Friedrich Schiller
Wilhelm Tell
Erster Aufzug
eingestellt: 6.6.2007
Hohes Felsenufer des Vierwaldstättersees, Schwyz gegenüber.
Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des
Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.
Fischerknabe singt im Kahn: Melodie des Kuhreihens
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er
ein Klingen,
Wie Flöten so süss,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihn um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schäfer,
Ich zieh ihn herein.
Hirte auf dem Berge: Variation des Kuhreihens
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senn muss scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fliessen im lieblichen Mai
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss
scheiden,
Der Sommer ist hin.
Alpenjäger erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen: Zweite Variation
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den
Füssen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riss nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.
Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.
Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, sein Handbube, folgt ihm.
Ruodi:
Mach hurtig Jenni. Zieh die Naue ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mythenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich mein, wird dasein, eh wirs
denken.
Kuoni:
s kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
Werni:
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.
Kuoni zum Buben:
Lug Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
Seppi:
Die braune Liesel kenn ich am Geläut.
Kuoni:
So
fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
Ruodi:
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
Werni:
Und schmuckes Vieh - Ists Euer eigenes, Landsmann?
Kuoni:
Bin nit so reich - s ist meines gnädigen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
Ruodi:
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!
Kuoni:
Das weiss sie
auch, dass sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihrs, sie hörte auf zu fressen.
Ruodi:
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünftges Vieh -
Werni:
Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
Ruodi
zum Hirten:
Treibt Ihr jetzt heim?
Kuoni:
Die Alp ist abgeweidet.
Werni:
Glückselge Heimkehr, Senn!
Kuoni:
Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sichs nicht immer wieder.
Ruodi:
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.
Werni:
Ich kenn ihn, s ist der Baumgart von Alzellen.
Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.
Baumgarten:
Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!
Ruodi:
Nun, nun, was gibts so eilig?
Baumgarten:
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!
Kuoni:
Landsmann, was hat Ihr?
Werni:
Wer verfolgt Euch denn?
Baumgarten zum Fischer:
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
De Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
Ruodi:
Warum verfolgen Euch die Reisigen?
Baumgarten:
Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.
Werni:
Ihr seid mit Blut befleckt, was hats gegeben?
Baumgarten:
Des Kaisers Burgvogt, der auf dem Rossberg sass -
Kuoni:
Der Wolfenschiessen! Lässt Euch der verfolgen?
Baumgarten:
Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.
Alle fahren zurück:
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?
Baumgarten:
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.
Kuoni:
Hat Euch
der Burgvogt an der Ehr geschädigt?
Baumgarten:
Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
Werni:
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
Kuoni:
O lasst uns alles hören. Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.
Baumgarten:
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib
gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt liegt in meinem Haus, er hab
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.«
Drauf hab er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm s Bad gesegnet.
Werni:
Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.
Kuoni:
Der Wüterich! Der hat
nun seinen Lohn!
Hats lang verdient ums Volk von Unterwalden.
Baumgarten:
Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt -
Indem wir sprechen - Gott - verrinnt die Zeit -
Es fängt an zu donnern.
Kuoni:
Frisch Fährmann - Schaff den Biedermann hinüber.
Ruodi:
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müsst warten.
Baumgarten:
Heilger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet -
Kuoni zum Fischer:
Greif an mit Gott, dem Nächsten muss man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
Brausen und Donnern.
Ruodi:
Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.
Baumgarten umfasst seine Knie:
So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet -
Werni:
Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.
Kuoni:
sist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
Wiederholte Donnerschläge.
Ruodi:
Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er - Seht hin
Wies brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
- Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.
Baumgarten noch auf den Knien:
So muss ich fallen in
des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
- Dort liegts! Ich kanns erreichen mit den Augen
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muss hier liegen, hülflos, und verzagen!
Kuoni:
Seht wer da kommt!
Werni:
Es ist der Tell aus Bürglen!
Tell mit der Armbrust.
Tell:
Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?
Kuoni:
s ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr
Verteidigt, und den Wolfenschiess erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Rossberg sass -
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen.
Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,
Der fürchtt sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
Ruodi:
Da ist der Tell, er führt das Ruder
auch,
Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.
Tell:
Wos not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.
Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.
Ruodi:
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.
Tell:
Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau auf Gott und rette
den Bedrängten.
Ruodi:
Vom sicheren Port lässt sichs gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!
Tell:
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es Fährmann!
Hirten und Jäger:
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!
Ruodi:
Und wärs mein Bruder und mein leiblich Kind,
Es kann nicht sein, sist
heut Simons und Judä,
Da rast der See und will sein Opfer haben.
Tell:
Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muss Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?
Ruodi:
Nein, nicht ich!
Tell:
In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.
Kuoni:
Ha, wackrer Tell!
Werni:
Das gleicht dem Waidgesellen!
Baumgarten:
Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!
Tell:
Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,
Aus Sturmesnöten muss ein andrer helfen.
Doch besser ists, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen! Zu dem Hirten: Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht
lassen konnte.
Er springt in den Kahn.
Kuoni zum Fischer:
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?
Ruodi:
Wohl bessre Männer tuns dem Tell nicht nach,
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.
Werni ist auf den Fels gestiegen:
Er stösst schon ab. Gott helf dir, braver
Schwimmer!
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!
Kuoni am Ufer:
Die Flut geht drüber weg - Ich sehs nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
Seppi:
Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.
Kuoni:
Weiss Gott, sie sinds! das war Hülf in der Not.
Ein Trupp
Landenbergischer Reiter.
Erster Reiter:
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.
Zweiter:
Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.
Kuoni und Ruodi:
Wen meint ihr, Reiter?
Erster Reiter entdeckt den Nachen:
Ha, was seh ich! Teufel!
Werni oben:
Ists der im Nachen, den ihr sucht? - Reit zu!
Wen ihr frisch beilegt,
holt ihr ihn noch ein.
Zweiter:
Verwünscht! Er ist entwischt.
Erster zum Hirten und Fischer:
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büssen - Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reisset ein, brennt und schlagt nieder!
Eilen fort.
Seppi stürzt nach:
O meine Lämmer!
Kuoni folgt:
Weh
mir! Meine Herde!
Ruodi ringt die Hände:
Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande? Folgt ihnen.
Zweite Szene
Zu Steinen in Schwyz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstrasse, nächst der Brücke.
Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern kommen im
Gespräch.
Pfeiffer:
Ja, ja Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.
Schwör nicht zu Östreich, wenn Ihrs könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,
Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!
Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.
Stauffacher:
Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt - Ihr seid
Mein Gast zu Schwyz, ich in
Luzern der Eure.
Pfeiffer:
Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen.
- Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben
Von eurer Vögte Geiz und Übermut,
Tragts in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.
Seid Ihr erst Österreichs, seid ihrs auf immer.
Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der
Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.
Gertrud:
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.
Schon viele Tage seh ichs schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fordr ich deines Grams.
Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.
Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiss, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
- Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz
von schönem
Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmass ordentlich gefügt
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,
Mit bunten Wappenschildern ists bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
Stauffacher:
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach - es wankt der Grund, auf den wir bauten.
Gertrud:
Mein Werner sage, wie
verstehst du das?
Stauffacher:
Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heut,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig
Wie sichs gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im
Lande. »Wessen ist dies Haus?«
Fragt er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn ihm so:
Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen - da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, euch
das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
Gertrud:
Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edlen Ibergs Tochter rühm ich mich,
Des vielerfahrnen Manns. Wir Schwestern sassen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des
Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente lasen
Der alten Kaiser, und des Landes Wohl
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,
Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.
So höre denn und acht auf meine Rede,
Denn was dich presste, sieh das wusst ich längst.
- Dir grollt der Landvogt, möcht gern dir
schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und getan. -
Ists nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!
Stauffacher:
So ists, das ist des Gesslers Groll auf mich.
Gertrud:
Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,
Ein
freier Mann auf deinem eignen Erb
- Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn
Als nur den Höchsten in der Christenheit -
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen
Augen giftger Missgunst an,
Dir hat er längst den Untergang geschworen -
Noch stehst du unversehrt - Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an die gebüsst?
Der kluge Mann baut vor.
Stauffacher:
Was ist zu tun?
Gertrud tritt näher:
So höre meinen Rat! Du weisst, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So
zweifle nicht, dass sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs -
Denn wie der Gessler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See -
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-
Beginnen von den Vögten uns verkündet.
Drum tät es gut, dass eurer etliche,
Dies redlich meinen, still zu Rate
gingen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen.
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen,
Und der gerechten Sache gnädig sein -
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
Stauffacher:
Der wackern Männer kenn ich viele dort,
Und angesehen grosse Herrenleute,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.
Er steht auf.
Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.
- Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal -
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?
Der gute Schein nur ists, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten,
Und unterm Schein gerechter Züchtigung
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
Gertrud:
Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
zu führen, und dem
Mutigen hilft Gott!
Stauffacher:
O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.
Gertrud:
Ertragen muss man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
Stauffacher:
Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
Gertrud:
Wüsst ich mein Herz
an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
Stauffacher:
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
Gertrud:
Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
- Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.
Stauffacher:
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure
sein?
Gertrud:
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
Stauffacher stürzt in ihre Arme:
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten.
Und keines Königs Heermacht fürchtet er -
Nach Uri fahr ich stehnden Fusses gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther
Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Auch find ich dort den edlen Bannerherrn
Von Attinghaus - obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt -
Leb wohl - und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses -
Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,
Dem frommen Mönch, der für
sein Kloster sammelt,
Gib reichlich und entlass ihn wohlgepflegt.
Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zuäusserst
Am offnen Heerweg stehts, ein wirtlich Dach
Für alle Wandrer, die des Weges fahren.
Indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene.
Tell zu Baumgarten:
Ihr habt jetzt meiner weiter nicht
vonnöten,
Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt
Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.
- Doch sieh, da ist er selber - Folgt mir, kommt!
Gehen auf ihn zum, die Szene verwandelt sich.
Dritte Szene
Öffentlicher Platz bei Altdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit
gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und niedersteigen, auf dem höchsten Dach hängt der Scheiferdecker - Alles ist in Bewegung und in Arbeit.
Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.
Fronvogt mit dem Stabe, treibt die Arbeiter:
Nicht
lange gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk
Gewachsen sieht - Das schlendert wie die Schnecken.
Zu zwei Handlangern, welche tragen:
Heisst das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!
Erster Gesell:
Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!
Fronvogt:
Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.
Alter Mann ruht aus:
Ich kann nicht mehr.
Fronvogt schüttelt ihn:
Frisch Alter an die Arbeit!
Erster Gesell:
Habt ihr denn gar kein Eingeweid, dass ihr
Den
Greis, der kaum sich selber schleppen kann,
Zum harten Frondienst treibt?
Meister Steinmetz und Gesellen:
s ist himmelschreiend!
Fronvogt:
Sorgt ihr für euch, ich tu was meines Amts.
Zweiter Gesell:
Fronvogt, wie wird die Feste denn sich nennen
Die wir da baun?
Fronvogt:
Zwing Uri soll sie heissen,
Denn unter dieses Joch wird man euch
beugen.
Gesellen:
Zwing Uri!
Fronvogt:
Nun was gibts dabei zu lachen?
Zweiter Gesell:
Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?
Erster Gesell:
Lass sehn, wieviel man solcher Maulwurfshaufen
Muss übereinander setzen, bis ein Berg
Draus wird, wie der geringste nur in Uri!
Fronvogt geht nach dem Hintergund.
Meister Steinmetz:
Den Hammer werf ich in den tiefsten See,
Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!
Tell und Stauffacher kommen.
Stauffacher:
O hätt ich nie gelebt, um das zu schauen!
Tell:
Hier ist nicht gut sein. Lass uns weitergehn.
Stauffacher:
Bin ich zu Uri in der Freiheit Land?
Meister Steinmetz:
O Herr, wenn ihr die Keller erst gesehn
Unter den Trümmern! Ja wer die bewohnt,
Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!
Stauffacher:
O Gott!
Steinmetz:
Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,
Die stehn, wie für die Ewigkeit gebaut!
Tell:
Was Hände bauten, können Hände stürzen.
Nach den Bergen zeigend:
Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.
Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf der Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultarisch nach.
Erster Gesell:
Was will die Trommel? Gebet acht!
Meister Steinmetz:
Was für ein Fasnachtsaufzug und was soll
der Hut?
Ausrufer:
In des Kaisers Namen! Höret!
Gesellen:
Still doch! Höret!
Ausrufer:
Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!
Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,
Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,
Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung:
Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,
Man soll ihn mit gebognem Knie und mit
Entblösstem Haupt verehren - Daran will
Der König die Gehorsamen erkennen.
Verfallen ist mit seinem Leib und Gut
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.
Das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber.
Erster Gesell:
Welch neues Unerhörtes hat der Vogt
Sich ausgesonnen! Wir nen Hut verehren!
Sagt! Hat man je vernommen von
dergleichen?
Meister Steinmetz:
Wir unsre Knie beugen einem Hut!
Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würdgen Leuten?
Erster Gesell:
Wärs noch die kaiserliche Kron! So ists
Der Hut von Österreich, ich sah ihn hangen
Über dem Thron, wo man die Lehen gibt!
Meister Steinmetz:
Der Hut von Österreich! Gebt acht, es ist
Ein Fallstrick, uns an Östreich zu
verraten!
Gesellen:
Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.
Meister Steinmetz:
Kommt, lasst uns mit den andern Abred nehmen.
Sie gehen nach der Tiefe.
Tell zum Stauffacher:
Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!
Stauffacher:
Wo wollt ihr hin? O eilt nicht so von dannen.
Tell:
Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.
Stauffacher:
Mir ist das Herz so voll, mit Euch zu reden.
Tell:
Das schwere Herz wird nicht
durch Worte leicht.
Stauffacher:
Doch könnten Worte uns zu Taten führen.
Tell:
Die einzge Tat ist jetzt Geduld und Schweigen.
Stauffacher:
Soll man ertragen, was unleidlich ist?
Tell:
Die schnellen Herrscher sinds, die kurz regieren.
- Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,
Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen
Eilends
den Hafen, und der mächtge Geist
Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.
Ein jeder lebe still bei sich daheim,
Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.
Stauffacher:
Meint ihr?
Tell:
Die Schlange sticht nicht ungereizt.
Sie werden endlich doch von selbst ermüden,
Wenn sie die Lande ruhig bleiben sehn.
Stauffacher:
Wir könnten viel, wenn wir
zusammenstünden.
Tell:
Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter.
Stauffacher:
So kalt verlasst ihr die gemeine Sache?
Tell:
Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.
Stauffacher:
Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.
Tell:
Der Starke ist am mächtigsten allein.
Stauffacher:
So kann
das Vaterland auf Euch nicht zählen,
Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?
Tell gibt ihm die Hand:
Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,
Und sollte seinen Freunden sich entziehen?
Doch was ihr tut, lasst mich aus eurem Rat,
Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,
Bedürft ihr meiner zu bestimmter Tat,
Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.
Gehen ab zu verschiedenen Seiten. Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste.
Meister Steinmetz eilt hin:
Was gibts?
Erster Gesell kommt vor, rufend:
Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.
Berta mit Gefolge.
Berta stürzt herein:
Ist er zerschmettert? Rennet,
rennet, helft -
Wenn Hilfe möglich, rettet, hier ist Gold -
Wirft ihr Geschmeide unter das Volk.
Meister:
Mit eurem Golde - Alles ist euch feil
Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern
Gerissen und den Mann von seinem Weibe,
Und Jammer habt gebracht über die Welt,
Denkt ihrs mit Golde zu vergüten - Geht!
Wir waren frohe Menschen eh ihr kamt,
Mit euch ist
die Verzweiflung eingezogen.
Berta zu dem Fronvogt, der zurückkommt:
Lebt er?
Fronvogt gibt ein Zeichen des Gegenteils.
O unglückselges Schloss, mit Flüchen
Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!
Geht ab.
Vierte Szene
Walther Fürsts Wohnung
Walther Fürst und Arnold von Melchtal treten zugleich ein von verschiedenen Seiten.
Melchtal:
Herr Walther Fürst -
Walther Fürst:
Wenn man uns überraschte!
Bleibt, wo Ihr seid. Wir sind umringt von Spähern.
Melchtal:
Bringt Ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts
Von meinem Vater? Nicht ertrag ichs länger,
Als ein Gefangner müssig hier zu liegen.
Was hab ich denn so Sträfliches getan,
Um mich gleich einem Mörder zu verbergen?
Dem frechen Buben, der die Ochsen mir,
Das trefflichste Gespann, vor meinen Augen
Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiss,
Hab ich den Finger mit dem Stab gebrochen.
Walther Fürst:
Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts,
Von Eurer Obrigkeit war er gesendet,
Ihr wart in Straf gefallen, musstet Euch,
Wie schwer sie war, der Buße schweigend fügen.
Melchtal:
Ertragen sollt ich die leichtfertge Rede
Des Unverschämten: »Wenn der Bauer Brot
Wollt essen, mög er selbst am Pfluge ziehn!«
In die Seele schnitt mirs, als der Bub die Ochsen,
Die schönen Tiere von dem Pfluge spannte,
Dumpf brüllten sie,
als hätten sie Gefühl
Der Ungebühr, und stiessen mit den Hörnern,
Da übernahm mich der gerechte Zorn,
Und meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten.
Walther Fürst:
O kaum bezwingen wir das eigne Herz,
Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen!
Melchtal:
Mich jammert nur der Vater - Er bedarf
So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern.
Der Vogt ist ihm
gehässig, weil er stets
Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten.
Drum werden sie den alten Mann bedrängen,
Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze.
- Werde mit mir was will, ich muss hinüber.
Walther Fürst:
Erwartet nur und fasst Euch in Geduld,
Bis Nachricht uns herüberkommt vom Walde.
- Ich höre klopfen, geht - Vielleicht ein Bote
Vom Landvogt - Geht hinein - Ihr
seid in Uri
Nicht sicher vor des Landenbergers Arm,
Denn die Tyrannen reichen sich die Hände.
Melchtal:
Sie lehren uns, was wir tun sollten.
Walther Fürst:
Geht!
Ich ruf Euch wieder, wenns hier sicher ist.
Melchtal geht hinein.
Der Unglückselige, ich darf ihm nicht
Gestehen, was mir Böses schwant - Wer
klopft?
Sooft die Türe rauscht, erwart ich Unglück.
Verrat und Argwohn lauscht in allen Ecken,
Bis in das Innerste der Häuser dringen
Die Boten der Gewalt, bald tät es not,
Wir hätten Schloss und Riegel an den Türen.
Er öffnet und tritt erstaunt zurück, da Werner Stauffacher hereintritt.
Was seh ich? Ihr, Herr Werner! Nun bei Gott!
Ein werter, teurer Gast - Kein bessrer Mann
Ist über diese Schwelle noch gegangen.
Seid hoch willkommen unter meinem Dach!
Was führt Euch her? Was sucht Ihr hier in Uri?
Stauffacher ihm die Hand reichend:
Die alten Zeiten und die alte Schweiz.
Walther Fürst:
Die bringt ihr mit Euch - Sieh, mir wird so wohl,
Warm geht das Herz mir auf bei Eurem Anblick.
- Setzt Euch, Herr Werner -
Wie verliesset Ihr
Frau Gertrud, Eure angenehme Wirtin,
Des weisen Ibergs hochverständge Tochter?
Von allen Wandrern aus dem deutschen Land,
Die über Meinradszell nach Welschland fahren,
Rühmt jeder Euer gastlich Haus - Doch sagt,
Kommt ihr soeben frisch von Flüelen her,
Und habt Euch nirgends sonst noch umgesehn,
Eh Ihr den Fuss gesetzt auf diese Schwelle?
Stauffacher setzt sich:
Wohl
ein erstaunlich neues Werk hab ich
Bereiten sehen, das mich nicht erfreute.
Walther Fürst:
O Freund, da habt Ihrs gleich mit einem Blicke!
Stauffacher:
Ein solches ist in Uri nie gewesen -
Seit Menschendenken war kein Twinghof hier,
Und fest war keine Wohnung als das Grab.
Walther Fürst:
Ein Grab der Freiheit ists. Ihr nennts mit Namen.
Stauffacher:
Herr Walther Fürst, ich will Euch nicht verhalten,
Nicht eine müssge Neugier führt mich her,
Mich drücken schwere Sorgen - Drangsal hab ich
Zu Haus verlassen. Drangsal find ich hier.
Denn ganz unleidlich ists, was wir erdulden,
Und dieses Dranges ist kein Ziel zu sehn.
Frei war der Schweizer von uralters her,
Wir sinds gewohnt, dass man uns gut begegnet,
Ein solches war im Lande nie erlebt,
Solang ein Hirte trieb
auf diesen Bergen.
Walther Fürst:
Ja, es ist ohne Beispiel wie sies treiben!
Auch unser edler Herr von Attinghausen,
Der noch die alten Zeiten hat gesehn,
Meint selber, es sei nicht mehr zu ertragen.
Stauffacher:
Auch drüben unterm Wald geht Schweres vor,
Und blutig wirds gebüsst - der Wolfenschiessen,
Des Kaisers Vogt, der auf dem Rossberg hauste,
Gelüsten trug er nach
verbotner Frucht,
Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen,
Wollt er zu frecher Ungebühr missbrauchen,
Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.
Walther Fürst:
O die Gerichte Gottes sind gerecht!
- Baumgarten sagt Ihr? Ein bescheidner Mann!
Er ist gerettet doch und wohlgeborgen?
Stauffacher:
Euer Eidam hat ihn übern See geflüchtet,
Bei mir zu Steinen halt ich ihn
verborgen -
- Noch Greulichers hat mir derselbe Mann
Berichtet, was zu Sarnen ist geschehn,
Das Herz muss jedem Biedermanne bluten.
Walther Fürst aufmerksam:
Sagt an, was ists?
Stauffacher:
Im Melchtal, da wo man
Eintritt bei Kerns, wohnt ein gerechter Mann,
Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden,
Und seine Stimm gilt was in der Gemeinde.
Walther Fürst:
Wer kennt ihn nicht! Was ists mit ihm? Vollendet!
Stauffacher:
Der Landenberger büsste seinen Sohn
Um kleinen Fehlers willen, liess die Ochsen,
das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen,
Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig.
Walther Fürst in höchster Spannung:
Der Vater aber - Sagt, wie stehts um den?
Stauffacher:
Den Vater lässt der Landenberger fordern,
Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,
Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,
Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,
Da lässt der Vogt die Folterknechte kommen -
Walther Fürst springt auf und will ihn auf die andre Seite führen:
O still, nichts mehr!
Stauffacher mit steigendem Ton:
»Ist mir der Sohn
entgangen,
So hab ich dich« - Lässt ihn zu Boden werfen,
Den spitzgen Stahl ihm in die Augen bohren -
Walther Fürst:
Barmherzger Himmel!
Melchtal stürzt heraus:
In die Augen, sagt Ihr?
Stauffacher erstaunt zum Walther Fürst:
Wer ist der Jüngling?
Melchtal fasst ihn mit krampfhafter Heftigkeit:
In die Augen? Redet.
Walther Fürst:
O der Bejammernswürdige!
Stauffacher:
Wer ists?
(Da Walther Fürst ihm ein Zeichen gibt)
Der Sohn ists? Allgerechter Gott!
Melchtal:
Und ich
Muss ferne sein! - In seine beiden Augen?
Walther Fürst:
Bezwinget Euch, ertragt es wie ein Mann!
Melchtal:
Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!
- Blind also? Wirklich blind, und ganz
geblendet?
Stauffacher:
Ich sagts. Der Quell des Sehns ist ausgeflossen
Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.
Walther Fürst:
Schont seines Schmerzens!
Melchtal:
Niemals! Niemals wieder!
Er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem andern, und spricht mit sanfter, von Tränen
erstickter Stimme:
O eine edle Himmelsgabe ist
Das Licht des Auges - Alle Wesen leben
Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf -
Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte.
Und er muss sitzen, fühlend, in der Nacht,
Im ewig Finstern - ihn erquickt nicht mehr
Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz,
Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen -
Sterben ist nichts - doch
leben und nicht sehen,
Das ist ein Unglück - Warum seht ihr mich
So jammernd an? Ich hab zwei frische Augen,
Und kann dem blinden Vater keines geben,
Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts,
Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt.
Stauffacher:
Ach, ich muss Euren Jammer noch vergrössern,
Statt ihn zu heilen - Er bedarf noch mehr!
Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt,
Nichts
hat er ihm gelassen als den Stab,
Um nackt und blind von Tür zu Tür zu wandern.
Melchtal:
Nichts als den Stab dem augenlosen Greis!
Alles geraubt, und auch das Licht der Sonne,
Des Ärmsten allgemeines Gut - Jetzt rede
Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen!
Was für ein feiger Elender bin ich,
Dass ich auf meine Sicherheit gedacht,
Und nicht auf deine - dein geliebtes Haupt
Als
Pfand gelassen in des Wütrichs Händen!
Feigherzge Vorsicht fahre hin - Auf nichts
Als blutige Vergeltung will ich denken,
Hinüber will ich - keiner soll mich halten -
Des Vaters Auge von dem Landvogt fordern -
Aus allen seinen Reisigen heraus
Will ich ihn finden - Nichts liegt mir am Leben,
Wenn ich den heissen ungeheuren Schmerz
In seinem Lebensblute kühle. Er will gehen.
Walther
Fürst:
Bleibt!
Was könnt Ihr gegen ihn? Er sitzt zu Sarnen
Auf seiner hohen Herrenburg und spottet
Ohnmächtgen Zorns in seiner sichern Feste.
Melchtal:
Und wohnt er droben auf dem Eispalast
Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau
Seit Ewigkeit verschleiert sitzt - Ich mache
Mir Bahn zu ihm, mit zwanzig Jünglingen
Gesinnt wie ich, zerbrech ich seine Feste.
Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle
Für eure Hütten bang und eure Herden,
Euch dem Tyrannenjoche beugt - die Hirten
Will ich zusammenrufen im Gebirg,
Dort unterm freien Himmelsdache, wo
Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund,
Das ungeheuer Grässliche erzählen.
Stauffacher zu Walther Fürst:
Es ist auf seinem Gipfel - wollen wir
Erwarten, bis das Äusserste -
Melchtal:
Welch Äusserstes
Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges
In seiner Höhle nicht mehr sicher ist?
- Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir
Die Armbrust spannen und die schwere Wucht
Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward
Ein Notgewehr in der Verzweiflungsangst,
Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt
Der Meute sein gefürchtetes Geweih.
Die Gemse reisst den
Jäger in den Abgrund -
Der Pflugstier, der die ungeheure Kraft
Des Halses duldsam unters Joch gebogen,
Springt auf, gereizt, wetzt sein gewaltig Horn,
Und schleudert seinen Feind den Wolken zu.
Walther Fürst:
Wenn die drei Lande dächten wie wir drei,
So möchten wir vielleicht etwas vermögen.
Stauffacher:
Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft,
Der Schwyzer wird die alten
Bünde ehren.
Melchtal:
Gross ist in Unterwalden meine Freundschaft,
Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut,
Wenn er am andern einen Rücken hat
Und Schirm - O fromme Väter dieses Landes!
Ich stehe nur ein Jüngling zwischen euch,
Den Vielerfahrnen - meine Stimme muss
Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde.
Nicht weil ich jung bin und nicht viel erlebte,
Verachtet meinen Rat und meine
Rede,
Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt
Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt,
Was auch den Stein des Felsen muss erbarmen.
Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses,
Und wünscht euch einen tugendhaften Sohn,
Der eures Hauptes heilge Locken ehre,
Und euch den Stern des Auges fromm bewache.
O weil ihr selbst an eurem Leib und Gut
Noch nichts erlitten, eure Augen sich
Noch frisch und hell
in ihren Kreisen regen,
So sei euch darum unsre Not nicht fremd.
Auch über euch hängt das Tyrannenschwert,
Ihr habt das Land von Östreich abgewendet,
Kein anderes war meines Vaters Unrecht,
Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammnis.
Stauffacher zu Walther Fürst:
Beschliesset Ihr, ich bin bereit zu folgen.
Walther Fürst:
Wir wollen hören, was die edeln
Herrn
Von Sillinen, von Attinghausen raten -
Ihr Name, denk ich, wird uns Freunde werben.
Melchtal:
Wo ist ein Name in dem Waldgebirg
Ehrwürdiger als Eurer und der Eure?
An solcher Namen echte Währung glaubt
Das Volk, sie haben guten Klang im Lande.
Ihr habt ein reiches Erb von Vätertugend,
Und habt es selber reich vermehrt - Was brauchts
Des Edelmanns? Lassts uns allein vollenden.
Wären wir doch allein im Land! Ich meine,
Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen.
Stauffacher:
Die Edeln drängt nicht gleiche Not mit uns,
Der Strom, der in den Niederungen wütet,
Bis jetzt hat er die Höhn noch nicht erreicht -
Doch ihre Hülfe wird uns nicht entstehn,
Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken.
Walther Fürst:
Wäre ein Obmann zwischen uns und
Österreich,
So möchte Recht entscheiden und Gesetz,
Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser
Und höchster Richter - so muss Gott uns helfen
Durch unsern Arm - erforschet Ihr die Männer
Von Schwyz, ich will in Uri Freunde werben.
Wen aber senden wir nach Unterwalden -
Melchtal:
Mich sendet hin - wem läg es näher an -
Walther Fürst:
Ich gebs
nicht zu, Ihr seid mein Gast, ich muss
Für Eure Sicherheit gewähren!
Melchtal:
Lasst mich!
Die Schliche kenn ich und die Felsensteige,
Auch Freunde find ich gnug, die mich dem Feind
Verhehlen und ein Obdach gern gewähren.
Stauffacher:
Lasst ihn mit Gott hinübergehn. Dort drüben
Ist kein Verräter - so verabscheut ist
Die Tyrannei, dass sie kein Werkzeug findet.
Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald
Genossen werben und das Land erregen.
Melchtal:
Wie bringen wir uns sichre Kunde zu,
Dass wir den Argwohn der Tyrannen täuschen?
Stauffacher:
Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib
Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen.
Walther Fürst:
So offen dürfen wir das Werk nicht treiben.
- Hört meine Meinung.
Links am See, wenn man
Nach Brunnen fährt, dem Mythenstein grad über,
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,
Das Rütli heisst sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward.
Dort ists wo unsre Landmark und die Eure (zu Melchtal)
Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt (zu Stauffacher)
Trägt Euch der leichte Kahn von Schwyz herüber.
Auf öden Pfaden können wir
dahin
Bei Nachtzeit wandern und uns still beraten.
Dahin mag jeder zehn vertraute Männer
Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,
So können wir gemeinsam das Gemeine
Besprechen und mit Gott es frisch beschliessen.
Stauffacher:
So seis. Jetzt reicht mir Eure biedre Rechte,
Reicht Ihr die Eure her, und so wie wir
Drei Männer jetzo, unter uns, die Hände
Zusammenflechten, redlich, ohne
Falsch,
So wollen wir drei Länder auch, zu Schutz
Und Trutz, zusammenstehn auf Tod und Leben.
Walther Fürst und Melchtal:
Auf Tod und Leben!
Sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammengeflochten und schweigen.
Melchtal:
Blinder alter Vater!
Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,
Du sollst ihn hören - Wenn von Alp zu Alp
Die Feuerzeichen flammend sich erheben,
Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,
In deine Hütte soll der Schweizer wallen,
Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,
Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.
Sie gehen auseinander.