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Friedrich Wilhelm Hackländer

Humoristische Erzählungen

Ein Ausflug in den Schwarzwald

eingestellt: 16.6.2007





Gegen die Mitte des Monats September schien der Sommer noch einmal in seinem vollen Glanze, in seiner ganzen Hitze bei uns eingekehrt. Es lag bei dem klarsten Himmel eine wirklich drückende Schwüle auf den breiten schattenlosen Straßen Stuttgarts, und selbst die Winde, die sich sonst hier nicht selten machen, sparten diesmal ihren Athem und trieben, weil es ihnen vielleicht im Thale zu heiß war, aus den Bergen umher unter Buchenlaub und Rebenranken ihr loses Spiel, indeß sie uns fast verschmachten ließen. Nicht nur in der Mittagszeit war es außerordentlich warm, sondern auch am frühen Morgen und späten Abend herrschte eine Luft so lau, wie sie in diesen Monaten vielleicht an den himmlischen Küsten bei Neapel oder in den Ebenen bei Pavia und Mailand herrscht, und der Himmel war so dunkelblau und klar, wie er über Italien schwebt. Trotz der Annehmlichkeit, auch einmal im September noch solche Tage zu haben, so warm und berauschend, wie die der südlichen Länder, die wir oft darum beneiden, so kommt doch diese Sache selten, wir sind nicht eingerichtet, die Hitze zu empfangen und zu brechen, wie wir es mit der Kälte machen; uns fehlt der erquickende Seewind, der am Abend über den einförmig schlagenden Wellen hinstreicht und kühlend das Gesicht des Spaziergängers küßt; bei uns wächst nicht der Orangebaum, dessen süße duftige Blüte die Hitze zu verzehren und Kühlung auszubreiten scheint; und dann eine Hauptsache: uns fehlt das Eis, ich meine Gefrorenes, wie man es in jeder, auch in der kleinsten Stadt Italiens in Auswahl haben kann. Freilich wagt sich auch hier wohl in einigen Konditoreien, wenn es einmal vierzehn Tage hintereinander sehr heiß gewesen ist, zuweilen eine schüchterne Tafel vor die Thür, auf der man die Worte: »Glace oder Gefrorenes« liest, aber man findet da ein oder auch wohl zwei Arten Eis, halb warm und kein steinhartes Pezze, sondern ein Glas voll dicken Breies. Stößt man selbst zuweilen einmal auf gutes Eis, so kann man es doch nicht auf der Straße sitzend und die Vorüberwandelnden betrachtend unter einem aufgespannten Dache, das den Luftzug durchstreichen läßt, genießen, sondern man muß sich in der dumpfigen Stube damit regaliren.

Doch ländlich, sittlich; und wir haben so viel Schönes im deutschen Vaterland, daß man nur scherzweise die Vorzüge anderer Länder herbeiwünschen kann; und so auch hier. Mitte September war es also entsetzlich heiß. Ich hatte keine Lust zum Arbeiten, und schlenderte entweder dicht an den Häusern hin, das Bischen Schatten, das da zu finden war, aufsuchend, oder lag zu Hause, mich mit kaltem Brunnenwasser kühlend. Da trat eines Tages mein Freund Siegmund in meine stille Klause, und trug mir nach den ersten Begrüßungen mit einem gelinden Fluch über die gräßliche Hitze eine Idee vor, die erfrischender war, als Eis und Sorbet. »Weißt du was,« sagte er, »wir wollen für einige Tage hinausgehen aus Stuttgart nach dem Neckarthal in den Schwarzwald, und uns dort unter die himmelhohen Tannen an irgend ein klares Bergwasser legen. Ich versichere Dich, da ist das Moos weich und kühl und unser Blut rollt, wie der Quell selbst, wieder frisch und lebendig.« Lange überlegen ist nie meine Sache gewesen, und so saßen wir denn am andern Morgen um fünf Uhr, nachdem ich um ein Haar die Postzeit verschlafen hätte, im Eilwagen, der nach Freudenstadt fährt.

Ach, ich hatte lange keinen Sommermorgen mehr im Freien erlebt. Ein Schauspiel, das wir, weil es uns so nahe liegt und so wenig kostet, so selten besuchen. Die Sonne vergoldete die Spitzen der Bäume, und die Reben rings an allen Bergen bedeckte hie und da noch ein feiner Nebelschleier; dabei der duftige Geruch des Grases und des frischen Laubes, das uns bald von allen Seiten umgab; denn wir gelangten in kurzer Zeit nach dem Schönbuch, einem Walde, wie sein Name sagt, voll herrlicher Buchen. Er liegt schon auf der Höhe der Filder, einer ziemlichen Hochebene. Die Sonne warf ihre Strahlen quer über die Berge weg in den Schönbuchenwald, und ließ uns weit hineinsehen. Wie an so manchen Orten, hat auch hier in der herrlichsten Natur die Geschichte oder ein einzelner Mensch seine blutigen Spuren hinterlassen; denn wenn wir sie auch nicht sahen, so steht doch etwas tiefer in dem Walde die von dem Volke sogenannte Hutten-Eiche, wo Hans von Hutten von der Hand des Herzogs Ulrich fiel. Mir hat dieser Baum immer sehr leid gethan, denn er kommt mir wie ein Mensch vor, der unschuldig von dem Blute eines Ermordeten bespritzt wird, das in der Erinnerung der Welt immer an ihm kleben bleibt, und wie die Menschen es machen, so betrachten auch vielleicht die umstehenden Buchen die arme Eiche mit finstern Blicken. Doch weiter von diesem Wald. Uns trug der Wagen durch die weiten gesegneten Gefilde Württembergs, welche in ihrem jetzigen Flor das Herz so freudig anlachen, daß alle finsteren Erinnerungen aus demselben weichen müssen. Wir ließen Böblingen und Herrenberg hinter uns, zwei Poststationen, wo ich nicht umhin konnte, mich darüber zu verwundern, mit welcher beispiellosen Langsamkeit das Umspannen vor sich geht, oder vielmehr warum auf jedem dieser kleinen Orte der Wagen, der doch den Namen eines Eilwagens führt, halbe Stunden lang wie ein Lohnkutscher vor dem Posthause steht, ehe die neuen Pferde kommen.

In Nagold war bei unserer Ankunft die Mittagstafel servirt, und uns wurde ein für den Ort wirklich sehr gutes und billiges Essen; aber nie habe ich eine solche Menge von Fliegen gesehen, wie hier, die sogleich die ausgetragenen Speisen bedeckten; auch scheint Nagold und besonders das Wirthshaus, in dem wir uns befanden, von jeher dieses Glück gehabt zu haben; denn einer unserer Reisegesellschaft erzählte uns eine hierauf bezügliche recht artige Anekdote. Als der Herzog Karl von Württemberg eines Tages in der Gegend jagte, und in diesem Wirthshaus, das damals schon existirte, die Tafel für ihn bereitet war, beschwerte er sich über die Masse der Fliegen, die ihn belästigte, und sagte halb verdrüßlich halb lachend zu der Wirthin: sie solle den Fliegen hinter dem Ofen einen eigenen Tisch serviren; es sei doch nicht anständig, daß sie ungeladen an seinem Tische zu Gaste wären; was die kluge Frau alsbald besorgte, sich aber, nachdem sie mehre Schüsseln hinter den Ofen gesetzt, ehrfurchtsvoll mit den Worten an den Herzog wandte: »Servirt ist; befehlen nun Euer Durchlaucht auch, daß sich die Fliegen an ihren eigenen Tisch begeben.«

Ich war sehr begierig, endlich den Schwarzwald zu sehen, von dem ich so viel gelesen und mir so Manches hatte erzählen lassen. Doch fängt er nach Freudenstadt zu nicht plötzlich an, sondern hängt mit dem Schönbuch zusammen, an dessen Ausläufern einzelne kleine Tannen schon mit den Buchen vermischt sind, die sich in einem gewaltigen Crescendo bis auf die Höhen des Schwarzwaldes ziehen, schon bei Freudenstadt als wahre Riesen die Berge bedecken und sich in die duftigen Thäler hinabziehen. Bei guter Zeit kamen wir nach Freudenstadt, wo wir die Nacht bleiben wollten, und benutzten den schönen Abend zu einem kleinen Spaziergang in den Wald. Wir traten vor das altertümliche Thor, das als Verzierung mehre in Stein gehauene kolossale Köpfe hat, und sahen vor uns die herrlichste Gegend ausgebreitet, keine Fernsicht, aber zwei liebliche Thäler, die sich rechts und links eine kurze Zeit hinzogen und dann zwischen den Bergen verloren. Mit Recht hat der Schwarzwald seinen Namen; denn besonders gegen den blauen Himmel und das frische kräftige Grün der Thäler sticht die dunkelgrüne Farbe des Nadelholzes recht schwarz ab. Den Weg verlassend, gingen wir durch Gras und Kleefelder in das Thal hinab, und fanden hier die ersten deutschen Vergißmeinnicht wieder, denn die letzten blauen Blümchen dieser Art hatte ich am Fuße des Libanon gepflückt. Die Mühle im Thal, sie lag so wunderbar heimlich, hatte ihre Arbeit eingestellt, und das Wasser schoß rauschend über das Wehr hinaus. Wir folgten dem Bache einige Schritte, bis zu einer Brücke, die in den Wald führt, von der wir seinen muntern Sprüngen eine Zeit lang nachschauten. Mir schienen hier die Menschen mit der Natur so verwandt; den schlanken Wuchs der Tanne, das Haar dunkel und glänzend, wie das dieses Baumes, und das ganze Wesen kräftig und frisch, wie der Bach, der vor uns hinsprang mit schwarzen Steinen besäet, denen das anklebende Moos etwas Lebendiges gab, und die so traulich zu uns aufzublicken schienen, diese Augen des Baches, wie die schwarzen sinnigen Augen der Schwarzwaldmädchen.

Im Walde legten wir uns ins Moos unter mannsdicke Tannen, diesen ewig grünen Säulen des Waldpalastes. Nie ist mir ein Lager so duftig, ein Moos so frisch und grün vorgekommen, wie das, worauf wir ruhten. Bei uns vorbei kamen Mädchen, die auf dem Kopfe Körbe trugen und Männer mit großen Aexten, und es schien mir, als gingen Alle träumend bei uns vorüber und freuten sich auf ihren Heerd, an dem sie sich von des Tages Mühen erholen wollten. Die Waldblumen, die um uns standen, neigten ihre Köpfe, als wollten sie schlummern; die ganze Natur schien sich zur Nachtruhe bereit zu machen; aus dem Thale stiegen blaue Nebel auf, die zuerst die untersten Tannen bedeckten und dann an ihnen hinaufkletterten, das ganze Thal ausfüllend. Auch wir gingen endlich unserm Hause zu, und nachdem ich mir noch einen tüchtigen Knotenstock gekauft hatte, legten wir uns sehr zeitig zu Bett, um unsere Füße zu schonen, denen wir morgen eine starke Tour zumuthen wollten. Am andern Morgen erhoben wir uns zu guter Zeit und eilten aus dem Städtchen, von wo wir den Weg nach Schömberg einschlugen, um von da weiter in den dichtesten Schwarzwald zu kommen.

Der Morgen war herrlich, der Himmel ganz unbewölkt! Anfangs waren wir noch allein auf der Straße, und erst nachdem wir eine Stunde gegangen waren, kamen Holzfäller und Mädchen aus den Seitenwegen hervor, und Alle boten uns freundlich einen guten Morgen. Es ist doch etwas besonderes um Tannenwälder überhaupt, und vorzüglich um den Schwarzwald. Der Anblick der schnurgeraden glänzenden Stämme ist dem Auge vielleicht nicht so wohlthuend, wie das unordentlich durch einander stehende Laube von Eichen- oder Buchenwäldern, und doch wieder traulicher. Von den dichten Massen des Laubwaldes kehren Blick und Gedanken bald gesättigt zurück, und senken sich in die eigene Brust; nicht so beim Tannenwald, wo dem Auge kein Halt geboten wird, und es, die Phantasie mit fortreißend, sich weiter und weiter zwischen den glatten Stämmen verliert oder auf den treppenförmigen Aesten den Baum leicht ersteigt und von der Spitze weit ins Land schaut, vielleicht Häuser und Fenster von dem Sonnenstrahle glänzen sieht, der es vor wenig Augenblicken aufgeküßt. Freilich ist der Tannenwald stumm, wenn der Wind nicht durch die Spitzen der Bäume streicht oder ein Auerhahn falzend auffliegt; es begleitet kein harmonischer Gesang der Vögel den Wanderer, und doch hört man zuweilen Klänge, die auch ohne Melodie das Herz ergreifen und die Phantasie wunderbar beschäftigen; ich meine den schallenden Schlag der Axt gegen den Baum, den man weithin hört, oder das Knarren eines Holzwagens, der sich in den engen Pfaden ächzend fortbewegt. Nach einigen Stunden beständigen, doch nicht starken Aufwärtssteigens erreichten wir Schömberg, ein kleines Dorf, wenn man die fünf bis sechs Häuser, die dort um die Kirche liegen, so nennen darf. Bis hier hatte uns ein ziemlich breiter Weg geführt, auf dem wir nicht irre gehen konnten, doch jetzt wollten wir auch diesen verlassen, um auf Fußpfaden und Holzschleifen nach Alpirsbach zu gelangen, das eine der schönsten Parthien des Schwarzwaldes sein soll. Kinder, die vor den Häusern in Schömberg spielten, liefen, als wir sie um den Weg oder einen Führer fragten, bei unserm Anblick schreiend davon, und konnten nur durch einige Kreuzer, die wir ihnen schenkten, zum Stehen gebracht werden, aber an Reden oder uns Antwort geben, war darum doch nicht zu denken. Von meinem norddeutschen Dialekte verstanden sie wahrscheinlich kein Wort, und selbst mein Freund Siegmund, der doch ein geborener Württemberger ist, konnte sich schwer mit ihnen verständigen. Da sonst kein menschliches Wesen zu sehen war, so drang jeder von uns in ein Haus, um Jemand ausfindig zu machen, der uns einen Führer verschaffe. Ich war glücklicher als mein Freund, und fing auf der Leitertreppe des kleinen Hauses, in das ich gerathen, ein Wesen, von dem ich im ersten Augenblicke nicht wußte, ob es ein menschliches sei; doch hielt ich meinen Fang fest und gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, es möge mir auf die Straße folgen; denn von den Reden, die es mir zu halten schien, verstand ich keine Sylbe. Beim Tage sah ich, daß es ein Weib sei, aber von einer Häßlichkeit, wie ich bis jetzt keines gesehen. Kaum vier Fuß hoch, verwachsen, flackerten um das gelbliche Gesicht fußlange ins Röthliche spielende Haare in einzelnen Strängen. Es war das Konterfei irgend eines bösartigen Waldweibes aus einem Märchen; indeß war die Frau sehr umgänglich und obgleich sie uns keinen Führer verschaffen konnte, denn die Erwachsenen seien alle im Wald beim Holzschlagen, sagte sie, und von den Kindern sei noch nie eines bis Alpirsbach gekommen, was beiläufig gesagt, nur zwei Stunden sind, so beschrieb sie uns doch den Weg so genau, daß wir ihn auch selbst gefunden haben. Dieser Weg führte anfänglich durch den Vogt Jockeles Wald, was ins Genießbare übersetzt, der Wald des Schultheißen Jacob heißt.

Trotz der mehrtägigen Hitze war der Boden des Wegs, den wir jetzt zu machen hatten, feucht und naß, weil die Tannen hier sehr dicht standen und Sonnenlicht und Luftzug keinen Durchgang gestatteten. Bald ging unser Weg abwärts, bald aufwärts, und gewährte den schönsten Anblick, wenn er am Abhang eines Berges vorbeilief und wir die Tannen so recht betrachten konnten, wie sie so regelmäßig neben uns aufwärts bis zur Spitze des Berges und ebenso abwärts bis ins Thal stiegen, wo wir die feingezackten Gipfel der höchsten Tannen wie kleine Sträucher vor uns spielen sahen und sie mit den Händen erreichen zu können glaubten. Von Zeit zu Zeit kamen wir an sogenannten Holzschleifen vorbei, zwei bis drei Fuß breiten Pfaden, die von der Spitze des Berges bis ins Thal ausgehauen sind und gerade hinablaufen, daß es einem Menschen beinahe unmöglich ist, da hinabzuklettern. Auf sie werden die gefällten Stämme, nachdem sie ihrer Rinde beraubt und behauen sind, gelegt und schießen so bei dem geringsten Anstoß polternd ins Thal hinab, wo die zahlreichen Bäche, die der Schwarzwald besitzt, dazu benutzt werden, sie weiter zu bringen. Doch sind dieser Transportmittel noch immer zu wenig, um namentlich das Brennholz ins Unterland zu bringen, was daher im Gegensatz zu dem wohlfeilen Preise, zu dem man es im Schwarzwalde kaufen kann, in den Städten sehr theuer ist. Mein Freund Siegmund, als ehrbarer Hausvater, klagte mir beständig darüber, wie ihm das Herz blute, wenn er hier oben mitunter das schönste Holz, weil man es nicht Alles fortschaffen könne, verfaulen sehe. Und so war es auch: wir haben manches Klafter an stehengebliebenen Baumstrünken und liegengebliebenem Holze gefunden, das schon verfault war.

Es war Mittag und schon sehr heiß, als wir Alpirsbach vor uns liegen sahen. Doch mußten wir noch weit hinabsteigen in das zerklüftete, wild romantische Thal, durch das die Kinzig fließt und in dessen tiefstem Grunde das Oertchen selbst liegt. Wir Beide waren von der Hitze und dem Herumklettern in den Bergen ziemlich müde geworden, und freuten uns nicht wenig, ein gutes Gasthaus zu finden, wo wir uns etwas ausruhen und erfrischen konnten. Anfänglich war unsere Absicht gewesen, über Schiltach und Wolfach nach Rippoldsau zu gehen, was man uns hier abrieth, da dieser Weg dem Kinzigthale entlang für uns, die wir nur die Absicht hatten, den Schwarzwald selbst, das heißt, seine himmelhohen Tannen und Waldwege zu bewundern, wenig belohnend sei. In Alpirsbach besahen wir das einzige Merkwürdige, was der Ort bietet, ein altes Benediktinerkloster, welches im Jahre 1095 von Rottmann von Hausen und Adelbert von Zollern gestiftet wurde. Die sehr kleine Kirche desselben hatte man jetzt weiß angestrichen und für den evangelischen Gottesdienst eingerichtet. Der Kreuzgang war mit Bildhauerarbeit verziert und wenn nicht einer von den schönsten, die ich gesehen, doch einer der ödesten und unheimlichsten. Er umgab von vier Seiten einen kleinen Hof, zu dem entweder nie ein Eingang gewesen oder derselbe vermauert war; denn den Boden hatte seit langer Zeit kein menschlicher Fuß mehr betreten; es wucherte da ein Wald von Unkraut, allerlei Schmarotzerpflanzen bedeckten die Fenster theilweise und verdunkelten den Gang noch mehr. Ich hätte ihn wohl beim Mondschein sehen mögen, da müßte er eine gute Staffage zu einer schauerlichen Novelle abgeben.

In der brennendsten Sonnenhitze stiegen wir wieder aus dem Thale heraus in den Wald, um nach Rippoldsau zu kommen. Auf dem Wege begegneten uns wieder viele Mädchen mit schwarzen Augen und schwarzen Haaren, die sie in lange Zöpfe geflochten über den Rücken hinabhängen lassen. Sie kamen vom Feld, wo sie vom frühen Morgen an bis jetzt gearbeitet hatten, und da die Hitze zu groß wurde, nach Hause zurückkehrten. Die meisten waren schlanke volle Gestalten, die unsern Gruß freundlich erwiederten. Von einer der hübschesten, mit der ich mich unterhielt, und die mir, nachdem ich eine lange Rede gehalten, recht naiv antwortete, sie habe mich nicht verstanden, erfuhr ich endlich, nach vielen Umschreibungen, daß sie Maria heiße, worauf wir uns als gute Freunde trennten. Wir litten bei dem Bergsteigen nicht wenig von der Hitze, und waren endlich recht froh, wieder in den Schatten der Tannen zu kommen. Doch stiegen wir lustig und guter Dinge, lachend und singend aufwärts und vertrieben uns die Zeit, indem wir uns bald Märchen, bald selbst erlebte Anekdoten erzählten.

Meine Phantasie ist nie so regsam, als wenn ich im Wald spaziere, und hundert Pläne und Gedanken, wenn auch vielleicht alle ohne Werth, tauchen in mir auf; heute waren wir Beide besonders glücklich, Novellen zu erfinden, wir verwarfen aber alle als nicht tauglich, bis auf eine, die uns sehr pikant vorkam. Ein junger, wohlbeleibter, aber dabei sehr fauler Poet, sieht im ersten Kapitel der Novelle endlich ein, daß eben diese Faulheit nicht viel aufs Papier brächte, und daß er in dem Gewühl und der Zerstreuung der großen Welt, die ihn umgab, nicht im Stande sei, seine Phantasie und das Bischen Geist, das er besitzt, aus der Lethargie, in die Beide gefallen, aufzurütteln, worauf er im zweiten Kapitel aus gewaltigen, nichts sagenden Monologen, die er hält, den Gedanken auffischt, sich mit seinem Bedienten in ein einsames Haus im Walde zurückzuziehen, um da ein noch zu erdenkendes, unsterbliches Werk zu schreiben: ein Plan, der im dritten Kapitel zur Ausführung kommt, wo Beide sich in ein einsames Dorf am Waldrande begeben und viel Dinte und Papier mitnehmen, auf das jedoch, wie das vierte Kapitel, das aus weißen Blättern besteht, sehr traurig anzeigt, Nichts geschrieben wird. Das fünfte Kapitel, ein sehr wehmüthiges, sagt aus, wie der Poet und sein Diener, anstatt zu arbeiten, nach verschiedenen Richtungen im Wald und auf den Dörfern herumstreifen; im sechsten erwacht die noch nicht ganz gesunkene moralische Kraft des Poeten, und er faßt im siebenden Kapitel den großen Entschluß, seine und seines Bedienten Kleider bis auf den Schlafrock fortzuschicken, um also genöthigt zu sein, den ganzen Tag über zu Hause zu bleiben, was im achten Kapitel am Schluß des ersten Bandes ausgeführt wird. Die drei ersten Kapitel des zweiten Bandes sind höchst matt und langweilig, weil hier der Poet arbeitet, und nur hie und da in der Dunkelheit Abends Spaziergänge macht. Im vierten überfällt ihn eine gewaltige Sehnsucht, und ein gewisses Etwas scheint ihn nach einer Gegend hinzutreiben, die er früher nie betreten. An einem schwülen Abend geht er im fünften Kapitel dorthin, und findet – – – ein hübsches Landhaus, in dem eine alte Dame mit ihrer sehr schönen und jungen Tochter und einer Kammerjungfer wohnt. Die Tochter sitzt zufällig im Garten und spielt Guitarre und zufällig ein Lied, von dem er zufällig die Schlußstrophe weiß, die er als Erwiederung auf die ersten Strophen singt, und sich dann zurückzieht. In den folgenden Kapiteln sieht man, wie nach dem Lauf der Welt der Poet und die junge Dame sich in einander verlieben und der Schluß des zweiten Bandes findet den Poeten in der gräßlichsten Verzweiflung, denn die junge Dame hat ihn in der Nachmittagsstunde in eine heimliche Laube, die sie im Walde hat herrichten lassen, zu einem Rendezvous eingeladen; er hat ja Nichts als den Schlafrock bei sich! Dieser zweite Band schließt sehr lehrreich, besonders für junge Poeten, indem er zeigt, wie man sich von der Begierde nach Arbeit nicht dürfe hinreißen lassen. Hier schloßen wir die Novelle, indem der Andrang dieses gräßlichen Umstandes auf den Poeten uns gar zu arg dünkte, um ihn auszugleichen. Auch mochten wir keinen Selbstmord auf uns nehmen.

Bald stiegen wir eifrig den Berg hinan, bald setzten wir uns zu einer Gesellschaft von Holzfällern, die auf dem Stamme einer umgehauenen Tanne sitzend ihr Mittagsmahl hielten, was meistens sehr einfach aus Milch bestand, in die sie schwarzes Brod brockten, und kamen durch diese Abwechslung etwas langsamer, aber auch frischer auf die Höhe des Berges, von wo wir leicht und rasch abwärts stiegen. Schon lange hatte ich mir gewünscht, einen Meiler zu sehen, diese schwarze Waldherberge, in der die Ritter mit ihren Knappen und Rößlein einkehrten, wenn sie den Weg verloren und die Nacht sie überrascht auf den einsamen Waldpfaden. Eine Köhlerhütte behält für mich wenigstens, von der ersten Lektüre in der Jugend her, einen poetischen Schein, der bis dahin um so größer war, da ich noch keine in der Wirklichkeit gesehen. Sie kommt fast in allen abendländischen Sagen und Märchen vor, die wir als Kinder gelesen, in den schauerlichen Geschichten von Rübezahl, in der Sage von Griseldis, die sogar ein Köhlerkind war. Der Schwarzwald ist, möchte ich sagen, die Heimath der Köhlerhütten, und doch hatten wir heute noch keine gesehen; wohl mehre runde verbrannte Plätze, von denen die Kohlen schon weggeräumt waren, und auch einen, den man eben aus trockenen Tannenästen errichtete, doch war dieß Alles nicht das rechte; ein Meiler muß schwarz gebrannt sein und noch rauchen; dann muß auch die Köhlerhütte dabei stehen, vor der der Köhler selbst mit seinem Hunde sitzt und an die grausigen Schicksale denkt, von denen ihm der Ritter, den er gestern beherbergt, erzählt hat.

Von dem Herabsteigen ermüdet, setzten wir uns auf eine Tanne, die auf der Holzschleife, wo sie noch lag, erst kürzlich von dem Gipfel des Berges herabgerutscht schien, denn sie war frisch behauen. Um uns stiegen die rothen und weißen Tannen so senkrecht in die Höhe, als wären sie alle nach dem Loth geordnet, und dieser Trieb ist so stark bei ihnen, daß große Stämme, die als Schößlinge schief aus dem Boden kamen, sich bogen und parallel den Andern emporwuchsen. Neben diesen mächtigen Tannen des Schwarzwaldes, die dieser Landschaft ein imposante dunkle Färbung geben, mildern die heimlichen klaren Bergwasser, die überall herkommen und munter ins Thal stürzen, das Düstere des Bildes, helle Lichter aufsetzend. Wir saßen jetzt gerade neben einem solchen Bächlein, dessen frisches Wasser wir zu den Brombeeren tranken, die in großer Menge um uns wuchsen, und folgten mit den Augen, so weit die Bäume es zuließen, seinem Laufe ins Thal, wo es sich einem Arme der Kinzig zugesellt, den wir über die Spitzen der Bäume hinweg hie und da aus dem Grün hervorblitzen sahen. Da stieg auf einmal neben uns etwas tiefer, als wir saßen, ein blauer Rauch auf, und Siegmund versicherte mich, dieß müsse ein Meiler sein, und wahrscheinlich einer, wie wir ihn gerade wünschten, schwarz oder rauchend. Eilig rutschten wir die Holzschleife hinab und arbeiteten uns dann durch das Gebüsch, bis wir endlich auf einem freien Platz das Gesuchte fanden, – ein stattlicher Meiler, der jedoch schon ausgebrannt war und nur noch von Zeit zu Zeit aus der Spitze rauchte, weßhalb wir ihn auch nicht früher sahen. Neben ihm lagen einige Gruben, die voll Wasser waren, das zur Abkühlung der Kohlen gebraucht wird. Auch die Köhlerhütte lag in der Nähe. sah mir aber doch ein Wenig gar zu ärmlich und einfach aus. Sie bestand aus zusammengestellten Baumstämmen, die oben durch schwache Reiser verbunden waren und, mit Moos und Gesträuch verstopft, sehr dünne Wände gaben. Das Innere war durch einen Baumstamm am Boden in zwei Theile getheilt, wovon der hinterste das Lager des Köhlers, aus Laub und Moos bestehend, enthielt, der vordere zur Küche zu dienen schien; denn zwischen drei Steinen waren Spuren von halbverbrannten Kohlen und Holzasche, neben der in einem Winkel ein Haufen Kartoffeln lag. Vor der Hütte stand die Wurzel eines Baumes, die oben glatt gehauen, eine Art von Stuhl gab, auf dem eine große Holzaxt eingehauen war; ein langer Schürbaum lehnte daneben. Doch war der Herr dieser Gerätschaften nirgends zu sehen. Wir riefen einigemal in den Wald hinein, und hätten den Köhler in seinem rußigen Gewand gar zu gern zwischen den Bäumen hervortreten sehen; doch warteten wir eine halbe Stunde vergebens, und sahen uns endlich genöthigt mit der Köhlerhütte zufrieden zu sein und unsern Weg fortzusetzen. In kurzer Zeit waren wir unten im Thale, wo das Dörfchen Reinerzau liegt, das jedoch nur aus einzelnen Häusern besteht, die an dem Arm der Kinzig, von dem ich oben sprach, einem kleinen Bache, zerstreut liegen. Siegmund sagte mir, daß schon dieser Bach zur Fortschaffung von ziemlich großen Flößen in die Kinzig selbst benützt würde, die sie dann weiter bis Kehl trägt, wo sie auf dem Rhein zu größeren verbunden werden und nach den Niederlanden abgehen. Obgleich dieser Bach viele Schleusen hatte, war es mir doch unerklärlich, wie das Wasser, das an den meisten Stellen kaum die Kiesel bedeckte, im Stande sei, einen Baumstamm zu tragen, und ich würde mit einigen Zweifeln hierüber nach Hause zurückgekehrt sein, wenn mich nicht zufälliger Weise der Augenschein davon überzeugt hätte. Wir waren nämlich kaum einige hundert Schritte den Bach aufwärts gegangen, so kamen uns in gestrecktem Laufe mehre Flößer entgegen, starke kräftige Menschen, mit großen Spangen und Aexten bewaffnet, im runden Hut und kurzer Jacke, große lederne Stiefel, bis über die Knie hinaufgezogen, von denen ein Theil an den Schleusen, die wir vor uns sahen, stehen blieb, die andern mit einem Rufe bei uns vorbei stürzten. Wir traten ebenfalls näher, und erfuhren von dem Flößer, der die schwere Schleuse, bei der wir uns eben befanden, allein aufwand, daß im nächsten Augenblick ein Floß kommen würde, und wirklich kam er auch gleich darauf um eine Ecke des Baches, die ganze Breite desselben einnehmend. Er bestand aus sehr schweren Balken, die sich nicht selten ächzend an den Ufern hinschoben und doch von dem Wasser, das sich hinter der Schleuse gesammelt hatte, mit unglaublicher Schnelle bis an das Thor derselben, das kaum breit genug war, ihn durchzulassen, daher getrieben wurde. Wir sprangen auf die Bank der Schleuse, wo der Bach einen Fall von wenigstens fünf Fuß bildete, und sahen dem Anblick gespannt entgegen, wo die Spitze des Floßes, auf dem einer der Flößer mit gespreizten Beinen stand, und sich durch eine eingeschlagene Axt festhielt, sich hinabstürzen würde. Manchmal kommen hiebei Unglücksfälle vor, indem die Spitze durch die nachfolgenden Balken gedrängt sehr häufig auf dem Grunde des Wassers sitzen bleibt und der Flößer, der vorn steht, durch den gewaltigen Stoß, den dieß verursacht, hinabgeschleudert wird, und nicht selten überfahren ihn die Balken, die sich im Augenblicke darauf wieder losmachen und beschädigen ihn stark. Doch ging es heute ganz glücklich ab. Der ohnehin schon sehr rasche Lauf des Floßes wurde durch den Fall noch verstärkt, und er schoß mit einer solchen Gewalt und Geschwindigkeit durch die Schleuse, daß der Flößer an der Spitze einen Augenblick bis an die Mitte des Leibes unter Wasser war und das Gebälk des Schleusenwerkes zitterte. Auf breiten Flüssen lenkt ein anderer Mann das Ende, das sonst gewaltig hin und her schlagen würde, was es hier bei der Enge des Baches nicht gut konnte; und doch drängten die letzten Balken mit ziemlichem Spektakel gegen die Ufer und das Schleusenwerk. Der ganze Floß hatte sechszehn Glieder und mochte, wie man uns später sagte, einen Werth von ungefähr zwei tausend Gulden haben. Es steckt überhaupt ein gewaltiger Reichthum in den Stämmen des Schwarzwaldes und man findet vielleicht nirgends so reiche Bauern wie hier; besonders in Reinerzau soll sehr viel Geld sein, und in einem kleinen Wirthshause, wo wir abstiegen, zeigte uns unser Führer drei Brüder, die zusammen genommen vielleicht ein Vermögen von einer Million Gulden haben.

Viele Partien des Schwarzwaldes und besonders das Thal, in welchem Reinerzau liegt, wo wir uns gerade befanden, erinnert lebhaft an die Schweiz. Die untern Abhänge der Berge sind wie dort mit frischem Grün bekleidet und eben so fängt auch in dem Drittel der Höhe dieselbe Art dunkler schöner Tannen an, die sich bis über den Gipfel heraufziehen. Fast in jedem Thal fließt ein klares Bergwasser, das seine Nahrung von kleinen Bächen erhält, die sich von allen Seiten, Silberfaden gleich, durch die Tannen- und Wiesengründe schlängeln. Sogar die Häuser des Schwarzwaldes, die auch nicht selten in der Mitte des Berges, wo die Wiese aufhört, liegen, haben Aehnlichkeit mit den Sennhütten der Schweiz. Die platten Dächer, auf denen große Steine liegen, bedecken Gebäude, die auch hier ganz von Holz sind, und denen nur, um vollkommen den Schweizerhäusern zu gleichen, die Gallerien fehlen, welche Letztere von außen umgeben, und auf denen die Eingänge zu den Stuben befindlich sind. Das Innere der Schwarzwälder Häuser ist dagegen noch viel heimlicher, wie das der gewöhnlichen Sennhütte; doch sind die Wohnhäuser der reichen Schweizerbauern geräumiger und reinlicher. Man sieht es den Häusern aus dem Schwarzwald an, daß sie Holz in Menge zum Bau verwenden können, denn das ganze Getäfel, Fußboden und Decke bestehen aus glatt gehobelten Tannenbrettern: eine Tapete, die sehr warm hält und freundlich aussieht, aber dagegen auch viele Mängel hat, und sehr bald der Aufenthalt von dem mannigfaltigsten Ungeziefer wird. Die Möblirung dieser Häuser ist sehr einfach und altmodisch, und in den meisten der einzige Zierrath der Stube die Schwarzwälder Uhr, die man in allen Größen und sehr billig kauft. – So wie die meisten Bergbewohner hat der Schwarzwälder sein Kostüm erhalten. Der Bauer trägt schwarze kurze Beinkleider, bis zu denen die Stiefel von schwarzem Leder hinaufreichen, eine dunkle Weste, einen schwarzen oder dunkelbraunen Rock, der mit Grün ausgeschlagen ist, und auf dem Kopfe einen schwarzen runden Hut mit großer Scheibe, den ebenfalls ein grünes Band schmückt; ein Anzug, der so die Farbe ihres Waldes hat, wo zwischen den alten dunkeln Tannen hie und da ein junger Sprößling oder ein ander Laubholz grün hervortritt. Ich glaube wirklich, sie wollen die Farbe ihres Waldes im Kostüme nachahmen; denn die Tannen sind ihr Reichthum und ihr Stolz. Die Flößer tragen Wämser von dunkler Leinwand, kurze Beinkleider, welche ein handbreiter grüner Hosenträger in die Höhe hält, und ihre bekannten großen Stiefel, womit sie das ganze Bein bedecken können.

Von Reinerzau nahmen wir einen Führer, der uns über den Roßberg nach Rippoldsau führen sollte, wohin wir noch eine sehr beschwerliche Tour hatten. Wir gingen einen schmalen, schlechten Fußweg, der auf der Höhe des Berges, wo gerade stark gehauen wurde, eine lange: Strecke mit mächtigen Stämmen bedeckt war, die wir umgehen mußten. Schon sank die Sonne, als wir die andere Seite erreicht hatten, und das reizende Schappacherthal lag in der schönsten Abendbeleuchtung vor uns. Wir verließen hier den Fußpfad, den wir bisher verfolgt, und begaben uns auf eine der Holzschleifen, die ins Thal führt, aber noch steiler als ein Hausdach hinabläuft, und deßhalb das Klettern einigermaßen gefährlich macht. Wir setzten uns in das schöne Moor am Fuße einer Tanne und sahen lange Zeit mit Vergnügen in das Thal und auf die gegenüberliegenden Berge, die höchsten des Schwarzwaldes. Dort lag der Kniebis, auf welchem die Straße nach dem Elsaß und also nach Frankreich führt. Auf seinen höchsten Punkten befinden sich zwei Forts, der Roßbühl und das Fort Alexander. Dort sahen die hohen Tannen schon oft französische Bajonette funkeln, und die alten Bäume haben gewiß oft mißmuthig das Haupt geschüttelt, daß sie nicht über die Köpfe der zügellosen Banden zusammenstürzen konnten, die von dort hinabstiegen, ein herrliches, gesegnetes Land zu verheeren. Doch weg mit diesen traurigen Bildern, die einer längst vergangenen Zeit angehören, und so Gott will, nie wiederkehren! Viel lieber wandten wir unsern Blick in das freundliche Thal vor uns, in dem Mühlen und Bauernhäuser liegen, und das wir von unserer Höhe aus bis Rippoldsau verfolgen konnten. Vor diesem kleinen Badeort geht eine schöne Abtei und Kirche, deren Thurm von den letzten Strahlen der Abendsonne geküßt wurde. Mir fiel hier lebhaft ein Lied von Alfred de Musset ein, dessen erste Strophe heißt:



Das Hinabsteigen, oder vielmehr das Hinabrutschen ins Thal ging ziemlich rasch von Statten, und in einer Stunde waren wir in Rippoldsau, wo wir noch ein Bad nahmen und uns dann sehr ermüdet zu Bett legten. Es ist hier gar nicht meine Absicht, eine Beschreibung .des Bades Rippoldsau zu liefern, nur so viel sei gesagt, daß es sehr großartige elegante Gebäude hat, die von hübschen Spaziergängen und sonstigen Anlagen umgeben, recht heimlich in dem engen Thale liegen. Am andern Morgen sah der Himmel nicht mehr so klar aus wie gestern und vorgestern; vielmehr zeigten sich hie und da Wolkenstreifen und die Thäler waren mit Nebel bedeckt. Wir brachen sehr früh auf, um bei guter Zeit nach Freudenstadt zu kommen, was auf dem nächsten Wege nur zwei Stunden sind. Wir nahmen keinen Führer mit, denn da es doch nur unsere Absicht war, im Walde herumzustreichen, so wäre es uns selbst im schlimmen Falle nicht unangenehm gewesen, uns eine Stunde weiter zu verirren. Der Weg führte von Rippoldsau gleich den Berg hinan, und senkte sich dann in ein wildes Thal, durch das ein Arm der Kinzig stürzte, der in seinem engen felsigen Bett unzählige Wasserfälle und kleine Seen bildet. Der Thalgrund, in dem sich eine kleine hölzerne Brücke, die über den Bach führte, befand, war ungemein still und traulich; nur zuweilen hörte man weithin das Schallen einer Axt, und die Kühle des nassen Grases, sowie der frische Harzduft stärkte Herz und Sinne. Trotz des trüben Himmels war doch die Luft sehr heiß und wir beschloßen nach dem mühsamen Klettern über den Berg, hier in der Schlucht ein Bad zu nehmen, was wir auch alsbald ausführten. Doch das Wasser war eiskalt, und trieb uns nebst der Besorgniß, die immer mehr sich am Himmel zusammenziehenden Wolken möchten uns noch ein anderes Bad zukommen lassen, bald wieder in die Kleider. Wieder gings den Berg hinan, auf einem besseren Wege als dem bisherigen, denn hier hatte man Stamm an Stamm gelegt, um ihn glatt und fest zu machen. Bald jedoch verlor sich diese gute Bahn und von drei Fußwegen, die sich unserm Blick zeigten, wählten wir, wie sich später auswies, gerade den unrechten. Wenn wir auch heute Morgen über allenfallsiges Verirren gescherzt hatten, so war es uns doch jetzt bei dem heranziehenden Wetter nicht gerade sehr angenehm. Der Himmel wurde dunkler und fernhin rollte schon ein lange nachhallender Donner über die Wipfel der Tannen. Der von uns gewählte Weg führte aber aufwärts bis auf eine Ebene des Berges, wo eine Gesellschaft der nobelsten Tannen beisammen stand, und verlor sich dann ins Moos. Was war zu thun? Zurückgehen mochten wir nicht; denn Freudenstadt mußte vor uns liegen. Also gerade aus! Wir gingen unter den großen Stämmen hin, über einen ausgezeichneten Moosteppich, der mir gerade aussah, als hätte ihn seit langer Zeit kein menschlicher Fuß betreten. Auch zeigte sich, nachdem wir eine gute Strecke gegangen, weder eine Aussicht ins Thal, noch ein Fußpfad. Siegmund erinnerte mich an Hauffs Märchen: das kalte Herz, und meinte, wir würden vielleicht auf den Tannenbühl gerathen sein, wo das Glasmännlein residire; der Gedanke war gut, und nach langem Scherzen und Lachen suchten wir aus unserm Gedächtniß den Vers zusammen zu bringen, mit welchem das Männlein zu citiren ist, und es gelang uns auch nach vielem Studiren. Dann stellten wir uns nach der Gegend, wo die dicksten Tannen standen, und ich, der ein wirkliches Sonntagskind ist, sprach laut und feierlich die Worte:

Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt;
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Läßst Dich nur Sonntagkindern sehn.

und – – – im ersten Augenblick verging uns alles Lachen, und wir sahen einander mit sonderbaren Blicken an; denn einige Schritte vor uns, hinter einer großen Tanne hervor, trat das Glasmännlein, oder wenigstens ein Männlein in seinem Kostüme, mit schwarzem Wämschen, großem Hut, kurzen Höschen und Strümpfen mit Schuhen, und sah uns fragend au. Ueberrascht traten wir auf den Kleinen zu, der sich aber alsbald im besten Schwäbisch nach unsern Wünschen erkundigte. Leider war er nicht das Glasmännlein, das uns vielleicht auch drei Wünsche erfüllt hätte, sondern es war ein Knabe aus einem der benachbarten Höfe, doch wies er uns freundlich auf einen nahen Pfad, der uns in einer halben Stunde nach Freudenstadt brachte. Und es war hohe Zeit, der Himmel lag so schwarz auf den Bergen, daß er an einigen Stellen fast nicht mehr von den Tannen zu unterscheiden war, und kaum waren wir ins Gasthaus getreten, so brach ein unerhörtes Gewitter los. Es ging freilich in einer Stunde wieder vorüber, doch war in den nächsten Tagen an ein Weiterwandern nicht zu denken, da hier sich das Wetter nach einem Gewitter gewöhnlich für mehre Tage trübt und häufige Regenschauer nachfolgen. Deßhalb schlossen wir unsere Tour und fuhren über Wildbad nach Stuttgart zurück.

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