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Hans Christian Andersen

Märchensammlung

Die Galoschen des Glücks

eingestellt: 24.7.2007



Es war einmal in Kopenhagen in einem der Häuser in der Nähe vom Königsneumarkt eine große Gesellschaft eingeladen, denn das muß zwischendurch auch einmal sein, dann ist es abgemacht, und man kann auch wieder eingeladen werden. Die eine Hälfte der Gesellschaft saß schon an den Spieltischen, und die andere Hälfte wartete ab, was sich entwickeln würde, denn die Hausfrau hatte gesagt: "Nun, was tun wir jetzt!" Soweit war man nun, und die Unterhaltung ging ziemlich lebhaft. Unter anderem kam auch die Rede auf das Mittelalter. Einzelne sahen es für weit schöner an als die Jetztzeit, ja, Justizrat Knap verteidigte diese Meinung so eifrig, daß die Frau des Hauses es sofort mit ihm hielt, und beide eiferten nun gegen Oerstedts Artikel im Almanach über alte und neue Zeit, worin unserem Zeitalter im wesentlichen der Vorrang eingeräumt wird. Justizrat Knap betrachtete die Zeit des dänischen Königs Hans als die hervorragendste und glücklichste.

Während dieses Wortkampfes für und wider, der kaum einen Augenblick aussetzte, als die Zeitung ankam, aber in der auch weiter nichts Lesenswertes stand, wollen wir in das Vorzimmer hinausgehen, wo Mäntel, Stöcke, Regenschirme und Galoschen ihren Platz hatten. Hier saßen zwei Mädchen, eine Junge und eine alt. Man glaubte, sie seien gekommen, um ihre Herrschaft heimzugeleiten, irgendein altes Fräulein oder eine Witwe; sah man sie aber genauer an, so bemerkte man bald, daß sie keine gewöhnlichen Dienstmädchen waren; dazu waren ihre Hände zu fein, ihre Haltung und die Art, sich zu bewegen, zu königlich, und auch die Kleider hatten einen ganz eigentümlich freien Schnitt. Es waren zwei Feen, die jüngere war wohl nicht das Glück selbst, aber eins der Kammermädchen ihrer Kammerjungfern, die die geringeren Gaben des Glückes verteilen, die ältere sah tiefernst aus. Es war die Trauer. Sie besorgt immer in höchsteigener Person ihre Angelegenheiten; dann weiß sie, daß sie wohl ausgeführt werden.

Sei erzählten einander, wo sie heute gewesen waren. Das Laufmädchen des Glückes hatte nur einige unbedeutende Sachen besorgt, sie hatte, wie sie sagte, einen neuen Hut vor dem Regen bewahrt, einem ehrlichen Manne einen Gruß von einer vornehmen Null verschafft und ähnliches, aber was nun noch übrig war, war etwas ganz Ungewöhnliches.

"Ich muß doch erzählen," sagte sie, "daß heute mein Geburtstag ist und dem zu Ehren sind mir ein Paar Galoschen anvertraut worden, die ich der Menschheit bringen soll. Diese Galoschen haben die Eigenschaft, daß jeder, der sie anzieht, sogleich an die Stelle oder in die Zeit versetzt wird, wo er am liebsten sein möchte. Jeder Wunsch in Hinsicht auf Zeit oder Ort wird augenblicklich erfüllt, und die Menschheit wird endlich einmal glücklich sein hinieden!"

"Ja," das glaubst du!" sagte die Trauer, "sie wird unglücklich werden und den Augenblick segnen, wo sie die Galoschen wieder los wird!"

"Wo denkst du hin!" sagte die andere. "Nun stelle ich sie hier an die Tür, einer irrt sich beim Zugreifen und wird der Glückliche!"

Sieh, das war ihr Gespräch!

2. Wie es dem Justizrat erging.

Es war spät. Justizrat Knap, noch ganz vertieft in König Hans Zeit, wollte nach Hause, und nun war es ihm beschieden, daß er an Stelle seiner Galoschen die des Glückes bekam, als er nun auf die Oststraße hinaustrat; jedoch durch der Galoschen Zauberkraft war er in die Zeit des Königs Hans zurückversetzt, und deshalb setzte er seinen Fuß mitten in Schlamm und Morast auf der Straße, da es in jenen Zeiten noch keine gepflasterten Wege gab.

"Es ist ja fürchterlich, wie schmutzig es hier ist!" sagte der Justizrat. Der ganze Bürgersteig ist weg, und alle Laternen sind aus!"

Der Mond war noch nicht aufgegangen und die Luft überdies ziemlich neblig, so daß alles ringsum im Dunkel verschwamm. An der nächsten Ecke hing jedoch eine Laterne vor einem Madonnenbilde, aber diese Beleuchtung war so gut wie keine, er bemerkte sie erst, als er gerade darunter stand und seine Augen auf das gemalte Bild mit Mutter und Kind fielen.

"Das ist wahrscheinlich," dachte er, "eine Kunsthandlung, wo vergessen worden ist, das Schild hereinzunehmen!"

Ein paar Menschen, in der damaligen Tracht, gingen an ihm vorbei.

"Wie sahen die denn aus! Sie kamen wahrscheinlich von einem Maskenfest!"

Da erklangen mit einem Male Trommeln und Pfeifen, und Fackeln leuchteten auf. Der Justizrat blieb stehen und sah nun einen wunderlichen Zug vorbeiziehen. Voran ging ein ganzer Trupp Trommelschläger die ihr Instrument recht artig bearbeiteten, ihnen folgten Trabanten mit Bogen und Armbrüsten. Der Vornehmste im Zuge war ein geistlicher Herr. Erstaunt fragte der Justizrat, was das zu bedeuten habe und wer jener Mann wäre.

"Das ist der Bischof von Seeland!" antwortete man ihm.

"Herrgott! was fällt denn dem Bischof ein?" seufzte der Justizrat und schüttelte mit dem Kopfe. Der Bischof konnte es doch nicht gut sein. Darüber nachgrübelnd und nicht rechts, nicht links blickend ging der Justizrat durch die Oststraße über den Hohenbrückenplatz. Die Brücke zum Schloßplatz war nicht zu finden. Er sah undeutlich ein seichtes Flußufer und stieß hier endlich auf zwei Männer, die ein Boot bei sich hatten.

"Will der Herr nach dem Holm übergesetzt werden?" fragten sie.

"Nach dem Holm hinüber?" sagte der Justizrat, der ja nicht wußte, in welchem Zeitalter er herumwanderte. "Ich will nach Christianshafen hinaus in die kleine Torfgasse!"

Die Männer sahen ihn an.

"Sagt mir doch, wo die Brücke ist!" sagte er. "Es ist schändlich, daß hier keine Laternen angezündet sind, und dann ist es ein Schmutz hier, als ob man im Sumpf watete!"

Je länger er mit den Bootsmännern sprach, um so unverständlicher wurden sie ihm.

"Ich kann euer Bornholmisch nicht verstehen!" sagte er zuletzt wütend und wandte ihnen den Rücken. Die Brücke konnte er nicht finden; ein Geländer war auch nicht da! "Es ist ein Skandal, wie es hier aussieht!" sagte er. Niemals hatte er sein Zeitalter elender gefunden, als an diesem Abend. "Ich glaube, ich werde eine Droschke nehmen müssen!" dachte er, aber wo eine hernehmen? Zu sehen war jedenfalls keine. Ich werde zum Königsneumarkt zurückgehen müssen, dort halten wohl Wagen, sonst komme ich nie nach Christianshafen hinaus!"

Nun ging er die Oststraße zurück und war fast an ihrem Ende, als der Mond hervorkam.

"Herr Gott, was ist denn hier für ein Gerüst aufgestellt worden!" sagte er, als er das Osttor sah, das zu jener Zeit die Oststraße abschloß.

Endlich fand er doch eine kleine Pforte, und durch diese kam er bei unserem Neumarkt heraus, das war damals ein großer Wiesengrund; einzelnes Gesträuch wuchs wild durcheinander, und quer über die Wiese ging ein breiter Kanal oder Strom. Einige verwahrloste Holzbuden für die holländischen Schiffer, nach welchen der Ort den Namen "Hollandsau" trug, lagen auf dem gegenüberliegenden Ufer.

"Entweder sehe ich eine Fata Morgana, wie man es nennt, oder ich bin betrunken!" jammerte der Justizrat. "Was ist das nur! Was ist das nur!"

Er kehrte wieder zurück in dem festen Glauben daß er krank sei; als er in die Straße einbog, sah er sich die Häuser etwas genauer an. Die meisten waren aus Fachwerk, und viele hatten nur ein Strohdach.

"Nein, es geht mir doch gar nicht gut!" seufzte er, "und ich habe doch nur ein Glas Punsch getrunken aber ich kann ihn nicht vertragen! Und es war auch ganz und gar verkehrt, uns Punsch und warmen Lachs zu geben. Das werde ich der Dame auch einmal sagen. Ob ich zurückgehen und sie wissen lassen sollte, was das bei mir für Folgen hat. Aber das ist auch peinlich und wer weiß, ob sie überhaupt noch auf sind!" Er suchte nach dem Hause, konnte es aber nirgends finden.

"Es ist doch schrecklich! Ich kann die Oststraße nicht wiedererkennen! Nicht ein Laden ist da. Alte, elende Hütten sehe ich, als ob ich in Roskilde oder Ringstedt wäre! Ach, ich bin krank. Es nutzt nichts, sich zu genieren. Aber wo in aller Welt ist doch das Haus, aus dem ich eben fortging. Es ist nicht mehr dasselbe. Aber dort drinnen sind wenigstens noch Leute wach. Ach, ich bin ganz bestimmt krank!"

Nun stieß er auf eine halboffene Türe, durch deren Spalt Licht fiel. Es war eine der Herbergen der damaligen Zeit, eine Art Bierhaus. Die Stube hatte das Aussehen einer holsteinischen Diele. Eine ganze Menge guter Bürger, bestehend aus Schiffern, kopenhagener Patriziern und ein paar Gelehrten saßen hier in Gespräche vertieft bei ihren Krügen und gaben nur wenig acht auf den Eintretenden.

"Verzeihung!" sagte der Justizrat zu der Wirtin, die ihm entgegenkam, "mir ist plötzlich unwohl geworden! Wollen Sie mir nicht eine Droschke nach Christianshavn hinaus holen lassen?"

Die Frau sah ihn an und schüttelte den Kopf; darauf sprach sie ihn in deutscher Sprache an. Der Justizrat nahm an, daß sie der dänischen Zunge nicht mächtig sei und brachte daher seinen Wunsch auf deutsch vor; dies, wie auch seine Tracht bestärkten die Frau darin, daß sie einen Ausländer vor sich habe; daß er sich krank fühle, begriff sie schnell und gab ihm deshalb einen Krug Wasser, das freilich abgestanden schmeckte, obgleich es aus dem Brunnen war.

Der Justizrat stützte seinen Kopf in die Hand, holte tief Luft und grübelte über all das Seltsame rundum.

"Ist das "Der Tag" von heute abend?" fragte er, nur um etwas zu sagen, als er die Frau ein großes Stück Papier weglegen sah.

Sie verstand nicht, was er meinte, reichte ihm aber das Blatt. Es war ein Holzschnitt, der eine Lufterscheinung, die sich in der Stadt Köln gezeigt hatte, darstellte.

Das ist sehr alt!" sagte der Justizrat und wurde ganz aufgeräumt bei dem Gedanken, daß er ein so altes Stück entdeckt habe. "Wie sind Sie zu diesem seltenen Blatte gekommen? Das ist sehr interessant, obgleich es eine Fabel ist. Man erklärt sich dergleichen Lufterscheinungen als Nordlichter. Aber wahrscheinlich werden sie durch Elektrizität hervorgerufen!"

Diejenigen, die in der Nähe saßen und seine Rede gehört hatten, sahen verwundert zu ihm auf, und einer von ihnen erhob sich, lüftete ehrerbietig den Hut und sagte mit der ernsthaftesten Miene: "Ihr seid gewiß ein hochgelehrter Herr, Monsieur!"

"O nein," erwiderte der Justizrat, "ich kann nur von diesem und jenen mitsprechen, wie es ja ein jeder können sollte!"

"Bescheidenheit ist eine schöne Tugend!" sagte der Mann. "Im übrigen muß ich zu Eurer Rede sagen, daß ich anderer Meinung bin, doch will ich hier gern mein Urteil zurückhalten!"

"Darf ich nicht fragen, mit wem ich das Vergnügen habe, zu sprechen?" fragte der Justizrat.

"Ich bin Baccalaureus der Heiligen Schrift!" antwortete der Mann.

Diese Antwort war dem Justizrat genug. Der Titel entsprach hier der Tracht; es ist sicher, so dachte er, ein alter Landschulmeister, so ein sonderlicher Kauz wie man sie noch ab und zu in Jütland da oben antrifft.

"Hier ist wohl nicht eigentlich der rechte Ort zu Gesprächen", begann der Mann, "doch bitte ich euch, euch zum Sprechen zu verstehen. Ihr seid gewiß sehr belesen in den Alten!"

"O ja, einigergmaßen!" antwortete der Justizrat, "ich lese gern alte, nützliche Schriften, aber ich habe auch viel für die neueren übrig, nur nicht für die , AIItagsgeschichten, die erleben wir genug in der Wirklichkeit! "Alltagsgeschichten?" fragte unser Baccalureus.

"Ja, ich meine diese neuen Romane, die man jetzt hat."

"O", lächelte der Mann, "sie enthalten doch viel Geist und werden auch bei Hofe gelesen; der König liebt besonders den Roman von Herrn Ivent und Herrn Gaudian, der von König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde handelt. Er hat darüber mit seinen hohen Herren gescherzt!"

"Ja, den habe ich noch nicht gelesen!" sagte der Justizrat, "das muß etwas ganz neues sein, das Heiberg herausgegeben hat!"

"Nein", antwortete der Mann, "der ist nicht bei Heiberg herausgekommen. sondern bei Gottfried von Gehmen!"

"So ist das der Verfasser?" fragte der Justizrat. "Das ist ein sehr alter Name. Das ist ja der erste Buchdrucker, den es in Dänemark gab."

"Ja, das ist unser erster Buchdrucker!" sagte der Mann. Bis dahin ging alles gut; nun sprach einer der guten Bürgersleute von der schrecklichen Pestilenz, die vor ein paar Jahren geherrscht habe, und meinte damit die vom Jahre 1484. Der Justizrat nahm an, daß von der Cholera die Rede sei, und so ging der Diskurs recht gut vonstatten. Der Freibeuterkrieg von 1490 lag nahe, daß er berührt werden mußte. Die englischen Freibeuter hätten die Schiffe von der Reede genommen, meinten sie, und der Justizrat, der sich so recht in die Begebenheiten von 1801 hineingelebt hatte, stimmte vortrefflich gegen die Engländer mit ein. Die übrige Unterhaltung dagegen lief nicht so gut ab. Jeden Augenblick schulmeisterten sie sich gegenseitig. Der gute Baccalaureus war doch allzu unwissend, und ihm erschienen des Justizrats einfachste Bemerkungen zu dreist und fantastisch. Sie sahen einander scharf an, und wurde es gar zu arg, so sprach der Baccalaureus Latein, weil er glaubte, so besser verstanden zu werden, aber es half nicht viel.

"Wie geht es euch!" fragte die Wirtin und zog den Justizrat am Ärmel; da kehrte seine Besinnung zurück, denn beim Gespräche hatte er alles vergessen, was vorausgegangen war.

"Herrgott, wo bin ich?" fragte er, und es schwindelte ihm, während er es bedachte.

"Klaret wollen wir trinken! Met und Bremer Bier!" rief einer der Gäste, "und Ihr sollt mithalten!"

Zwei Mädchen kamen herein. Die eine hatte eine zwiefarbene Haube. Sie schenkten ein und neigten sich zu ihm. Dem Justizrat lief es eiskalt über den Rücken.

"Was ist das nur! Was ist das nur!" sagte er, aber er mußte mit ihnen trinken. Sie ergriffen ganz artig Besitz von dem guten Mann, und er war aufs höchste verzweifelt. Als dann einer sagte, er sei betrunken, zweifelte er durchaus nicht an des Mannes Wort und bat ihn nur, ihm doch ein Droschke herbeizuschaffen. Da glaubten sie, er rede moskowitisch.

Niemals war er in so roher und beschränkter Gesellschaft gewesen. "Man könnte fast glauben, das Land sei zum Heidentum zurückgekehrt", meinte er, "dies ist der schrecklichste Augenblick meines Lebens!"

Aber gleichzeitig kam ihm der Gedanke, sich unter den Tisch zu bücken, zur Tür hinzukriechen und zu sehen, wie er hinausschlüpfen könne. Aber als er am Ausgange war, merkten die anderen, was er vorhatte; sie ergriffen ihn bei den Beinen, und da, zu seinem größten Glück, gingen die Galoschen ab - und mit diesen der ganze Zauber.

Der Justizrat sah ganz deutlich eine helle Laterne vor sich brennen, und hinter dieser lag ein großes Haus, er erkannte es ebenso wie die Nachbarhäuser. Es war die Oststraße, wie wir sie alle kennen. Er selbst lag mit den Beinen gegen eine Tür, und geradeüber saß der Wächter und schlief.

"Du mein Schöpfer, habe ich hier auf der Straße gelegen und geträumt!" sagte er. "Ja, das ist die Oststraße! Wie prächtig hell und bekannt! Es ist doch schrecklich, wie das Glas Punsch auf mich gewirkt haben muß!"

Zwei Minuten später saß er in einer Droschke, die mit ihm nach Christianshafen fuhr. Er dachte an all die Angst und Not, die er überstanden hatte, und pries aus ganzem Herzen die glückliche Wirklichkeit, unsere Zeit, die mit all ihren Mängeln doch weit angenehmer war, als die, in der er sich kürzlich befunden hatte. Und es war vernünftig von dem Justizrat gedacht!

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< Der Gärtner und die Herrschaft
Eine Geschichte >



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