren heftig gerötet, und er sagte: »Ich danke Ihnen für den Trost, Herr Müller, aber was sind Glücksgüter? - Güter, die uns glücklich machen. Glauben Sie mir, es liegt mir verflucht wenig an Geld und Reichtum, ich habe nur eins, wonach ich strebe, und das« - setzte er mit fast tonloser Stimme hinzu - »werde ich nie erreichen.«
Herr von Fernow befand sich mit einem Male auf der Höhe der Situation. Was der kleine häßliche Maler für das höchste Glück des Lebens hielt, das war nicht schwer zu erraten: die Gunst eines reizenden Mädchens, welche ihm dieses begreiflicherweise verweigerte. Und welches Mädchen? Fernow begann klarer und immer klarer zu sehen. Hatte der Photograph ihm nicht gesagt, woher die Anklage gegen Rosa gekommen? Er irrte sich nicht, Herr Krimpf selbst liebte jenes Mädchen, und es war die wütende Eifersucht, die ihn antrieb, sie anzuklagen, vielleicht zu verderben - und nachher - ja, so mußte es sein.
Herr Krimpf hatte sich einen Augenblick von seinen Gefühlen fortreißen lassen. Der Major war auf der rechten Fährte: Krimpf liebte Rosa. Aber dieser Ausdruck ist nicht der richtige, - er dachte an sie mit einer wilden glühenden Leidenschaft, er hätte um ihre Gunst alles hingegeben, - es wäre ihm eine Seligkeit gewesen, nach einem kurzen glücklichen Augenblicke den Tod zu finden, aus ihren Armen hinweg, der ewigen Verdammnis zu verfallen. Darum allein hing er sich an den Photographen, deshalb ließ er sich von dem Kammerdiener der Prinzessin zu allen möglichen Diensten gebrauchen. So unbedeutend diese waren, so glaubte er sich doch dadurch dereinst an die Macht und den Glanz des Hofes klammern zu können, hoffend, ein glückliches Ungefähr, vielleicht ein Wunder, reiße ihn in eine andere Bahn hinein, in eine Bahn, die es ihm möglich mache, vor jenes Mädchen hinzutreten, freilich derselbe kleine krüppelhafte, häßliche Mensch, aber nicht mehr der arme Maler, sondern jemand, der sich durch die Kraft seines Geistes emporgebracht, und der es wert ist, daß man zu ihm aufblickt.
Als die Flut seiner wilden Phantasie vorüber war und die Ebbe der Überlegung eintrat, fielen seine Blicke wieder auf den fremden Mann ihm gegenüber, der leicht mit den Fingern das Glas gefaßt hatte, ruhig an die Decke blickend rauchte und sich um die ganze Welt nicht zu kümmern schien. Die Uhr der Gaststube pickte vernehmlich, und Herr Krimpf dachte, vielleicht habe er sich doch geirrt, und das Zusammentreffen mit seinem freundlichen Wirte sei ein zufälliges. Dann aber kam es ihm wieder in den Sinn, daß bei Hofe zwei Parteien seien, die des Regenten, und die andere der Prinzessin Elise. - Der letzteren diente er, zur ersteren gehörte vielleicht sein Gegenüber. Konnte nicht sein Besuch im Schlosse bemerkt worden sein? Als Krimpf an seine Porträts dachte, faßte er mit der Hand an seine Brusttasche, worin er die Blätter aufbewahrt hatte, eine Bewegung, die dem Major nicht entging.
Dieser hatte indessen Zeit zur Überlegung gehabt. Obschon es nicht so leicht schien, den Gegner zu überrumpeln, so beschloß er, ihm doch, wenn auch nur mit einem Scheinangriffe, geradezu auf den Leib zu gehen. Er drehte mit der Hand seinen langen schwarzen Schnurrbart und sah den kleinen Maler so herausfordernd und lächelnd an, daß dieser ebenfalls nicht umhin konnte, ihn mit einem langen, freundlichen Blick zu betrachten. Da schlug das Lächeln des Majors in Lachen über und er sagte mit außerordentlicher Lustigkeit: »Wir spielen da eine hübsche Komödie zusammen. Stoßen wir an und trinken wir unser Glas auf - Ehrlichkeit und Wahrheit, mein lieber Herr - Krimpf.«
Der kleine Maler schrak auf, als habe ihn etwas gestochen. Er war in der That überrascht. Denn er, der sich eingebildet, so sicher im Schatten seiner Niedrigkeit zu stehen, während auf den anderen das volle Licht fiel, erkannte, daß gerade das Gegenteil der Fall war.
»Haben wir also weiter keine Geheimnisse vor einander,« sagte Herr von Fernow aufs Freundlichste. »Sie sind der Mitarbeiter des Photographen Heinrich Böhler, Maler Krimpf, aber wenn ich Offenheit von Ihnen verlange, so muß ich auch dieselbe für Sie haben. So wenig also, wie Sie Herr Maier, heiße ich Müller. Ich bin Major Fernow, Adjutant des Regenten. Bleiben Sie auf Ihrem Platze und ohne Komplimente. Für heute bin ich Herr Müller, dessen Spazierstock Sie retteten.«
»Ganz zufällig rettete, wie er ganz zufällig auf die Fensterbank geraten war,« sagte Herr Krimpf, und ein außergewöhnlicher Zug von Schlauheit flog über seine Züge.
»Und diesem Zufalle verdanke ich das Glück Ihrer angenehmen Gesellschaft. Trinken wir darauf ein Glas.«
Dies geschah, und als Herr Krimpf sein Glas niedersetzte, war es interessant zu sehen, wie ihm das Vergnügen, seinen Gegner endlich zu kennen, aus dem Gesichte strahlte. Dahinter aber blickte aus seinen Zügen die Erwartung der Dinge, die jetzt kommen sollten, und zugleich sah man an seinen fest zusammengekniffenen Lippen, sowie an dem zufriedenen Lächeln seiner Augen, daß er mehr als je entschlossen sei, sich in keiner Weise fangen zu lassen. »Da ich also die Ehre habe, von Ihnen, gnädiger Herr, gekannt zu sein,« sprach er nach einer Pause, »so bitte ich mir zu sagen, womit ich dienen kann; und das soll nach besten Kräften geschehen.«
»Sie sind ein verständiger Mann, Herr Krimpf,« versetzte der andere, »und da Sie nun einmal darauf zu beharren scheinen, ich hätte meinen Stock absichtlich liegen lassen, so will ich Ihnen zugeben, daß es mir allerdings um Ihre Gesellschaft zu thun war! Ich will Ihnen ferner gestehen, daß ich mit Ihnen eine Angelegenheit besprechen möchte, bei der mir Ihre Hilfe von großem Nutzen sein kann.« - Endlich! dachte der kleine Maler. - »Dabei muß ich aber hinzufügen,« fuhr der vorige fort, »daß die Angelegenheit nicht die meinige ist, daß ich im Auftrag eines dritten handle, daß ich aber bevollmächtigt bin, Ihre Hilfe in jeder Hinsicht glänzend zu belohnen.«
Herr Krimpf machte eine tiefe Neigung mit dem Haupte zum Zeichen, daß er vollkommen verstanden habe; während er aber zu gleicher Zeit nochmals mit der Hand leicht über die Brusttasche fuhr und dabei fühlte, wie die Blätter knitterten, blickte er einigermaßen besorgt im Zimmer umher, worin sich die beiden ganz allein befanden.
»Sie arbeiten also,« fing der Major wieder an, nachdem er dem anderen vollkommen Zeit zur Überlegung gelassen, »in der Pfahlgasse, in einem Hause mit vier Stockwerken?«
»Bei meinem Freunde Heinrich Böhler, der ein photographisches Atelier hat.«
»Das Geschäft des letzteren,« entgegnete der Major mit großer Gleichgültigkeit, »ist mir vollkommen einerlei, überhaupt hängt das, was ich von Ihnen wünsche, nicht im geringsten mit Ihrer Kunst zusammen. Sie wohnen in einem Hause, in dem sich noch viele andere Leute befinden.«
»O ja, viele Haushaltungen,« antwortete Herr Krimpf, der wieder anfing, irr zu werden, da sein Gegner ganz von der Fährte, an die er gedacht, abzuweichen schien.
»Nun also,« sprach der Major, »unsere Angelegenheit betrifft eine Sache, bei der ich mich gänzlich Ihrer Diskretion überlassen will und muß; doch glaube ich mich nicht in Ihnen zu täuschen. Sie wohnen, wie schon gesagt, im vierten Stock, - unter Ihnen im dritten sind die Zimmer einer Witwe, die eine einzige und sehr schöne Tochter hat.«
»Ah!« preßte der kleine Maler hervor, und diesmal war sein Erstaunen so wahr und ungekünstelt, daß es dem anderen notwendig auffallen mußte. »Sie sind überrascht, daß ich das weiß,« fuhr Fernow fort, »aber das geht ganz einfach zu. Die Gasse, in welcher Ihr Haus steht, ist durch ein großes Gebäude geschlossen.«
»In dessen erstem Stock,« - fiel ihm Herr Krimpf mit großer Spannung in die Rede, »in dessen erstem Stock - ein Freund von Ihnen wohnt - Herr Baron von Wenden.«
»Ich höre, Sie kennen den Namen, scheinen mir also von der Sache zu wissen.«
»O ja, ich glaube viel davon zu wissen,« entgegnete der kleine Maler, indem er mühsam Atem holte, »sehr viel, unendlich viel.« Dabei knirschte er mit den Zähnen.
»Es ist die Frage, ob wir, das heißt, mein Freund, sich auf Sie verlassen könnte. Ich will damit sagen, ob Sie uns in dieser Angelegenheit behülflich sein wollen. Sie scheinen mir ein Mann von Charakter, von Fähigkeit, auch bin ich überzeugt, daß Sie, wenn Sie nicht geneigt sind, meinen armen Freund zu unterstützen, dies Gespräch als gar nicht stattgefunden betrachten werden. Bitte, überlegen Sie sich das genau.«
Während hierauf Der Major von seinem Wein nippte, goß Herr Krimpf ein volles Glas hinunter und überlegte wirklich lange und eifrig. Ja, ihm war dieser Vorschlag erwünscht, er wollte in dieser Angelegenheit helfen, er wollte das Mädchen kompromittieren, ja, es kam ihm nicht darauf an, sie zu verderben; denn je tiefer sie hinabsank, desto näher kam sie ihm, der ja auch unten im Schlamme des Lebens watete. Freilich ballte er unter dem Tische die Hände, um gleich darauf zuckend damit nach dem Munde zu fahren bei dem Gedanken, daß ein anderer, ein Fremder, ein vornehmer Herr, sich dem wunderbaren Mädchen nähern sollte, sie zu seinem Spielzeug zu machen. Bei dieser Vorstellung schien sein Blut siedend heiß zu werden und es verfinsterte momentan seinen Blick, während er mühsam Atem holte. - Indessen, war für seine Leidenschaft etwas zu hoffen, so konnte es nur auf diesem Wege sein. Was kümmerte es ihn, ob ein anderer ihre Liebe besaß, wer er nur dereinst seine zuckenden Finger um ihre schlanke Taille legen durfte! - Der Wein machte ihm vollends heiß. Die beiden waren schon an der dritten Flasche, und Herr von Fernow hatte mit der größten Vorsicht getrunken.
»Was meinen Sie, Herr Krimpf? Es ist mir recht, daß Sie so sorgfältig überlegen, denn vergessen Sie nicht, so glänzend die Belohnung sein wird, die ich Ihnen für gute Dienste verspreche, so würde es mir in der That leid für Sie thun, wenn Sie versuchten, ein falsches Spiel mit uns zu treiben.«
»Was ich verspreche, halte ich,« sagte der Maler mit dumpfer Stimme, und nachdem er ein paar Sekunden lang die Augen mit seiner rechten Hand bedeckt, fuhr er entschlossen fort: »Befehlen Sie über mich, ich bin der Ihrige; was soll ich thun?«
»Vorderhand nicht viel; Sie werden meine Wohnung am Kastellplatze leicht erfragen können, dort bitte ich Sie, mich morgen um die Mittagsstunde zu besuchen. Sie werden einen Brief erhalten, den Sie dem jungen Mädchen in die Hände spielen. Es kann Ihnen das nicht schwer werden, da Sie, wie ich mir denken kann, Zutritt bei ihr haben.« Herr Krimpf nickte düster mit dem Kopfe. »Begreiflicherweise darf das junge Mädchen nicht wissen, daß der Brief durch Ihre Hände gegangen ist. Sie haben das geschickt einzurichten, daß sie ihn findet, ohne zu vermuten, wer ihn überbracht. - Die Antwort haben Sie dann ebenfalls an mich zu besorgen.«
»Und glauben Sie, daß sie antworten wird?« fragte Herr Krimpf sehr leise.
»Wir hoffen es. Sie wird gebeten, diese Antwort an einen bestimmten Ort zu legen, dieser Ort wird Ihnen mitgeteilt, und Sie haben dann nichts weiter zu thun, als das Schreiben wegzunehmen und mir zu überbringen.«
»Nein, das ist in der That nicht viel,« entgegnete der andere mit einem Lachen, das entsetzlich klang. Und es war auch in Wahrheit nichts, als die einfache Abgabe eines Briefes. Aber an dem Inhalte dieses Briefes hing das Lebensglück eines armen unschuldigen Mädchens, hing die Ruhe und Verzweiflung seines Freundes, an dessen Tische er saß, der sein Brot mit ihm teilte.
»Das wollen Sie also mit bestem Willen für uns thun?« fragte der Major.
»Ich will es,« entgegnete Herr Krimpf, und zuckte mit der rechten Hand über den Tisch hin, sie dem Major darreichend, der sie mit einigem Widerstreben ergriff.
Die kleine feine Hand des Malers war kalt und doch feucht von Schweiß. - -
»So wären wir mit unserem Geschäft zu Ende,« sprach nun der Major mit einer erzwungenen Leichtigkeit, denn ihm grauste vor seinem Gegenüber, das es so leicht zu nehmen schien, Freunde und Hausgenossen zu verraten. »Trinken wir noch ein Glas, nehmen wir noch eine Zigarre.«
Beides that Herr Krimpf; ja, er schien jetzt mit dem Bordeaux das Andenken an die eben erlebte Viertelstunde hinabgeschwemmt zu haben; seine Augen verloren ihren düsteren Ausdruck und er blickte fast lustig im Zimmer umher; seine Finger umspannten zuckend das Glas, welches augenblicklich wieder gefüllt worden war, ja seine gute Laune schien so weit wiedergekehrt zu sein, daß er leise etwas vor sich hinsummte, und zwar einen Refrain, den er in den letzten Tagen sehr häufig von Herrn Heinrich Böhler vernommen: »Chantons, buvons, traleralera.«
Der Major hatte sich in seinen Stuhl zurückgelehnt, wobei er den Rauch seiner Zigarre in zierlichen Ringeln von sich blies. Er schien sich ganz behaglich zu fühlen, und nur jemand, der ganz genau auf ihn Achtung gegeben hätte, würde bemerkt haben, daß sich zuweilen seine Augen forschend nach der Zimmeruhr richteten, deren Zeiger langsam, aber unaufhaltsam fortrückte. Jetzt dehnte er sich gähnend und sagte: »So, so, Sie sind Photograph, und sollen sehr schöne Arbeit liefern. Ich habe das von einem Freunde gehört, dessen Porträt Sie vor einigen Tagen gemacht.«
»Von einem Ihrer Freunde, gnädiger Herr?« fragte zweifelnd der kleine Maler; doch sogleich schien er sich zu besinnen und sagte: »Ach! die beiden Herren.«
»Ja, es waren zwei meiner Bekannten. Sie hatten eine Überraschung vor und diese ist vollkommen gelungen. Wir haben viele Freude daran gehabt; - eigentlich war es eine Wette - und eben deshalb befahlen sie auch zu schweigen und augenblicklich die Glasplatten zu vernichten.«
»Das geschah auch,« versetzte der kleine Maler, dessen Blicke etwas stier geworden waren, indem er sich mit der Hand auf die Brusttasche patschte.
»Was mir leid thut,« sprach der Major, nachdem er getrunken und den langen Schnurrbart sorgfältig abgetrocknet, »ich hätte gerne eine Kopie gehabt, namentlich war eines der Porträts, das meines besten Freundes, des Oberstjägermeisters Baron Rigoll, ausgezeichnet geraten. In der That ausgezeichnet.«
»Ja, der eine der Herren war seine Exzellenz,« sagte Herr Krimpf, indem er langsam seinen Rock aufknüpfte, »aber der andere?« fügte er lauernd hinzu.
»Der andere war ein Vetter des vorhin erwähnten Baron Wenden, der Ihnen gegenüber wohnt. Wie gesagt, es ist mir leid, daß die Gläser vernichtet wurden, ich hätte eine Kopie teuer bezahlt. Aber da es nicht sein kann - müssen wir eine andere Gelegenheit abwarten.«
Obgleich der Major dies alles mit einer wahrhaft bewundernswürdigen Gleichgültigkeit sagte, so hätte doch der überaus schlaue kleine Maler bei ganz unbefangenen Sinnen etwas Künstliches und Gesuchtes darin bemerkt. Dank dem La Rose aber lächelte Herr Krimpf häufig ohne alle Ursache, freute sich über den wundervollen Abend, den er verlebte, und fing an eine außerordentliche Dankbarkeit, ja Hochachtung für sein Gegenüber zu fühlen, welches ihm dagegen wieder so imponierte, daß es nur eines Blickes aus den dunkeln, blitzenden Augen bedurfte, um einen etwas lauten Gesang im Munde des Malers plötzlich verstummen zu machen. »Ein sehr liebenswürdiger Herr,« murmelte er halblaut, »könnte ihm am Ende wohl die lumpigen Photographien an den Kopf werfen. Der Kammerdiener ist ein geiziger Schuft und der Lakai stiehlt mir wieder, was der Kammerdiener bezahlt. Was braucht man sich eigentlich mit dem Pack gemein zu machen, wenn einem die Herrschaft selbst freundlich entgegenkommt. Und die Herrrr-schaft hat Rrrr-echt - ein Künstlerrr ist auch kein Hund. - Und es hat jemand einmal gesagt: Es soll der Künstlerrr mit dem König gehen, warum denn nicht auch mit so einem lumpigen Adjutanten des Rrrregenten. Aber das ist ein ganz immenser Kerrrl! Und wenn es ihm Spaß macht, so soll er die beiden Eselsköpfe haben. - Ja, die Eselsköpfe und den Lakaien und Kammerdienerrr dazu, - morrrrrrgen, hat der Hund gesagt: Buvons, chantons, traleralera!« Und er wiederholte den Refrain viel zu oft und zu laut: »Juho! ho!«
Der Major hatte zuviel von dem Selbstgespräch seines Gastes verstanden, als daß er ihn in seiner ausbrechenden Lustigkeit hätte stören mögen; ja er stieß mit ihm an und zwang sich in den Refrain einzustimmen.
»Ja, Herr Offizier, Sie sind so liebenswürdig, daß ich Ihnen eine ganz miserable Gefälligkeit erzeigen will. Wenn es Ihnen Spaß macht, die Köpfe Ihrer Freunde zu haben, so kann dem Manne geholfen werden. Krimpf ist nicht so dumm, als er aussieht. Hier sind noch zwei ganz verfluchte Kopien.« Damit hatte er das Papier aus der Tasche herausgezogen, und da sich seine zuckenden Finger eine Zeitlang vergeblich bemühten, die Siegel ordentlich zu lösen, so zerriß er das Papier so heftig in mehrere Fetzen, daß er die Photographien auf den Boden des Zimmers schleuderte. »Das warrr geschickt,« sagte er, indem er den Blättern mit stieren Blicken nachschaute. - »Da liegen die Eselsköpfe. Lassen wir sie liegen, Herrrr General, es ist auf Ehre nicht der Mühe wert. - Hsp! Hsp!«
»Ja, da haben Sie recht,« entgegnete Herr von Fernow; »es ist nicht der Mühe wert, - lassen wir sie, wo sie sind.«
»Gut gesagt, - Hsp! Hsp! wo sie sind, Hsp! Da können sie ihren Rausch ausschlafen, Hsp! Hol sie der Teufel! Hsp! Hsp!«
»Was das Rauschausschlafen anbelangt, mein lieber Herr Krimpf,« sagte nun der Major mit einem festen Blick auf sein vis-à-vis, »so meine ich, es wäre auch für uns jetzt Zeit, daß wir unsere Betten aufsuchten.«
»Doch - nicht - um - unseren - Rrrrrausch auszu-schlafen, Hsp?« erwiderte Herr Krimpf mit immer schwererer Zunge; »so weit - sind wirrrr - noch lange nicht.«
»Das ist bei Ihnen möglich, aber ich spüre den Wein und bin schläfrig.«
Es war etwas wie Verachtung in dem Blicke, mit dem der kleine schwächliche Maler, der sich nur mühsam von seinem Stuhle erhob, den kräftigen Offizier ansah. »Nun ja,« sagte er nach einer Pause, »wenn Sie meinen, Hsp! - daß es genug ist - so wollen wir denn gehen, Hsp! doch - habe ich - noch eine Bitte an Sie.«
Bei diesen Worten hob er den Zeigefinger der rechten Hand in die Höhe, während er sich mit der linken an der Tischplatte festhielt. »Wenn Sie wieder Spazierstöcke - verlieren, so lassen Sie michs ganz ergebenst wissen; ich bin dann immer Ihr gehorsamer Diener, um sie aufzuheben, Hsp!«
Mit ziemlich ordentlichen Schritten ging er darauf nach dem Nebentische, wo sein Hut lag, und Herr von Fernow hatte nur Angst, er möge auf die Photographien treten, die am Boden lagen; doch schwankte er bei ihnen vorüber, machte seinem freundlichen Wirte ein steifes Kompliment und schoß dann mit einer wunderbaren Schnelligkeit zur Thür hinaus.
Der Major, besorgt um ihn, wollte doch sehen, wie er sich auf der Straße benehmen würde, und ging ihm nach bis zur Hausthür. Herr Krimpf war zur Rechten davongeeilt. Wenn er auch die ganze Breite des Trottoirs in Anspruch nahm, so schob er sich doch ziemlich schnell von hinnen und war offenbar in der besten Laune, denn man hörte ihn die Straße hinab mit lauter Stimme singen:
»Chantons, buvons, traleralera!«
Herr von Fernow kehrte in das Zimmer zurück, raffte die Photographien vom Boden auf und betrachtete sie. Ja, die eine stellte den Baron Rigoll vor. Mit noch größerer Aufmerksamkeit aber betrachtete er den sehr distinguierten Kopf des anderen Bildes. Wo hatte er dies Gesicht gesehen? Richtig, jetzt fiel es ihm plötzlich ein. Es war der Herr, der an jenem Abend zu Baron Wenden kam, der ihm als Graf Hohenberg vorgestellt wurde, gegen den Baron Rigoll sich mit so ausgezeichneter Artigkeit benahm. Das war ihm damals schon aufgefallen, - da lag ein Geheimnis verborgen. Ja, was er hier in seinen Händen hielt, mußte wichtig sein, und es war gewiß der Mühe wert gewesen, ein paar Stunden an die Erlangung dieser Blätter zu wenden. »Ich weiß nicht, eine unbestimmte Ahnung sagt mir, meine Anstrengungen seien in der That nicht verschleudert worden. Es ist zehn Uhr, suchen wir Herrn Kindermann zu sprechen. Wenn das Sprichwort wahr ist, daß man das Eisen schmieden soll, solange es warm ist, so muß man dagegen auch nicht säumen, das Glück, wenn es einmal erscheint, festzuhalten.«
Er bezahlte seine Rechnung, wobei der Kellner auf eine eigentümliche Art lächelnd das Geld einstrich. Dann trat der Major auf die Straße, rief einen schläfrig vorüberfahrenden Fiaker an, warf sich in den Wagen und befahl: »Nach dem Schlosse!«
Dreizehntes Kapitel.
Wiederum im Kabinett des Regenten.
An demselben Abend war einer der dienstthuenden Lakaien Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise zu einem der dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit des Regenten hinabgestiegen. - Dieses Hinabsteigen ist wörtlich zu nehmen, denn sonst herrschte das umgekehrte Verhältnis und die dienstthuenden Lakaien des Regenten sahen auf die dienstthuenden Lakaien der Prinzessin mit einer souveränen Verachtung hinab, und nahmen in jeder Beziehung den Vortritt, welches bei gemeinschaftlichen Diners so weit ging, daß die Lakaien Ihrer Durchlaucht stets die Sauce zu präsentieren hatten, nachdem die dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit des Regenten mit dem Braten vorangeschritten waren. Einer der Lakaien der Prinzessin war also hinabgestiegen und hatte dem dienstthuenden Lakaien Seiner Hoheit, welcher in seinem Stuhle sitzen blieb, während der andere vor ihm stand, also gemeldet: »Der Herr Kammerdiener Ihrer Durchlaucht der Prinzessin lassen dem Herrn Kammerdiener Seiner Hoheit des Regenten ein gehorsames Kompliment machen, und da die Herrschaften bei Ihrer Hoheit der verwitweten Frau Herzogin sein werden, so lassen der Herr Kammerdiener anfragen, ob es dem Herrn Kammerdiener angenehm wäre, wenn ersterer den letzteren Herrn auf ein Stündchen besuche. Er habe sich eine kleine Erdbeerbowle angesetzt und möchte sich erlauben, dieselbe gleichfalls bei dem Besuche erscheinen zu lassen.« Darauf hatte Herr Kindermann den Besuch huldreich acceptiert, und die beiden würdigen alten Herren saßen nun in dem uns wohlbekannten Kabinett vor dem Kamin.
Der Kammerdiener der Prinzessin, Herr Steppler, war fast von gleichem Alter wie Herr Kindermann, doch wie diesen ein ewiges freundliches Lächeln schmückte und verjüngte, so herrschte auf den Zügen des anderen beständig ein finsterer Ernst; dabei ging er ziemlich gebückt, hustete fast bei jedem Worte, meistens aus schlechter Angewohnheit und weil er es bei vorkommenden Fällen für zweckdienlich gehalten hatte, eine Brustkrankheit zu affektieren. Er war ein altes Möbel bei Hofe, und hatte schon bei der Mutter des höchstseligen Herrn gedient, die eine wunderliche Dame war, und über welche sich die beiden Veteranen gerade unterhielten.
»Ja,« sagte Herr Steppler, »so etwas kommt doch heutzutage nicht mehr vor, daß man für den Schoßhund ein eigenes Schlafzimmer hält, eine Bonne zur Aufwartung und daß der Kammerdiener der Herrschaft selbst, ich dazumal, allabendlich bei dem alten Mopse die silberne Nachtlampe anzünden mußte. Und das Tier hatte Verstand wie ein Mensch, denn wenn das Licht nicht brannte oder ausging, so bellte es so lange, bis jemand kam.«
»Es ist ganz erstaunlich,« erwiderte Herr Kindermann mit einem süßen Lächeln, »und doch, wenn Sie mirs nicht übelnehmen, bester Freund, so waren die Zeiten für den Regierenden damals viel besser. Erinnern Sie sich noch der Tante des höchstseligen Herrn, die sich nie im geringsten in irgend eine Angelegenheit mischte, die harmloseste Dame der ganzen Welt, die ruhig lebte und ruhig leben ließ.«
»Jawohl, jawohl, die zufrieden war, wenn sie vier Stunden des Tags spazieren fahren konnte, die Pferde im langsamsten Schritt, wie vor einem Leichenwagen, und die sich zur Unterhaltung jeden Tag ein kleines Körbchen mit Weidenruten aufs Zimmer bringen ließ, die sie geduldig eine nach der anderen auf dem Tisch zerklopfte - -«
»Gelt, alter Freund,« sagte Herr Kindermann, indem er sein Glas emporhob und pfiffig lächelnd durch die goldgelbe Flüssigkeit nach seinem Kollegen hinschielte, »das waren andere Zeiten. Ich möchte wohl mal sehen, wenn wir Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise ein Körbchen Weidenruten aufs Zimmer setzten, ob sie sie auch auf dem Tische zerklopfte.«
»Davor soll uns Gott bewahren - das hieße den Teufel an die Wand malen.«
»Ja, sie ist eine absonderlich merkwürdige Dame,« meinte Herr Kindermann, und that einen guten Schluck des angenehmen Getränkes. Nachdem er dies gesagt und sich die Lippen abgeleckt, lehnte er sich in seinen weichen Sessel zurück und betrachtete mit einem außerordentlich pfiffigen Blick den Herrn Steppler, der tief nachsinnend eine große Erdbeere anstarrte, die in seinem Glase schwamm. »Lieber Freund,« sagte er alsdann nach einer kleinen Weile, »was ich Ihnen schon oft bemerkt, muß ich hier wiederholen. Es ist Pflicht und Schuldigkeit eines guten Dieners, auf die Herrschaft nach besten Kräften einzuwirken. Wenn man gescheit ist, gelingt dies auch und man kann sie gewissermaßen ziehen, daß es eine Freude ist.«
»Ja, da hat sich was zu ziehen,« brummte Herr Steppler. »Das ist wie ein Aal, wie ein Kreisel; das dreht sich zehnmal, ehe ich nur einmal weiß, wo rechts oder links ist.«
»Zugestanden, daß es schwierig ist, mit der hohen Dame droben umzugehen, aber im Vertrauen gesagt, Ihr waret zu nachgiebig, Ihr hättet in vielen Sachen nicht mithelfen sollen; ja, Ihr hättet manches hintertreiben können. - Den Teufel auch,« fuhr Herr Kindermann nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, und nachdem er im Spiegel sein freundliches Gesicht beschaut, »man muß zuzeiten auch etwas zu hindern verstehen. Wissen Sie, ich spreche als Freund zu Ihnen, lieber Steppler, aber Ihr macht da oben doch ganz sonderbare Geschichten. wie kann man zum Beispiel nun eine solche Heirat protegieren, wie die der alten Exzellenz mit dem jungen, schönen Fräulein?«
»Wie kann man so was hindern, frag ich Sie.«
»Man kann viel dagegen thun, mein lieber Steppler. Man läßt hie und da ein Wort fallen, man meldet zu spät oder gar nicht, man bedauert, daß die Herrschaft verhindert ist, jemand anzunehmen - aber dazu gehört mehr als ein gewöhnlicher Mut. Ich sage Ihnen, das ist ein Mißgriff, der nicht hätte passieren sollen.«
Obgleich Herr Steppler ziemlich gebückt saß, so daß er seinen Kollegen nicht ansehen konnte, so merkte man doch, wie er, ohne den Kopf zu bewegen, die Augen erhob und aus den Winkeln derselben nach Herrn Kindermann hinüberschielte. »Habt Ihr etwas dagegen gethan?« fragte er alsdann.
»O, lieber Freund,« entgegnete Herr Kindermann mit dem Ausdruck großen Selbstbewußtseins, »wenn eine Sache einmal so verfahren ist, da kommt der beste Kutscher nicht mehr heraus, und doch - - aber wie gesagt,« unterbrach er sich selbst, »das war nur so eine Idee von mir, und es ist eigentlich unklug, überhaupt noch über dergleichen zu sprechen, denn ich weiß doch, daß Sie mir nicht um die Ecke trauen, mein lieber Steppler.«
Der andere blickte abermals verstohlen in die Höhe, ohne etwas zu entgegnen.
»Ich versichere Sie, es ist schade,« fuhr Herr Kindermann nach einer Pause fort, »daß wir nicht besser zusammenhalten. Ich sage Ihnen, wir könnten hier das Steuer führen, daß es eine Freude wäre, ich mit meiner Lebhaftigkeit, wenn Sie mir erlauben, Sie mit Ihrer unbezahlbaren Ruhe. Kommt her, alter Steppler, stoßen wir zusammen an; den Teufel auch, das sollte doch endlich einmal aufhören, daß die Herrschaften, mit Respekt zu sagen, wie Hund und Katze zusammen leben. Haben Sie denn einen Begriff davon, wie es Ihre Durchlaucht da oben vermag, so hämisch gegen uns zu handeln, gegen einen Herrn, wie der Regent ist? Gott erhalte ihn hundert Jahre, den ritterlichen Herrn, den schönen Mann, mit Eigenschaften, daß ihn die ganze Welt liebt und achtet. Aber gerade die, an deren Achtung ihm besonders gelegen ist - - ja, Steppler, schauen Sie mich nur an, - an deren Achtung ihm besonders viel gelegen ist, bereitet ihm mit ihren Launen alles mögliche Herzeleid. Darin ist weder Sinn noch Verstand.«
»Das ist gegenseitig, Kindermann, gewiß gegenseitig.«
»Nein, Ihr macht es zu arg. Es muß da droben wieder etwas im Spiele sein; ich kann Sie versichern, Steppler, der Herr ist in den letzten Tagen sehr schlecht gelaunt, und ich glaube, man kann sich vor ihm in acht nehmen. Er ist nun einmal der Herr, und wenn wir selbst, was sich in den nächsten Tagen entscheiden soll, einen Thronerben erhalten, so wird doch die Regentschaft achtzehn Jahre dauern, eine Zeit, deren Ende wir beide schwerlich erleben werden.«
»Was wollen Sie damit sagen, Kindermann?« fragte der andere, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht.
»Nun, ich will damit sagen, daß der Herr die Macht noch lange behält, seinen Freunden wohl zu thun und seinen Feinden auf unangenehmen Art zu vergelten.«
»Aber Ihr thut uns sehr unrecht,« sprach nun Herr Steppler, wobei zum erstenmal ein Lächeln über seine düsteren Züge flog, »wenn Ihr glaubt, wir oben haßten den Herrn, im Gegenteile, kann ich Sie versichern. Freilich bemüht man sich zuweilen, seine Plane zu vereiteln, ihm entgegenzuwirken, aber, ich bin auch ein alter Praktikus, Kindermann, das geschieht nicht nach einem kalten, berechneten System, sondern das ist die Aufwallung des Augenblicks, ist wie ein kindischer Trotz - verzeihen Sie mir das Wort - eine fast fieberhafte unerklärliche Neigung, nein zu sagen, wenn der Herr ja sagt.«
Herr Kindermann blickte in sein Glas und antwortete nicht.
»Von wirklicher Feindschaft kann da keine Rede sein und von Haß noch viel weniger. Wenn man jemand haßt, verstehen Sie mich wohl, ohne Nebengedanken haßt, so nennt man seinen Namen nicht, so blickt man nicht nach ihm, so ist man froh, wenn man weder etwas von ihm zu hören noch zu sehen bekommt; und hauptsächlich, wenn man jemand wirklich haßt, so verschließt man das in sich und zeigt seine Feindseligkeit nicht aller Welt.«
»Da ist schon etwas Wahres dran,« meinte nachdenkend Herr Kindermann, »es wäre wirklich schade, wenn zwei Herrschaften, wie der Regent und die Prinzessin, ihr Leben so verbringen sollten. Haben Sie nie gedacht, Steppler,« sagte er nach einer längeren Pause, welche er dadurch ausgefüllt, daß er den Rest der Erdbeerbowle nachdenklich mit dem großen Löffel umgerührt, - »ist es Ihnen nie eingefallen, daß die beiden ein prächtiges Paar abgeben würden?«
»Wer hätte nicht schon daran gedacht!« entgegnete der andere, »und das ist ein vortrefflicher Gedanke. Dann gäbe es doch endlich einmal Ruhe im Schloß. Man könnte seine Tage in stiller Beschaulichkeit beschließen, wenn die verdrießlichen Geschichten hier einmal aufhörten. Aber wie kommen Sie auf die Idee?«
»Sie haben mich darauf gebracht,« erwiderte Herr Kindermann mit großer Wichtigkeit. »Freilich habe ich schon manchmal über das Benehmen der Prinzessin so meine Betrachtungen angestellt, und dann bestätigt das, was Sie mir eben sagten von der fieberhaften Heftigkeit, mit der Ihre Dame zuweilen meinem Herrn opponiert, meine Meinung; ebenso, daß sie häufig von ihm spricht, nach ihm blickt, sich mit ihm beschäftigt.«
»Das habe ich doch nicht gesagt?« fragte erschrocken Herr Steppler.
»Ja, Steppler, Sie haben das gesagt, und Ihr guter Geist sprach aus Ihnen. Sehen Sie, das ist eine großartige Idee, mit der ich mich schon lange getragen und die gelingen muß, wenn zwei Männer wie wir sie in die Hand nehmen. Sie werden Ihre Stellung so gut wie ich begreifen. Anmelden und den Tisch und die Garderobe besorgen kann jeder; aber kräftig ins Leben eingreifen, dazu gehören sichere Hände, und ich glaube, die haben wir, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube so,« antwortete Herr Steppler. Doch konnte er sich einer festen Hand nur im bildlichen Sinne rühmen, in der Wirklichkeit dagegen zitterte das Glas in seiner Rechten einigermaßen, wenn er es zum Munde führte. »Freilich erschreckt mich diese Idee, Kindermann, aber wenn ich mich an Ihren Gedanken gewöhne, so finde ich in der That nichts so absonderlich Befremdliches darin. Seine Hoheit der Regent aber?«
»Das sei meine Sorge,« entgegnete Herr Kindermann, »glauben Sie mir, er interessiert sich mehr für die Prinzessin als sich die ganze Welt träumen läßt.«
»Wirklich?« warf der andere mit einem fast heiteren Tone dazwischen.
»Gewiß, ich merke das aus vielem heraus. Wie oft steht Seine Hoheit entfernt von der Prinzessin, ist anscheinend in eifrigem Gespräch mit anderen begriffen, und findet doch Zeit genug, jeden Augenblick nach ihr hinüberzuschauen, alle ihre Bewegungen zu beobachten.«
»In der That, das ist mir auch schon vorgekommen,« gab Herr Steppler zur Antwort und wiegte dabei seinen Kopf auf und nieder, wie jemand, der einem angenehmen Gedanken nachhängt.
»Wäre es für uns nicht in jeder Hinsicht das beste, wenn da was zustande gebracht werden könnte?« meinte Herr Kindermann. »Ich setze den Fall, daß wir uns beide in unseren Meinungen nicht irren. Wie dankbar müßten solche Bemühungen überdies von den höchsten Herrschaften aufgenommen werden? Dazu gehört aber vor allen Dingen, daß man nicht sucht die kleinen Streitigkeiten zu vergrößern, die hie und da vorkommen, oder gar neue zu erfinden, und in dem Punkte müssen Sie sogar etwas Übriges thun, Herr Steppler.«
»Du lieber Gott, unsereins handelt nur nach Befehlen, das kann ich Sie versichern,« entgegnete der andere. »Wir wagen es wahrhaftig nie, eine eigene Meinung zu haben, noch viel weniger dieselbe durchzusetzen. Ja wir sind nicht Herr Kindermann,« setzte er mit einem pfiffig sein sollenden Lächeln hinzu.
Der Kammerdiener Seiner Hoheit, offenbar geschmeichelt durch diese Äußerung, machte ein spitzes Maul, wobei er sich verstohlen im Spiegel betrachtete. »Man thut wahrhaftig nur seine Schuldigkeit,« sagte er alsdann, »und wenn einem zufällig einmal etwas gelingt, so meinen die Leute, man habe Gott weiß welche Macht.«
Daß in diesem Augenblick der dienstthuende Lakai der Prinzessin ziemlich ohne Umstände eintrat, mußte seine Ursache haben, und so war es auch in der That. Er meldete aus respektvoller Entfernung mit flüsternder Stimme, daß die Prinzessin in Begleitung seiner Hoheit soeben aus den Appartements der verwitweten Frau Herzogin komme und daß sich die höchsten Herrschaften voraussichtlich nach ihren Gemächern verfügen würden. Herr Steppler erhob sich rasch von seinem Stuhle, schlürfte sein Glas hastig aus und machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung, als ihm Herr Kindermann nochmals einschenken wollte. Dann reichten sich die beiden würdigen Männer die Hände und der ausdrucksvolle Blick eines jeden sagte dem anderen, daß das Gespräch von vorhin nicht vergessen sei. In Gegenwart des Lakaien etwas hinzuzufügen, wäre nicht rätlich gewesen. Schon daß sich die beiden mächtigen Kammerdiener die Hände reichten, wurde einer vertrauten Kammerjungfer erzählt, die es denselben Abend noch zu den Ohren Ihrer Durchlaucht brachte, welche die Annäherung der beiden bisher sehr feindlichen Parteien wichtig genug fand, um einen Augenblick darüber nachzudenken. Ja, wenn wir unserer Geschichte vorgreifen dürften, so würden wir hinzufügen, daß die Prinzessin sehr bald an ihren Schreibtisch eilte, nachdem sie die vertrauliche Mitteilung von dem Einverständnis der beiden Kammerdiener erhalten. »Gut,« hatte Ihre Durchlaucht erwidert, »es ist am Ende gleichgültig - mich überrascht man nicht.« Aber dann hatte sie einen Brief gesiegelt, adressiert und befohlen, ihn sogleich zu dem Kammerherren Baron Wenden zu bringen. Es war zehn Uhr des Abends und die Prinzessin erwartete eine Entgegnung auf ihre Zeilen.
Herr Kindermann war, dem Rufe der Glocke folgend, kaum in die Appartements des Regenten getreten, als sich Herr von Fernow in dem Zimmer des Kammerdieners einfand. Da sich Seine Hoheit noch nicht zur Ruhe begab, sich vielmehr zum Lesen niedergesetzt hatte, so kehrte Herr Kindermann in wenigen Augenblicken zurück und war offenbar erstaunt, den Adjutanten zu so später Stunde und in Zivilkleidung anzutreffen.
»Verzeihen Sie, lieber Kindermann,« sagte der Major, indem er rasch auf den Eintretenden zuging, »daß ich störe. Aber Sie waren vor einiger Zeit so freundlich, mir zu sagen, ich solle mich bei vorkommenden, mir wichtig erscheinenden Umständen vertrauensvoll an Sie wenden. Ein solcher Augenblick ist nun gekommen, wo ich Ihres Rates, vielleicht auch Ihrer Hilfe bedarf.« Der Kammerdiener, offenbar geschmeichelt durch die freundliche Anrede des jungen Mannes, zeigte ein in der That angenehmes Lächeln und bat den Adjutanten, Platz zu nehmen. »Wenn Sie mir erlauben,« sagte dieser, »so ziehe ich vor, stehen zu bleiben. Ich habe eine Bitte an Sie und diese besteht darin, mir offenherzig zu sagen, ob es Ihnen möglich ist, mich noch bei Seiner Hoheit zu melden.«
Der Kammerdiener ließ einen bedenklichen Blick auf die Standuhr fallen und sein Gesicht bemühte sich, sehr ernsthaft auszusehen.
»Es ist nach zehn Uhr,« bemerkte er, »und müßten wir eine dringende Ursache haben, Seine Hoheit, die mir nicht besonders gut gelaunt scheinen, beim Lesen zu unterbrechen. Auch sieht der Herr, wie Sie selbst wissen, lieber Herr von Fernow, den schwarzen Frack nicht gern an seinen Adjutanten, sobald sie ihm eine Meldung oder dergleichen zu machen haben. Daß ich für Sie thun werde, was ich kann, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern. - Ohne unbescheiden fragen zu wollen,« setze er nach einer Pause mit einem schlauen Lächeln hinzu, »ist die Sache sehr dringend?«
»Das ist es ja gerade, was ich selbst nicht weiß,« erwiderte Herr von Fernow; »denn sonst könnte ich mich ja geradezu melden lassen. Sie wissen, wie sehr ich überzeugt bin, daß alles, was die Angelegenheiten Seiner Hoheit betrifft, in Ihren Händen vortrefflich aufgehoben ist. Daher nehme ich auch gar keinen Anstand, Ihnen mitzuteilen, was mich hierher führt. Ich kam vorhin in den Besitz dieser beiden Photographien,« damit zog er die Blätter heraus, »und gewisse sonderbare Umstände lassen mich vermuten, daß es Seiner Hoheit erwünscht sein werde, von dem Dasein dieser beiden Porträts, namentlich von dem einen, Kenntnis zu erhalten. Was meinen Sie, lieber Herr Kindermann?«
Der Kammerdiener hatte die beiden Blätter ergriffen und trat an die Lampe über dem Kamin, um sie zu betrachten. - »Baron Rigoll,« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen und schaute freundlich lächelnd auf den Adjutanten.
»Ich bitte, das andere zu betrachten,« versetzte Herr von Fernow.
»Richtig, das andere,« entgegnete der Kammerdiener und schob das Porträt des Oberstjägermeisters auf die Seite. Er beschaute das zweite Blatt längere Zeit, zuckte mit den Achseln und das Lächeln verschwand von seinen Zügen. Er wurde sogar sehr ernst, was, wie wir wissen, bei Herrn Kindermann nicht leicht vorkam. »Das ist freilich wichtiger,« sagte er nach einer Pause, »Herzog Alfred von D•. Alle Wetter, Herr von Fernow, wie kommen Sie zu dem Porträt?«
»Auf eine etwas umständliche Art, die ich mir morgen das Vergnügen machen werde Ihnen genau mitzuteilen.« Bei diesen Worten machte der Adjutant eine verbindliche Handbewegung, blickte aber zugleich auf die Standuhr über dem Kamin.
»Verstehe,« erwiderte Herr Kindermann geschmeidig. »Wenn etwas geschehen soll, muß es gleich geschehen. Sie geradezu einzuführen, scheint mir nicht passend. Ich muß manövrieren.«
»Wollen Sie dem Herrn Eau de Cologne aufgießen oder den Säbel klappern lassen?« meinte scherzend der Major.
»Alles hat seine Zeit. - Lassen Sie mich nur machen, Herr von Fernow, und glauben Sie mir, es war ein glücklicher Augenblick, der Sie in den Besitz dieses Porträts brachte. Glücklich für Sie, wenn auch nicht für andere,« setzte Kindermann hinzu, indem er kopfschüttelnd abging.
Der Kammerdiener machte ein siegreich lächelndes Gesicht, als er wieder eintrat. »Ich habe für Sie gewirkt, wie ich in den schönen Tagen that, wo Ihr Herr Vater, Gott hab ihn selig, auf dieser selben Stelle an den unbedeutenden Kindermann manch freundliches Wort spendete. Gehen Sie getrost zu Sr•Hoheit.«
»Sprachen Sie davon, was mich hierher geführt?« fragte Herr von Fernow.
Der Kammerdiener erhob seinen Kopf mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Würde, als er hierauf entgegnete: »Kindermann sollte in einem solchen Falle voreilig sein? Der Mitteilung eines Mannes, dem er wohl will, dadurch die Spitze abbrechen? O nein, das thut man nur in Fällen, wo es nötig erscheint, jemandem die Freude zu verderben. Vorkommen mag dergleichen freilich. Nein, ich meldete Seiner Hoheit, Sie hätten sich auf eine auffallende Art im Vorzimmer blicken lassen, es scheine mir, Sie hätten etwas auf dem Herzen, ohne gerade den Mut zu haben, eine Audienz zu verlangen. - Vor allen Dingen,« setzte er mit leiser Stimme, aber in vertraulichem Tone hinzu, »habe ich Seine Hoheit den Regenten neugierig gemacht.«
»Ob mir das helfen wird, mag Gott wissen,« antwortete Herr von Fernow im Abgehen; »vor allem aber meinen herzlichsten Dank.«
Herr Kindermann blieb einen Augenblick nachdenklich in der Mitte des Zimmers stehen, nahm bedächtig eine Prise aus der großen goldenen Dose und sprach dann zu sich selber: »Das ist ein junges dankbares Gemüt; er ist es wert, daß wir ihn protegieren.«
Im Kabinett des Regenten war es fast wie an jenem Abend, an welchem wir den Leser zum erstenmal dorthin führten. Im Kamin spielte ein leichtes Feuer, die schwere Bronzelampe war tief auf den Tisch herabgezogen, wie damals auch mit dem grünen Schirme bedeckt, nur schritt der Regent langsam im Zimmer auf und nieder, den Eintretenden erwartend.
Der junge Mann machte an der Thür eine tiefe Verbeugung, der Anrede Seiner Hoheit harrend.
»Ei, ei, mein lieber Fernow,« sagte der Fürst, »ich erfahre soeben durch Kindermann, daß Sie sich wie ein Gespenst nächtlicher Weile in meinem Vorzimmer sehen lassen. Den Himmel auch, was machen Sie um diese Stunde im Schlosse? Wenn das der Oberstjägermeister erfährt, so wird er seine Heirat so beschleunigen, daß Ihre besten Freunde nichts für Sie thun können.«
»Dürfte ich mir nach diesem gnädigen Empfange schmeicheln, daß Eure Hoheit selbst einigen Anteil an mir nehmen, so darf ich mir vielleicht erlauben, der Wahrheit gemäß zu sagen, daß ich in diesem Augenblicke nicht im Schlosse bin, um Seiner Exzellenz Anlaß zum Mißvergnügen zu geben. Es ist wahr, ich hielt mich im Vorzimmer auf, hoffend auf das Glück, das mir jetzt zuteil geworden - Eure Hoheit noch heute abend sehen zu dürfen.«
»In der That, Sie machen mich neugierig, lieber Fernow, aber ehe Sie mir mitteilen, was Sie hierher führt, erlauben Sie mir, meine Lampe aufsteigen zu lassen. Es ist ein unbehagliches Gefühl, so im Halbdunkel zusammen zu sprechen, für Sie wie für mich. - So.« Er hatte bei diesen Worten die Carcellampe vermittelst des Gegengewichtes ihrer Ketten an die Decke gehoben, wodurch das kleine Kabinett mit einem Male hell beleuchtet erschien, dann lehnte er sich gegen das Gesims des Kamins, blickte den jungen Mann wohlwollend an, und forderte ihn mit einer gefälligen Handbewegung zum Sprechen auf.
Nachdem Herr von Fernow um Entschuldigung gebeten, daß er ein wenig weit ausholen müsse, erzählte er von seinem abendlichen Spaziergang im Parke, von seinem Zusammentreffen mit dem Photographen und wie er durch diesen von jenen beiden Herren erfahren, die vor einigen Tagen auf so geheimnisvolle Art ihre Porträts machen ließen, und wie er aus der näheren Beschreibung ersehen, daß der eine Baron Rigoll gewesen. Nachdem der Fürst von Anfang an dieser Erzählung des jungen Mannes mit einigem Interesse gefolgt war, ohne gerade viel Spannung zu verraten, so richtete er sich bei der Erwähnung des Oberstjägermeisters in die Höhe, schlug die Arme übereinander und lauschte begieriger jedem Worte seines Adjutanten. Dieser berichtete hierauf in möglichster Kürze von seinem Aufenthalt auf der Schloßterrasse, von der Erscheinung des Herrn Krimpf, wie er denselben verfolgt und wie es ihm endlich gelungen, jene Blätter zu erhalten.
Mit steigendem Interesse hatte der Regent zugehört und zuweilen den Erzähler mit einem aufmunternden Zuruf unterbrochen. Als nun der Major in die Brusttasche griff und die beiden Blätter hervorholte, trat ihm der Regent rasch entgegen und nahm sie aus seiner Hand. Das Bild des Oberstjägermeisters warf er hastig bei Seite, als er jedoch das andere gegen das Licht hielt, entdeckte Herr von Fernow eine außerordentliche Umwandlung auf dem sonst so ruhigen Gesichte des Regenten. Die Züge waren starr und bleich geworden, als er die Photographie angeblickt, er biß die Lippen fest aufeinander und faßte mit der linken Hand nach dem Tische, freilich nicht, um sich daran zu halten, wohl aber um die Decke auf demselben in der geballten Faust zusammenzudrücken.
»Diese Photographien wurden also vor wenigen Tagen hier in der Stadt gemacht?« fragte der Regent mit bewegter Stimme.
»Vor vier Tagen.«
»Und nicht etwa nach Bildern,« fuhr er fort, »sondern beide nach den lebendigen Originalen?«
»Beide, Eure Hoheit,« entgegnete ruhig der Adjutant. »Ich sah selbst den anderen Herrn.«
»Wo sahen Sie ihn? Wo? Warum machten Sie mir keine Meldung darüber?«
»Weil ich ihn nicht kannte, und er mir einfach als Graf Hohenberg vorgestellt wurde.«
»Graf Hohenberg? Das ist ein Inkognito zur Unzeit, kein ritterliches! Und wo sahen Sie ihn?« forschte der Regent mit steigender Heftigkeit.
»Im Hause des Baron Wenden, wo er seine Exzellenz den Herrn Oberstjägermeister suchte.«
»Ah diese Rigoll und Wenden!« rief der Regent nicht nur zornig aufgeregt, sondern es lag zugleich etwas tief Schmerzliches im Blicke seiner Augen, ja selbst im Tone der Stimme. Es war ein Moment, wo der sonst so ruhige und feste Mann vergaß, daß er nicht allein in seinem Kabinett war. Doch eine Sekunde genügte, um ihn an die Gegenwart des anderen zu erinnern. Er legte einen Augenblick die Hand an die Stirn, fuhr sich über das Gesicht herab, und sagte nach einem fast mühsamen Atemzuge: »Sie sind erstaunt, mein lieber Fernow, daß das Porträt einen so tiefen Eindruck auf mich macht. Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo ich Ihnen das erklären kann, denn ich vertraue Ihnen, wie wenigen. Vielleicht -« wiederholte er mit einem bittern Lächeln. »Um Ihnen aber einen Beweis zu geben, wie sehr ich Ihnen vertraue und da ich es für nötig halte, Sie au fait zu setzen, will ich mich bemühen, Ihnen mit wenigen Worten zu sagen, in welchem Zusammenhange dieser Mann da mit mir, das heißt mit unserer Familie steht. Es ist der Herzog Alfred von D•,« sagte er und fügte, die Photographien nochmals betrachtend, hinzu: »Er hat sich alt gemacht, der Herzog, recht alt.« Dann warf der Regent einen Blick in den Spiegel und fuhr fort: »Der Herzog projektierte schon vor einigen Jahren eine Verbindung mit meiner Cousine, der Prinzessin Elise. Das war also noch zu Lebzeiten des seligen Herzogs. Die Prinzessin schlug die Partie aus und - - bereute ihre Weigerung später, wie sie mir nachher, - freilich im Momenten des Zorns und der Aufregung - wiederholt versicherte.« - Auch diesen Satz sprach der Regent wieder, wie mit sich selbst redend. »Darauf machte der Herzog seine großen Reisen und jetzt, da er zurückgekehrt ist, scheint er, oder - - jemand anders, diese Verbindung knüpfen zu wollen - ja jemand anders,« fuhr er heftiger fort, »nicht aus Liebe, das glaube und hoffe ich nicht, aber aus Trotz und Widerspruchsgeist, unterstützt von den Ratschlägen des Herrn Wenden, Rigoll und Konsorten. Ich werde aber Gelegenheit finden, ein Wort mit ihnen zu reden.«
Damit schleuderte der Fürst die Photographie auf den Tisch und schritt im Kabinett auf und ab, bis er plötzlich vor dem Adjutanten stehen blieb, ihm die Hand auf die Schulter legte, und mit einem so weichen Tone sagte, wie der junge Mann ihn nie von ihm gehört:
»Mein lieber Fernow, man sagt, ich sei kalt, verschlossen, ernsthaft, ja finster. Es ist wahr, es ist so meine Art, doch glauben Sie mir, ich kann auch fühlen, tief und schmerzlich fühlen.« Er wandte sich rasch um, stellte sich wieder an den Kamin, und lehnte seinen Kopf leicht gegen die Wand.
Es herrschte einen Augenblick eine so tiefe Stille in dem Kabinett, daß man aufs deutlichste nicht nur den klingenden Schlag der Standuhr vernahm, sondern daß der Adjutant auch das leichte Rauschen eines Vorhangs im Nebenzimmer zu hören glaubte. Es war in dem Zimmer, welches an das des Herrn Kindermann stieß.
»Wenn die Prinzessin sich verheiraten will,« fuhr der Regent nach einigen Sekunden fort, »wenn sie sich, wie gesagt, vermählen will und die Partie ist passend, wie die mit dem Herzog Alfred, warum denn diese heimlichen Wege? Warum mir, dem Regenten, dem Chef des Hauses nicht geradezu sagen: das sind meine Ansichten, meine Wünsche. Bei Gott, wenn es denn einmal sein muß, so hätte ich die Annäherung doch viel ehrenhafter, ja anständiger herbeigeführt, als diese Herren Wenden und Rigoll; was meinen Sie, Fernow?«
Der junge Mann hatte einen tiefen Blick in das Innere des Herzogs gethan und es war ihm klar geworden, was sich der Regent vielleicht selbst nur ungern eingestehen mochte: der Fürst liebte die Prinzessin; nicht wie der junge Mensch, wie er selbst liebte, leidenschaftlich sprudelnd, aber herzlich und innig, und das feste Gemüt des Fürsten verschloß diese Regung vor aller Welt, seine Liebe allein fühlend, die Leiden derselben allein tragend. Der Adjutant war in Träumereien versunken über die seltsamen Geschicke des Menschen und fuhr fast zusammen, als ihm der Regent jene Frage vorlegte. Glücklicherweise hatte er die Worte, welche der Frage vorausgingen, verstanden und er antwortete: »Darüber kann kein Zweifel herrschen. Doch wenn mir Eure Hoheit eine ganz ergebene Bemerkung erlauben, so hatten Sie vor einiger Zeit die Gnade, mir etwas über den Charakter Ihrer Durchlaucht mitzuteilen, was mir auf den vorliegenden Fall außerordentlich passend erscheint.«
»Lassen Sie hören,« sprach der Regent.
»Eure Hoheit sagten damals, daß die Prinzessin mit seltenen Eigenschaften des Geistes und Herzens, die wir ja alle an der hohen Dame kennen und verehren, eine außerordentliche Lust zur Intrigue verbinden, daß es ihr nicht möglich sei, einer Sache, für die sie sich interessiere, ihren gewöhnlichen Lauf zu lassen, daß es Ihrer Durchlaucht das größte Vergnügen mache, Minen und Gegenminen springen zu lassen, um zu irgend einem Resultat zu kommen, das sie vielleicht auf geradem Wege leichter erreichen könne.«
»Und ich bestätige meine Worte von damals,« antwortete der Regent, »ich sprach soeben noch das Gleiche aus. Aber er verletzt mich tief, dieser Mangel an Vertrauen, ja, er thut mir unendli
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