Friedrich Wilhelm Hackländer
Der Augenblick des Glücks
Kapitel 6
eingestellt: 15.7.2007»Ich weiß das, ich weiß das,« sagte ungeduldig der Kammerherr.
»In Erinnerung an ein schönes und liebenswürdiges Mädchen, das es ebenso machte.«
»Meinetwegen.«
»Also ich verließ dich nach deinem famosen Diner und machte, meine Zigarre rauchend, einen Spaziergang. Ich ging in den Schloßgarten und auf die Terrasse, die dir wohl bekannt ist, und fand dort einen jungen Mann, mit welchem ich mich über Leuchtkäfer unterhielt.«
»So, über Leuchtkäfer?«
»Ja, auch noch über andere Sachen. Dann spazierte ich nach der Stadt zurück, ging durch das Schloß und erfreute mich auf der großen Terrasse an dem Duft der Orangen.«
»Das war ein harmloses Vergnügen. Nebenbei hast du wohl an den Fenstern des Schlosses hinaufgeblickt?«
»Das that ich auch, was mich aber hauptsächlich interessierte, war eine Unterredung von zwei Personen, die ich dort ganz zufällig hörte.«
»Wer waren die Personen?« fragte aufmerksam der Kammerherr.
»Vorderhand müssen sie unbekannt bleiben,« fuhr der Major fort; »vielleicht entwickelt sich ihr Charakter im Laufe meiner Erzählung.«
»Du sahst sie also im Laufe des heutigen Abends wieder?«
»Ja, ich folgte dem einen durch mehrere Straßen, schloß mich ihm an und soupierte freundschaftlich mit ihm.«
»Also jemand aus der Gesellschaft?«
»Das weniger, es war ein Künstler, und da ich von jeher die Kunst protegierte, so nahm ich mich des jungen Mannes recht innig an, und wir tauschten Ideen und sonst noch allerlei miteinander.«
»Das hätt ich hören mögen,« meinte Herr von Wenden mit einem fast verächtlichen Zucken der Mundwinkel.
»Gerade für dich,« sagte Herr von Fernow, der sich stellte, als nehme er die Antwort seines Freundes für vollkommen ernst, »wäre das sehr interessant gewesen; der junge Künstler nämlich sprach auch von dir.«
»So, so? Ich habe ihn vielleicht irgendwo einmal protegiert,« warf der Kammerherr leicht hin.
Jetzt war die Reihe an dem Adjutanten, auf eine sonderbare Art zu lächeln, was er denn auch nicht unterließ, indem er fortfuhr: »Diesmal irrst du dich, lieber Wenden, der junge Mann ist vielmehr im Begriff, dich zu protegieren.«
»Du bist sehr spaßhaft aufgelegt.«
»Im Gegenteil, aber du bist ein verfluchter Kerl.«
»He?«
»Deine Intriguen bei Hofe lassen dir noch vollkommen Zeit, dich um deine Nachbarschaft zu bekümmern,« fuhr der Adjutant nach einer Pause fort, während welcher er mit der größten Ruhe die Asche von seiner Zigarre stieß; »du setzest Herzen in Brand, du machst Unglückliche, du schmachtest und läßt schmachten.«
So überraschend es auch für den Kammerherr war, zu erfahren, daß Herr von Fernow um seine Fensterbeobachtungen wußte, so schmeichelte es ihm doch wieder, für einen Unwiderstehlichen gehalten zu werden. Er spitzte den Mund auf die uns bekannte wohlgefällige Art, und um diesen Ausdruck des Behagens sehen zu lassen, tauchte er auf einen Augenblick aus seinem Schatten hervor.
»Ich sehe, daß mein Berichterstatter recht hat,« sagte der Major; »Wenden, Wenden, das soll ein außerordentlich schönes und reizendes Mädchen sein!«
»Ja, sie ist schön,« versetzte der Kammerherr mit weicher Stimme; und als er dabei die Augen schmachtend gegen das Fenster verdrehte, sah er aus wie ein vollendeter Geck.
»Aber du hast noch wenig Fortschritte gemacht?« fragte anscheinend gleichgültig der junge Offizier.
»Es ist unendlich schwer, ihr beizukommen,« erwiderte der Kammerherr mit einem leichten Seufzer; »und dann weißt du auch so gut wie ich, daß ich krank bin, mein Zimmer nicht verlassen darf.«
»Aber vorderhand brieflich - «
»Du hast gut reden,« entgegnete lebhaft Herr von Wenden. »Soll ich das Mädchen durch einen von meinen Eseln kompromittieren? Ach, ich liebe das nicht. Du kennst mich in dem Punkte besser.«
»Mein Bekannter, mit dem ich soupiert,« sagte Herr von Fernow, wie ohne Absicht, »wohnt in dem gleichen Hause mit dem Mädchen, hat sogar Zutritt in ihre Wohnung.«
»Ein Liebhaber?« fragte fast eifersüchtig der andere.
»Im Gegenteil, lieber Wenden; ein junger, verständiger Mann, der es vollkommen begreiflich findet, daß ein hübsches Mädchen, wie jenes ist, an einem jungen Mann, wie du bist, verzeih mir die verdeckte Schmeichelei, Wohlgefallen findet. Ein junger Mann, der in der Welt etwas gesehen hat und - «
»Und?« wiederholte Herr von Wenden sehr aufmerksam.
»Und der für mich alles unternehmen würde. Doch davon später. Vorderhand muß ich dir weiter referieren. Nach den Ideen tauschten wir reellere Dinge miteinander aus, Dinge, in deren Besitz der junge Mann zufällig geraten!«
»Werden für mich gleichgültig sein,« meinte der Kammerherr, der mit seinen Gedanken offenbar bei seiner schönen Nachbarin war.
Der Adjutant hatte unterdessen ruhig seine Zigarre auf den Tisch gelegt, seinen schwarzen Frack geöffnet und zog aus der Brusttasche ein viereckiges Papier hervor, das er behutsam öffnete. Um dies aber zu können, da der Tisch voller Zeitungen und Papiere lag, mußte er diese beiseite schieben und verrückte dabei die Lampe, gewiß ohne Absicht, aber so, daß nun er im Schatten saß und auf den anderen das volle Licht fiel. Der Kammerherr hatte dem Öffnen des Papiers zugesehen, wie jemand, dem eine Sache vollkommen gleichgültig ist. Als der Major aber äußerst langsam das Umhüllungspapier entfernt hatte, und der andere eine Photographie erblickte, da war die Wirkung des Anblicks dieser Photographie auf ihn wahrhaft überraschend, fast erschreckend. Seine süßen Augen, die er in Gedanken an die kleine vorhabende Schwärmerei machte, verwandelten sich mit einemmale und blickten so starr auf das Blatt, als sähen sie ein Gespenst. Dabei stützte er die Hände auf den Tisch und erhob sich schnell aus seinem Fauteuil, ohne seine Augen von dem Porträt des Grafen Hohenberg wegzubringen - »Fernow?« rief er nach einer drückenden Pause, »woher hast du dies Blatt, was soll das bedeuten?«
So gut auch der Major das plötzliche Erschrecken seines Freundes bemerkte, so that er doch gerade, als beschäftige er sich mit dem Wiederanzünden seiner Zigarre, und erst als er den lauten Ausruf des anderen vernahm, blickte er ihn wie erstaunt an und antwortete lebhaft:
»Was brauchst du zu erschrecken? Ist das nicht das Porträt eines Herrn, den ich bei dir gesehen? Des - - Grafen Hohenberg?«
Wenden sah, daß er sich einigermaßen verraten und suchte dies wieder gut zu machen, indem er mit affektierter Gleichgültigkeit auf das Blatt blickte. Auch sagte er mit etwas verlegener Stimme: »Du hast recht, es ist Graf Hohenberg. Aber was du soeben von meinem Erschrecken sagtest, dazu sehe ich eigentlich keinen Grund. Ich kenne diesen Herrn wohl ebensowenig, wie du selbst und interessiere mich durchaus nicht für ihn.«
Er hatte bei diesen Worten das Blatt wirklich in die Hand genommen, doch zuckten seine Finger, so erregt war er, und er konnte sich nicht enthalten, über das Papier hinüber einen flüchtigen Blick auf seinen Freund zu werfen.
»Es wäre in der That besser,« sagte dieser, »wenn du mir offenherzig geständest, daß dieser Herr sowohl für dich, wie für mich und auch noch für eine dritte hohe Person interessant, außerordentlich interessant ist. Du wirst im Verlauf meines Referats derselben Ansicht werden.«
»So bist du noch nicht zu Ende?« fragte der Kammerherr fast ängstlich.
»O nein, jetzt kommt das Beste; und das soll dir zugleich einen Beweis geben, wie offenherzig ich gegen dich bin. Nach unserem Souper, nachdem ich diese Photographie erhalten, begab ich mich zu Seiner Hoheit, dem Regenten.«
»Ah!« rief wirklich erschrocken der andere, »und er ließ dich vor in später Nacht? - Fernow, du hast den Augenblick des Glücks wohl zu benutzen verstanden.«
»Ich glaube so,« entgegnete dieser, und setzte mit Beziehung hinzu: »Für mich und meine Freunde. - Ich war also beim Regenten,« sagte er in leichterem Tone.
»Und der Regent?« fragte fast atemlos der Kammerherr.
»Der Regent war beim Anblicke dieser Photographie augenblicklich überrascht. Doch du weißt so gut wie ich, er läßt sich von seinen Überraschungen nicht bemeistern, faßte sich auch augenblicklich wieder, dankte mir für meine Nachricht, und sprach: Gehen Sie sogleich zu Baron Wenden, das ist ein Mann, dem etwas an unserer Gunst gelegen ist, und der Ihnen in dieser Sache Aufklärung geben kann und wird. - Verstehst du das?«
Der Kammerherr war bei dieser Rede seines Freundes in seinen Fauteuil zurückgefallen, aber bei den letzten Worten mit allen Zeichen der Überraschung und des Schreckens wieder in die Höhe geschnellt.
»Fernow!« rief er mit zitternder Stimme, »du bist mein Freund. Sei ehrlich und wahr gegen mich. Bin ich verloren oder bin ich es nicht?«
»Du? - verloren?« entgegnete der Adjutant verwundert, »glaubst du denn, daß ich mich herbeiließe, dich auf so etwas vorzubereiten? Und daß meine Vorbereitungen darin bestünden, von deinen Liebschaften zu sprechen? O Wenden, du kennst mich sehr schlecht. Vom Verlorensein ist gar nicht die Rede. Im Gegenteil, ich glaube dir fast mit Bestimmtheit versichern zu können, daß du berechtigt bist, diesen Moment einen Augenblick des Glücks zu nennen, - wenn - «
»Wenn! Ah! ich verstehe dieses Wenn, und Gott sei gedankt, wenn ich es recht verstehe. Wenn Seine Hoheit die außerordentliche Gnade hat, dem gänzlich mit Netzen umgebenen Wilde einen ehrenden Rückzug zu gewähren, dem geschlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen - «
»Diese Brücke,« sprach jetzt sehr ernst der Adjutant, »wird in der That sehr golden sein, wenn ihre Pfeiler Wahrheit und Aufrichtigkeit heißen.«
Trotz der gewissermaßen peinlichen Situation, in welcher sich Herr von Wenden befand, zuckte es doch wie ein Gefühl des Triumphes durch sein Herz, da er an den Brief der Prinzessin dachte, und bei sich überlegte, daß die Aufklärungen, die er im Begriff war, dem Regenten für das Versprechen seiner Gunst zu verkaufen, schon durch die nicht zu verachtende Dankbarkeit der Prinzessin im voraus bezahlt waren, - also in der That zwei Fliegen mit einem Schlage.
Der Kammerherr warf sich in die Brust, und sein Gesicht nahm einen halb wehmütigen Ausdruck an, als er, die linke Hand auf den Tisch gestützt, nach einiger Überlegung sagte:
»So will ich mich denn ohne Rückhalt der Gnade Seiner Hoheit anvertrauen, und das wirst du nicht vergessen, lieber Fernow, bei dem Regenten hervorzuheben. Ich bitte dich, ihm zu sagen, daß ich aus freiem Willen, ohne Furcht vor dem Zorne einer anderen hohen Person - der nicht ausbleiben wird,« setzte er mit einem Seufzer der Falschheit hinzu, - »alles sagen will, was ich weiß.«
Nun erzählte er in der That, was er von der Anwesenheit des Herzogs Alfred von D• durch den Baron Rigoll erfahren, und sagte eher zu viel, als zu wenig. Denn er schmückte aus, wo es ihm notwendig erschien, und wenn sich der Adjutant am Schluß ein Resümee dieses Berichtes machte, so stand der Kammerherr Baron Wenden wahrhaftig in der Glorie eines treuen Dieners des Regenten da, der mit seinem ganzen Einfluß bei der Prinzessin danach gestrebt, diese nicht gern gesehene Verbindung zu hindern. Als er geendigt, machte er mit beiden Händen eine Bewegung, als wollte er sagen: »Nun bin ich fertig, nicht nur mit dieser meiner Erzählung, sondern auch für diese Welt. Ich habe mich in die Hände meiner Feinde gegeben, da steh ich, ein entlaubter Stamm, der keine Blätter mehr treiben wird, wenn Seiner Hoheit Gnadensonne nicht wieder wohlthätig auf ihn wirkt.«
Herr von Fernow hatte bei der Erzählung seines Freundes nicht im geringsten ein erstauntes Gefühl gezeigt. Wenn ihm auch manches neu war, so hatte er doch den Hauptfaden durch die Worte des Regenten erhalten. Nur eins wünschte er noch aus dem Munde des Kammerherrn zu erfahren, weshalb er sprach: »Setze deiner Aufrichtigkeit die Krone auf, lieber Freund, und sage mir, ob Baron Rigoll der Hauptagent bei eurer Verheiratungskomödie gewesen.«
»Diese Frage könnte mich fast beleidigen,« entgegnete Herr von Wenden mit einem empfindlichen Blick. »Wo ich handle, pflege ich ziemlich selbständig zu handeln. Daß Seine Exzellenz allerdings seine Dienste der Prinzessin ebenfalls mit Wärme gewidmet, findest du begreiflich.«
»Gewiß sehr begreiflich,« versetzte Herr von Fernow nicht ohne Bitterkeit, »für einen so großen Lohn kann man schon etwas riskieren. Aber unsere Dienstgeschäfte sind hiermit zu Ende. Lieber Wenden, du hast das Vertrauen, welches der Regent in dich setzte, glänzend gerechtfertigt. Du wirst aber erstaunen, wenn ich dir sage, daß derselbe bereits von der ganzen Geschichte unterrichtet war, und nur wissen wollte, wie weit du in deinem, verzeih mir den Ausdruck, blinden Eifer gehen würdest, der Prinzessin hinter seinem Rücken zu dienen.«
»Nicht weiter, als ein Mann von Ehre gehen darf, um den Wünschen einer hohen Dame gerecht zu werden und doch nicht gegen den Gehorsam zu verstoßen, den er seinem Landesherrn schuldig ist.«
Das sagte Herr von Wenden mit außerordentlicher Wichtigkeit und nahm dabei die Attitude eines Volksredners an. Er schob die rechte Hand unter seinen seidenen Schlafrock auf die Brust, aber nur einen Augenblick; dann zog er sie wieder hervor und fuhr mit einer gefälligen Bewegung fort: »Von diesen meinen vollkommen guten Gesinnungen gegen den Regenten werde ich mir erlauben, dich schwarz auf weiß zu überzeugen. Sieh hierher.«
Damit ging er an den Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier, das er dem Adjutanten hinhielt. Es war das Konzept eines Schreibens an den Regenten, worin er denselben zur Mitteilung eines wichtigen Geheimnisses um eine Audienz bat. Herr von Fernow durchflog das Papier und blickte fast zweifelnd zu dem Kammerherrn empor.
»In der That,« sagte er dann, »diese Zeilen kann man auf eine freundschaftliche Art für dich benutzen und ich werde es thun. Vor der Hand aber,« setzte er lächelnd hinzu, »erlaube mir, dir bestens zu gratulieren, daß deine Gesundheit so plötzlich wieder hergestellt ist. Seine Hoheit wünscht morgen früh beim Rapport von dir selbst zu erfahren, ob dein Leiden ein bedeutendes gewesen oder nicht.«
Dem Kammerherrn entfuhr fast ein leichter Seufzer, als er vernahm, daß sein Zimmerarrest nun aufgehört habe. Nicht als ob ihm dies unangenehm gewesen wäre, aber er sah aus der Art und Weise seines heutigen Gesprächs mit Fernow, wie sehr dieser beim Herzog in Gunst stehen mußte, und fühlte dabei neidisch, wie richtig seine Theorie vom Augenblick des Glücks gewesen.
Als beide damals vor dem großen Blumenstrauß gestanden, da hatte beide das Glück umschwebt; und es lächelte dem, der es richtig erfaßte. Und dies war Fernow gewesen. Hätte er selbst in diesem Augenblick sich statt links zur Prinzessin, nach rechts zum Herzog gewandt, so war die Sache umgekehrt, und er hatte vielleicht einen Gesandtschaftsposten in der Tasche. Ja, das Glück ist launenhaft: es hilft nicht, nur den rechten Augenblick zu begreifen, man muß ihn auch auf die richtige Art ergreifen.
»Es scheint mir, deine Genesung macht dir kein besonderes Vergnügen,« sagte Herr von Fernow, als er bemerkte, wie der Kammerherr in tiefen Gedanken versunken vor ihm stand. - »Den Teufel auch, ich glaube fast, die Liebe zu deiner kleinen Nachbarin ist dir tief ins Herz gegangen, und es thut dir leid, keinen Vorwand mehr zu haben, um den ganzen Tag am Fenster zu stehen.«
»Meinst du in der That?« fragte Herr von Wenden; doch war es ihm nicht unlieb, daß sein Freund der Ansicht war, der Zimmerarrest habe ihn in der That nicht so geschmerzt, als dies in Wirklichkeit der Fall war. Auch hatte es der eitle Kammerherr von jeher geliebt, für einen unerbittlichen Eroberer zu gelten, obgleich seine Eroberungen selten Eroberungen zu nennen waren. Er machte einen vergnüglich gespitzten Mund, strich mit der linken Hand über das glatte Haar und lächelte zu dem anderen Fenster hinüber, wobei er einen leichten Seufzer affektierte. »Du hast wahrhaftig nicht ganz unrecht,« meinte er, »und wenn du das schöne Mädchen kenntest, so würdest du begreifen, daß es sich um sie wohl einer außerordentlichen Mühe verlohnt.«
»So gib dir außerordentliche Mühe,« entgegnete Herr von Fernow, indem er seine Uhr herauszog und alsdann lebhaft ausrief: »Was? fast Mitternacht! - Von morgen an,« fuhr er in gewöhnlichem Tone fort, »hast du vollkommen Zeit und kannst eine weitere Parallele vorschieben, um deine schöne Festung einzunehmen. Wenn ich dir dabei dienen kann, so weißt du, ich thue für einen Freund alles. - Apropos, sagte ich dir schon, daß jener junge Mann, mit dem ich soupiert, in der Wohnung deiner Angebeteten Zutritt hat?«
»Allerdings sprachst du davon.«
»Und auch, daß er sich mir verpflichtet fühlt, und mit Vergnügen bereit sei, mir und in diesem Falle auch dir zu dienen?«
»Ich glaube, du sagtest so, und dann?«
»Und dann? - Das ist doch eine kuriose Frage für einen Kammerherren in den Zwanzigen, der sich doch auch schon in der Welt umgesehen.«
»Du meinst also,« sagte zweifelnd Herr von Wenden, »ich soll - «
»Ihr schreiben. Das ist doch ganz natürlich. Wenige Worte, aber fest.«
»Daß ich sie liebe?«
»Andeutend, ja, aber nicht zu extravagant; du bittest vielmehr ganz bescheiden, sie besuchen zu dürfen. Du schreibst in der Art, daß wenn deine Zeilen der Mutter in die Hände fallen, sie sagen muß, das ist ein bescheidener, anständiger junger Herr und wenn der unser Haus besucht, so wird das meiner Tochter keinen Schaden bringen.«
»Du hast Routine in solchen Billets?« fragte lauernd Herr von Wenden.
»Im Gegenteil,« entgegnete Herr von Fernow; »überhaupt weißt du mit der Feder besser umzugehen als ich. Mir scheint aber fast, du fürchtest dich durch dein Schreiben zu kompromittieren. Wenn du das glaubst, so lassen wir die Sache fallen. Ich habe dir nur meine Bereitwilligkeit zeigen wollen.«
Damit stand er auf und nahm seinen Paletot, den er bei der Ankunft auf ein Sofa geworfen.
»Und du glaubst, daß dein junger Mann sicher ist?«
»Er wird es sicher übergeben, daran zweifle ich nicht.«
»Und wann?«
»Morgen, wenn es dir genehm ist.«
Das sagte Herr von Fernow, wie gelangweilt, in einem fast schläfrigen Tone, wobei er gewaltig gähnte.
»Dann werde ich zwei Zeilen schreiben.«
»Wie du willst.«
Der Kammerherr setzte sich an den Schreibtisch, kaute einen Augenblick an der Fahne seiner Feder, und als dieselbe nun hastig über das Papier zu fliegen begann, zündete sich der Major zum Nachhausegehen eine neue Zigarre an und knöpfte Paletot und Handschuhe zu.
»So,« sprach Herr von Wenden, »kurz und gut. Soll ich es dir vorlesen?«
Der Major nickte mit dem Kopfe und stellte sich neben den Schreibtisch.
»Verehrtes Fräulein! Seit längerer Zeit bin ich so glücklich, Sie an Ihrem Fenster zu sehen, würde aber beneidenswert sein, wenn es mir erlaubt wäre, Ihnen ein freundliches Wort sagen zu dürfen. Sind Sie so gut wie schön, so darf auf eine Antwort hoffen Ihr ganz ergebener Verehrer.«
»Und weiter?«
»Weiter nichts!« antwortete der Kammerherr.
»Keine Unterschrift?«
»Meinst du vielleicht, ich sollte irgend einen Buchstaben hinsetzen?«
»Du gefällst mir mit deinen anonymen Liebesbriefen. In solchen Fällen, wie der vorliegende, tritt man nicht im geheimen auf, sondern sehr öffentlich und unterschreibt mit seinem ganzen Namen.«
»O, du spaßest!«
»Nicht im geringsten. Aber du besitzest eine gewaltige Einbildungskraft! Da soll ein anständiges Mädchen, - denn für das halte ich sie nach deinen Beschreibungen - auf einen Wisch antworten, der keine Unterschrift hat! Nein, nein! Entweder laß die ganze Geschichte fallen oder gib deinen ganzen Namen: Baron Eduard von Wenden.«
»Das ist am Ende kompromittierend,« sagte der Kammerherr, »doch wenn du meinst,« fuhr er fort, als er sah, wie der Offizier ungeduldig die Achseln zuckte, »soll es mir auch darauf nicht ankommen.«
Er unterschrieb mit einem raschen Federzuge.
»Jetzt hoffe ich, bist du zufrieden: Baron Eduard von Wenden. - Es ist mein ehrlicher Name, es ist meine ganze Zukunft, die ich in Ihre Hände lege.«
»Dein Citat ist falsch, lieber Freund,« sagte der Major, indem er das Billet, nachdem es versiegelt war, einsteckte. »Ich bin nicht der Sekretär Wurmb, du aber noch viel weniger die unschuldige Luise. - Nun, behüte dich Gott. Morgen sehen wir uns wieder.«
»Ja, bei Philippi!« entgegnete der Kammerherr mit Pathos. Er begleitete den Freund an die Thür und fragte beim Weggehen desselben fast schüchtern: »Und bekomme ich auf mein Billet eine Antwort?«
»Hoffentlich ja, und zu gleicher Zeit eine Einladung,« versetzte Fernow lachend, »zu einem Augenblick des Glücks.«
Fünfzehntes Kapitel.
Keine Rose ohne Dornen.
Die Appartements Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise stießen, wie wir bereits in einem früheren Kapitel erfahren, an den großen Empfangs-, Tanz- und Speisesaal des Schlosses und waren nur durch ein kleines Entree, sowie durch ein paar Vorzimmer von letzterem getrennt. Eigentlich wäre dies die Wohnung der regierenden Herzogin gewesen, doch hatte es der hochselige Herr vorgezogen, den rückwärts gelegenen stilleren Schloßflügel zu bewohnen und so die Prinzessin in einem Rechte belassen, das sie sich selbst angemaßt. Wenn man alles genau betrachtete, so war sie, was das innere Leben und Treiben des Hofes anbelangte, die eigentliche Herrscherin. Mit wenigen Ausnahmen ließ ihr der Regent das Vergnügen, die Einladungen zu den Diners zu bestimmen, und selbst wenn solche Ausnahmen eintraten, wußte sie immer auf eine feine Art die einen oder anderen ihrer Lieblinge, die vielleicht vergessen worden waren, noch nachträglich befehlen zu lassen.
Da der Regent ihren klaren und scharfen Verstand anerkannte, auch ihr Urteil hochschätzte, so gab er nicht selten große Audienzen an fremde Gesandte und dergleichen in ihren Zimmern und konnte alsdann vielleicht lächelnd zuschauen, wie sie durch ihre pikanten Fragen oder ihre gewandten Bewegungen in jeder Beziehung den Vortritt nahm und er selbst wie die zweite Person neben ihr erschien. Die Herzogin, welche in früheren Zeiten fast den ganzen Tag bei der Prinzessin zubrachte, verließ jetzt ihre Appartements nicht mehr, und daher kam es, daß die der Prinzessin im gegenwärtigen Augenblicke weniger lebhaft als sonst waren, weil diese jetzt meistens im anderen Schloßflügel bei ihrer Schwester war. Wenn man die Gemächer durchschritt, welche die Prinzessin bewohnte, so begriff man wohl, daß jeder gerne darin verweilte. Hier war jedes Zimmer, jedes Kabinett aufs vortrefflichste benutzt und dabei mit einem Kunstsinne, einem Geschmack arrangiert, der die Einrichtung ebenso fern von Überladung, wie von ungebührlicher Einfachheit hielt.
Die Herzogin liebte ihre Schwester außerordentlich, und der regierende Herr hatte ein verhätscheltes Kind aus ihr gemacht. Wo sich nur ein Kunstwerk, sei es ein Bild, sei es eine kleine Statue, sei es eine reiche Bronzearbeit, für die Zimmer einer Dame passend, zeigte, da wurde dasselbe für die Prinzessin Elise bestimmt, und die Herzogin trat ihr dergleichen Spielereien, wie sie es nannte, um so bereitwilliger ab, da ihr Sinn das Einfache liebte und deshalb ihre Zimmer auch so bescheiden möbliert waren, wie man sie kaum bei einem wohlhabenden Privatmanne findet.
Das Vorzimmer der Prinzessin neben dem Speisesaal kennen wir bereits. Über demselben befand sich ein ähnliches, das an einen Salon stieß, wo Ihre Durchlaucht die kleineren Gesellschaften zu versammeln pflegte. Vergoldete Möbel waren hier freilich nicht zu finden; dagegen waren Sessel und Fauteuils von Palisanderholz, alle reich geschnitzt, und nach Zeichnungen von guten Künstlern angefertigt. In den Ecken befanden sich Blumenpartien und kleine Marmorstatuetten und an den Wänden Bilder. Dieser Salon hatte ein einziges großes Fenster, aus einer einzigen riesenhaften Scheibe bestehend, welche durch einen sinnreichen Mechanismus vermittelst des leichten Druckes auf eine Feder in den Boden versank. Vor diesem Fenster befand sich ein Altan, mit einem weißen Marmorbrunnen, der seine klaren Strahlen hoch hinauf sprühte, und dieser Altan selbst war durch Schlingpflanzen, die sich zwischen Orangen- und Citronenbäumen empor wanden, zu einer prachtvollen Laube umgewandelt, die an warmen Tagen einen entzückenden Aufenthalt bot.
An diesen Salon stieß ein kleines Speisezimmer, dessen Wände mit geschliffenem Eichenholze bedeckt waren, worin die Unterscheidungen und Abteilungen der Felder aus ciselierter Bronze bestanden. Aus demselben Metall befand sich auch ein prachtvoller Lüster über dem einzigen runden Tische, der Platz für acht Personen bot. Eine größere Anzahl lud die Prinzessin nie zu ihren kleinen Diners. Die Thüre war ebenfalls aus Eichenholz aufs zierlichste geschnitzt, ebenso wie das Büffett, auf dem sich seltene Majoliken und alte reiche Krystallgefäße befanden. Die beiden Fenster dieses Zimmers hatten Vorhänge aus dunkel violettem Samt, welche Stoffe man auch auf den Sesseln und Stühlen sah. Die langen Felder auf der Wand waren dekoriert mit in Bronze ausgeführten Wildbret- und Geflügelgruppen, seltenen Kunstwerken, die Tiere und Vögel in einer frappanten Natürlichkeit, welche der regierende Herzog zur Ausschmückung des Speisezimmers der Prinzessin von einem bedeutenden Künstler hatte anfertigen lassen.
Neben diesem Speisezimmer war das Frühstückszimmer der Prinzessin, woselbst sie auch die Damen empfing, welche sie ihres Besonderen Vertrauens und ihrer Freundschaft würdigte. Hier bestanden die Tapeten aus hellblauem Seidenstoffe und das ganze Ameublement aus Rosenholz. Es war dies ein heiteres lachendes Zimmer, mit einem großen Bogenfenster, welches eine prachtvolle Aussicht auf die um das Schloß liegende Stadt gewährte. Hohe Epheuwände trennten die beiden Ecken im Hintergrunde dieses Gemachs und bildeten so zwei reizende Winkel, wohin sich die Prinzessin gerne zum Lesen zurückzog. Deshalb befand sich auch neben diesem Zimmer in einem kleinen Gemach die ausgewählte Bibliothek Ihrer Durchlaucht, reich an guten Ausgaben der bedeutendsten Schriftsteller und Dichter, besonders aber an prachtvollen Kupferwerken aller Nationen. Neben dieser Bibliothek war dann die Ecke des Schloßflügels, den die Prinzessin bewohnte, und hier war ihr Boudoir, wo sie nur ihre genauesten Bekannten sah und von wo es alsdann in jene Teile ihrer Appartements ging, in Gemächer, über welche wir nur von den Kammerfrauen einige Details erhalten könnten, wenn es für unsere wahrhaftige Geschichte von Interesse wäre. Da folgten sich Toilettenzimmer, Schlafzimmer, Badekabinett, Garderobe, Zimmer der Kammerfrauen, und das ganze beschloß ein Vorzimmer, in welchem sich die Dame vom Dienst aufzuhalten pflegte, wenn die Prinzessin deren Gesellschaft gerade nicht wünschte.
Das Boudoir nun in der Ecke des Schlosses, welches zugleich Schreibkabinett war, hatte die Prinzessin aufs zierlichste und geschmackvollste eingerichtet. Die Wände waren mit rosa und weißgestreiftem Seidenzeug bezogen, und aus den Lambris von edlem Holz traten an jeder derselben einfach edel geschnittene Konsolen hervor, die abwechselnd eine schöne kleine Marmorstatue oder eine prächtige Vase trugen. Ein Schmuck dieses Zimmers waren die beiden Fenster in gotischem Stile, welche aus alten, ausgewählten Glasmalereien bestanden. Vor denselben befanden sich kleine Ruheplätze, welche so konstruiert waren, daß man sie als Sofas benutzen konnte, wo zwei Personen nebeneinander saßen, und die sich wieder durch eine leichte Handbewegung so wenden ließen, daß sie zwei einander gegenüberstehende Fauteuils bildeten. Die Thüre zur Bibliothek war mit einem vortrefflich erhaltenen alten Gobelin bedeckt, und den Ausgang in die inneren geheimen Zimmer bildete ein riesenhafter Spiegel, der vom Fußboden bis an Decke ging und sich durch den Druck auf eine Feder leicht herumwandte. Er öffnete sich ebenso geräuschlos, wie er sich wieder schloß. Die Etagères in diesem Zimmer, sowie auch der Schreibtisch waren mit den ausgesuchtesten kleinen Kunstwerken in Metall und Porzellan bedeckt, und hier, wo die Prinzessin, wie gesagt, selten jemand den Eintritt gewährte, befanden sich auf den Diwans, den Stühlen und Fauteuils Bücher, halbgeöffnete Mappen mit den seltensten Handzeichnungen und Aquarelle, oft in malerischer Unordnung.
Am frühen Morgen des Tages nach der Unterredung mit Herr von Fernow, nachdem der Adjutant seinen Rapport abgestattet, hatte der Regent die Prinzessin um eine Unterredung bitten lassen; und nach geschehener Anfrage, nachdem auch die gehörige Zeit verflossen, meldete Herr Kindermann, es würde Ihre Durchlaucht außerordentlich freuen, seine Hoheit um zehn Uhr zu sehen, bevor sich Ihre Durchlaucht zu der Frau Herzogin begäben. Herr Kindermann hatte das sehr langsam und mit einem Lächeln gemeldet, das für diejenigen, welche diesen würdigen Mann genauer kannten, etwas Forciertes hatte. Herr Kindermann befand sich in einer gespannten Aufregung. Der Mund des Regenten war verschlossen wie das Grab; glücklicherweise befahl er die Uniform des Leibdragonerregiments, und da hoffte der Kammerdiener schon durch das bekannte Manöver mit dem Säbel zu einer ganz unterthänigen Bemerkung, respektive Frage zugelassen zu werden. Bevor aber noch Herr Kindermann dem Garderobediener die nötigen Befehle in Betreff der Uniform geben konnte, hatte der Regent schon sich eines anderen besonnen und wünschte einen einfachen bürgerlichen Anzug. Dieser an sich geringfügige Umstand gab dem Herrn Kindermann neuen Stoff zum Nachdenken und in dieses Nachdenken mischte sich ein gewisser Schmerz, da seine Hoheit auf die notwendigen Fragen nur mit Kopfnicken, höchstens mit Ja und Nein antwortete. Schlug das Eßbouquet-Mittel fehl, so war nichts mehr zu hoffen. Und auch dieses schlug fehl; denn als der Regent den Duft desselben empfunden, stimmte er ihn nicht weich, wie Herr Kindermann sonst zu bemerken pflegte, machte ihn auch nicht nachdenkend, sondern er fuhr hastig mit der Hand über die Stirn, nickte mit dem Kopfe und sagte laut und vernehmlich: »Gut, wir wollen sehen.«
Obgleich sich der Kammerdiener als letzten Versuch den Anschein gab, als habe der Regent mit ihm gesprochen, und sich augenblicklich nach den Befehlen Seiner Hoheit erkundigte, so war doch auch damit nichts gewonnen. Der Regent sagte: »Ich danke, es ist nichts, lieber Kindermann.« Das »lieber Kindermann« stimmte den alten Herrn fast wehmütig und er dachte bei sich: »Was nützt mir das >lieber Kindermann<, wenn er gerade so thut, als sei ich der letzte Schloßknecht und so eben erst in Dienst getreten. Es wäre doch nicht das erste Mal, daß er ein Wort fallen ließe über ein wichtiges Vorhaben. Hat er mich doch schon bei anderer Veranlassung gefragt: Es ist uns doch heute morgen keine Spinne begegnet? oder: Was halten wir vom heutigen Tage, Kindermann? Ist er gut oder schlecht? Können wir etwas unternehmen oder lassen wir es lieber bleiben?«
Unterdessen war nichts zu machen. Der Kammerdiener hatte seine Schuldigkeit gethan und mußte dem Herr von Fernow, auf den er noch seine letzte Hoffnung setzte, das übrige überlassen, denn der Major war im Vorzimmer, und als der Regent wenige Minuten vor zehn Uhr hindurchschritt, hörte ihn Herr Kindermann sagen: »Begleiten Sie mich hinauf, Fernow, und bleiben Sie in der Nähe.« Dabei stiegen beide die Treppe hinauf, und ehe sie noch den ersten Stock des Schlosses erreicht hatten, hörten sie Herrn Steppler, der droben wartete, ehrerbietig husten. Der Kammerdiener Ihrer Durchlaucht meldete dem Regenten ganz unterthänigst, daß Ihre Durchlaucht sich in ihrem Boudoir befinde und sehr erfreut sei, dort den Besuch Seiner Hoheit zu empfangen.
Warum der Regent bei diesen Worten eigentümlich, fast schmerzlich lächelte, und warum er einen langen Blick in einen der großen Spiegel des Vorzimmers that, wissen wir nicht ganz genau anzugeben. Er durchschritt leicht und elegant den Salon, Speise- und Frühstückszimmer, die Bibliothek, und wer ihn so dahin gehen sah, aufrechten Hauptes, in der festen militärischen Haltung, den großen Schnurrbart leicht nach oben gedreht, mußte von ihm sagen: »Das ist ein vornehmer und schöner Herr.«
Pünktlich, wie er als Militär gewohnt, ließ er die Glocke in dem Bibliothekzimmer zehn ausschlagen, dann schob er den Gobelin auf die Seite und trat in das Boudoir. Hatte ihn die Prinzessin noch nicht erwartet, oder vorher noch eine Meldung befohlen, genug, sie wandte sich überrascht, fast erschrocken bei seinem Eintritt von ihrem Schreibtisch, vor welchem sie stand, ab und drückte den Deckel eines Etuis, welches sie in der Hand hielt, so hastig zu, daß es laut knackte. Dies entging dem Regenten nicht, und wenn er nicht vollkommen Herr seiner selbst gewesen wäre, so hätte wohl eine leichte Wolke seine Stirn getrübt; so aber ging er unbefangen und heiter lächelnd auf die Prinzessin zu, welche ihm entgegen kam. Auch nahm er ihre dargebotene Hand und schüttelte sie freundlich, wie er gewöhnlich zu thun pflegte.
Die Prinzessin sah reizend aus und schien in der besten Laune zu sein. Ihr reiches blondes Haar war scheinbar ohne besondere Wahl um den Kopf aufgesteckt, doch rahmte es denselben so pikant ein, daß man wohl bemerken konnte, diese Einfachheit sei nicht ohne Absicht. Dazu trug sie ein weißes Morgenkleid ohne alle Verzierung, sehr lang herabfallend und so anliegend, daß man ihre feine zierliche Gestalt aufs deutlichste sah.
»Es ist schon lange her, mein lieber Vetter,« sagte sie, nicht ohne einen Anflug von Ironie, »daß ich nicht mehr in den Fall gekommen bin, Ihnen eine kleine Privataudienz bewilligen zu können.«
»Was daher kommt,« fiel der Regent ihr lächelnd ins Wort, »weil ich es gern zu meinem Studium mache, die Neigungen der Leute, die mir wert sind, zu erforschen.«
Die Fürstin wehrte mit den Händen auf eine komische Art von sich ab und sagte, während sie den Mund ein klein wenig aufwarf:
»Schon wieder Krieg! Ich merke es schon. Eure Hoheit kommen nur immer in feindseliger Absicht zu mir, und da ich das genau weiß,« setzte sie scheinbar ernst hinzu, »so muß ich meinen teuersten Vetter bitten, niederzusitzen, damit ich nicht gar zu sehr im Nachteil bin; - eine arme kleine Figur, wie ich! - Sehen Sie, wie ich den Kopf erheben muß, um an Ihnen hinauf zu blicken. Das ist keine Gleichheit der Waffen!«
Mit diesen Worten war sie auf ihre eigentümliche Art halb tänzelnd, halb schleifend ganz nahe vor den Regenten getreten, und als sie nun in nächster Nähe ihm von unten herauf in die Augen sah und dabei den kleinen Mund so schelmisch geöffnet hatte, daß man ihre feinen Zähne sah, während sie die Augen eine Sekunde nachher etwas affektiert schläfrig schloß, sagte der Regent mit einem für sie unerklärlichen Seufzer: »Ja, ja, es ist besser, meine teuerste Elise, wenn wir uns niedersetzen.«
»Schön,« entgegnete sie lebhaft, »und dort auf dem Ruheplatz am Fenster, auf dem Diwan nach meiner Erfindung. Ich bilde mir was auf diese Konstruktion ein.«
Sie schoß nach dem bezeichneten Sofa hin, und während sie die Hand auf die verborgene Feder legte, fuhr sie fort: »Aber Sie kennen die Maschinerie?«
»O, ich kenne sie vollkommen,« sagte der Regent, der ihr langsam gefolgt war. »Es ist eine verkörperte Laune unserer liebenswürdigen Prinzessin.«
»O weh, o weh!« rief sie mit komischem Ernste aus, »Eure Hoheit sind galant gegen mich; da habe ich wahrscheinlich etwas begangen, und werde eine gelinde Strafpredigt erhalten. Wenn dem in der That so ist,« fuhr sie fort, und dabei blitzte eine kleine Bosheit in ihrem Auge, »so ist es besser, ich drücke hier auf die Feder.«
Sie that so und das Sofa teilte sich in der Mitte und bildete zwei einander gegenüberstehende Fauteuils.
»Sie wollen mich also nicht an Ihrer Seite?« fragte lachend der Regent.
»Das Gesicht Eurer Hoheit ist mir in der That zu ernst zu einer mir sonst so angenehmen Nachbarschaft. Auch können Sie mich besser ansehen, wenn ich Ihnen gegenübersitze, das heißt einfach, um zu erfahren, ob die Strafpredigt, die ich erhalten soll, auch ihren Eindruck auf meinen Leichtsinn nicht verfehlt.«
»Sie erwarten also eine Strafpredigt?« meinte der Regent, nachdem er sich vis-à-vis der jungen Dame niedergelassen. »Also haben Sie ein böses Gewissen?«
»Das hat man Ihnen gegenüber nur zu leicht, verehrtester Herr und Vetter,« versetzte die Prinzessin. »Aber Scherz beiseite, diesmal glaube ich, daß ich allem, was da kommen mag, mit der größten Ruhe entgegensehen kann.«
Sie hatte sich bei diesen Worten in den Fauteuil zurückgelehnt, und als sie hierauf ihr Gegenüber mit einem festen Blick ansah, so hätte jeder andere diesen Blick für einen Blick der vollkommensten Unschuld gehalten. Nicht so der Regent. Er wußte wohl, was das seltsame Feuer zu bedeuten hatte, welches in ihrem Blick glänzte, und warum ihre Lippen fast unmerklich zuckten, aber doch zuckten. Er kannte die Leidenschaft der Prinzessin, mit scharfen Waffen zu fechten, und wußte wohl, wie schwer sie aus der Fassung zu bringen war. Sie hatte mit ihrer Rechten über die Schulter hinweg eine der schweren seidenen Quasten genommen, welche an langen Schnüren befestigt waren und zum Zuziehen des Vorhangs dienten, und gebrauchte diese wie einen Fächer, indem sie dieselbe jetzt anhaltend im Kreise drehte, sich so Kühlung zufächelnd, und sie dann vor das Gesicht hielt, wobei im letzteren Falle ihre Augen recht schelmisch, ja fast boshaft, durch die glänzenden violetten Fäden durchblickten.
»Wir werden in den nächsten Tagen ein Ereignis bei Hofe haben,« sprach der Regent mit Beziehung auf die verwitwete Herzogin nach einer Pause; »ich glaube, in ganz naher Zeit. Danach, wenige Wochen später, wird sich, wie wir beide genau wissen, die Herzogin nach Eschenburg zurückziehen.«
»Ich glaube, das letztere ist eine ausgemachte Sache,« erwiderte die Prinzessin aufmerksam; »und wenn ich nicht irre, sind für diesen Fall schon alle Arrangements vorgesehen.« - Sie ließ die Quaste vor ihrem Gesichte herabhängen, dieselbe dann einen Kreis beschreiben und zwischen den umherfliegenden Fäden warf sie einen scharfen Blick auf den Regenten.
»Allerdings sind alle Arrangements getroffen,« wiederholte dieser; »doch scheinen wir alle vergessen zu haben, daß das Schloß von Eschenburg sehr klein ist und kaum Platz für die Herzogin und für Sie, Prinzessin, bieten wird.«
»Für mich?« fragte sie; »es fällt mir nicht ein, nach Eschenburg hinauszugehen.«
»So haben sich Ihre Ansichten geändert?«
»Ja, es ändert sich manches,« erwiderte die Prinzessin mit sehr leiser Stimme.
»Sagten Sie mir damals nicht selbst, es würde Ihre höchste Lust sein, in der Nähe des künftigen kleinen Thronerben zu verweilen?«
»Oder in der Nähe einer kleinen Prinzessin. Richtig, ich sagte so.«
»Und jetzt?«
»Jetzt habe ich mir überlegt, oder ich habe mir vielmehr ins Gedächtnis zurückgerufen, wie oft Sie mir gesagt, Sie hielten es für besser, wenn ich meine Schwester mehr ihren eigenen Weg gehen ließe. Ich habe gefunden, daß Sie damals recht hatten, und will jetzt darin, wie auch noch in manchem anderen, strenge Ihren Rat befolgen.«
Als die Prinzessin dies sagte, war der Ton ihrer Stimme auffallend ernster geworden, und sie ließ die Quaste so gerade vor ihrem Gesichte herabhängen, daß man von dem Ausdruck ihrer Augen durchaus nichts sehen konnte.
»Nehmen wir uns in acht!« dachte der Regent, »sie spielt nicht ohne Absicht mit mir Versteckens! Sie beschattet ihr Gesicht, ich sitze im Lichte; und wir müssen ebenfalls Vorsichtsmaßregeln anwenden.« Indem er sich, dies denkend, so viel als thunlich war, in seinem Fauteuil zurücklehnte, stützte er den Arm auf die Lehne desselben und legte den Kopf in die Hand.
»Und der zu erwartende Thronerbe soll Ihrer Sorgfalt entbehren?« fragte er dann mit Beziehung.
»Ob Thronerbe, ob Prinzessin,« entgegnete Ihre Durchlaucht, »ich bin überzeugt, daß Ihre Bestimmungen die besten und nützlichsten sein werden.«
»Seit wann schenken Sie mir dies Vertrauen?«
»Ich habe nie anders über Sie gedacht, nur bin ich vielleicht zuweilen mißverstanden worden.«
»Ei, Prinzessin!« nahm der Regent nach einem augenblicklichen Stillschweigen das Wort, »verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß ich anfange, an Ihnen irre zu werden. Sie, eine Liebhaberin des kleinen Krieges, der schon seit längerer Zeit zwischen uns besteht, wollen sich aus Ihren sicheren Positionen zurückziehen und mir das Schlachtfeld allein überlassen? Wie verstehe ich das?«
»Es ist der richtige Ausdruck,« erwiderte die Prinzessin fast ernst, »wenn Sie, wie eben, bemerken, ich hätte die Absicht, mich aus meinen sicheren Positionen zurückzuziehen und Ihnen das Feld hier zu überlassen. - Wahrhaftig, es ist so. Ich kämpfte, wenn Sie wollen, aus Laune und um gar nichts.«
»Ah!« machte der Regent, indem er sich aufrichtete. »Sollte ich Sie verstehen, Prinzessin? Sie kämpften bisher aus Laune, um gar nichts, Sie wollten sich wirklich zurückziehen und mir ohne alle Ursache gewonnenes Spiel geben?« Er sagte dies lächelnd, doch war sein Lächeln ein schmerzliches zu nennen und, als er gleich darauf leise hinzusetzte: »Ah! in der That, ich verstehe; ich gewinne, um zu verlieren!« da fuhr er, beinahe heftig, mit der Hand über die Augen, wodurch ihm ein blitzähnlicher Blick der Prinzessin entging, den sie hinter der Quaste auf ihn schleuderte. - Nach diesem Blick, der bedeutungsvoll war, spielte ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen.
»Er hat bereits von der Sache gehört,« dachte sie bei sich, »wir wollen weiter manövrieren, aber unsere Angriffsweise ändern.«
»Sie will mich überraschen,« sprach der Regent zu sich selber. »Vielleicht weiß sie, daß ich etwas erfahren, und es liegt in ihrem Charakter, mir nicht den Triumph zu gönnen, überhaupt ohne ihren Willen etwas erfahren zu haben.«
»Prinzessin,« sagte er hierauf, und obgleich er bei diesem Worte lächelte, hob er doch bedeutungsvoll die Hand in die Höhe; »Prinzessin, gewöhnlich zieht man sich nach einer verlorenen Schlacht zurück; sollten Sie eine Niederlage erlitten haben?«
Er betrachtete sie in diesem Augenblick mit einem so festen, ruhigen Blick, daß sie nicht im stande war, denselben auszuhalten, sondern das Gesicht den gemalten Fensterscheiben zuwandte, wobei sie wie trotzig die Lippen aufwarf.
»Doch Scherz beiseite,« nahm er wieder das Wort, »ich bin eigentlich hierher gekommen, um mit Ihnen über eine Sache zu reden, die - «
»Eine Sache, die mich angeht?« fragte die Prinzessin im Tone der Überraschung, »und die so interessant ist, daß ich deshalb das Glück habe, Euere Hoheit bei mir zu sehen? O, auf eine solche Sache bin ich sehr begierig. Etwas Ähnliches ist lange nicht zwischen uns vorgekommen.«
»Es ist allerdings eine Sache, die Sie interessiert, mich aber auch.«
»Die Sie interessiert, als meinen Freund?« fragte schelmisch lachend die Prinzessin. »Dafür darf ich Sie doch halten? Als meinen Verwandten? Oder als Chef des Hauses?«
»Als Verwandten, als Ihren Freund, und vor allem als Chef des Hauses,« gab der Regent zur Antwort. Dabei erinnerte er sich, wie er am gestrigen Abend gelitten, als ihm Herr von Fernow das Porträt gebracht, und diese Erinnerung warf einen so finsteren Schatten über seine Züge, daß die Prinzessin, die dies bemerkte und die Ursache wohl kannte, sich veranlaßt sah, etwas wie Schrecken beim Anblick dieser plötzlichen Veränderung zu affektieren.
»Der Ausdruck Ihres Gesichts,« sagte sie, indem sie wie bestürzt ihre Quaste in den Schoß fallen ließ, »könnte mich in der That auf Vermutungen bringen, als handle es sich um was absonderlich Ernstes; doch bin ich daran gewöhnt,« setzte sie mit einer graziösen Kopfbewegung hinzu, »daß der Chef des Hauses auch aus geringfügigen Ursachen sehr ernst sein kann, und ich tröste mich nur durch das Dasein der beiden anderen eben genannten Personen, meines Verwandten und Freundes, die dem gestrengen Herrn mildernd zur Seite stehen werden.«
»Allerdings,« antwortete der Regent, »haben die beiden eben Genannten schon manch Freundliches für Sie gesprochen, beste Nichte, und den Regenten besänftigt, der - doch wozu in die weitere Vergangenheit zurückgreifen, da die nächste Zukunft in der That ernst und fast drohend vor uns liegt?«
»Euere Hoheit könnten mir in der That Angst machen,« fiel die Prinzessin mit einem erzwungenen Lächeln ein; »doch will ich mein Haupt in Demut neigen und mit zusammengelegten Händen mein Schicksal erwarten.«
Sie führte dies pantomimisch aus und saß in diesem Augenblick da wie ein armes Opfer, welches einen schweren Streich erwartet; doch merkte der Regent wohl, wie sie unter den Augenwimpern zu ihm emporblinzelte und wie etwas wie ein Ausdruck der Zufriedenheit um ihre zusammengepreßten Lippen spielte.
»Wahrhaftig, Prinzessin,« fuhr der Regent kopfschüttelnd fort; »es wäre das erste Mal, daß Sie Ihr Schicksal ruhig erwarten, und wenn ich denken könnte, Ihre Reue wäre aufrichtig, so würde ich nicht strenge, sondern nur betrübt mit Ihnen reden.«
»Spricht der Regent oder mein Freund?« fragte die Prinzessin in einem so komischdemütigen Ton der Stimme, daß Seine Hoheit sich zusammennehmen mußte, um ernst zu bleiben. Er dachte aber an den gestrigen Abend, an das Spiel hinter seinem Rücken, an die Photographie, und das alles machte es ihm möglich, nicht nur eine ernste Miene beizubehalten, sondern sogar finster auszuschauen, trotzdem, daß die Prinzessin ihre schönen lebhaften Augen wie flehend zu ihm erhob, sie aber bei diesem Anblick mit einem tiefen Seufzer niederschlug. Es entstand eine kleine Pause, während welcher die Prinzessin wieder anfing, wie verlegen mit ihrer Quaste zu spielen und dieselbe als Fächer vor dem Gesichte hin und herzubewegen, während der Regent, dergleichen verschmähend, sich aufrichtete und fest auf die junge Dame blickte. »Sie werden sich erinnern,« sagte er alsdann, »daß man vor ein paar Jahren eine Verbindung zwischen Ihnen und dem Herzog Alfred von D• projektierte.«
Ihre Durchlaucht stieß einen leichten Schrei der Überraschung aus, der so natürlich klang, daß der Regent vollkommen dadurch getäuscht wurde.
»Eine Verbindung,« fuhr er fort, »die Ihnen, meine teure Nichte, nicht konvenierte und die auf Ihren besonderen Wunsch abgebrochen wurde.«
Die Prinzessin hatte in diesem Augenblicke schweres Spiel. Sollte sie sich das Ansehen einer gekränkten Verletzten geben, oder sollte sie durchblicken lassen, sie ahne, was jetzt kommen werde? Nach einer peinlich langen Kunstpause entschied sie sich für das Letztere und hielt es nun der Situation für gemäß, ein klein wenig zusammenzufahren, ja den leichten Ausdruck: »O, mein Gott!« hören zu lassen.
»Eine Verbindung, die Sie ausschlugen,« wiederholte sehr ernst der Regent. »Ich bitte hierauf bei meiner weiteren Rede genau zu achten. Hätte man es Eurer Durchlaucht damals verweigert, eine Verbindung mit dem bezeichneten, uns sehr befreundeten Hause von D• einzugehen, hätte man vielleicht eine Neigung zerrissen, und wären wir es gewesen, die jene Verbindung für nicht passend und inkonvenabel erklärt hätten, so fände ich es jetzt begreiflich, daß Sie, Prinzessin, selbst hinter meinem Rücken Schritte thun würden, um ein Band wieder herzustellen, an das Ihr Herz mit Liebe denkt.«
»- - Euer Hoheit!« stammelte die Prinzessin, und als sie nun aufblickte und in das ernste, schmerzerfüllte Auge ihres Verwandten schaute, fiel es ihr nicht schwer, ihre Rolle der Bestürzung fortzuspielen, denn sie sah in den sonst so ruhigen, jetzt heftig bewegten Zügen des Regenten, wie sehr ihm die Sache, von der er sprach, zu Herzen ging.
»Wenn Sie mir etwas entgegnen können, Prinzessin,« sprach er mit tiefklingendem Tone der Stimme, »was meine eben ausgesprochene Behauptung zu widerlegen im stande ist, so wäre ich Ihnen dankbar dafür. - - Aber Sie können das nicht,« setzte er bewegt hinzu, »wahrhaftig, Elise, Sie können das nicht. Sie haben kein Wort der Entschuldigung für - Ihr Benehmen. Sie können dem Regenten, dem Chef des Hauses, keine triftigen Gründe angeben, als höchstens - verzeihen Sie mir das Wort - eine wirkliche Neigung zu jenem Herrn, den Sie ja kaum kennen.«
Die Prinzessin hatte ihre Hände gefaltet, und als sie nun leise den Kopf schüttelte, senkte sie ihn tief auf die Brust herab.
Der Regent hatte die letzten Worte mit steigender Erregtheit, fast heftig gesprochen, ja er war sogar aufgestanden und hatte das Kabinett einmal durchschritten, doch sah er das Kopfschütteln der Prinzessin und dies ließ ihn tief aufatmen.
»Wenn es keine Neigung ist,« fuhr er milder fort, »so ist es denn Ihr unglückseliger Hang zur Intrige, der Sie veranlaßt, Prinzessin Elise, sich mit diesen Rigoll und Wenden einzulassen, - der Ihnen erlaubt, Unterhandlungen einzuleiten, so daß - der Herzog Alfred von D• jetzt, freilich sehr inkognito hier in der Stadt weilt.« Die Prinzessin ließ ihre Quaste los und drückte beide Hände vor das Gesicht. Der leidenschaftliche Ton, in dem der Regent sprach, hatte sie erschreckt, obgleich sie darauf vorbereitet war, und doch ihr Herz freudig berührt.
Der Regent hatte abermals einen Gang durch das Kabinett gethan. Jetzt blieb er neben dem Fauteuil stehen, in welchem die Prinzessin saß, und als er bemerkte, wie sie ihre Augen mit beiden Händen bedeckte, nahm er ihre Rechte, um sie sanft von dem Gesicht zu entfernen.
»O Elise,« sagte er mit weicher Stimme, »Sie hätten das nicht thun sollen, nicht so hinter meinem Rücken handeln; Sie wissen, wie gern, ja freudig, ich stets Ihre Wünsche erfüllte - freudig erfüllte, selbst einen Ihrer Wünsche,« setzte er leiser hinzu, »der mir in manchen Beziehungen weh gethan haben würde.«
Als er das sagte, blickte sie zu ihm auf und es war ein Blick, diesmal nicht schalkhaft, nicht herausfordernd, wie gewöhnlich, sondern es war vielmehr ein tiefer inniger Blick, wie er aus dem Herzen eines Weibes kommt, wenn ihre Brust von einem süßen Gefühle geschwellt wird.
»Doch, das ist nun vorbei,« sprach er nach einer Pause und sich abwendend. »Glauben Sie mir, Elise, ich bin auch nicht gekommen, Ihnen über Ihr Benehmen Vorwürfe zu machen, wozu der Regent vielleicht ein Recht hätte, sondern ich will einfach und ruhig mit Ihnen überlegen, wie der Wunsch Ihres Herzens auf würdevollste Art, wie sichs für unser Haus geziemt, zu realisieren ist.«
Es lag nicht in dem Charakter der Prinzessin, daß ein tiefer, inniger Blick ihres Auges lange anhielt, selbst wenn auch das Gefühl, das ihn hervorgerufen, fortdauerte. Jetzt schon blickte wieder aus ihrem Antlitz eine kleine Schalkhaftigkeit, und obgleich sie sich nicht enthalten konnte, ihre Hand sanft auf den Arm des Regenten zu legen, so sagte sie doch mit einem Anflug ihrer neckischen Laune: »Verzeihen Sie mir, ich fühle in der That mein Unrecht und dies um so mehr, da mich Ihre edelmütigen Gesinnungen beinahe niederdrücken, - Ihre Sorge für mein Wohl - Eurer Hoheit Entschluß, meine Wünsche zu erfüllen, selbst wenn ihre Erfüllung Ihnen in manchen Beziehungen weh thun würde.«
»So reden Sie, Prinzessin, was soll ich thun?« fragte düster der Regent.
»Viel und wenig,« entgegnete fast heiter die Prinzessin und fuhr fort, indem sie ihr Gesicht schmeichelnd zum Regenten erhob, » - das thun, was Sie schon so für mich gethan. Meine - vielleicht unbesonnenen Schritte wieder gut machen.«
»So will ich also,« antwortete der Regent nach einer längeren Überlegung, »den Hofmarschall zu Seiner Durchlaucht dem Herzog Alfred senden, ihm anzeigen lassen, daß ich seine Anwesenheit erfahren, und mich so zurückhaltend als möglich nach seinen Wünschen erkundigen. Fällt seine Antwort befriedigend aus, woran ich nicht zweifle, so werde ich ihm gegenüber - es sogar recht zart finden, daß er sich vorher - von der Neigung Eurer Durchlaucht für ihn überzeugte, ehe er öffentliche Schritte that.«
»Hat er sich überzeugt?« fragte schüchtern die Prinzessin, wobei sie trotz ihrer Keckheit nicht aufzublicken wagte, - »hat er sich wirklich überzeugt?«
»Nach den Schritten, die er gethan,« sagte der Regent, indem er sich bemühte, sehr fest und ruhig zu sprechen, »muß dies doch wohl der Fall sein. Ja, ich bin der festen Ansicht, der Herzog ist sicher, daß Sie, Prinzessin, mit einem mehr als gewöhnlichen Interesse von seiner Anwesenheit wissen.«
»Glauben das Euer Hoheit in der That?« fragte, nun alles Ernstes erschrocken, die Prinzessin.
»Daran ist nicht zu zweifeln. Verzeihen Sie mir, Elise,« setzte er bitter hinzu, »wenn man einmal so weit gegangen ist, Porträts auszutauschen - «
»Nicht auszutauschen« - sagte die junge Dame in bestimmtem Tone.
»Möglich,« fuhr der Regent achselzuckend fort, »im vorliegenden Fall ist es sogar genug, wenn der eine Teil die Porträts des anderen empfängt - behält - bei sich aufbewahrt - mit Interesse betrachtet.«
Er hatte das mit steigendem Tone der Stimme gesprochen, und sie hatte diese Steigerung mit einem eigentümlichen Lächeln und einem so entschiedenen Kopfschütteln beantwortet, daß sich der Regent veranlaßt sah, bewegt auszurufen:
»Aber Elise, Sie können sich jetzt noch nicht entschließen, ehrlich mit mir zu reden, und Sie sehen mich doch bereit, allen Ihren Wünschen nachzukommen?«
»Gerade, weil ich ehrlich mit Ihnen reden will, muß ich mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Ihre Vorwürfe nicht begründet sind. Sie sprechen von einem Porträt, das ich empfangen. - Möglich, ich lasse mir mancherlei Zeichnungen und Photographien vorlegen.«
»Ja, - Photographien.«
»Aber, daß ich das, wovon Sie eben sprechen, behalten, aufbewahrt, mit Interesse betrachtet, davon weiß ich kein Wort.«
Der Regent zuckte mit den Achseln und während er mit der rechten Hand eine Bewegung der Ungeduld machte, warf er einen bezeichnenden Blick nach dem Schreibtisch hinüber, wo das Etui lag, welches die Prinzessin bei seinem Eintritt so hastig zugedrückt.
Sie folgte seinen Augen, und da sie dies that, fuhr ein freundliches Lächeln über ihre Züge. Sie erhob sich leicht und gewandt von dem Fauteuil, streckte ihre Hand aus und sagte mit so weichem Ton der Stimme, wie man es selten an ihr bemerkte: »Dort liegt das, worauf Ihre Rede zielt. Meinetwegen denn, sehen Sie nach, was es ist.«
»O ich habe es zur Genüge gesehen,« entgegnete finster der Herzog, »aber ich bitte dringend, Elise, wir wollen nicht von unserem Gesprächsthema abschweifen. Teilen Sie mir Ihre Wünsche mit, und so wahr ich Ihnen immer ein ehrlicher und treuer Freund war, so wiederhole ich Ihnen: ich werde auch jetzt alles für Sie thun, was in meinen Kräften steht.«
Bei den letzten Worten, die der Regent innig sprach, hatte sie ihr Gesicht von ihm ab gegen das Fenster gewendet, und es war vielleicht der Widerschein des roten Glases in den bemalten Scheiben, welcher eine tiefe Röte auf ihren Zügen aufflammen ließ. - Vielleicht! doch hatten sich diese auch seltsam verändert; von Schalkhaftigkeit, Behagen an der Situation war keine Spur mehr auf ihnen zu lesen, ja die Augen hatten ihren muntern Glanz verloren, sie preßte die Lippen heftig aufeinander wie jemand, der einen schweren Kampf kämpft, und ein tiefer Seufzer stahl sich aus ihrer Brust empor. - - - Sie ließ den Regenten ziemlich lange warten, ehe sie ihm eine Antwort gab, und diese Antwort bestand darin, daß sie ihre Hand erhob, abermals nach dem Schreibtisch hinzeigte, und mit kaum vernehmlicher Stimme hinzusetzte:
»So betrachten Sie doch das Porträt, das ich einstens erhalten, aufbewahrt, das ich,« setzte sie stockend hinzu, »in Wahrheit häufig mit Interesse beschaut.«
Der Regent, der das Gesicht der Prinzessin nicht sehen konnte, aber an dem Ton ihrer Stimme wohl merkte, daß Eigentümliches in ihrem Herzen vorgehe, trat an den Schreibtisch und nahm das Etui in die Hand. Ehe er es aber öffnete, blickte er noch einmal auf die junge Dame, die ihm jetzt ihren Kopf zugewandt hatte, und war erstaunt, das auf ihrem Gesichte zu lesen, was wir eben berichtet. Ja, eine tiefe Erregung, eine wahre Herzensangst sprach sich in ihren Zügen aus. Jetzt, wo er den Finger auf die Feder des Etuis drückte, streckte sie ihm wie flehend beide Hände entgegen, und aus ihren sonst so klaren, lebhaften Augen, die jetzt umdüstert erschienen, traf ihn ein so ungewohnter Blick, so tief und innig, daß er sein Herz erbeben fühlte.
»Ach, Elise, Sie bereuen Ihre Erlaubnis!«
»Nein, nein!« rief sie; doch es war, als könne sie nicht mit ansehen, was der Regent in der nächsten Sekunde schauen mußte; denn, indem sie auf den Fauteuil zurücksank, preßte sie ihr glühendes Gesicht in die weichen Kissen.
Es durchzuckte ihn so sonderbar, als er nun fühlte, wie die Feder dem Drucke seines Fingers nachgab. Das Etui öffnete sich - und er erblickte nicht jene ihm verhaßt gewordene Photographie, sondern - - sein eigenes Porträt, von dem er nicht wußte, wie es in den Besitz der Prinzessin gekommen.
Während das und noch einiges andere, was unsere Leser, namentlich unsere Leserinnen sich gewiß denken können, in dem Boudoir der Pr
- Seite:
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.