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Friedrich Wilhelm Hackländer

Humoristische Erzählungen

In Scene setzen

eingestellt: 16.6.2007





Wenn man eine fertige Arbeit betrachtet, so denkt man selten der Schwierigkeiten, der Mühe und Arbeit, deren es bedurfte, um ein Werk auf den Punkt zu bringen, daß es dem Auge wohlgefällig, den Sinnen genießbar erscheint, wer denkt daran bei dem fertigen Palast, einem vollendeten Gemälde, bei einem Rock, der einem eben durch den Schneider angepaßt wird? Noch weniger aber als man bei all diesen Werken auf die Einzelnheiten ihrer Entstehung zurückblickt, ist dies der Fall, wenn man des Morgens im Fauteuil eine Cigarre raucht oder des Mittags aus der Restauration kommt und an einer Straßenecke den Theaterzettel liest.

»Norma.«

Ja, das Wort und die ganze Reihenfolge des Personals kommt dem Leser so natürlich und unzweifelhaft vor, es versteht sich so von selbst, daß heute Norma sein muß, weil gestern diese Oper auf dem Zettel angekündigt stand, daß es dem Laien ganz unbegreiflich ist, wenn man ihm sagt, daß dieses einzige Wort Norma dem Intendanten, dem Kapellmeister, den Regisseuren, kurz allen denen, die bei der Oper mehr zu thun haben als sich zu schminken und anzuziehen, vielleicht eine schlaflose Nacht verursacht hat. Was ich oben von der Undankbarkeit sprach, die man im Allgemeinen gegen fertige Werke ausübt, so ist dies namentlich bei dem Theater der Fall. O, so ein Theaterzettel ist ein stiller klarer See, die Buchstaben und Worte auf demselben stellen sich dem Auge des Beschauenden so natürlich dar wie die Furchen, die der leise Wind auf dem Wasserspiegel zieht. Aber der Mensch begehre nimmer zu schauen, wie der klare See noch vor wenigen Stunden aussah, ehe eine mächtige Hand ihn ebnete und glättete, wie es noch unter der blanken Oberfläche in seinem Innern kocht und gährt, und es nur eines einzigen Tropfens mehr bedarf – sei es nun der Tropfen, den einer der Sänger über den Durst trinkt, oder sei es ein Hoffmannstropfen, den die Prima Donna zu sich nehmen zu müssen glaubt – um die Wellen zu empören, daß sie in lautem Tosen über den Strand schlagen.

Ja, wir sind undankbar, sehr undankbar. Bald wird uns eine Oper zu oft gegeben, bald ist uns ein Schauspiel zu lang, denn wir glauben ja, daß der Intendant blos mit seinem Aermel zu schütteln brauche, um etwas Anderes über die Bretter rauschen zu lassen. Hat man nun den Zettel von oben angefangen zu lesen, sich da schon über Diverses geärgert, über ein aufgehobenes Abonnement, oder ein Benefiz zu Gunsten für Diesen oder Jenen, der einem eigentlich gar nichts angeht, hat man es niedergeschluckt, daß man statt eine gewünschte Oper zu hören, oder ein leichtfüßiges Ballet über die Bühne säuseln zu sehen, ein fünfactiges Drama in dröhnendem Galoppschritt über die Bretter soll klirren hören, so stellen sich den Blicken, ehe man zu den Personen gelangt, oft noch ein paar Worte dar, die man entweder leichtsinnig überhüpft, oder die man undankbarer und unverständiger Weise unter dieselbe Rubrik wirft, wie wenn man in den Zeitungen liest: »Ausverkauf« oder »Herabgesetzte Preise« oder »Nur noch heute«, so wie wenn auf den Zetteln der herumziehenden Künstlergesellschaften das bekannte »Auf Verlangen zum allerletzten Male« steht, – ich meine die gewichtigen Worte: »Neu in Scene gesetzt.«

Es ist eigentlich unverantwortlich und traurig, daß wir dies Wort nie gehörig beachten, daß Wenige darüber nachdenken, welch ungeheuer Großes der Ausdruck: »In Scene setzen«, in sich begreift. Es ist auf dem Zettel wie beim Spiel die Hauptsache; es ist die Hose, die der Regisseur dem Nackten, dem Unschicklichen anzieht, es ist die Wattirung, durch die er einem klappernden Verse ein rundes stattliches Ansehen gibt, es ist die Scheere, die das Röckchen der Tänzerinnen kürzt und das begierige Auge üppige Formen sehen läßt, es ist der lange Talar, der oft den nach der Rhetorik der Handwerksburschen Declamirenden zum Oberpriester oder König umwandelt: es ist Alles in Allem, sowohl auf den Brettern, die die Welt bedeuten, als wie in der Welt selbst. Setzt sich nicht Jeder in Scene, wenn er am Morgen seinem Bette entsteigt, mag die Garderobe in einem durchlöcherten Flauß oder in einem seidenen Schlafrock bestehen, mag die Dekoration eine Dachkammer oder das Gemach eines Palastes sein? Und da es schon einem einzelnen Menschen oft schwer genug wird, sich selbst ordentlich in Scene zu setzen, um anständig erscheinen zu können, welche Arbeit hat also der arme Regisseur, der ein ganzes Personal so weit bringt, daß es wie ein Uhrwerk in einander greift und das aufgegebene Stück ohne Störung zu Ende spielt. Muß er sich nicht um Alles bekümmern, um Garderobe und Decorationen, um Requisiten und Musik, um Lampenputzer und Statisten, und Alles das erst, nachdem er vielleicht schon lange vorher das Stück zu Hause durchgenommen, hier eine Stelle gekürzt, da eine Stelle gestrichen und sein Denkvermögen fast vernichtet hat, um nur herauszubringen, wie er alle Rollen schicklich besetzen will. – –

Seit langen Jahren ist Egmont von Goethe nicht mehr gegeben worden. Plötzlich kommt von Oben herunter der Befehl: das Stück neu in Scene zu setzen und baldigst zu geben. – Egmont von Goethe. Der Auftrag hat dem Regisseur sein Abendbrod sehr vergällt, denn da ist für ein paar Dutzend redender Personen zu sorgen, für eine Unzahl von Statisten, außerdem spielt er noch die Hauptrolle, die er seit Jahren nicht mehr angesehen, und die seinem Gedächtniß allmälig entschlüpft ist. Noch spät am Abend, als er nach Hause kommt, händigt er seinem Bedienten einen Zettel ein, wonach ihm der Inspicient des Theaters am folgenden Morgen in der Früh sämmtliche Rollen schicken muß. Er schreibt noch eine Masse von kleinen Briefen an seine Freunde; der eine besitzt ein altes Kupferwerk aus den Zeiten des niederländischen Befreiungskrieges, der andere hat sich mit der Geschichte selbst viel beschäftigt, ein dritter hat den Egmont vor einiger Zeit in X. gesehen, der besitzt eine Masse alter Schwerter und Hellebarden, die gut zu brauchen wären, jener das echte Exemplar eines Ordens vom goldenen Vliese. Alle werden um irgend etwas gebeten, und so den Kopf voll von Egmont legt sich der Regisseur zu Bett. Im Traum erscheint ihm Herzog Alba und verlangt in eigener Person mitspielen zu dürfen, denn keiner würde das so gut machen wie er selbst. Kaum hat der Träumende, durch die Erscheinung des blutigen Kriegsmanns erschrocken, ihm Alles bewilligt, was er verlangt, so erscheint der Schauspieler, dem die Rolle von Gott und Contracts wegen zukommt, und spricht sie für sich an. Die beiden Aspiranten gerathen in Streit, der wirkliche Herzog zieht sein Schwert und der Schauspieler seinen Contract aus der Tasche, den er in Stücke zerreißen will und seine Entlassung fordert. Wer weiß, wie sich dieser Kampf endigen würde, wenn nicht noch zur rechten Zeit Wilhelm von Oranien die Beiden verdrängte. Doch jetzt kommt der Regisseur vom Regen in die Traufe, denn da ihm immer die Kraftstelle des Prinzen, wo er ein paar Thränen fließen läßt, im Andenken ist, so erscheint er als heulendes und schluchzendes Gespenst und will sich gar nicht zur Ruhe bringen lassen. Auch Klärchen schwebt heran; aber es ist eigentlich die Schauspielerin, welche diese Rolle spielt. Sie bittet den guten Regisseur mit ihrer schmeichelnden zarten Stimme um ein neues, schönes Costüm, und der unruhig sich hin und her wälzende Mann verspricht, ihr das schönste Kleid aufzuheben. Doch hat er noch keine Ruhe, jetzt rauscht das niedere Volk heran, die Bürger von Brüssel, und schreien nicht nach Freiheit, sondern nach neuen Costumen; die Garden des Herzogs von Alba, die langen steifen Spanier, wollen auch neu gekleidet sein, und schon denkt der Regisseur, wie schön ihnen die Röcke stehen würden, die er auf einem niederländischen Gemälde aus jener Zeit gesehen. Er denkt an die Kosten, die allenfalls noch herauszuschlagen wären, als es ihm plötzlich so vorkommt, als sei er – Egmont im Kerker; die himmlische Musik ertönt, der Hintergrund öffnet sich, Klärchen erscheint, aber statt der Friedenspalme schwingt sie in ihrer Hand ein Decret von der Oberhofintendanz, worin der Regisseur mit dürren klaren Worten zur Sparsamkeit aufgefordert wird. Der arme Mann fährt aus seinem leichten Schlummer empor, greift nach einem Glase Wasser und legt sich wieder hin. Diesmal ist ihm Morpheus günstiger, doch weil er sich unaufhörlich mit dem Egmont beschäftigt, träumt er wieder von der Tragödie, und es umschwebt ihn diesmal das Balletcorps und bittet ihn, die nöthigen Pagen auszulesen:



»Eine Hexenzunft!« murmelt der träumende Regisseur mit Mephistopheles, sieht aber mit Wohlgefallen den reizenden Bewegungen zu. Wilder wird der Tanz, tiefer der Schlaf, aber undeutlicher die Gestalten, und endlich erblickt der Regisseur nichts mehr als Himmel und Tricots. – Er ist sanft entschlummert.

In der Nacht war es uns nicht möglich, die Wohnung des Regisseurs genau zu besehen, doch jetzt erlaubt uns der helle Tag, einen Blick in die geheimen Gemächer zu werfen. Wie sich die Zeiten geändert haben! Poeten und Künstler sind von ihren Mansarden herabgestiegen in den ersten Stock oder in glänzende Parterrewohnungen, und wenn die Kunst selbst mit ihren Jüngern in Wechselwirkung steht, so muß sie bedeutend emporsteigen; doch hoffentlich nicht in die leer stehenden Dachstuben, sondern als geistiges Wesen gen Himmel, wo sie hingehört, um uns von da herab mit ihren Strahlen zu durchdringen.

Es ist eine Parterrewohnung, vor der wir stehen, und während ein gähnender Bedienter in Livree die Glasthüre öffnet, welche in den Vorsaal führt, schlüpfen wir hinein und können unbesorgt sein, daß uns Niemand hört, denn auf dem Boden liegen Teppiche, Bärenfelle, und die Thüren, die uns durch ihr Knarren verrathen könnten, sind ausgehoben und haben Vorhängen von buntem, glänzendem Stoffe Platz gemacht. In den Zimmern selbst sind schwellende Divans, Blumentische, die den herrlichsten Duft ausströmen; Gemälde und Kupferstiche in goldenen Rahmen bedecken die Wände, und Bildsäulen der Venus in allen möglichen Stellungen sind in den Ecken placirt. Im zweiten Zimmer befindet sich der Regisseur im eleganten Schlafrock; er liegt in einem prächtigen Fauteuil; vor ihm steht ein Marmortischchen, auf dem der Kaffee servirt ist, und ein angenehmer Duft, der uns entgegenströmt, sagt uns, daß er eine sehr feine Havannacigarre rauche. Obgleich es erst acht Uhr ist, ist doch schon Gesellschaft da. So eben trat der Theaterdiener ein und brachte einen Stoß vergilbter Papiere, es sind die verlangten Rollen des Egmont. Der Theaterdiener ist ein ganz merkwürdiger Mensch; obgleich er nichts zu thun hat, wie Ausgänge zu besorgen, Briefe auf die Post zu tragen, Proben anzusagen, dem Personale die Monatsgagen zu bringen, so weiß er mit einer ungemeinen Feinheit in diese untergeordneten Geschäfte einen Faden aus den höhern Zweigen des Theaterwesens hinabzuziehen und da oben, wenn auch ganz unbemerkt, die Hände im Spiel zu haben. Der Theaterdiener wird »Herr« genannt, ist bei Hoftheatern meistens ein alter gedienter Soldat, der die Medaille im Knopfloch trägt. Auf seinen Lippen steht ein beständiges Lächeln, und er macht sich ein Geschäft daraus, das ganze Theaterpersonal so zu studiren, daß er weiß, bei dem braucht es nur eines Ausweises, bei dem einer kleinen Bemerkung, bei Jenem ein wohlangebrachtes Lächeln, um zu erfahren, was er zu wissen wünscht.

Dabei muß der Theaterdiener ein starkes Gedächtniß besitzen, muß alle alten Stücke mit ihren Besetzungen wie seine Taschen kennen. Ja, er ist ein unentbehrliches Glied in der langen Kette, an der das ganze Personal zappelt. Ohne seinen Willen wird vielleicht Norma an dem und dem Abend nicht gegeben. Die erste Sängerin hat zufällig etwas Anderes zu thun, als in der Oper zu singen, und klagt am Abend vor der Vorstellung ihrem Kammermädchen die Noth. Der Theaterdiener kommt ins Vorzimmer und sagt Lisettchen eine Probe an. »Ach, mein lieber Freund,« entgegnet ihm diese, »ich glaube, wir können morgen unmöglich singen; ich versichere Sie, wir sind ganz heiser;« – die Zofen der Künstlerinnen reden nämlich immer in der Mehrzahl. – Der Theaterdiener denkt einen Augenblick nach und plötzlich fällt ihm eine schnippische Antwort ein, die ihm Mademoiselle E., die Soubrette, vor einigen Tagen gegeben. Er nickt mit seinem Kopf und geht nachdenkend fort. Der gute Intendant, der sich nicht wenig freut, die Norma endlich glücklich herausgeschält zu haben, wird sehr unangenehm überrascht, als ihm der Theaterdiener meldet, daß die erste Sängerin von einer so entsetzlichen Heiserkeit befallen wäre, daß sie kein Wort sprechen könne. Die Regisseure sind augenblicklich nicht bei der Hand, der Zettel für morgen muß in die Druckerei, und da weiß denn ein kluger Theaterdiener zu rechter Zeit schüchtern den Namen eines Stückes hinzuwerfen, das lange nicht gegeben wurde. Wird diese Idee von dem Chef aufgefaßt, so hat Jener gewonnenes Spiel und läuft mit Freuden nochmals herum, das andere Stück anzusagen, denn er kommt ja auch in das Haus der Soubrette, der er dadurch vielleicht einen genußreichen Abend verdirbt. Aber auch wegen anderer Motive läßt der Theaterdiener seine Minen springen. Der erste Held ist vielleicht gerade krank, und der zweite Held, der eben kein Held ist, möchte gern einmal den Wallenstein spielen; denn ein durchreisender Tourist, der sein Freund ist, möchte den großen Mimen gern einmal in einer Glanzrolle sehen, um mit ihm ein Capitel in seinen Reisetabletten ausfüllen zu können, und dies wäre nur unter diesen Umständen möglich. Ein Anderer möchte seinem Collegen gern den Spaß verderben und ihm einen Stein in den Weg legen, damit ein Stück, in dem Jener eine Lieblingsrolle hat, nicht gegeben wird. – Doch wir schweifen zu weit ab und kehren lieber ins Zimmer des Regisseurs zurück, wo wir vielleicht bessere Gelegenheit haben, dergleichen interessante Betrachtungen anzustellen.

Der Theaterdiener, der gegen den Regisseur noch viel geschmeidiger ist als gegen den Chef selbst, denn Ersterer ist ein praktischer Theatermensch und läßt sich nicht leicht etwas vormachen, rückt das Marmortischchen näher und legt den Rollenstoß mit einem gelinden Seufzer darauf hin. Der Regisseur läßt das Zeitungsblatt neben sich fallen und wirft die Rollen auf dem Tische aus einander. Da es dem Theaterdiener für jetzt nur darum zu thun ist, zu wissen, wie die Partien aufs Neue besetzt werden, damit er sieht, ob seine Protegés auch gehörig bedacht sind, so fängt er an, den Regisseur leise auszuforschen.

»Da haben der Herr Regisseur wieder eine schwere Arbeit.« Keine Antwort. »Nun, die meisten Rollen werden bleiben, wie sie früher gewesen sind.« Der Regisseur blättert emsig in den Papieren fort. »Seit Herr C., der den Alba zum letzten Male spielte, gestorben ist, ist das Stück nicht mehr gegeben worden. – Der Herr Regisseur werden Mühe haben –« – »Das wär das Wenigste,« entgegnet ihm dieser, »Herr M. wird diese Rolle eben so gut spielen.« – Das schreibt sich der Theaterdiener gleich hinter das linke Ohr und fährt so mit Fragen fort, bis er ziemlich mit der Rollenverteilung im Klaren ist. »Befehlen der Herr Regisseur, daß ich wiederkommen soll?« – »Gegen Mittag, ja, Adieu!«

Der Theaterdiener empfiehlt sich und der Regisseur ist allein und hält in Gedanken einen ähnlichen Monolog wie König Philipp, als er seine Brieftasche durchmustert. Er sieht die Namen, die aus den vor ihm ausgebreiteten Rollen stehen, bald mit Lächeln, bald mit Kopfschütteln an. Ach, er ist ja auch nur ein Mensch, und ihm fällt ein, wie sich Dieser und Jener gegen ihn benommen, und wenn er auch zu rechtlich ist, um Jemand zu unterdrücken, so kann man es ihm doch nicht verdenken, wenn er gerade dem, der ihm beständig opponirt, eine Eselsbrücke bauen sollte. Auf diese Art hat Mancher den Sieg bei St. Quentin längst verwirkt und wird zu den Todten gezählt. Diese vergilbten Rollen zeigen mit den Namen der verschiedenen Schauspieler, die auf ihnen gezeichnet und wieder ausgestrichen sind, aufs beste die Laufbahn, die mancher Künstler gemacht hat. Hier ist die Rolle des ersten Bürgers von Brüssel und mit manchem durchstrichenen Namen versehen. Hier nahm manches junge Talent seinen Anlauf, manches kam höchstens bis zur Rolle des Gomez; der spielte einmal den jungen Herzog von Alba und wurde bei Seite gelegt, und von so vielen ist kaum ein einziger, der sich bis zu einer ersten Rolle durchdrang und sich da erhielt. Auch der Regisseur hat diesen Weg gemacht; aber er sieht mit stillem Vergnügen, wie die Rollenhefte, auf denen sein Name prangt, allmälig dicker wurden; er sieht einen ganzen Lebenslauf dazwischen liegen, und jede Rolle, die er durchsieht, bringt ihm traurige und angenehme Stunden ins Gedächtnis Wo sind all die Klärchen geblieben, mit denen er auf den Brettern, so wie im Leben gespielt. Auf dem Rollenhefte steht eine zahlreiche Liste von Namen, die einst schönen jungen Mädchen angehörten, aber die meisten sind alt geworden, verschollen, gestorben und verdorben. Andere sind weiter gerückt, doch wenn sie auch dickere Rollen bekamen, sind sie doch nicht aufwärts gestiegen. Aus jungen Liebhaberinnen wurden sie auf den Brettern und in der Wirklichkeit Mütter und keifende Matronen. Aber wenn man alle diese hört, geschah ihnen bitteres Unrecht. Sie wurden unterdrückt und würden Klärchen heute noch so gut spielen wie vor fünf und zwanzig Jahren. Doch still, es klopft, und ein lebendiges Beispiel tritt ein. Es ist Madame H., die vor etlichen zehn Jahren mit dem Regisseur Liebhaber spielte und auf die zarte Neigung, die sie früher so oft auf den Brettern verband, eine feste Freundschaft baute, welche sie jetzt bei kleinen Bitten geltend macht. Aus jungen naiven Mädchen ging sie ins Fach der zärtlichen Mütter über, wurde nach und nach Ehrendame der Königinnen, spielt auch in alten Stücken vornehme Personen selbst, denn sie hat eine stattliche hohe Figur, über welche sich der Königsmantel sehr schön zur Schau hängen läßt.

Obgleich es dem Regisseur nicht angenehm ist, unterbrochen zu werden, rückt er doch der Dame Anstandshalber einen Sessel hin, und sie läßt sich mit einer unnachahmlichen Grazie nieder. »Ach, guten Morgen, lieber Regisseur, hab schon lange die Idee gehabt, Sie zu besuchen, komme aber nie dazu.« – »So,« entgegnet dieser ziemlich lang gezogen, »und was führt Sie jetzt zu mir?« – »Ach,« declamirt die H. schmachtend:



»Sie wissen ja, lieber Regisseur, daß mit dem nächsten Jahre mein Contract zu Ende läuft, und da Sie Alles bei der hohen Intendanz vermögen, so werden Sie doch, hoffe ich, einer alten Collegin, wollte sagen, einer Collegin, die schon lange mit Ihnen spielt, das Wort reden.«

Der Regisseur hat während dieser Rede, die ihm nicht neu ist, in den Rollen des Stücks geblättert und ohne gerade der Dame auf ihre Bitte eine Antwort zu geben, legt er ein dünnes Heftchen vor die Madame H. hin, es ist die Rolle von Clärchens Mutter, auf der ihr Name prangt.

»Aber, lieber Freund,« fährt diese überrascht fort, »was machen Sie denn da? Sie sind doch sehr zerstreut. Sie dachten an mich und schreiben meinen Namen auf dies Rollenheft?«

»Ja,« entgegnete der Regisseur, jedoch ohne aufzusehen; denn es ist gefährlich, einer Künstlerin, die Heldinnen spielt, bei Momenten, wo man ihr etwas Unangenehmes sagen muß, in das Auge zu blicken. »Ich that es nicht in der Zerstreuung; es ist gewiß besser, liebe H., daß Sie anfangen, sich in Müttern zu versuchen. Wissen Sie, die Zeit rückt vorwärts, ich werde auch allmälig alt, und ich versichere Sie, daß es mir sehr lästig wird, noch den Egmont und dergleichen jugendliche Rollen zu spielen.«

War die Dame wirklich durch die ihr zugedachte Rolle so überrascht, oder affectirte sie nur die Bestürzung und den Verdruß, der sich aus ihrem Gesicht und an der ganzen Haltung deutlich blicken ließ, genug das drohende Feuer in ihrem Blick verschwand, sie wandte den Kopf recht würdevoll gegen den Regisseur, hob eine ihrer Hände mit einer unnachahmlichen Bewegung gegen das Herz und lispelte mehr, als sie sprach: »Aber lieber Regisseur, wie kann ich bei meinem edlen Wesen so ein Weib spielen, die Mutter einer solchen Tochter. Ah! Ich würde ganz meine gewöhnliche Natürlichkeit verlieren, und jeder würde mir ansehen, daß ich mit Widerwillen einen solchen Charakter darstelle.«

Aber der Herr Regisseur blieb trotz diesen Lamentationen fest. Er zuckte die Achseln und versicherte, vergeblich einem Auskunftsmittel nachgedacht zu haben. »Sehen Sie,« sagt er und steckt sich eine neue Cigarre an, »die M. ist krank, die W. auf Urlaub und der R. so wenig wie der Y-Z. kann ich doch eine solche Rolle anvertrauen. Sie wissen ja selbst, liebe H., daß der Effect all der Scenen zwischen Egmont und Klärchen sehr viel auf dem würdevollen Benehmen der Mutter beruht. Und darum habe ich Sie vorgeschlagen.« Dann fährt er mit sanfter Stimme fort: »ich muß es Ihnen offenherzig gestehen, ist mir die Zeit, wo wir zusammenspielten, die Zeit, wo der Egmont eine meiner Glanzpartien war, noch so im Gedächtniß, daß es mir schmerzlich sein würde, die bekannten Züge – Sie wissen, liebe H., wie wir uns gekannt haben, gar nicht mehr vor mir zu sehen. Es bleibt ja doch in der Familie. Vor zehn Jahren liebt ich die Mutter, heute die Tochter. Apropos, wie gehts Ihrer Emilie? Das Mädchen wird jeden Tag schöner; bei ihr möcht ich gern einmal den Egmont spielen. – Sie wissen doch, daß ich ihr seit gestern freie Entrée verschafft habe? Der Intendant hat es sehr gern gethan, denn er ist mit mir einverstanden, daß hübsche Mädchen eine gute Decoration fürs Parterre sind.«

Der Regisseur hatte die letzten Worte mit Herzlichkeit gesprochen und fällt jetzt wieder in seinen ruhigen Ton zurück. »Nicht wahr, liebe H., Sie werden das einsehen, und dann ist es auch wegen Ihres Contracts. In dem Rollenfach der komischen und polternden Alten können Sie sich noch lange erhalten.«

Madame H., die ihren Freund kennt, weiß wohl, daß hier nicht viel mehr zu machen ist, legt also seufzend dem Regisseur noch einmal die Contractsache ans Herz und zieht sich gegen die Thür. In der Ecke des ersten Zimmers steht ein Sopha mit prachtvollen gestickten Kissen. Beider Blicke fahren unwillkürlich über diese Zeichen früherer glühender Liebe hin, und während der Regisseur listig lächelt, sagt die Dame: »Ach, Heinrich, die vergangenen Zeiten waren doch schön!« Er begleitet sie zur Thür, und wie sie zwischen den rauschenden Vorhängen verschwindet, ruft er ihr laut genug nach, daß sie es deutlich verstehen kann:

»Sie geht, und da sie geht, möcht ich sie halten!« Noch ein Blick, der Bediente macht mit seinem äußerst dummen Gesicht ein Compliment, und die Dame ist verschwunden. Rasch wendet sich nun der Regisseur ins Zimmer zurück, klopft anmuthig die Asche von der Cigarre und ruft dem Bedienten hinaus: »das verfluchte ewige Stören. Ich bin für Niemand mehr zu Haus!«

Er setzt sich wieder in seinen Fauteuil und fährt fort in den Rollen, so wie in den Büchern, die ihm nach und nach von seinen Freunden geschickt werden, zu blättern. Wenn ihn auch nicht gerade die Scene, die er mit der H. hatte, alte Jugenderinnerungen, weder traurig noch komisch, ins Gedächtniß zurückruft, so findet er dagegen auf den gelben Papieren manchen Namen, der ihm ein Lächeln oder einen stillen Seufzer abgelockt. Auch Bemerkungen, die hie und da von den darstellenden Künstlern zwischen den Reden eingeschrieben wurden, kommen ihm äußerst komisch vor. Da heißts bei einer Stelle: der rechte Arm wird ausgestreckt, der Kopf würdevoll zurückgeworfen, oder die Augen werden schmachtend geschlossen; bei einer andern: hier trete ich drei Schritte zurück, knirsche mit den Zähnen und stoße drei Seufzer aus; hinter einem langen Monologe stehen die Worte: als ich zum letzten Male diese Rolle spielte, geruhten Se. Durchlaucht der Fürst, der in Husarenuniform im Theater war, mich aufmerksam anzuhören und am Schlusse beifällig mit dem Kopfe zu nicken; auch applaudirte das Parterre dreimal. Ein anderes Notabene hieß: hier stützte ich mich mit dem linken Arm auf mein Schwert, legte den rechten Ellbogen, auf dem mein Kopf ruhte, darauf und bildete so, wie meine Freunde mich später versicherten, eine malerische Stellung.

Das Alles liest der Regisseur durch, vertheilt die noch fehlenden Rollen, schreibt die Zahl der Statisten auf, so wie das ganze Ballet, das er im Stück zu verwenden gedenkt; Einige sollen Pagen machen, Andere führen bei den Volksscenen in Brüssel Tänze auf, und der Nachwuchs des Ballets, die Kinder unter zehn Jahren, sollen die Straßen bevölkern, hin und her rennen und kleine Spiele treiben. So ist es elf Uhr geworden. Es schellt draußen, der Bediente bringt ein kleines Billet und meldet zugleich drei Tänzerinnen, die aufzuwarten wünschen. In dem Briefe bittet ein College, der bisher die Rolle des Vansen spielte, da er zufällig gehört habe, daß der Egmont auf dem Repertoire stünde, um Abnahme dieser Rolle und um Zutheilung des Herzogs Alba, da letzterer eigentlich mehr Intriguant sei als ersterer, und er für dies Fach doch engagirt sei. Der Brief wird ad Acta gelegt und die Tänzerinnen vorgelassen. Neue Klagen und Beschwerden. Die drei Grazien kommen eben aus der Tanzstunde, wo sie erfuhren, daß ihnen zu einem Tanz auf heute Abend, in dem sie die Solopartien haben, keine neuen Schuhe gemacht werden sollen. Dem Regisseur werden die alten vorgezeigt, die von fleischfarbener Seide und jedenfalls sehr defect, sogar durchlöchert sind. Doch zuckt er die Achseln und rechnet ihnen vor, daß die ausgesetzte Summe für neue Schuhe fast überschritten sei und er also nichts mehr dürfe machen lassen. Aber das Kleeblatt läßt sich so bald nicht abweisen, sie bestürmen den guten Mann mit Bitten und Schmeicheleien, versichern ihm, daß sie auf den durchgetanzten Sohlen fast nicht mehr stehen könnten, eine sogar, die sehr schöne Waden hat, macht, während sie die Schuhe vorzeigt, ein kleines Battement, um zu zeigen, daß man bei der Vorstellung die defecten Stellen deutlich sehen könne, was den Regisseur rührt, und sie erhalten endlich die Erlaubniß, die sehr notwendigen neuen Schuhe machen zu lassen.

Nachdem sich die Tänzerinnen noch einige Sekunden in dem Zimmer des Regisseurs umgesehen, da eine schöne Stickerei bewundert, hier die Stellung der Venus nicht ganz natürlich fanden, trifft der Regisseur Anstalten, sich seines Schlafrocks zu entledigen, um Toilette zu machen, eine Bewegung, welche die drei alsbald in die Flucht schlägt. Jetzt wird dem Bedienten geschellt, doch kaum ist dieser eingetreten, um seinem Herrn die nöthigen Sachen zur Toilette hinzureichen, als draußen wieder heftig geschellt wird. Schon ist der geplagte Mann im Begriff seinen Schlafrock wieder fester um sich zu ziehen, als er an dem lauten Gelächter der vor der Thür Stehenden erkennt, daß es ein paar gute Freunde sind, vor denen er sich nicht zu geniren hat. Er läßt also den Schlafrock fallen und läßt sich, nachdem er noch einen Blick zum Fenster hinausgeworfen hat, ein paar helle Beinkleider geben, die er dem Sonnenschein zu Liebe heute anziehen will. Indessen sind zwei junge Männer an die Thür getreten, die in ihrem Aeußern den schärfsten Contrast bilden. Der erste ist von einer langen, sehr langen Gestalt, auf der ein interessantes, aber sehr blasses Gesicht, von hellblonden Haaren umgeben, sehr von oben herab auf die Welt sieht. Er ist recht elegant gekleidet, trägt bunte carrirte Beinkleider, eine schwarze Atlasweste, auf der ein kleines Stückchen goldener Kette prangt; ein ähnliches Geschmeide verbindet die kolossalen Knöpfe zweier Tuchnadeln, mit denen der lange junge Mann das schwarzsammtne Halstuch verziert hat; ein Frack nach dem neuesten Schnitt mit pfundschweren Knöpfen, auf denen ein Fuchskopf ciselirt ist, vollendet das Ganze. Er schreitet mit großen Schritten durch den Vorsaal, wobei er einer Tanne zu vergleichen ist, die vom wilden Sturmwind bewegt hin und her schwankt. Der Andere, der wenigstens einen guten Schuh kleiner ist als der Erste, aber dagegen der Breite desto mehr zugesetzt hat, ist kaum im Stande, ihm zu folgen. Beide mögen vielleicht fünf bis sechs und zwanzig Jahre alt sein, sehen aber aus ganz verschiedenen Umständen weit älter aus und sind bei ihrem Eintreten über dies Capitel gerade in einen kleinen Streit verwickelt.

»Ich versichere Dich,« sagte der Lange, »daß Du mit jedem Tage unförmlicher und dicker wirst. Alles Jugendliche ist aus Deiner Erscheinung verschwunden, und wenn nicht Dein kindischer Kopf wäre, der, beiläufig gesagt, weniger zu Deinem Körper als zu Deinen Neigungen und Gesinnungen paßt, so könnte man Dich für einen alten Kerl von fünfzig Jahren halten.« Das sprach der Lange finster und ernst und mit solchem Tone, als sei die Sache durch den Ausspruch abgemacht und ließe sich nichts weiter darauf entgegnen. Doch der kleine Dicke, der freundlich lachend hinter dem Langen hertrippelte und zu ihm emporsah, schenkte Jenem nichts und verglich ihm mit einem Streichhölzchen von dem aber oben der Schwefel abgebrannt sei. So gelangten Beide in das Zimmer des Regisseurs, als Jener sich gerade beschäftigte, das helle Beinkleid anzuziehen. Der Lange bleibt bei diesem Anblick wie erstaunt unter der Thür des Zimmers stehen und sagt mit überraschtem Tone, während sich der Dicke in eine Sophaecke legt und nach einer Cigarre langt: »Ach, lieber Regisseur, Sie wollen heute ein helles Beinkleid anziehen? Welche Idee! Es giebt ja in einer Stunde Regen. Dann sollten Sie sich auch mehr in Acht nehmen und sich nicht hier bei den offenen Thüren anziehen. Ich habe Johnen das schon oft genug gesagt.«

Der Regisseur läßt langsam die Hand sinken und schaut noch einmal zum Fenster hinaus, dann sagt er ruhig: »Ja, Sie haben Recht, es wird doch in kurzem schlechtes Wetter. Johann, eine schwarze Hose!« Und der Dicke bricht in ein lautes Gelächter aus.

Von den beiden eben Eingetretenen, die ich dem Leser zwar bezeichnet, aber noch nicht vorgestellt habe, ist der Lange Schauspieler und der Dicke Schriftsteller. Daß der Mime ein Mann von Talent und Fähigkeiten ist, läßt sich daraus abnehmen, weil er mit dem verständigen scharfblickenden Regisseur in so vertraulichem Verhältnisse steht, so daß dieser sogar auf die Meinung und das Urtheil des Untergebenen etwas hält. Was den Schriftsteller betrifft, so schweigt die Geschichte.

Der Lange ist indessen mit einigen großen Schritten im Zimmer umhergestürzt und hat in kurzem die Rollenhefte des Egmont auf dem Tische entdeckt. »Ah, der Egmont!« ruft er laut. »Ich bekomme doch den Oranien? Nicht wahr? Ich versichere Sie, ich habe mich sehr darauf gefreut und schon lange über das Costüm nachgedacht, das mir am Besten dazu stehen wird. Was denken Sie zu einem schwarzen Sammetkleide? Ich nehme dazu eine kurze blonde Perücke und einen rothen Bart.« – »Wie Dein natürlicher ist,« schaltet der Dicke ein. »Doch hoffe ich, wird Dir jetzt endlich einmal Befehl ertheilt werden, ihn abzuschneiden; denn Du, der so sehr auf Treue des Costüms inclusive Perücke und Bart sieht, wirst doch wohl wissen, daß damals dieser Wangenschmuck nicht Mode war.« Der Lange sieht ihn mit einem großen Blicke an und antwortet ganz ruhig: »Glaub mir nur, daß ich besser weiß, was sich für meine Rolle paßt als Du.« Schon droht wieder, wie beim Eintritt, ein kleiner Streit zu beginnen, wenn nicht der Regisseur gerade angezogen wäre, seinen Hut nimmt, und so das Zeichen zum Aufbruch gibt.

Die Drei gehen fort, und auf der Treppe wird dem Regisseur noch ein Billet gebracht. Es ist von dem Kapellmeister, der anfragt, ob der Egmont wirklich in den nächsten acht Tagen gegeben werde, was ihm eigentlich nicht recht gelegen sei, denn er habe schon für das nächste Concert etwas von der Beethovenschen Musik aus dieser Tragödie bestimmt. Kaum ist der Brief gelesen, so wird der Regisseur auf der Straße von einem jungen Diplomaten mit der Frage angehalten: »Sie geben nächstens Egmont? Wissen Sie, wir haben diesen Winter über die Tragödie einige Male gesprochen, und da gab ich Ihnen einige Stellen an, die bei uns gestrichen wurden und nothwendig auch hier wegbleiben müssen.« Der Regisseur dankte ihm lächelnd und versichert ihm, daß er wohl daran gedacht habe. Für heute Morgen wäre Egmont nun glücklich beendigt, denn obgleich ihm hie und da auf der Straße Collegen begegnen, die mit einer Bitte oder Klage auf ihn zulenken wollen, so thut doch der Regisseur, als sähe er sie nicht, nur um auf einem Augenblick von Allem, was Egmont heißt, befreit zu sein.

Indessen sind Nachmittags die Rollen vertheilt und ist auf den folgenden Morgen eine Probe angesagt worden. Schon in der Frühe sind eine Menge Leute da gewesen, die den Regisseur haben sprechen wollen, doch hat der Bediente den strengsten Befehl erhalten, Niemand vorzulassen, da er sonst mit den Vorbereitungen nicht fertig werden würde.

Auf dem dunklen Theater hat sich indeß das Personal versammelt und steht hie und da in kleinen Gruppen beisammen. Die Zimmerleute tragen die alten Coulissen herbei oder sind auf dem Schnürboden beschäftigt. Der Theaterdiener geht herum und flüstert bald dem Einen, bald dem Andern eine Bemerkung zu. Die Leute, die bei dem Erscheinen des Regisseurs etwas anbringen wollen, halten sich an der ersten Coulisse auf, um ihn gleich überfallen zu können, und ihre Zahl ist nicht klein.

Wie der Theaterdiener in seiner Art ein ganz eigentümlicher Mensch ist, gibt es deren beim Personal noch viele stehende Personen, die wie die Masken aus dem italienischen Theater mit wenigen Variationen fast immer denselben Charakter haben. Unter den Choristen ist einer, der die andern in jeder Beziehung überragt oder zu überragen glaubt. Das ist meistens eine große starke Figur, der im Rittercostüm wie ein rechter Schlagetodt aussieht, und der sich durch allerhand Kleinigkeiten bemerkbar zu machen weiß. Gewöhnlich stellt er sich vorn hin, macht auffallende Gesten und Bewegungen, und wo der Chor sich in pleno zu freuen hat oder betrübt sein muß, drückt er seinen Schmerz noch heftiger aus, oder lacht mit lauter Stimme einige Secunden früher als die Andern. Er ist es, dem sich bei vorkommenden Gelegenheiten der erste Tenor an die treue Freundesbrust wirft, und der mit starkem Arm den Ohnmächtigen aufrecht zu erhalten hat. Bei Balletten spielt er den Zauberkönig oder auch Ungeheuer und ist im Allgemeinen dadurch kenntlich, daß er an seinen Kleidern, die mit denen der übrigen Choristen gleich sein sollten, beständig eine kleine Auszeichnung hat. Bald ist es eine Tresse, bald eine Reihe Knöpfe mehr, bald eine farbige Feder, wo der ganze übrige Chor nur schwarze oder weiße hat. Da sich dieser Mann durch kleine Dienste bei den Regisseuren in Gunst zu setzen weiß, so hält es schwer, ihn von seinem Posten zu verdrängen, denn wenn er auch auf der Bühne nicht selbst mitzuwirken hat, weiß er sich doch immer hinter den Coulissen ein kleines Geschäftchen zu machen. Bald blitzt und donnert er, bald läßt er die Kanonen aus der Entfernung spielen, bald dirigirt er das kleine Gewehrfeuer und läutet mit den Glocken. Ihm gegenüber, doch weniger glücklich und anhaltend, regiert eine handfeste Dame die Choristinnen; doch ist dies weibliche Personal nicht gutmüthig genug, um einer Einzigen zu erlauben, daß sie sich immer vordränge, und dann fährt auch die rauhe Hand der Zeit weit unnachsichtiger über die Wange der Herrscherin. Bei stämmigen Bäuerinnen kann sie noch immer eine der Ersten vorstellen, doch bei jungen unschuldigen Gespielinnen irgend einer Prinzessin, wo sie vor fünf und zwanzig Jahren anmuthig glänzte, muß sie sich gefallen lassen, von dem jungen naseweisen Volk verdrängt zu werden. Dann fallen auch im menschlichen Leben allerhand Verhältnisse vor, die sie nöthigen, eine Zuflucht hinter der geschlossenen Phalanx ihrer Colleginnen zu suchen, wobei sie es dann nicht unterläßt, sich auf die Zehen zu stellen, um den Kopf so weit wie möglich vorstrecken zu können.

Eine andere, nicht minder beachtenswerte und sehr wichtige Person in dem Haushalte des Theaters ist der Inspicient. Da der Posten eines Inspicienten einen Mann verlangt, der eine Unzahl von Stücken fast auswendig weiß, der das Theater durch und durch kennt, so sind es meistens gediente Veteranen, denen ein solcher Posten anvertraut wird. Dieser Mann, der den ganzen Tag in seiner Rumpelkammer zu thun hat, wobei er die alten rostigen Schilder hin und her wirft, zur Vorstellung herrichtet und wieder aufräumt, wo er die Deckelkannen und Becher, aus denen die tapfern Ritter getrunken, zusammenstellt, hat sich durch diese immerwährenden Arbeiten mit den leblosen klappernden Gegenständen ein finsteres, mürrisches Wesen angewöhnt, das er an allen seinen Collegen und selbst an den Vorgesetzten ausläßt. Dabei sind ihm seine alten Gerätschaften ein wahres Heiligthum, und ein Nagel, der ihm nach der Vorstellung an irgend einem Stücke fehlt, ist im Stande, ihn für mehrere Tage unglücklich zu machen. Der Inspicient ist gewöhnlich von Natur ein gutmüthiger Mensch, was sich auch auf seinem Gesichte ausdrücke, weshalb der Ingrimm und der Schmerz, der ihm durch die rohe Behandlung seiner Requisiten verursacht wird, auf seinem dicken lächelnden Gesicht nicht recht die Oberhand gewinnen kann. Sein Geschäft verbietet ihm, in der Kleidung sehr gewählt zu sein, und da ihm bei dem Herumstöbern in den Winkeln zuweilen die Perücke etwas verschoben wird, so sieht der Mann nicht selten sehr possirlich aus, wenn er so mit einigen mächtigen Ritterschwertern unter dem Arm an das Tageslicht heraufsteigt. Des Abends bei der Vorstellung läuft er hinter den Coulissen umher, um jedem der Schauspieler zu sagen, wann der Augenblick da ist, daß er auftreten muß. Dann liest er das Stichwort, es mag einen noch so rührenden Monolog beschließen, mit näselndem Tone ab, gibt dem Schauspieler einen kleinen Puff, nimmt hastig eine Prise und eilt auf eine andere Seite der Bühne, wo es vielleicht eben blitzen soll, oder wo er den Befehl zu geben hat, daß ein paar kleine Balletmädchen, die als Genien in ihren Hänggurten zappeln, über die Bühne fliegen sollen.

Jetzt endlich schlägt es zehn Uhr; der Regisseur kommt in Begleitung des langen Schauspielers, von dem ich oben sprach, und der ihn regelmäßig zu den Proben abholt; denn der Regisseur, ein kleiner König in seinem Reiche, hat so gut Günstlinge wie jeder Andere. Hier auf der Probe hat sein Auftreten wirklich etwas Königliches, und er wird umringt von der Schaar der Supplicanten, die sich in der ersten Coulisse hinter leinwandenen Bäumen und hölzernen Steinen verbargen. Zuerst naht sich ihm der Maschinist, der zugleich Decorateur ist, und entschuldigt sich über einen verunglückten Mondschein, oder daß eines der Garderobemädchen gestern bei der letzten Scene, wo der Hintergrund das offene Meer darstellte, ins Wasser gegangen sei, er habe sie zurückhalten wollen, doch sei es zu spät gewesen. Der Anführer der Statisten, der, weil er in vorkommenden Fällen die Gefechte zu führen hat, Schlachtenlenker genannt wird, bringt die Liste, auf der die Soldaten verzeichnet sind, die im Hintergrunde warten, bis der Augenblick kommt, wo sie als Leibwache des Herzogs von Alba über die Bretter marschiren sollen. Der Balletmeister, dem der Regisseur heute Morgen einige Zeilen schrieb, er möge doch bei den Volksfesten in Brüssel durch einige Tänzer im Hintergrunde einen kleinen Tanz aufführen lassen, steht auf der Bühne und macht nur einige Schritte gegen den Regisseur, damit dieser die gleiche Anzahl gegen ihn machen soll. Er thut dies nur, um seiner Würde nichts zu vergeben, obendrein, da er alle Ursache hat, sich über das Begehren des Regisseur beleidigt zu finden, denn er sagt diesem, daß er es sehr geschmacklos fände, wenn man verlange, daß das Ballet im Hintergrunde tanzen solle. Der Regisseur weiß ihn nur durch das Versprechen zu beruhigen, daß dort ein kleiner hölzerner Hügel gebaut werden soll, auf welchem man vom Parterre aus die Tänze deutlich sehen könne. So hat der beschäftigte Mann nach allen Seiten zu fragen, zu beantworten, Bitten zu gewähren oder abzuschlagen. »Lieber Bruder,« sagte der Herzog Alba zu ihm, »Du könntest mir zu der Rolle auch eine neue Perücke machen lassen; ich versichere Dich, die alte paßt gar nicht mehr dazu.« Vansen, der Schreiber, kommt und beklagt sich, daß er in der Garderobe keinen Rock finden könne, der zerrissen genug wäre. Kaum sind die Beiden abgefertigt, und der Regisseur ist glücklich an seinen Tisch gelangt, worauf die Klingel und sein Hut steht, so fühlt er sich leise am Rock gezupft. Es ist eine Choristin von kleiner Statur, die sich gern auszeichnen möchte, und da sie wegen ihrer unansehnlichen Gestalt von den Andern immer zurückgedrängt wird, hat sie sich auf die Gassenjungen und dergleichen verlegt und bittet den Regisseur, sie bei den Volksfesten in Brüssel einen solchen spielen zu lassen. Nach einer Zeichnung und Beschreibung, die er heute Morgen dem Decorateur zuschickte, hat dieser das Theater zu der ersten Scene, wo Jetter im Begriff ist, nach der Scheibe zu schießen, hergerichtet. Der Regisseur, der die Niederlande bereiste, hat dort einigen kleinen Festen der Art beigewohnt und die Häuser auf dem Theater geschmückt, wie sie daselbst verziert waren. Von den Giebeln hängen bunte Fahnen mit Namen verschiedener Ortschaften und Dörfer, die Theilnehmer zu dem Scheibenschießen sandten. Auf dem Boden sitzen Gruppen von Kindern, und der Regisseur zeigt ihnen, wie sie spielen und sich herumbalgen müssen; auch dürfen sie zuweilen schreien und laut jubeln. So beginnt die Probe, doch gibt es noch Unsägliches zu thun. Bald stehen die Landleute im Hintergrunde zu dick auf einander, bald sind die Reihen zu dünn und füllen das Theater nicht aus. Die Statisten, welche die gemüthlichen holländischen Soldaten darstellen sollen, marschiren ängstlich hin und her mit angezogenen Knieen und steifen Fußspitzen, als wenn sie auf dem Exercirplatze wären. Die Damen des Ballets, die leichtfüßige Bauernmädchen machen sollen, schweben wie Nymphen einher, machen statt natürlicher Bewegungen die ausgesuchtesten Attitüden, kurz, es ist noch nicht die Idee von einem wirklichen Leben in dem Gewühl. Der Regisseur läuft herum, stellt hier eine Gruppe zusammen, jagt dort die Kinder auseinander und fordert sie auf, laut zu schreien; endlich geht die Sache etwas besser; doch kaum wird es von Neuem probirt, so haben die Meisten das eben Gemachte wieder vergessen und es muß ihnen abermals gezeigt werden; besonders die Kinder sind schüchtern und fürchten sich, bis vorn auf die Bühne zu laufen, weshalb der Regisseur einen Korb mit Aepfeln kommen läßt, und der Inspicient muß einen nach dem andern über die Bühne rollen lassen. Jetzt wirds besser, die Kinder laufen den Aepfeln nach, werfen einander um, überpurzeln sich und die Sache wird natürlicher. So geht die Probe fort. Die Scenen zwischen Egmont, Brackeburg und Klärchen erfordern weniger Mühe; doch hat der Regisseur auch hier immer noch genug zu thun, um dem Ganzen die gehörige Rundung zu geben. Da müssen die Farben der Decoration, der Möbel mit den Costümen übereinstimmen, und wenn er endlich nach seiner besten Einsicht alle diese Sachen ordentlich zusammengestellt hat, so kommt ihm oft noch die Meinung eines einzelnen Künstlers dazwischen, und er muß, um die Collegen bei guter Laune zu erhalten, die ganze Anordnung wieder umwerfen.

So glaubt Alba, daß ein rother Sammetmantel zu seinem Costüme besser stehen würde, was aber nun zu den Möbeln von derselben Farbe und demselben Stoffe nicht gut passen würde. Der lange Schauspieler, der den Oranien spielt, überzeugt den guten Regisseur in einer schwachen Stunde, daß er zu seinem schwarzen Kleide auf jeden Fall blaue Möbeln haben müsse, und so geht das fort, untermischt mit andern kleinen Störungen, die jeden Augenblick eintreten. Klärchen ist heiser und kann ihre Reden kaum sprechen, auch zerstreut und sieht oft hinter den Coulissen umher, als suche sie dort etwas. Die Mutter dagegen, die sich noch der seligen Zeit erinnerte, wo sie Klärchen spielte, verspricht sich jeden Augenblick und sagt oft in der Zerstreuung lange Sätze von den Reden ihrer Tochter. Hinter den Coulissen wogt und murmelt es durch einander, und der Regisseur muß oftmals seine Klingel gebrauchen und Ruhe gebieten, damit er die auf der Bühne Befindlichen hören kann. In Gruppen stehen die Schauspieler, die Choristen und Statisten vor und in den Garderoben zusammen, betrachten die Kleider, die dort aufgehängt sind, haben daran etwas auszusetzen, oder einer ärgert sich über den andern, wenn Jener ein besseres Kleid hat als Dieser. Vansen hat sich so in seine Rolle hineinstudirt, daß er den aufrührerischen Schreiber auch hinter den Coulissen fortspielt. Er beweist eben dem Brackeburg, der gerade seinen Contract in der Tasche hat, daß er danach den Egmont rechtmäßig für sich in Anspruch nehmen könne; zufällig kommt der zweite Tenor hinzu und ist voll Gift und Galle über den Regisseur, der von ihm verlangt, er solle die gemeinschaftlichen Reden der Bürger mitsprechen. Auf der andern Seite stehen die Choristinnen beisammen und Alle haben sich über den Regisseur zu beklagen. Diese wollte heute Morgen von der Probe dispensirt sein, und trotz dem, daß sie eine große Wäsche hat oder ausziehen will, muß sie doch bleiben; eine Andere, die unverheiratet ist, wurde von ihm auf das Gröbste beleidigt, indem er sie gestern ermahnte, zur heutigen Probe ihre Kinder mitzubringen; einer Dritten endlich, die beim wehmütigsten Chore oder bei Ausbrüchen der Verzweiflung oder des Schmerzes ruhig ihren Strickstrumpf bearbeitet, wurde diese Thätigkeit auf der Probe untersagt und sie dadurch auf das Empfindlichste gekränkt.

So dauern die Proben fort, Morgens und Nachmittags, und allmählich taucht aus dem Chaos ein fester Kern hervor, und bei der Generalprobe sieht sich im günstigen Falle der Regisseur für seine viele Arbeit und Mühe belohnt, denn die Vorstellung verspricht eine glänzende zu werden. Auf dem Zettel von heute steht schon für morgen der Egmont angekündigt, aber noch ist manche Tücke des Schicksals zu fürchten, die vielleicht die ganze Vorstellung für längere Zeit hinausschieben kann, die wirkliche oder fingirte Krankheit eines Mitgliedes, und der Regisseur sieht an diesem Tage dem Theaterdiener immer mit Schrecken entgegen, weil er die unheilschwangern Worte zu hören glaubt: Herr oder Madame So oder So sind krank geworden. Doch kommt diesmal der Tag der Aufführung ohne Störung heran. Der Zettel wird gedruckt, öffentlich angeklebt, und jetzt ist so leicht an eine Veränderung nicht mehr zu denken. Während nun schon von drei Uhr Nachmittags an der Regisseur in den Garderoben und auf der Bühne herumkriecht, hier andere Costüme aussucht, dort noch Anordnung für die Möbeln trifft, während der Mann dabei ermüdet und abgespannt von der tagelangen Arbeit obendrein seine Rolle hervorholen und noch einmal ablesen muß, schlendert man auf der Gasse gemächlich ins Kaffeehaus und liest an der Ecke den angeklebten Zettel. »Egmont,« sagt Einer, »wäre mir schon recht.« – »Mir auch,« sagt ein Anderer, »und Der und Der, und Die und Die spielt mit; die Besetzung ist ziemlich.« – »Ja,« fügt ein Dritter gähnend hinzu, »wenn ich mich nur nicht bei Durchlesung des Theaterzettels immer ärgern müßte, da lesen die Schauspieler ihre Rollen ein halbmal durch, halten zu ihrem Vergnügen eine Stunde Probe, und dann macht sich so ein Regisseur wichtig und läßt auf den Zettel drucken: »Neu in Scene gesetzt!«

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Der Leibschneider der Zwerge >



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