Frei Lesen: Märchensammlung

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Der Traum der alten Eiche | Die Eiskönigin | Elfenhügel | Der Engel | Im Entenhof | Das häßliche junge Entlein | Die Prinzessin auf der Erbse | Etwas | Die glückliche Familie | Was die ganze Familie sagte | Von einem Fenster im Vartou | Das Feuerzeug | Der Flachs | Der Flaschenhals | Fliedermütterchen | Der Floh und der Professor | Das Gänseblümchen | Der Gärtner und die Herrschaft | Die Galoschen des Glücks | Eine Geschichte | Die Glocke | Die Glockentiefe | Das Glück kann in einem Holzstöckchen liegen | Wer war die Glücklichste? | Der Goldschatz | Der alte Grabstein | Großmütterchen | Frag die Grünwarenfrau! | Der Halskragen | Das alte Haus | Der Haustürschlüssel | Des Hauswarts Sohn | Das Heinzelmaennchen bei dem Kraemer | Herzeleid | Im Herzen bewahrt aber nicht vergessen | Die Hirtin und der Schornsteinfeger | Hofhahn und Wetterhahn | Holger Danske | Eine Rose von Homers Grab | Hühner-Gretes Familie | Fünf aus einer Hülse | Die Blumen der kleinen Ida | Die Irrlichter sind in der Stadt, sagte die Moorfrau | Die Geschichte des Jahres | Nach Jahrtausenden | Was die alte Johanne erzählte | Das Judenmädchen | Zwei Jungfern | Des Kaisers neue Kleider | Ein Bild vom Kastellwall | Kinderschnack | Das Kind im Grabe | Die alte Kirchenglocke | Der kleine Klaus und der große Klaus | Die kleinen Grünen | Der unartige Knabe | Der Kobold und die Madame | Der fliegende Koffer | Der Komet | Der Kragen | Die Kröte | Der Krüppel | Gute Laune | Der letzte Tag | Die Lichter | Das Liebespaar | Anne Lisbeth | Die Lumpen | Der Marionettenspieler | Die Nachtigall | Des Junggesellen Nachtmütze | Turmwächter Ole | Der Garten des Paradieses | Die letzte Perle | Ein Stück Perlenschnur | Vogel Phönix | Alles am rechten Platz | Die Psyche | Der Reisekamerad | Die schönste Rose der Welt | Der Rosenelf | Die roten Schuhe | Eine Geschichte aus den Sanddünen | Der Sandmann | Der Schatten | Der silberne Schilling | Die Störche | Der Tannenbaum | Der kleine Tuk | Der Wassertropfen | Unter dem Weidenbaum | Die Wochentage | Der standhafte Zinnsoldat |

Weitere Werke von Hans Christian Andersen

Der Mistkäfer |

Alle Werke von Hans Christian Andersen
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Märchensammlung) ausdrucken 'Märchensammlung' als PDF herunterladen

Hans Christian Andersen

Märchensammlung

Der Sandmann

eingestellt: 24.7.2007



Es gibt niemand in der ganzen Welt, der so viele Geschichten weiß, als der Sandmann! Was kann der alles erzählen!

Gegen Abend, wenn die Kinder noch am Tische oder auf ihrem Schemel sitzen, kommt der Sandmann; er kommt die Treppe sachte herauf, denn er geht auf Socken; er macht ganz leise die Türen auf und husch! Da spritzt er den Kindern süße Milch in die Augen hinein, und das so fein, so fein, aber immer genug, daß sie die Augen nicht offen halten und ihn deshalb auch nicht sehen können. Er schleicht sich gerade hinter sie, bläst ihnen sachte in den Nacken, und dann werden sie schwer im Kopf. Aber es tut nicht weh, und der Sandmann meint es gut mit den Kindern; er will nur, daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am schnellsten, wenn man sie zu Bette gebracht hat; sie sollen still sein, damit er ihnen Geschichten erzählen kann.

Wenn die Kinder nun schlafen, setzt sich der Sandmann auf ihr Bett. Er ist gut gekleidet; sein Rock ist von Seidenzeug, aber es ist unmöglich zu sagen, von welcher Farbe, denn er glänzt grün, rot und blau, je nachdem er sich wendet. Unter jedem Arm hält er einen Regenschirm.

Den einen, mit Bildern darauf, spannt er über die guten Kinder aus und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten; auf dem anderen ist durchaus nichts, den stellt er über die unartigen Kinder. Die schlafen dann und haben am Morgen, wenn sie erwachen, nicht das Allergeringste geträumt.

Nun werden wir hören, wie der Sandmann an jedem Abend in einer Woche zu einem kleinen Knaben, welcher Friedrich hieß, kam und was er ihm erzählte. Es sind sieben Geschichten, denn es sind sieben Tage in der Woche.

Montag.



»Höre einmal«, sagte der Sandmann am Abend, als er Friedrich zu Bette gebracht hatte, »nun werde ich aufputzen!« Da wurden alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, die ihre langen Zweige unter der Decke und den Wänden entlang ausstreckten, so daß die ganze Stube wie eine wunderschöne Laube aussah; alle Zweige waren voll Blumen, und jede Blume war noch schöner als eine Rose, duftete lieblich, und wollte man sie essen, so war sie noch süßer als Eingemachtes! Die Früchte glänzten gerade wie Gold, und Kuchen waren da, die vor lauter Rosinen platzten – es war unvergleichlich schön! Aber zu gleicher Zeit ertönte ein schreckliches Jammern aus dem Tischkasten, wo Friedrichs Schulbücher lagen.

»Was ist das nur?« sagte der Sandmann und ging nach dem Tisch und zog den Kasten auf. Es war die Tafel, in der es riß und wühlte, denn es war eine falsche Zahl in das Rechenexempel gekommen, so daß es nahe dran war, auseinanderzufallen; der Griffel hüpfte und sprang an seinem Bande, gerade als ob er ein kleiner Hund wäre, der dem Rechenexempel helfen wollte; aber er konnte es nicht. Und dann war es Friedrichs Schreibebuch, in welchem es auch jammerte; oh, es war hässlich mit anzuhören! Auf jedem Blatte standen der Länge nach herunter die großen Buchstaben, ein jeder mit einem kleinen zur Seite, das war eine Vorschrift; und daneben standen wieder einige Buchstaben, die glaubten ebenso auszusehen, und die hatte Friedrich geschrieben; sie lagen fast so, als ob sie über die Bleifederstriche gefallen wären, auf denen sie stehen sollten.

»Seht, so solltet ihr euch halten«, sagte die Vorschrift. »Seht, so zur Seite, mit einem kräftigen Schwung!«

»Oh, wir möchten gern«, sagten Friedrichs Buchstaben, »aber wir können nicht, wir sind so jämmerlich!«

»Dann müsst ihr Kinderpulver haben!« sagte der Sandmann.

»Oh nein«, riefen sie, und da standen sie schlank, daß es eine Lust war.

»Jetzt wird keine Geschichte erzählt«, sagte der Sandmann, »nun muß ich sie exerzieren. Eins, zwei! Eins, zwei!« Und so exerzierte er die Buchstaben, und sie standen so schlank und schön, wie nur eine Vorschrift stehen kann. Aber als der Sandmann ging und Friedrich sie am Morgen besah, da waren sie ebenso elend wie früher.

Dienstag.



Sobald Friedrich zu Bette war, berührte der Sandmann mit seiner kleinen Zauberspritze alle Möbel in der Stube, und sogleich fingen sie an zu plaudern, und allesamt sprachen sie von sich selbst, mit Ausnahme des Spucknapfes, der stumm dastand und sich darüber ärgerte, daß sie so eitel sein konnten, nur von sich selbst zu reden, nur an sich selbst zu denken und durchaus keine Rücksicht auf den zu nehmen, der doch so bescheiden in der Ecke stand, und sich bespucken ließ.

Über der Kommode hing ein großes Gemälde in einem vergoldeten Rahmen, das war eine Landschaft; man sah darauf große Blumen im Grase und einen großen Fluß, der um den Wald herumfloß an vielen Schlössern vorbei, und weit herausströmte in das wilde Meer.

Der Sandmann berührte mit seiner Zauberspritze das Gemälde, und da begannen die Vögel darauf zu singen, die Baumzweige bewegten sich und die Wolken zogen weiter, man konnte ihren Schatten über die Landschaft hin erblicken.

Nun hob der Sandmann den kleinen Friedrich gegen den Rahmen empor und stellte seine Füße in das Gemälde, gerade in das hohe Gras, und da stand er, die Sonnen beschien ihn durch die Zweige der Bäume. Er lief hin zum Wasser und setzte sich in ein Kleines Boot, das dort lag; es war rot und weiß angestrichen, das Segel glänzte wie Silber und sechs Schwäne, alle mit Goldkronen um den Hals und einem strahlenden blauen Stern auf dem Kopf, zogen das Boot an dem grünen Walde vorbei, wo die Bäume von Räubern und Hexen und die Blumen von den niedlichen, kleinen Elfen und von dem, was die Schmetterlinge ihnen gesagt hatten, erzählten.

Die herrlichsten Fische mit Schuppen wie Silber und Gold, schwammen dem Boote nach; mitunter machten sie einen Sprung, daß es im Wasser plätscherte, und Vögel, rot und blau, klein und groß, flogen in langen Reihen hinterher, die Mücken tanzten, und die Maikäfer sagten: »Bum, bum!« Sie folgten Friedrich alle, und alle hatten sie eine Geschichte zu erzählen.

Das war eine Lustfahrt! Bald waren die Wälder ganz dicht und dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Garten mit Sonnenschein und Blumen. Da lagen große Schlösser von Glas und von Marmor; auf den Altanen standen Prinzessinnen, und alle waren es kleine Mädchen, die Friedrich gut kannte; er hatte früher mit ihnen gespielt. Sie streckten jede die Hand aus und hielten das niedlichste Marzipanschweinchen hin, das je eine Kuchenfrau verkaufen konnte, und Friedrich fasste die eine Seite des Marzipanschweinchens an, indem er vorbeifuhr, und die Prinzessin hielt recht fest, und so bekam jedes sein Stück, sie das kleinste, Friedrich das größte. Bei jedem Schlosse standen kleine Prinzen Schildwache, sie schulterten mit Säbeln und ließen Rosinen und Bleisoldaten regnen. Das waren rechte Prinzen!

Bald segelte Friedrich durch die Wälder, bald gleichsam durch große Säle oder mitten durch eine Stadt; er kam auch durch die, in der sein Kindermädchen wohnte, das ihn getragen hatte, da er noch ein ganz kleiner Knabe war, und das immer gut zu ihm gewesen; und sie nickte und winkte und sang den niedlichen kleinen Vers, den sie selbst gedichtet und Friedrich gesandt hatte:

Ich denke an Dich, so manch liebes Mal,
Mein Friedrich, mein süßer, mein lieber!
Ich hab’ ja geküsst deinen kleinen Mund,
Deine Stirn, deine Augenlider!
Ich hörte dich sprechen das erste Wort;
Ich musste »Lebewohl« dir sagen;
Gott segne dich, Lieber, an jedem Ort,
Du Engel, den ich getragen!

Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf den Stielen, und die alten Bäume nickten, gerade als ob der Sandmann ihnen auch Geschichten erzählte.

Mittwoch.



Draußen strömte der Regen hernieder! Friedrich konnte es im Schlaf hören, und da der Sandmann ein Fenster öffnete, stand das Wasser gerade herauf bis an das Fensterbrett, es war ein ganzer See da draußen, aber das prächtigste Schiff lag dicht am Hause.

»Willst du mitsegeln, kleiner Friedrich«, sagte der Sandmann, »so kannst du diese Nacht in fremde Länder gelangen und morgen wieder hier sein!«

Da stand Friedrich plötzlich in seinen Sonntagskleidern mitten auf dem prächtigen Schiff, sogleich wurde die Witterung schön, und sie segelten durch die Straßen, kreuzten um die Kirche, und nun war alles eine große, wilde See. Sie segelten so lange, bis kein Land mehr zu erblicken war, und sie sahen ein Volk Störche, die kamen auch von der Heimat und wollten nach den warmen Ländern; ein Storch flog immer hinter dem andern, und sie waren schon weit, weit geflogen! Einer von ihnen war so ermüdet, daß seine Flügel ihn kaum noch zu tragen vermochten; er war der allerletzte in der Reihe, und bald blieb er ein großes Stück zurück, zuletzt sank er mit ausgebreiteten Flügeln tiefer und tiefer, er machte noch ein paar Schläge mit den Schwingen, aber es half nichts; nun berührte er mit seinen Füßen das Tauwerk des Schiffes, glitt vom Segel herab, und bums! Da stand er auf dem Verdeck.

Da nahm ihn der Schiffsjunge und setzte ihn in das Hühnerhaus zu den Hühnern, Enten und Truthähnen; der arme Storch stand ganz befangen mitten unter ihnen.

»Sieh den!« sagten alle Hühner.

Der Truthahn blies sich so dick auf, wie er kannte, und fragte, wer er sei. Die Enten gingen rückwärts und stießen einander: »Rapple dich, rapple dich!«

Der Storch erzählte vom warmen Afrika, von den Pyramiden und vom Strauße, der einem wilden Pferde gleich die Wüste durchlaufe; aber die Enten verstanden nicht, was er sagte, und dann stießen sie einander: »Wir sind doch darüber einverstanden, daß er dumm ist?«

»Ja, sicher ist er dumm!« sagte der Truthahn, und dann kollerte er. Da schwieg der Storch ganz still und dachte an sein Afrika.

»Das sind ja herrlich dünne Beine, die Ihr habt!« sagte die Truthenne. »Was kostet die Elle davon?«

»Skrat, skrat, skrat!« grinsten alle Enten, aber der Storch tat, als ob er es gar nicht höre.

»Ihr könnt immer mitlachen«, sagte die Truthenne zu ihm, »denn es war sehr witzig gesagt, oder war es euch vielleicht zu hoch? Ach, er ist nicht vielseitig, wir wollen interessant für uns selbst bleiben!« Und dann gluckte sie, und die Enten schnatterten: »Gikgak! Gikgak!« Es war schrecklich, wie sie sich selbst belustigten.

Aber Friedrich ging nach dem Hühnerhause, öffnete die Tür, rief den Storch, und er hüpfte zu ihm hinaus auf das Verdeck. Nun hatte er ja ausgeruht, und es war gleichsam, als ob er Friedrich zunickte, um ihm zu danken. Darauf entfaltete er seine Schwingen und flog nach den warmen Ländern, aber die Hühner gluckten, die Enten schnatterten, und der Truthahn wurde ganz feuerrot am Kopfe.

»Morgen werden wir Suppe von Euch kochen!« sagte Friedrich, und dann erwachte er und lag in seinem kleinen Bette. Es war doch eine sonderbare Reise, die der Sandmann ihn diese Nacht hatte machen lassen.

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
< Eine Geschichte aus den Sanddünen
Der Schatten >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.