Frei Lesen: Erinnerungen, Band 3

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Kapitelübersicht

Erstes Kapitel Ich erhalte ein Nachtlager im Hause des ... | Zweites Kapitel Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. -- Der ... | Drittes Kapitel Graf Tiretta aus Treviso. -- Abbé Ceste, -- Die ... | Viertes Kapitel Abbé de la Ville. -- Abbé Galiani. -- Charakter der ... | Fünftes Kapitel Graf de la Tour d'Auvergne und Frau d'Urfé. -- ... | Sechstes Kapitel Frau von Urfé macht sich irrtümliche und ... | Siebentes Kapitel Mein Glück in Holland. -- Ich kehre mit dem jungen ... | Achtes Kapitel Schmeichelhafter Empfang von Seiten meiner Gönner. -- ... | Neuntes Kapitel Fortsetzung meiner Liebelei mit dem reizenden ... | Zehntes Kapitel Neue Zwischenfälle. -- J.J. Rousseau. -- Ich gründe ... | Elftes Kapitel Ich werde verhört. -- Ich gebe dem Gerichtsschreiber ... | Zwölftes Kapitel Porträt der angeblichen Gräfin Piccolomini. -- ... | Dreizehntes Kapitel Ich kläre Esther auf. -- Ich reise nach ... | Vierzehntes Kapitel Das Jahr 1760. -- Die Maitresse Gardella. ... | Fünfzehntes Kapitel Ich beschließe Mönch zu werden. --- Ich beichte. ... | Sechzehntes Kapitel Meine Abreise von Zürich. --- Komisches Erlebnis ... | Siebzehntes Kapitel Mein Landhaus. -- Frau Dubois, -- Die ... | Achtzehntes Kapitel Fortsetzung des vorigen Kapitels. --- Meine ... | Neunzehntes Kapitel Bern. -- Die Matte. -- Frau de la Saone. -- ... | Zwanzigstes Kapitel Albrecht von Haller. -- Mein Aufenthalt in ... | Einundzwanzigstes Kapitel Herr von Voltaire; meine Unterhaltungen ... |

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Erinnerungen, Band 4 |

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Giacomo Casanova

Erinnerungen, Band 3

Einundzwanzigstes Kapitel Herr von Voltaire; meine Unterhaltungen mit dem großen Mann. --- Ein Auftritt gelegentlich einiger Verse des Ariosto. --- Der Herzog von Villars. --- Der Syndikus und die drei Schönen. -- Wortgefecht bei Voltaire. --- Aix in Savoyen. --- Der Marquis Desarmoises

eingestellt: 27.6.2007





»Dies, Herr von Voltaire, sagte ich zu ihm, ist der schönste Augenblick meines Lebens. Seit zwanzig Jahren bin ich Ihr Schüler, und mein Herz ist voller Freude über das Glück, meinen Lehrer zu sehen.«



»Mein Herr, erweisen Sie mir diese Ehre noch zwanzig Jahre lang und versprechen Sie mir nach Ablauf dieser Zeit mein Honorar zu bringen.«



»Sehr gern -- vorausgesetzt, daß Sie so lange warten wollen.«



Voltaires Witz brachte alle Zuhörer zum Lachen; dies war ganz in der Ordnung, denn die Lacher sind dazu da, um die eine Partei auf Kosten der anderen in Atem zu halten, und die Partei, die die Lacher auf ihrer Seite hat, ist stets sicher zu gewinnen: so will es nun einmal die gute Gesellschaft.



Übrigens hatte ich mich nicht überrumpeln lassen; ich war auf etwas Derartiges gefaßt und hoffte es ihm heimzahlen zu können.



Unterdessen stellte man ihm zwei neu angekommene Engländer vor. »Die Herren sind Engländer,« sagte Voltaire; »ich möchte es auch wohl sein.« Ich fand das Kompliment falsch und unangebracht, denn er zwang dadurch die Engländer, aus Höflichkeit ihm zu antworten, sie möchten wohl Franzosen sein; wenn sie aber nicht Lust hatten, zu lügen, so mußte es sie in Verlegenheit bringen, die Wahrheit zu sagen. Ich glaube, es ist einem Ehrenmann erlaubt, seiner eigenen Nation den höchsten Rang anzuweisen, wenn es sich um eine Wahl handelt.



Einen Augenblick darauf richtete Voltaire abermals das Wort an mich und sagte, als Venetianer müsse ich den Grafen Algarotti kennen.



»Ich kenne ihn; freilich nicht als Venetianer, denn sieben Achtel meiner Landsleute wissen nicht, daß er auf der Welt ist.«



Ich hätte sagen sollen: »als wissenschaftlich gebildeten Mann.«



»Ich kenne ihn, weil ich vor sieben Jahren in Padua zwei Monate bei ihm verbracht habe; und was meine besondere Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, war seine Bewunderung für Herrn von Voltaire.«



»Das ist schmeichelhaft für mich, aber er braucht nicht der Bewunderer eines anderen Menschen zu sein, um die Achtung aller zu verdienen.«



»Wenn er nicht als Bewunderer begonnen hätte, würde Algarotti sich niemals einen Namen gemacht haben. Als Bewunderer Newtons wußte er die Damen instand zu setzen, vom Licht zu sprechen.«



»Ist es ihm gelungen?«



»Nicht so gut wie Herrn de Fontenelle in seiner Mehrheit der Welten; trotzdem kann man sagen, es sei ihm gelungen.«



»Sie haben recht! Wenn Sie ihn in Bologna sehen, bitte ich Sie, ihm zu sagen, daß ich seine Briefe über Rußland erwarte. Er kann sie nach Mailand an meinen Bankier Bianchi schicken; dieser wird sie mir zukommen lassen.«



»Wenn ich ihn sehe, werde ich es ihm gewiß sagen.«



»Man hat mir gesagt, die Italiener seien nicht mit seiner Sprache zufrieden.«



»Ich glaube es; alle seine Schriften wimmeln von Gallicismen. Sein Stil ist kläglich.«



»Aber machen denn nicht französische Wendungen Ihre Sprache noch schöner?«



»Sie machen sie unerträglich, gerade wie ein mit Italienisch oder Deutsch gespicktes Französisch unerträglich sein würde, selbst wenn ein Herr von Voltaire es geschrieben hätte.«



»Sie haben recht; jede Sprache muß rein geschrieben werden. Man hat Titus Livius beanstandet und gesagt, sein Latein habe einen patavinischen Beigeschmack.«



»Als ich begann, mir diese Sprache anzueignen, hat der Abbé Lazzarini mir gesagt, er ziehe Titus Livius dem Sallust vor.«



»Abbé Lazzarini -- Verfasser der Tragödie Ulisse il giovine. Sie müssen damals sehr jung gewesen sein. -- Ich möchte ihn wohl gekannt haben. Aber ich habe den Abbé Conti sehr gut gekannt, der Newtons Freund gewesen war und dessen vier Tragödien die ganze römische Geschichte umfassen.«



»Ich habe ihn ebenfalls gekannt und bewundert. Ich war jung, aber ich wünschte mir Glück, als ich mich zum Umgang mit diesen großen Männern zugelassen sah. Mir ist, als wäre es gestern gewesen, obgleich seither viele Jahre vergangen sind; auch jetzt, in Ihrer Gegenwart, demütigt meine geringe Bedeutung mich nicht; ich möchte der Jüngste des ganzen Menschengeschlechtes sein.«



»Sie wären als solcher ohne Zweifel glücklicher, als wenn Sie der Älteste wären. Darf ich es wagen, Sie zu fragen, welchem Gebiet der Literatur Sie sich gewidmet haben?«



»Keinem; aber vielleicht kommt dies noch. Einstweilen lese ich, soviel ich kann, und studiere zu meinem Vergnügen den Menschen, indem ich reise.«



»Dies ist das beste Mittel, ihn kennen zu lernen; aber das Buch ist zu groß. Es gelingt einem leichter, indem man die Weltgeschichte liest.«



»Ja, wenn sie nicht löge! Man ist der Tatsache nicht sicher, und darum langweilt sie; dagegen ergötzt es mich, die Welt zu studieren, indem ich sie durchwandere. Horaz, den ich auswendig weiß, ist mein Reisebegleiter, und ich finde, daß er überall Bescheid weiß.«



»Algarotti hat ebenfalls den ganzen Horaz in seinem Kopf. Gewiß lieben Sie die Poesie.«



»Sie ist meine Leidenschaft.«



»Haben Sie viele Sonette gemacht?«



»Zehn oder zwölf, die ich liebe, und zwei- bis dreitausend, die ich vielleicht niemals wieder gelesen habe.«



»Italien ist auf Sonette versessen.«



»Allerdings, wenn man es ›versessen‹ nennen kann, daß man die Neigung hat, einem Gedanken ein harmonisches Maß zu geben, das ihn zur Geltung bringt. Das Sonett ist schwierig, weil man den Gedanken weder in die Länge ziehen noch abkürzen darf, um die einzelnen Verse auszufüllen.«



»Es ist ein Prokrustesbett, und darum habt ihr so wenig gute Sonette. Wir Franzosen haben nicht ein einziges gutes, aber daran ist unsere Sprache schuld.«



»Und der französische Geist; man bildet sich ein, ein künstlich verlängerter Gedanke müsse alle Kraft und allen Glanz verlieren.«



»Und Sie sind nicht dieser Meinung?«



»Ich bitte um Verzeihung, es handelt sich nur um die Prüfung des Gedankens. Ein Witz zum Beispiel genügt nicht für ein Sonett; ein solcher gehört im Italienischen wie im Französischen in das Gebiet des Epigramms.«



»Welchen italienischen Dichter lieben Sie am meisten?«



»Ariosto; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn mehr liebe als die anderen, denn er ist der einzige, den ich liebe.«



»Sie kennen aber doch die anderen?«



»Ich glaube sie alle gelesen zu haben; aber alle erbleichen vor Ariosto. Als ich vor fünfzehn Jahren Ihr abfälliges Urteil über ihn las, sagte ich, Sie würden es zurücknehmen, wenn Sie ihn gelesen hätten.«



»Ich danke Ihnen, daß Sie geglaubt haben, ich hätte ihn nicht gelesen. Ich hatte ihn gelesen, aber ich war jung, besaß nur eine oberflächliche Kenntnis Ihrer Sprache, und war von italienischen Gelehrten voreingenommen, die den Tasso verehrten. So hatte ich das Unglück, ein Urteil zu veröffentlichen, das ich für das meinige hielt, während es nur das Echo der unüberlegten Voreingenommenheit jener anderen war, die mich beeinflußt hatten. Ich bete euren Ariosto an.«



»Ach, Herr von Voltaire, ich atme wieder auf! Aber lassen Sie doch, bitte, das Werk exkommunizieren, worin Sie den großen Mann lächerlich gemacht haben.«



»Wozu? meine Bücher sind alle exkommuniziert, aber ich werde Ihnen einen schönen Beweis meiner Urteilsänderung geben.«

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< Zwanzigstes Kapitel Albrecht von Haller. -- Mein Aufenthalt in ...



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