Henrik Ibsen
Brand
3. Akt
eingestellt: 11.8.2007
(Drei Jahre später. Ein kleiner, mit Steinen eingezäunter Garten am Pfarrhof, am Fuß einer hohen Bergwand. Der Fjord liegt eng und eingeschlossen im Hintergrund. Die Haustür geht in den Garten. Nachmittag.)
(Brand steht auf der Treppe vor dem Hause. Agnes sitzt auf der Stufe darunter.)
AGNES.
Geliebter Mann, - die Stirne kraus,
So spähst Du Tag um Tag nun aus -!
BRAND.
Ich wart auf Botschaft.
AGNES. Du bist bang!
BRAND.
Ich wart auf Botschaft von zuhaus.
Ich warte nun drei Jahre lang
Auf diesen Tag, der niemals tagt.
Und morgen, ward mir angesagt,
Ist es vielleicht um sie geschehen.
AGNES (sanft und zärtlich.)
Du solltest ohne Botschaft gehen.
BRAND (schüttelt den Kopf.)
Bereut sie selbst nicht ihr Gebrest,
So bleib auch ich im Schweigen fest.
AGNES.
s ist Deine Mutter.
BRAND. Hab ich Recht
Zu Götzendienst, weils mein Geschlecht?
AGNES.
Brand, Du bist hart!
BRAND. Zu Dir?
AGNES. O, nein!
BRAND.
Ich warnte Dich, mein Freund zu sein.
AGNES (lächelt.)
Du sahst zu schwarz; Du hieltst nicht Wort!
BRAND.
O doch; dies ist für Dich kein Ort.
Dein Aussehn ist nicht guter Art;
Für so viel Frost bist Du zu zart.
Um unser Haus hat nichts Bestand
Als Firn und Fels und Schutt und Sand.
AGNES.
Doch um so sichrer lugts empor.
So weit schob sich der Gletscher vor,
Daß, wenn der Lenz ihn talwärts führt,
So überschreitet uns der Schwall,
Und unser Haus steht unberührt
Wie unter einem Wasserfall.
BRAND.
Und keine Sonne weit und breit.
AGNES.
Sie bringt doch so voll Zärtlichkeit
Dem Berg da drüben ihren Gruß.
BRAND.
Drei Wochen, ja, - zur Sommerszeit, -
Doch nie erreicht sie seinen Fuß.
AGNES (blickt ihn aufmerksam an, steht auf und sagt:)
s ist etwas, das Dich bangen macht!
BRAND.
Nein, Dich!
AGNES. Nein, Dich!
BRAND. Du schnürst Dich zu,
Du hehlst mir etwas!
AGNES. Brand, auch Du!
BRAND.
Dir schwindelt wie vor Abgrundsnacht!
Was ists?
AGNES. Was eben Sorgen sind - -
BRAND.
Du sorgst! Um wen?
AGNES. Um unser Kind.
BRAND.
Um Alf?
AGNES. Du auch!
BRAND. Ja, dann und wann!
Doch nein, das tut uns Gott nicht an.
Gott ist ja gut! Mein Jungchen macht
Sich noch heraus - und wie! gib acht!
Wo ist er jetzt?
AGNES. Er schläft.
BRAND (sieht durch die Tür hinein.)
Sieh her!
Er träumt von keiner Erdbeschwer.
Die kleine Hand ist drall und rund -
AGNES.
Doch bleich.
BRAND. Das wird sich wieder fügen.
AGNES.
Wie süß er schläft, mit tiefen Zügen!
BRAND.
Gott segne Dich; schlaf Dich gesund!
(Schließt die Tür.)
Mit Dir und ihm sank Fried und Licht
Auf meines Tagwerks strenge Pflicht;
Der Taten Last, der Sorgen Ring
Ward zwischen Euch ein leichtes Ding;
Dir dank ichs, wenn mein Fuß nie fiel,
Und Trost ward mir sein kindlich Spiel.
Erst sah ich mich als Märtyrer; -
Doch sieh, wie milde hat der Herr
Mein ganzes Los in Glück verkehrt -
AGNES.
Ja, doch Du bist des Glücks auch wert.
O Brand, hast Du gekämpft, entsagt, -
Gedarbt, geduldet, Dich zerplagt; -
Ich weiß, still hast Du Blut geweint -
BRAND.
Ich trug es leicht, mit Euch vereint.
Mit Dir zog hier die Liebe ein
Wie lichter Frühlingssonnenschein.
Ich hatt ja nie um sie gewußt;
Kalt wars an Vaters, Mutters Brust;
Und wenn einmal ein Funke glomm,
So fand er frostigen Willkomm.
Es ist, als hätt die ganze Glut
Nur darum all die Zeit geruht,
Zwiefache Glorie nun um ihn
Und Dich, mein süßes Weib, zu ziehn!
AGNES.
Nicht nur um uns! Wer immer jetzt
Den Fuß auf Deine Schwelle setzt,
Wer ratlos, wer kopfhängerisch,
Wer leidvoll, streitvoll, schwank und krank,
Sie finden alle Speis und Trank
An Deines Herzens reichem Tisch.
BRAND.
Allein durch Euch. Durch Euch erst fand
Mein Herz der Güte himmlisch Land.
Kein Mensch kann alle Menschen lieben,
Eh er nicht einen liebte. Ich
Ward früh in Einsamkeit getrieben, -
So härtete mein Herze sich -
AGNES.
Und doch, - Dein Lieben ist nicht weich;
Und wenn Du streichelst, wirds ein Streich.
BRAND.
Bei Dir auch?
AGNES. Nein! Wie könnt ich klagen!
Mir gabst Du, Lieber, leicht zu tragen; -
Doch mancher läßt Dich angesichts
Der Fordrung: Alles oder nichts!
BRAND.
Was rings die Welt als Lieb anspricht,
Das will ich nicht und kenn ich nicht.
Mir strahlt der Gottesliebe Bild,
Und die ist weder sanft noch mild;
Die macht kein Todesgrausen weich,
Und wenn sie streichelt, wirds ein Streich.
Was tat Gott in der Ölbergstunde,
Da ihn der Sohn, verzweifelnd schier,
Anflehte: Nimm den Kelch von mir!
Nahm er dem Sohn den Kelch vom Munde?
Nein, leeren mußt er n bis zum Grunde.
AGNES.
O, üb solch strenges Richteramt,
So ist die ganze Welt verdammt.
BRAND.
Wer weiß, wen einst Verdammnis trifft?!
Doch steht in ewiger Flammenschrift:
Nur dem, der treu, wird Licht zum Lohne,
Kein Feilschen schafft des Lebens Krone!
Du darfst der Prüfung Feur nicht fliehen,
Denk nicht, daß Dus mit Angstschweiß stillst.
Daß Du nicht kannst, wird Dir verziehen,
Doch nimmermehr, daß Du nicht willst.
AGNES.
Ja, ja, laß alles andre schweigen!
O, hilf mir, hilf mir mit Dir steigen;
Lehr mich Dein hehres Aufwärtswallen;
Mein zager Mut will oft nicht mit;
Oft schlägt mich Angst, mich bangt zu fallen,
Und müd und erdschwer schleppt mein Schritt.
BRAND.
Den Wahlspruch, Agnes, nie vergiß:
Nur keinen feigen Kompromiß!
Verurteilt ist all Handeln Dein,
Wenn Du es halb übst und zum Schein.
Das soll man zum Gesetz erheben,
Durch Worte nicht, doch durch sein Leben.
AGNES (wirft sich an seine Brust.)
Wo Du gehst, folg auch mein Fuß schwach!
BRAND.
Für zwei ist kein Geschröff zu jach.
(Der Doktor ist den Weg herabgekommen und bleibt vor dem Zaun außen stehen.)
DER DOKTOR.
Ei, schnäbeln sich verliebte Tauben
In diesen grauen Felsenlauben!
AGNES.
Mein altes Doktorchen! Du hier!
O, komm doch zu uns!
(Läuft hinab und öffnet die Gartentüre.)
DER DOKTOR. Nicht zu Dir!
Du weißt recht gut, was in mir
gärt.
An solcher Stätt zu hausen, Kind,
Wo Firnenhauch und Winterwind
Eiskalt durch Leib und Seele fährt!
BRAND.
Nicht durch die Seele.
DER DOKTOR. Nicht? Nein, nein!
Es wirft ja wirklich fast den Schein,
Als ständ der jähgeschlossne Bund
Trotzdem auf festem, sicherm Grund,
Wiewohl s nach alter Rede heißt,
Daß, was gebaut in hastiger
Stund,
Auch von Bestand sich kurz erweist.
AGNES.
Ein Sonnenkuß, ein Glockenschlag
Weckt oft zu einem Sommertag.
DER DOKTOR.
Lebt wohl für heut! Mich ruft die Pflicht.
BRAND.
Zu meiner Mutter?
DER DOKTOR. Gehn Sie mit?
BRAND.
Nicht jetzt.
DER DOKTOR.
Sie waren schon?
BRAND. Noch nicht.
DER DOKTOR.
Pfarr, Sie sind hart. Ich schund und stritt
Mich hier durch Wind und Wetter lang,
Wiewohl ich weiß, es ist ein Gang
Um Armesündergroschenklang.
BRAND.
Gott segn Ihr Wirken immerdar!
Und machen Sies ihr leicht, nicht wahr!
DER DOKTOR.
Den Willen
segn er nur; ich kam,
So oft mich Not in Anspruch nahm.
BRAND.
Nach Ihnen sandte sie. Und ich, -
Ich warte, warte bitterlich.
DER DOKTOR.
Was warten Sie?
BRAND. Eh sie nicht sendet,
Ist jedes Wort an ihr verschwendet.
DER DOKTOR (zu Agnes.)
Du armes Weibchen, Tag und Nacht
In solcher harten Hände Macht!
BRAND.
Ich bin nicht hart.
AGNES. Er gäb sein Blut,
Machts ihrer Seel Verfehlung gut.
BRAND.
Freiwillig nahm ich, als ihr Erbe,
Ihr Schuldnerbuch auf meine Kerbe.
DER DOKTOR.
Genug an Ihrem!
BRAND. Vieler Schuld
Sühnt Eines Arbeit und Geduld.
DER
DOKTOR.
Nicht eines, der selbst, arm und nackt,
Mit Schuld und aber Schuld bepackt.
BRAND.
Gleichviel; ich will, aus ganzem Sinn, -
Und dieses eine will reicht hin.
DER DOKTOR (sieht ihn starr an.)
Ja, Deines Willens quantum satis
Steht, reichgebucht, an seiner Statt;
Doch, Pfarr, Dein conto caritatis,
Das ist ein weiß, jungfräulich Blatt.
(Ab.)
BRAND (folgt ihm eine
Weile mit den Augen.)
Kein Wort ward so voll Lug und List,
Wies heut das Wörtlein Liebe ist.
Damit verhüllt man satansklug
Seins Willens Schwachheit und Betrug;
Damit wird Schweigen drum gespult,
Daß man sein Lebtag spielt und buhlt.
Der Berg wird steil, der Atem knapp, -
Die Liebe kürzt den Weg Dir ab!
Du folgst der Sünder breiten Reihn, -
Die Liebe wird Dir einst verzeihn;
Du schaust Dein Ziel, doch tatenlos,
-
Die Liebe wirft Dirs in den Schoß;
Du wählst bewußt statt grade krumm, -
Die Liebe macht den Richter stumm!
AGNES.
Ja, das ist falsch, und doch, oft fass
Ichs kaum und frag mich: ist es das?
BRAND.
Eins fehlt! Erst Wille, ernst und echt,
Löscht des Gesetzes Durst nach Recht.
Erst mußt Du wollen, und nicht nur
Des Möglichen gemeine Spur,
Nicht nur die Summe
von Beschwerd
Und Müh, die eine Tat begehrt;
Nein, wollen muß Dein fröhlicher Mut
Durch aller Schrecken Flut und Glut.
Das ist kein Märtyrtum, in Wehn
Am Pfahl des Kreuzes zu vergehn; -
Zu wollen diesen Kreuzestod,
Zu wollen diese Fleischesnot,
Zu wollen diese Seelenqual, -
Erst das stellt Dich zur Königswahl.
AGNES (schmiegt sich dicht an ihn an.)
Fällt uns
einst unsre Prüfung zu,
Mein Herr und Hort, dann rede Du!
BRAND.
Gewann der Wille solchen Streit,
Dann kommt der Liebe lichte Zeit
Wie eine Taube und verleiht
Des Lebens Ölblatt Dir als Paß;
Doch diesem Volk hier, schlaff und laß,
Gebührt als beste Liebe Haß!
(Erschrocken.)
Haß! - Weltenkrieg im Schoß zu tragen
Dies Wörtlein, wie ein Hauch zu sagen!
(Eilig
ab ins Haus.)
AGNES (blickt durch die offne Tür.)
Er ist bei Alfchen hingekniet
Und wiegt das Haupt, als weinet er,
Und preßt es auf sein Bett, wie wer,
Der nicht mehr Hilf noch Ausweg sieht.
O, welch ein Born von Liebe bricht
Aus dieser Mannesbrust von Erz!
Alf darf er lieben; dessen Herz
Verdarb der Sünde Biß noch nicht.
(Entsetzt ausbrechend.)
Aufspringt er, - ringt die Hände, - weh
Was sieht er? Er ist bleich wie Schnee!
BRAND (außen auf der Treppe.)
Kein Bote noch?
AGNES. Nein, keiner noch.
BRAND (blickt ins Haus zurück.)
Das ist ein Fiebern und Gepoch
Im Herzchen unsres kleinen Kranken -!
Nur ruhig, Kind!
AGNES. Was für Gedanken -!
BRAND.
Nein, sei nur ruhig -
(Ruft nach dem Weg hinaus.)
Da! Der Bote!
EIN MANN (durch die Gartenpforte.)
Jetzt sollst Du kommen, Herr!
BRAND. Sofort!
Was sagte sie?
DER MANN. Ein dunkel Wort;
Im Bett auf saß die halb schon Tote
Und sagte: Hol ihn, s geht zu End;
Mein halbes Gut fürs Sakrament.
BRAND (weicht zurück.)
Das halbe! Nein! Sag nein!
DER MANN (schüttelt den Kopf.)
Da
wär
Mein Wahrheitreden nicht weit her.
BRAND.
Das halbe?! Alles war gemeint!
DER MANN.
Kann sein; gesagt war halb, nicht mehr.
Mein Kopf ist gut, das weiß mein Feind.
BRAND (ergreift ihn am Arm.)
Du zeugst mir einst vor Gottes Thron,
Daß dies Wort ihrem Mund entflohn?
DER MANN.
Ja.
BRAND (fest.)
Sag, daß ich die Antwort
send:
Kein Priester kommt, kein Sakrament.
DER MANN (sieht ihn unsicher an.)
Da hast Du wohl nicht recht gehört,
Wer Dich in seiner Not beschwört -
BRAND.
Ich kenne kein gezweiteilt Recht
Für fremd Geschlecht und mein Geschlecht.
DER MANN.
Hart Wort!
BRAND. Es gilt hier, angesichts
Des Todes, alles oder nichts.
DER
MANN.
Pfarrer!
BRAND. Das kleinste Stäubchen Gold
Ist noch ein Klumpen Götzensold.
DER MANN.
Ich werd der Antwort Geißelschlag
So lind führn, als ichs nur vermag.
Ihr bringt wohl eins noch Trost und Ruh:
Gott ist nicht ganz so hart wie Du!
(Ab.)
BRAND.
Ja, dieses Trosts verjauchter Krug
Vergabs der Menschheit oft genug.
Gegrein und Schrein zur rechten
Stund
Verschmiert dem Richter leicht den Mund.
Ei, freilich! Das gehört sich so!
Man glaubt ja viel zu felsenfest,
Daß irgendwie und irgendwo
Der Alte mit sich handeln läßt.
(Der Mann hat außen auf dem Wege einen anderen getroffen; sie kommen beide zusammen zurück.)
BRAND.
Von neuem Botschaft?
ERSTER MANN. Ja.
BRAND. Ihr Sinn?
DER ZWEITE.
Neun Zehntel gibt sie willig hin.
BRAND.
Nicht
alles?
DER ZWEITE. Nein.
BRAND. Mein Wort Ihr kennt:
Kein Priester kommt, kein Sakrament.
ZWEITER MANN.
Sie hat zuletzt viel durchgemacht -
ERSTER.
Sie hat Dich doch zur Welt gebracht!
BRAND (ringt die Hände.)
Mir ziemt nicht zweierlei Art Recht
Für Fremde und für mein Geschlecht.
ZWEITER MANN.
Der Kranken Qual wächst fort und fort, -
Send wenigstens ein sühnend Wort!
BRAND (zum ersten Mann.)
Geht; bringt der Kranken mein Gebot:
Tisch rein für Gnadenwein und -brot!
(Die Männer ab.)
AGNES (schmiegt sich an ihn.)
Oft fürcht ich, Brand, für Deinen Stern:
Du flammest wie ein Schwert des Herrn!
BRAND (mit Tränen in der Stimme.)
Stellt nicht die Welt ohn Ende sich
Entblößten Eisens wider mich?
Quält nicht die Welt mich bis aufs Blut
Mit ihrer Trägheit dumpfer Wut?
AGNES.
Steil ist der Weg, den Du ihr sannst.
BRAND.
Zeig einen bessern, wenn Du kannst.
AGNES.
Leg solch ein Maß, an wens auch ist,
Und sieh, obs auch nur einer mißt.
BRAND.
Nein, da hast Du zum Grausen recht.
So quer, so leer, so
flach, so schlecht
Ist diese ganze Zeit geworden.
Schenkt einer heut durch Testament,
Ohn daß er seinen Namen nennt,
Gleich rückt er in der Heiligen Orden.
Nimm einem Helden seinen Ruf,
Und laß ihm das nur, was er schuf;
Tu Kaisern, Königen Gleiches an, -
Und sieh, was noch getan wird dann!
Laß einen Dichter es bewenden,
Die Nestbrut heimlich auszusenden,
Daß keiner ahnt, daß sein Genie
Ihr
Stimm und Goldgefieder lieh!
Fass grünen oder dürren Ast:
Hingebung ist kein Menschengast.
Breit herrscht der Weltsucht Knechtsgedanke;
Wild klammert sich an Abgrunds Rand
Der Mensch an seines Staubseins Ranke, -
Und reißt die, - krallt er gier die Hand
Noch krampfhaft in Geröll und Sand.
AGNES.
Und hört Dein: Alles oder nichts!
Wie eine Windsbraut des Gerichts.
BRAND.
Kein Sieg wird ohne
Kampf Dein eigen;
Wer tief gefallen, muß hoch steigen. -
(Er schweigt eine Weile; seine Stimme verändert sich.)
Und doch, an manchem Totenbett,
Wenn sie für ihre Sünden büßten,
War mir, ich trieb in Meereswüsten
Auf eines Wracks sturmirrem Brett.
Stumm schluchzend biß ich oft genug
Die Zunge, die sich nie erbarmt, -
Und manchen, den ich grausam schlug, -
Wie lieber hätt ich ihn umarmt!
-
Sieh, Agnes, nach dem kleinen Bleichen;
Sing ihn in lichte Träume ein;
Ein Kinderherz ist klar und rein,
Als wie ein See in Sonnenschein;
Ein Mutterwunsch kann drüberstreichen,
Dem Vogel gleich, der sein Gebiet,
Lautlos gespiegelt, überzieht.
AGNES (bleich.)
Was ists, daß, wie der Pfeil auch fliegt,
Er stets zu Alf zurücke biegt?
BRAND.
O, nichts. Wart es nur treu,
das Kind.
AGNES.
Gib mir ein Wort mit.
BRAND. Stark?
AGNES. Und lind.
BRAND (umarmt sie.)
Wer schuldlos ist, leb ohne Bangen!
AGNES (blickt ihn hell an und sagt:)
Eins gibts, - das darf Gott nicht
verlangen!
(Ins Haus ab.)
BRAND (sieht still vor sich hin.)
Daß er es dennoch dürfte, lehrt,
Was er von Abraham begehrt.
(Schüttelt die Gedanken ab.)
Nein, nein; mein Opfer ist gebracht.
Wie Gottes Donner hinzurollen,
Der Erde Schläfer aufzugrollen, -
Der Lebenstraum versank in Nacht.
Wie! Eines Opfers rühm ich mich?
Ach, jenes Opfers Ruhm erblich,
Als Agnes mich
erwachen machte -
Und sich mit mir zum Opfer brachte.
(Sieht den Weg entlang.)
Was ist die Kranke doch zu Haus
In ihrem Geize trotzig zäh;
Was rauft sie dies Geschwür nicht jäh
Mit Schoß und Stamm und Wurzel aus! -
Sieh da -! Nein, nur der Vogt ists - und
Wie immer rührig, rund, gesund,
Die Händ gesteckt in beide Taschen,
Wie Klammern um ne Parenthes -
DER VOGT (durch die
Gartenpforte.)
Schön guten Tag! Wir überraschen
Vielleicht nicht ganz dem Wunsch gemäß -
BRAND (weist nach dem Hause.)
Ich bitte -
DER VOGT. Danke; s tuts auch hier.
Erhält mein Wort nur Einlaß, bin
Ich sicher, Ihnen bringt, wie mir,
Die Unterredung nur Gewinn.
BRAND.
Was führt Sie her?
DER VOGT.
Vernahm ich recht,
So stehts mit Ihrer Mutter schlecht; -
Das tut mir leid.
BRAND. Ich zweifle nicht.
DER VOGT.
Das tut mir sehr leid.
BRAND. Nun, und da -?
DER VOGT.
Jedoch, sie ist wohl alt; - Gott, ja,
Das Sterben ist nun einmal Pflicht.
Und da ich
just vorüberstrich,
So dacht ich: jetzt ermannst Du Dich
Und sprichst mal vor; auch um zu fragen,
Obs wahr ist, was die Leute sagen,
Daß zwischen Ihnen seit der Zeit,
Daß Sie hier sind, Familienstreit -
BRAND.
Familienstreit?
DER VOGT. Es heißt, sie hält
Mit aller Macht an ihrem Geld.
Da gabs wahrscheinlich denn Verdruß.
Man sieht doch selbst auch auf
Erwerb.
Sie hat von Ihres Vaters Erb
Den ungeteilten Vollgenuß -
BRAND.
Den ungeteilten -; nur zu wahr!
DER VOGT.
Da fährt man sich gar leicht ins Haar.
Und da ich mir nun denn gedacht,
Daß Sie dem weiteren Geschehn
Mit kühlem Blut entgegensehn,
So sind Sie wohl nicht aufgebracht, -
Ist auch der Zeitpunkt schlecht gewählt, -
Und hören mich.
BRAND.
Ob jetzt ob dann,
Drauf kommts für mich wohl wenig an.
DER VOGT.
Ja, denn zur Sache, kurz und gut.
Sowie die Frau sich ausgequält
Und selig unterm Rasen ruht, -
Was bald geschehn wird, - sind Sie reich -
BRAND.
Sie glauben -?
DER VOGT. Da ist nichts zu glauben.
Sie übersehn Ihr Land nicht gleich,
So scharf Sie auch den Kieker
schrauben.
Sie werden reich!
BRAND. Trotz des Gerichts?
DER VOGT (lächelt.)
Was soll das hier? Das sorgt Sie nichts,
Da niemand Streit und Einwürf macht.
Hier kommt kein Dritter in Betracht.
BRAND.
Und wollte doch nun irgendein
Miterb ihr Gut sich zuerkennen -
Und sich den rechten Erben nennen?
DER VOGT.
Das müßt der Teufel selber sein!
Ja, sehn Sie mich nur an; - nicht einer
Spricht außer mir ein Wort hier drein;
Vertraun Sie mir; ich weiß Bescheid.
Nun also: Gutgestellt, wie keiner
Am Ort hier, reich sogar, so können
Sie sich nun bessre Tage gönnen;
Frei lacht die Welt nun weit und breit.
BRAND.
Wie? Heißt das nicht mit einem Wort:
Wir brauchen Dich nicht mehr; zieh fort!?
DER
VOGT.
Ich glaub, s wär allen nur zum Segen.
Stehn Sie, - wenn Sie die insgesamt
Betrachten, denen hier Ihr Amt
Gebeut die Bibel auszulegen, -
Nicht wie ein Wolf da, - derb verglichen, -
Vor Gänsen und vor Gänserichen?
Ihr Geist bleibt diesem engbemessnen
Bezirk ein unverstanden Buch;
Sie werden diesen eingesessnen
Bergbauern, diesen weltvergessnen
Fjordfischern oft ein wahrer Fluch.
BRAND.
Sein Heimatsort ist
einem Mann,
Was einem Baum sein Wurzelgrund; -
Wenn man ihn da nicht brauchen kann,
Verstummt sein Mund, verfällt sein Pfund.
DER VOGT.
Das ist das fürnehmste Gebot:
Sich dem, was not tut, anzupassen.
BRAND.
Doch wird vom Tal sich das, was not,
Nicht wie vom Berg aus schätzen lassen.
DER VOGT.
So reden die im Lande draußen,
Nicht die in armen Tälern hausen.
BRAND.
O, Ihr mit Eurem Unterschied
Von Tiefland und Gebirg! Ihr zieht
Die Rechte vor, die jenem gelten,
Doch seine Pflichten übt Ihr selten.
Euch dünkts genug, wenn Ihr nur schreit,
Daß Ihr geringe Leute seid.
DER VOGT.
Jedwede Generation,
Jedwede Zeit geht ihre Gasse.
Wir brachten unser Scherflein schon
Der Weltgeschichte großer Kasse;
Versteht sich, anno dazumalen;
Doch war es drum kein schlechter
Zahlen.
Jetzt kommt der Ort nicht mehr in Frage,
Doch seinen Ruf bewahrt die Sage;
Es zählen seine großen Tage
In König Beles Kriegsannalen.
Da dringt noch Etzliches zu Ohr
Vom Brüderpaare Wulf und Thor
Nebst manchem wackren Häuflein, das
Nach Brettlands Küste fuhr und baß
Brandschatzend Land und Leute schor.
Im Süden schrie man schreckensbleich:
Gott schütz uns vor der Eber Streich!
Und
diese Eber, des sind wir
Gewiß, die waren Volk von hier.
Und konnten sich die Kerle rächen!
Da schwamms von Blut- und Feuerbächen!
Ja, einer, Türkenmacht zu schwächen,
Nahm selbst das Kreuz, dem Herrn zulieb; -
Wenn auch der Zug selbst unterblieb -
BRAND.
Es stammt gewiß ein breit Geschlecht
Von diesem Helden ab?
DER VOGT.
Ganz recht:
Doch woher wissen Sie -?
BRAND. O, weil
So viele, dünkt mich, heut ihr Heil
In einem Kreuzzug solcher Wahl
Versuchen, wie der dazumal.
DER VOGT.
Jawohl, es blüht noch weit und breit.
Doch waren wir in Beles Zeit!
Erst also kam das Ausland dran;
Dann fingen wir daheim den Tanz
Mit
Nachbarn und Gevattern an,
Einheizten mit der Felder Stroh
So Kirch wie Haus, uns flechtend so
Aus großen Taten Kranz auf Kranz.
Des Bluts, das wir dabei vergossen,
Ward später leicht zu viel gedacht;
Doch obbemeldter Sagenhort
Erlaubt denn doch auf unsre Macht
In jenem Zeitraum, längst verflossen,
Ein ganz bescheiden rühmend Wort,
Sowie den Schluß, daß unser Ort
Zum Fortentwicklungskampf der Welt
Mit
Feur und Schwert sein Teil gestellt.
BRAND.
Doch scheint dir nicht an Dich gerichtet,
Mein Volk, daß Adel auch verpflichtet,
Da du mit Egge, Pflug und Karst
Held Beles Erbe stumm verscharrst.
DER VOGT.
Durchaus nicht. Gehn Sie nur mal hier
Auf eins von den Gemeinde-Essen,
Wo Richter, Küster, Schulz und mir
Die Ehrenplätze zubemessen,
Und sehn Sie, kommen Punsch und Bier,
Ob König Bele wohl
vergessen!
Mit Tusch und Sang und Becherklang,
In Reden kurz und Reden lang
Wird sein gedacht, läßt man ihn leben.
lch hab oft selber tiefen Drang
Verspürt, ihm aus Gedankenzwirn
Ein blumig Ehrenkleid zu weben,
Und baß erbaut manch Herz und Hirn.
lch mag gern etwas Poesie.
Das tun im Grund wir alle, die
Wir hier daheim; - wiewohl verhalten; -
Im Leben darf sie niemals walten, -
Nur von Glock sieben bis Glock
zehn
Des Abends, wenn wir müßig gehn,
Und man, vom Tagwerk müd und matt,
Ein Aufschwungsbad von nöten hat.
Was uns an Ihrem Treiben irrt,
Das ist: Sie wolln - stirb oder gib! -
So sän wie mähn auf einen Hieb.
Sie trachten, wie die Dinge scheinen,
Idee und Leben zu vereinen, -
Sie wolln den Täter mit dem Beter
So innig in ein Joch geschirrt,
Daß eins draus wird, wie aus Salpeter,
Karbon und Schwefel Pulver wird.
BRAND.
Erraten.
DER VOGT. Doch in dieser Weise
Bewirtschaftet man größre Kreise.
Die werden Ihrem Wunsch genügen,
Uns ziemt nur, Moor und Meer zu pflügen.
BRAND.
Pflügt mir zuvörderst Euer leer
Geprahl von Ruhm hinab ins Meer!
Ein Zwerg wächst darum um kein Haar,
Weil Goliath sein Urahn war.
DER VOGT.
Große Erinnerungen
stärken.
BRAND.
Ja, - treiben sie zu neuen Werken.
Doch Ihr schuft jenes Säculum
Zu Eures Stumpfsinns Faulbett um.
DER VOGT.
Mein erstes bleibt mein letztes Wort; -
Am besten wärs, Sie zögen fort.
Hier wird Ihr Wirken nur versanden,
Ihr Weltanschauen nicht verstanden.
Das Trösten auf ein besser Morgen,
Den Aufschwung, der von Frist zu Frist
Geplagtem Volk vonnöten ist,
Werd unverdrossen
ich besorgen.
In meiner ganzen Laufbahn spricht
Gar viel von wohlerfüllter Pflicht;
Ich hab des Volkes Zahl verdoppelt,
Verdreifacht schier, zudem zugleich
Bald den, bald jenen Nahrungszweig
An diesen Fjordstrich hier gekoppelt.
Mit trotzender Natur im Kampf
Sind fortgerückt wir wie mit Dampf,
Und Wege ziehn sich, Brücken streben -
BRAND.
Doch nicht vom Glauben hin zum Leben.
DER VOGT.
Vom
Fjord bis hoch zum Gletscherschnee.
BRAND.
Nicht zwischen Handlung und Idee.
DER VOGT.
Erst Urbarmachung, Spann um Spann,
Erst Fortkunft zwischen Mann und Mann, -
Darüber war ein Urteil nur,
Eh Ihr Geist in die Leute fuhr.
Des Grubenlichts gewohnten Schein
Verquickten Sie mit Nordlichtsflammen;
Wen läßt solch Zwielicht da noch scheiden,
Was recht, was falsch, was groß, was klein,
Was
Büßen, was unschuldig Leiden?
Jedwed Verhältnis rann zusammen; -
Und die vereinigt siegen sollten,
Stehn in zwei Haufen nun zerscholten.
BRAND.
Sie setzen mich noch lang nicht matt.
Man wählt nicht seines Wirkens Statt.
Wem klar sein Ziel in Herz und Sinn,
Ihm strahlt das Wort von Anbeginn:
Gott will es: Hier gehörst Du hin!
DER VOGT.
So bleibe man, doch in dem Seinigen;
Ich seh
Sie gern die Leute reinigen
Von Sünden, Lastern, als im Schwang;
Des brauchts oft alle Klafter lang.
Bloß nicht gemacht den Werkeltag
Zum Sonntag, - und nicht stets die Flagg
Gezeigt, als ob jedwedes Brett
Im Fjord an Bord den Herrgott hätt!
BRAND.
Sollt ich nach Ihrem Ratschlag handeln,
Ich müßt mein innerst Wesen wandeln.
Doch das just gilts: Sich selbst zu leben,
An sein Werk ganz sich
hinzugeben;
Und dies, mein Werk, ich führs hinaus,
Daß es soll leuchten um mein Haus!
Das Volk, das Euer Führertrott
Einschläferte, wach auf zu Gott!
In Eures Engsinns Zwinger schwur
Es ab bald letzte Bergnatur;
Aus Eurer Kleinheit Hungerkur
Hervorgeht jeder stier und stur;
Ihr sogt ihm aus sein bestes Blut,
Ihr grubt ihm s Mark aus seinem Mut;
Ihr pochtet mürbe jedes Herz,
Und sollte stehn wie gossen Erz;
-
Doch noch, - wie lang sein Groll auch schwieg, -
Kanns Euren Ohren donnern: Krieg!
DER VOGT.
Krieg?
BRAND. Krieg!
DER VOGT. Gut; fangen Sie nur an!
Sie fallen als der erste Mann.
BRAND.
Einst wird gewaltig offenbar,
Daß Unterliegen Siegen war!
DER VOGT.
Brand, Brand! Sie stehn an einer Wende;
Wenn Sie der Einsatz nur nicht reut!
BRAND.
Ich wag ihn.
DER VOGT. Nimmts ein schlimmes Ende,
So ward Ihr Lebenstag vergeudt.
Sie haben, was das Herz begehrt;
Erbgut wird Ihnen aufgedrängt;
Ein Kind macht Ihnen s Leben wert,
Ein lieb Gemahl; - das Glück, es hängt
Vor Ihnen wie die reife Beere!
BRAND.
Und wenn ich dennoch diesem Glück,
Wie Sies verstehn, den Rücken kehre?
Falls ich es muß?
DER
VOGT. Vergeben Stück,
Entrolln Sie der Fernabwelt hier
Ihr volkskriegweckendes Panier!
Ziehn Sie zum Süden, zu Gestaden,
Wo kühne Köpfe mehr in Gnaden;
Dort sammeln Sie die Starkgemuten
Und lassen die Gemeinde bluten;
Hier opfern wir nicht Blut, - nur Schweiß,
Im Kampf um Brot mit Stein und Eis.
BRAND.
Hier bleib ich doch. Hier ist mein Herd.
Und wo
mein Herd ist, liegt mein Schwert.
DER VOGT.
Sie wissen, was Sie als Nicht-Sieger
Verlieren - und nie mehr erreichen!
BRAND.
Mich selbst verlör ich, wollt ich weichen.
DER VOGT.
Brand, fruchtlos kämpft ein einsamer Krieger.
BRAND.
Die Besten solln mir Folgschaft leisten.
DER VOGT (lächelt.)
Mag sein, mag sein, - doch mir die meisten.
(Ab.)
BRAND (sieht ihm nach.)
Ein Vollblut-Volksmann! Reger Hand,
Rechtschaffen denkend, warm und billig,
In seiner Weise fortschrittswillig,
Und eine Geißel doch fürs Land.
Nicht Bergrutsch, Dammbruch, Winters Ost,
Nicht Hungersnot, nicht Pest, nicht Frost
Verschulden halb die Niederlag,
Wie solch ein Mann in Jahr und Tag.
Die Landplag raubt Dir nur Dein Leben; -
Doch er -! Wie manches frische Streben,
Wie manchen stolzen Traum
zertrümmert,
Wie manchen starken Ton verkümmert
Solch ein engbrüstig-heisrer Geist!
Wie manch von Lächeln hell durchsonnten,
Wie manch von Blitzen schwangren Blick,
Wie manchen Hochflugs Zwiegeschick,
Draus Taten, Werke wachsen konnten, -
Hat er zerbrochen und vereist.
(Plötzlich in Angst.)
Kommt keine, keine Botschaft mehr?
Doch - dort -!
(Eilt dem des Weges kommenden Doktor entgegen.)
Sie hat Sie hergesandt -?
DER DOKTOR.
Sie steht vor ihrem Richter, Brand.
BRAND.
Tot! Doch in Buße?
DER DOKTOR. Glaub ich kaum:
Ihr zäher Geiz gab ihr nicht Raum,
Bis sie der Tod im Arme hielt.
BRAND (blickt still erschüttert vor sich hin.)
Ist eine Seele hier verspielt?
DER
DOKTOR.
Vielleicht, daß den gerechten Lohn
Der Richter ihr erlassen will!
BRAND (leise.)
Was sagte sie?
DER DOKTOR. Sie raunte still:
Gott ist so hart nicht wie mein Sohn.
BRAND (sinkt von Schmerz übermannt auf die Bank.)
In Todesnot, in Sündenfall
Die gleiche Lüg allüberall!
(Verbirgt das Gesicht in den Händen.)
DER DOKTOR (tritt
näher, betrachtet ihn und schüttelt den Kopf.)
Sie wollen abgelebten Zeiten
Ein Auferstehungsfest bereiten.
Sie glauben, scheint es, noch zur Stund
An Gottes und des Menschen Bund.
Doch jede Zeit hat ihre Art;
Die unsre schreckt nicht Höllenfahrt,
Altweiberfurcht, Verdammniswahn -
Ihr erst Gebot ist: Sei human!
BRAND (blickt auf.)
Human! Jawohl, dies schlaffe Wort
Kennt heut der Erde letzter Ort!
Mit
dem macht jeder Tropf Dich still,
Wenn er nichts schaffen kann und will;
Mit dem schmückt jeder Wicht sich jetzt,
Wenn er nur Halbes wagt und setzt:
Von dem beobdacht bricht man heut
Jedwed Gelübd, gleich feig bereut; -
Gehts nach Euch Zwergenseelen, ist
Bald jeder Mensch ein Humanist!
War Gott human zu Jesu Christ?
Hätts damals Euer Gott gelenkt,
Er hätt ihm wohl sein Kreuz geschenkt -
Und aus dem ganzen
Heilswerk sacht
Ein Diplomatenstück gemacht!
(Verbirgt seinen Kopf und sitzt in stummer Trauer.)
DER DOKTOR (leise.)
Ras aus, ras aus, du Herz im Sturm; -
Am besten wärs, du könntest weinen.
AGNES (ist auf die Treppe herausgekommen und flüstert bleich und erschrocken dem Doktor zu:)
Komm schnell! O Gott!
DER DOKTOR. So aufgeregt!
Was ist Dir, Kind?
AGNES. Ein Sorgenwurm
Hat kalt sich mir ums Herz gelegt -!
DER DOKTOR.
Was ist denn?
AGNES (zieht ihn mit sich.)
Komm zu unserm Kleinen!
(Sie treten ins Haus, ohne daß es Brand bemerkt.)
BRAND (still vor sich hin.)
Tod
ohne Buße. Tod wie Leben.
Ist da nicht Gottes Fingerzeig?
Von mir will er den Zins erheben,
Den sie zu zahlen sich begeben, -
Nun zehnmal weh mir, wich ich feig!
(Erhebt sich.)
Ihr Sohn, will ich, auf Heimatsgrund,
Unwandelbar von dieser Stund
An kriegen, Gottes Kreuzvasall,
Für Geistes Sieg in Fleisches Fall.
Gott gab mir seiner Zunge Erz,
Glomm seine Zornglut mir ins Herz; -
Nun steht mein Wille hoch in Halmen,
Nun darf, nun kann ich Fels zermalmen!
DER DOKTOR, (begleitet von Agnes, tritt eilig auf die Treppe hinaus und ruft Brand zu:)
Ihr Haus beschickt und fort von hier!
BRAND.
Und bebte die Erd, ich trotzet ihr!
DER DOKTOR.
So ist Dein Kind des Todes, Mann!
BRAND.
Mein Kind! Mein Alf! Was ficht Sie an!
Sie reden irr!
(Will ins Haus.)
DER DOKTOR (hält ihn zurück.)
Nein, bleiben Sie! -
In dieser finstern Felsenkluft
Mit ihrer eisigen Nordpolluft,
Mit ihrem Nebel, naß und schwer,
Nur einen Winter noch, - und nie
Erblickt Ihr Kind die Sonne mehr.
Nur Flucht, Brand, rettet Ihren Sohn, -
Doch bald, am liebsten morgen schon.
BRAND.
Heut abend, gleich, noch diese Stund!
Stark werd er wieder und gesund!
Kein Gletscherhauch, kein
Küstenwind
Mach seine kleine Brust mehr wund.
Wieg sanft in Schlaf ihn, - und geschwind
Dann fort aus diesem Grabesgrund!
O Agnes, Todesnähe spinnt
Ihr graues Garn um unser Kind!
AGNES.
Wohl ahnt ich zitternd die Gefahr,
Doch nicht, daß sie so nahe war.
BRAND (zum Doktor.)
Sie schwören mir, daß Flucht ihn rettet?
DER DOKTOR.
Wen Vaterliebe sorgsam bettet,
So Tag wie Nacht, -
er ist gefeit.
Sein Sie ihm alles, und die Zeit -
Getrost! - der Heilung ist nicht weit!
BRAND.
Dank! Dank!
(Zu Agnes.)
Einhüll ihn dicht in Daun;
Den Fjord lang weht schon nächtlich Graun.
(Agnes ins Haus ab.)
DER DOKTOR (betrachtet schweigend Brand, der unbeweglich durch die Tür hineinblickt, geht darauf zu ihm hin, legt ihm die
Hand auf die Schulter und sagt:)
Wos andre gilt, so amtsgewichtig, -
Und mit sich selber so nachsichtig!
Viel oder wenig zählt bei jenen
Gar nicht, nur alles oder nichts;
Doch selber weint man Weibertränen,
Gefällts der Fordrung des Verzichts -
Sich auf uns selber auszudehnen.
BRAND.
Was meinen Sie?
DER DOKTOR. Der Mutter dort
Scholl des Gesetzes
steinhart Wort:
Verdammt! Legst du nicht alles ab
Und schreitest nackend in dein Grab!
Und dieser Ruf scholl oft genug,
Wo bang ein Herz und angstvoll schlug.
Jetzt treibt man selbst in Schiffbruchsnot
Auf schicksalssturm-verschlagnem Boot,
Jetzt ist auf umgekehrtem Kiel
Ein Schuldbrief plötzlich Last zuviel; -
Und jenes Buch, das zentnerschwer
Die Brüder schlug, rutscht flugs ins Meer; -
Sonst wärs am End im bösen
Wehn
Ums eigne liebe Kind geschehn.
Geflohn aus dieser Sturmregion!
Der Mutter Leiche selbst geflohn!
Geflohn Bestimmung, Seelsorg, Haus!
Jetzt setzt der Pfarr die Predigt aus!
BRAND (greift sich verzweifelt an den Kopf, wie um seine Gedanken zu sammeln.)
Bin jetzt ich blind? War ichs zuvor?
DER DOKTOR.
Sie liehn dem Vater in sich Ohr.
Ich schelt mit nichten, was Sie tun; -
Für mich rückt der Gebrochne
nun
Weit über den Titan empor. -
Ade! Nun bot ich Ihrer Seele
Den Spiegel. Sehn Sie seufzend draus:
So sieht ein Himmelsstürmer aus!
(Ab.)
BRAND (starrt eine Weile vor sich hin; plötzlich mit Leidenschaft:)
Jetzt oder einst, - wann griff ich fehle?
(Agnes tritt aus der Türe, den Mantel über den Schultern und das Kind auf dem Arm; Brand sieht sie nicht. Sie will reden, aber das Wort bleibt ihr erschrocken in der Kehle stecken, da sie den Ausdruck seiner Züge bemerkt. In demselben Augenblick kommt ein Mann eilig durch die Gartentür herein. Die Sonne geht unter.)
DER MANN.
Hör, Pfarr, Du hast hier einen Feind!
BRAND (preßt die Hand gegen die
Brust.)
Ja, hier.
DER MANN. Nimm Dich vorm Vogt in acht!
Du hattest viel um Dich vereint,
Bis sein Gered uns irr gemacht.
Verleumdrisch trug er hin und her,
Der Pfarrhof ständ in kurzem leer,
Und Du, Du kehrtest uns den Rücken,
Nun Deine reiche Mutter tot.
BRAND.
Und wärs nun so -?
DER MANN. Nein, seiner Tücken
Ursach
errät sich ohne Not.
Stehst wider ihn und seinen Bund,
Hast ihm den Nacken nie gebogen -:
Das ist der Nachred wahrer Grund.
BRAND (unsicher.)
Er tat Euch wohl - die Wahrheit kund.
DER MANN.
So hättst Du allzumal belogen!
BRAND.
Hätt ich -?
DER MANN. Wie oft hast Du erzählt,
Daß Gott selbst Dich zum Streit erwählt;
Daß unter uns die Heimat
Dein,
Daß hier Dein heilger Krieg soll sein,
Daß jeder, der Berufung treu,
Der Flucht Schand mehr als alles scheu!
Und Du, Du bist berufen! Tiefst
Nährt mancher, was Du mahnend riefst.
BRAND.
Das Ohr der Menge hier ist taub;
An dürrem Holze grünt kein Laub.
DER MANN.
Das weißt Du besser; - manch ein Herz
Blüht nun voll Hoffnung himmelwärts.
BRAND.
In
zehnmal mehren herrscht doch Nacht.
DER MANN.
Du bist wie Licht, das helle macht.
Doch wies auch mit der Menge steh, -
Aufs Zählen kommt hier wenig an;
Denn hier steh ich, der eine Mann,
Und sage: Wenn Du kannst, so geh!
Zwar Bücherwissen hab ich keines,
Doch ist mein Herz so voll wie eines;
Du gabst mir Deine Hand zu fassen, -
Du darfst mich jetzt nicht fallen lassen!
Du kannst es nicht; ich halte fest;
Versagtest Du,
so wärs mein Rest! -
Leb wohl! Du wirst mir nicht zu Spott.
Mein Pfarr verläßt nicht mich noch Gott.
(Ab.)
AGNES (schüchtern.)
Weiß ist Dein Antlitz, bleich Dein Mund,
Als schrie Dein Herz im tiefsten Grund.
BRAND.
Jed klangvoll Wort, das ich hier sprach,-
Die Bergwand hallts anklagend nach.
AGNES (macht einen Schritt vorwärts.)
Ich bin bereit!
BRAND.
Bereit? Wozu?
AGNES (kraftvoll.)
Zu tun, was eine Mutter tu!
(Gerd läuft draußen auf dem Wege vorüber und macht an der Gartentür halt.)
GERD (klatscht in die Hände und ruft mit irrer Freude:)
Hörtet Ihrs? Fort flog der Pfarrer! -
Tief vom Hügel, hoch vom Berg
Wimmeln Troll und Draug und Zwerg,
Schwarz und
wüst und groß und klein, -
Hu, wie hieb die Bande drein! -
Haben mir mit wilden Bissen
Aug und Herz halb ausgerissen!
Pah, Ihr plumpen Menschennarrer, -
Gerd kann gern die Hälfte missen!
BRAND.
Kind, was reimst und träumst Du da!
Steh ich denn nicht vor Dir?
GERD. Ja -
Du! Du wohl, doch nicht der Pfarrer!
Jäh herab vom Schwarzen Horn
Schoß mein Habicht. Wild von Sporn,
Zaum und Sattelzeug durchschnitt
Er den Dust, der Nachtdurchstarrer,
Und der Mann, der auf ihm ritt, -
Sieh, das war, das war der Pfarrer!
Leer steht jetzt der Dorfkirch Raum,
Vorgelegt ist Schloß und Baum;
Ihre Zeit wird nimmer kehren;
Jetzt kommt meine Kirch zu Ehren,
Wo mein Pfarrer Predigt
hält,
Hoch im weißen Meßgewand,
Wies ihm webte Winters Hand; -
Willst Du n hörn, komm hinterher;
Eure Dorfkirch steht ja leer;
Wenn er seinen Text bestellt,
Schallt es über die ganze Welt!
BRAND.
Wer hieß, Arme, Dich, mit irren
Götzenfabeln mich verwirren?
GERD (kommt durch die Gartentür herein.)
Was sind das für Narreteiden:
Götzen? Ei, was wird das sein?
Einmal groß und einmal klein,
Immer gülden, bunt und seiden.
Götzen!? Hörst Du, siehst Du sie?
Regt sichs nicht im Tuche hie
Wie von Kinderhänd und -beinen?
Diese Windel, fein und seiden, -
Sag, was mag sie wunders kleiden?
Wohl ein Kind in Schlummerruh?
Da erschrickt sie, - deckt es zu!
Götzen? Mann, da siehst Du einen!
AGNES (zu Brand.)
Hast Du Bitten, hast Du Tränen?
Mich hat
Grausen ausgebrannt.
BRAND.
Weh! Dies Wesen, möcht ich wähnen,
Hat ein Höherer gesandt!
GERD.
Horch! jetzt läuten all die Glocken
Droben auf dem wilden Grat!
Sieh, wen sie zum Kirchgang locken,
Welche Spukgemeinde naht!
Tausend Zwerg- und Trollgestalten,
Die der Pfarr ins Meer geknechtet,
Brachen ihrer Grüfte Riegel:
Nimmer lassen sie, geächtet
Unter seines Fluches Siegel,
Sich von
See und Sarg mehr halten;
Wimmelnd nahn die nassen, kalten; -
Kinder, scheintot, sieh, mit Greinen
Berglawinenschutt entstreben.
Vater! Mutter! schreits im Chor;
Männer, Weiber stürzen vor;
Dörfler wandert mit den Seinen,
Wie ein Vater, söhn-umgeben,
Dörflerin hat ihrem toten
Kind die Mutterbrust geboten;
War sie je so strack zu sehn,
Wann sie mußt zur Kindstauf gehn?
Da der Pfarr geflohn, ward Leben!
BRAND.
Weich von mir! Fast zeugt die Nacht
Schlimmern Spuk noch -
GERD. Horch! Er lacht,
Er, der längs des Weges sitzt,
Wo er auf zur Höhe flitzt;
Treulich bucht er Seel um Seele
Aus des Tals verlaßner Kehle; -
Hei, er zählt nicht viele Lücken;
Leer ist ja der Dorfkirch Raum,
Zugesperrt mit
Schloß und Baum, -
Fort der Pfarr auf Habichts Rücken!
(Springt über den Gartenzaun und verliert sich in den Felsen. Stille.)
AGNES (nähert sich Brand und sagt mit gedämpfter Stimme:)
Es ist Zeit; wir wollen gehn.
BRAND (starrt sie an.)
Welchen Weg?
(Zeigt zuerst auf die Gartenpforte, dann auf die Haustür.)
Den? - Oder den?
AGNES (weicht schaudernd zurück.)
Brand, - Dein Kind!
BRAND (folgt ihr.) Was war ich erst?
Priester oder Vater?
AGNES (weicht noch weiter zurück.)
Wärst
Gott Du selbst, der also fragt, -
Liess ich dies doch ungesagt!
BRAND (folgt ihr
wieder.)
Sprich als Mutter! Soll ich fort?
Du hast hier das letzte Wort!
AGNES.
Dein Gemahl bin ich; - entscheide!
Dein Gebot gilt für uns beide.
BRAND (will sie am Arm ergreifen.)
Nimm den Kelch der Wahl von mir!
AGNES (weicht hinter den Baum zurück.)
Hieß ich dann noch Mutter Dir?
BRAND.
Daraus blitzt ein Urteilsstrahl!
AGNES (stark.)
Bleibt Dir überhaupt noch Wahl?
BRAND.
Daraus blitzt es abermal!
AGNES.
Fühlst Du Dich als Auserwählten?
BRAND.
Ja!
(Greift sie fest um die Hand.)
Und nun schenk mir gestählten
Mutes Leben oder Tod.
AGNES.
Folge Deines Gotts Gebot!
(Pause.)
BRAND.
Es ist Zeit; wir wollen gehn.
AGNES (tonlos.)
Welchen
Weg, Brand?
(Brand schweigt.)
AGNES (zeigt auf die Gartenpforte und fragt:)
Den?
BRAND (zeigt auf die Haustür.)
Nein, - den!
AGNES (hebt
das Kind auf ihren Armen hoch empor.)
Gott! Was ich Dir hier gegeben,
Darf ich stolz zum Himmel heben!
Schweige nun auch Du mir nicht!
(Ab ins Haus.)
BRAND (starrt eine Weile vor sich hin, bricht in Tränen aus, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wirft sich nieder auf die Treppe und ruft:)
Jesus, Jesus, gib mir Licht!
VIERTER AKT
(Weihnachtsabend im Pfarrhaus. Die Stube liegt in Dunkel. Die Ausgangstür befindet sich in der Hinterwand; ein Fenster auf der einen, eine Tür auf der anderen Seite.)
(Agnes steht in Trauerkleidung am Fenster und starrt ins Dunkel hinaus.)
AGNES.
Immer noch nicht! Immer noch nicht!
O, wie Stund um Stunde leer ist!
Und zu sehen, er kommt
doch nicht,
Wie das Herz auch sehnsuchtsschwer ist!
Sacht fällt Schnee auf Berg und Wald;
Selbst das Kirchlein alt ist bald
Wie mit weißem Lein verhangen - -
(Lauscht.)
Horch! Die Zauntür ist gegangen!
Tritte! Fester Mannesfuß!
(Eilt zur Tür und schließt auf.)
Lieber, Einziger, bist Dus?
(Brand tritt ein, beschneit, in Reisetracht, die er während des Folgenden
abwirft.)
AGNES (schlingt die Arme um ihn.)
O, wie lange warst Du draußen!
Geh nicht von mir, weich nicht von mir!
Bin ich einsam, läßt der grausen
Nachtgespenster Reich nicht von mir!
Was sank alles auf uns nieder
Diese Tage, diese Nacht!
BRAND.
Kind, nun hast Du mich ja wieder.
(Zündet ein einzelnes Licht an, daß einen schwachen Schimmer über die Stube wirft.)
Du bist
bleich.
AGNES. Und überwacht.
Hab gesehnt mich all die Stunden, -
Dann ein wenig Grün gebunden, -
Wenig nur! Doch selbst gehegtes,
Noch vom Sommer her gepflegtes,
Längst zum Christbaumputz geweihtes.
Ihm bestimmt hatt ich den Strauch;
Nun, - als Kranz bekommt er n auch!
(Bricht in Tränen aus.)
Gott im Himmel! Und nun schneit es
Auf ihn -
BRAND. - auf dem Kirchhof drüben.
AGNES.
O, dies Wort!
BRAND. Du mußt Dich üben,
Es zu hören.
AGNES. Ja; doch quäle
Mich nicht so; sieh, meiner Seele
Wunde blutet noch zu stark;
Krank ward meines Willens Mark; -
Aber erst aus diesen Tagen,
Will ich nimmer, nimmer klagen,
Soll sichs rasch zum Bessern kehren.
BRAND.
Heißt das Gottes Festtag ehren?
AGNES.
Nein -; doch mußt Du mir vergeben!
Denk, - noch vorig Jahr welch Leben!
Dann des Fiebers bang Geflacker!
Und jetzt auf dem -
(Schaudert vor dem Wort zurück.)
BRAND (fest.) - Totenacker!
AGNES (schreit auf.)
Nicht dies Wort!
BRAND. Aus vollen Lungen
Dies Wort, das Dich ängstiget!
Dieses just, daß es gesprungen
Kommt, wie Brandung an ein Brett!
AGNES.
Selber zähmst Du kaum das Gären,
Das dies Wort in Dir entfacht;
Deine Stirne steht in Zähren
Von dem Schweiß, den es Dir macht.
BRAND.
Diese Tropfen auf der Stirne
Sind vom Fjord nur salzige Lauge.
AGNES.
Und der Tropfen auch im Auge
Nur geschmolzen Eis vom Firne?
Nein! Der brennt wie rinnend Erz!
Dessen Urquell ist Dein Herz.
BRAND.
Agnes, Weib, wir wollen beide
Stark sein, wollen, Eifers voll,
Mit vereinter Kraft dem Leide
Land abringen Zoll um Zoll.
Ha, war ich ein Mann da draußen!
Sturzseen brausten klippenüber,
Schreckstumm schoß die Möve drüber,
Hagelwetter kam uns zausen
Mitten im empörtsten Gischte,
Mast und Tauwerk kracht und zischte,
s Fock zerriß, doch keiner fischte
Nach den Fetzen, dies verjagte,
Jeder Nagel schrie und klagte; -
Wieder vom Gebirg und wieder
Donnerten Lawinen nieder;
Ratlos saßen die acht bleichen
Rudrer vor mir wie acht Leichen.
Ha, da wuchs ich auf am Steuer,
Meine Worte wurden Feuer, -
Und zu meinem schweren Werke,
Fühlt ich, lieh Gott selbst mir
Stärke.
AGNES.
Leicht, zu trotzen Sturmeswehn!
Leicht, Gefahren zu bestehn!
Aber sieh mich an: ich sitze
Hier in dieser Felsenritze,
Wo mir nichts den toten Frieden
Meiner Sperlingssorgen nimmt;
Sieh mich, die, weltabgeschieden,
Nicht der Taten Feur durchglimmt;
Sieh mich an, der Gott hienieden
Wenig nur zu tun bestimmt!
Hättst Du hier gleich mir gesessen,
Sprächst Du nimmer von Vergessen!
BRAND.
Dir, Dir läg nichts ob, zu tun?
Niemals Größeres denn nun!
Hör,- vielleicht wird Dir für Deinen
Schmerz aus meinem ein Gewinn.
Oft wird mir das Aug voll Weinen,
Still der Geist und weich der Sinn; -
Als ob Gott ein Glück dem gönnte,
Der recht weinen, weinen könnte.
Da wird Gott mir offenbar,
Denk Dir, Kind, wenn ich so weine, -
Offenbar wie nimmerdar,
Klar, daß ich ihn vor mir
meine.
O, mich dann an seiner warmen
Brust von allem zu befrein
Und von seinen Vaterarmen
Ewiglich umfaßt zu sein!
AGNES.
Brand, o, sieh ihn immer so. -
Seiner Nähe bleibe froh, -
Sieh den Vater, nicht den Herren!
BRAND.
Darf ich ihm entgegenstehn?
Darf ich ihm die Wege sperren?
Stark und groß muß ich ihn sehn,
Weltengroß, - just danach schreit
Diese selbst so kleine
Zeit.
Aber Du, Du darfst ihm nahn,
Seinen Vaterkuß empfahn,
Dich an seiner Lieb erquicken,
An ihm ausruhn, bist Du müd,
Von ihm scheiden, trostdurchglüht,
Seinen Glanz in Deinen Blicken,
Kannst mit seinem Widerschein
Mich zu neuem Schaffen weihn.
Siehst Du, Agnes, - so zu teilen,
Ist der Ehe Kern und Wesen;
Eins soll Kampf und Streit erlesen,
Eins soll alle Wunden heilen;
Dann erst hat sich offenbart,
Daß
aus zweien eines ward.
Da Dus wagtest, von der Welt
Abgetrennt und mir gesellt,
Dir Dein eigen Los zu dichten,
Brachtest Du mir dies als Gift:
Ich sollt kämpfen, wie es trifft,
Keinen Sonnengluten weichen,
Keine Nacht noch Kälte scheuen, -
Du wolltst mir den immer neuen
Labetrunk der Liebe reichen,
Wolltst der Güte Hermelin
Weich mir untern Panzer ziehn, -
Klein ist dies Dein Tun mit nichten!
AGNES.
Was ich Dir auch zu vollbringen
Trachte, nichts will mir gelingen.
All mein Denken, Planen, Meinen
Kehrt zurück zu jenem Einen.
Alles ist noch wie ein Traum.
Tränen werdens überwinden, -
Und ich werd mich wiederfinden
Und der Pflicht gewissen Zaum.
Brand, heut Nacht, indes Du drauß,
Kam es durch die Kammertür
Blühend und gesund herfür,
Und in seinem dünnen Flaus
Liefs mit
Kinderschritt, wie frühr,
An mein Bett, hob seine süßen
Ärmchen mir entgegen, spähte
Nach mir, lächelnd mich zu grüßen, -
Doch als obs um Wärme bäte!
Ja, ich sahs! Und fuhr empor -!
BRAND.
Agnes!
AGNES. Ja, - das Kind, es fror!
Und wie wollt es auch erwarmen
In der Bretter kalten Armen!
BRAND.
Laß den Leichnam unterm Schnee;
Alf
weilt in der Engel Runde.
AGNES (weicht vor ihm zurück.)
Wühle nur in meiner Wunde,
Schonungslos im tiefsten Weh!
Magst Du hart ihn Leichnam nennen,
Mir ist Alf noch heut mein Kind.
Leib und Seele soll ich trennen?
Ich vermag nicht so geschwind
Zwischen diesen zwein zu scheiden;
Eins noch sind für mich die beiden;
Alf, der hier liegt, schneeverstoben,
Er ist auch mein Alf dort oben!
BRAND.
Manche Wunde muß noch bluten,
Eh Dein krankes Herz genest.
AGNES.
Wenn Du sacht zu Werke gehst,
Leitest Du mich leicht zum Guten.
Reich mir Deine starke Hand,
Sprich so mild wie möglich, Brand,
Du, von dem es heißt, es wohne
Donnersturm in seiner Rede,
Ficht ein Herz die große Fehde
Um die eigne Lebenskrone, -
Könntst nicht mit Schalmeientönen
Bitterlichsten Schmerz
versöhnen, -
Fändst kein Wort in Deiner Tiefe,
Das zu Licht und Leben riefe?
Den Du mir gelehrt, Dein Gott, ist
Wie ein Fürst, gehüllt in Erz;
Ach, ich fürchte, nur ein Spott ist
Ihm mein armer Mutterschmerz!
BRAND.
Glaubst Du günstiger zu fahren
Mit dem Gott aus frühern Jahren?
AGNES.
Nein, nein, nimmermehr zurück!
Und doch ist mir oft, als breite
Sich vor mir das alte
Glück,
Und es lockt so lichte Weite.
Leicht zu heben, schwer zu tragen, -
Wie die alten Lehren sagen.
Deine Wege, sie zerfleischen
Mir den Fuß; zu groß, zu groß
Ist Dein Wollen, Wirken, Heischen,
Dein Beruf, Dein Ziel, Dein Los,
Dies Gebirg, das uns umerkert,
Dieser Fjord, der uns verkerkert, -
Einsamkeit, Erinnrungspein, -
Nur die Kirche ist zu klein.
BRAND (betroffen.)
Nur die Kirche? Der
Gedanke
Liegt wohl hier in Land und Luft?
Und warum -?
AGNES (schüttelt schwermütig den Kopf.)
Was weiß das kranke
Herz von Gründen? Wie ein Duft,
Windverweht, begehrt oft eine
Stimmung in ihm Unterschluft.
Woher kommt sie, wohin geht sie?
Gleichviel, mein Gemüt versteht sie.
Und ich fühle klar und rein:
Unsre Kirche
ist zu klein.
BRAND.
Welch ein Geist in der Gemeine!?
In wie vieler Bitt und Klage
Trat der Wunsch nicht schon zutage!
Selbst bei ihr, die wahngetrieben
Umgeht, stand er klar geschrieben.
"Dort ist Tod, dort ists zu enge!"
Rief sie. Und auch diese Kunde
Kam aus keinem klaren Grunde.
Wie viel Weibern fiels nicht ein:
Brand, die Dorfkirch ist zu klein!
Wenn aus all der Weiber Munde
Eine große Sehnsucht klänge,
-
Die zu stillen mir gelänge?!
Agnes! Agnes! Mich zu führen,
Hat der Herr Dich hergesandt;
Still und sicher, wie im Blinden,
Stets den rechten Weg zu finden,
Wenn ich seine Spur verkannt.
Nie mocht Dich ein Lockruf rühren;
Gleich am Anfang offenbartest
Du mein Reich mir und bewahrtest
Den, der Gott sich schon verglichen,
Vor des Dädalus Geschick,
Kehrtest ihm den strengen Blick
Innerwärts zum
Innerlichen.
Agnes, abermals nun schlug
Deines Wortes Blitz mich klug,
Trug Gewißheit in mein Los,
Goß Erleuchtung auf mich aus; -
Klein ist unsres Herrgotts Haus, -
Gut, so zimmern wir es groß!
Nie hab ich so hell gesehen,
Wie Du alles Lichtes Bronn mir;
Und so nimm zurück Dein Flehen:
Geh nicht von mir! Geh nicht von mir!
AGNES.
Sei denn, Trauerhaus, versiegelt,
Werde denn für alle Zeit
Der Erinnrung Burg verriegelt
Wie ein Grab. Vergessenheit
Trenne meerestief und -breit
Fürder dieses Grab und mich!
All mein arm und töricht Denken
Laß mich in dies Meer versenken
Und nur Gattin sein für Dich!
BRAND.
Aufwärts geht der Weg, zum Großen.
AGNES.
Fordre kein zu steiles Klimmen!
BRAND.
Durch mich fordern höhere Stimmen.
AGNES.
Gott wird, wie
Du selbst gelehrt,
Heißes Wollen nicht verstoßen,
Ward ihm auch kein Sieg beschert.
(Wendet sich zum Gehen.)
BRAND.
Wohin, Kind?
AGNES (lächelt.) Des Hauses Pflege
Ruft, wenn je, heut abend doch.
Letzten Christ, - Du schaltst mich noch, -
Ging ich fast zu reiche Wege.
Licht in jedem Leuchterringe,
Tannengrün voll bunter Dinge,
Spielzeug, Backwerk, Zuckersachen, -
Ei, das
war ein Lust und Lachen!
Wieder strahl nun Kerz an Kerze
Ihren Heilsgruß uns ins Herze;
Wieder schmück ich unser Nest
Nun zum stillen, großen Fest.
Lugt dann Gott zur Tür herein,
Schau er die gestraften Kinder
Sich dem Fest demütig weihn,
Sehe, wie sie nicht in blinder
Trauer, weil sie ihn nicht fassen,
Es zu heiligen unterlassen. -
Hab ich mich nun in Gewalt?
BRAND (drückt sie an sich und
läßt sie wieder los.)
Kind, mach Licht! Das ist das Deine!
AGNES (lächelt schwermütig.)
Und nicht wahr, Du baust mir meine
Große Kirche! Aber bald!
(Ab.)
BRAND (blickt ihr nach.)
Willig, willig stets beweist sie
Übermenschliche Geduld;
Weicht die Kraft, verläßt der Geist sie,
Trägt ihr Wille keine Schuld.
Hilf ihr, Herr, in Deiner Huld; -
Und mir
nimm der Fordrung Kelch,
Grausamer Gesetzeswut
Grimmem Geier kalt zu winken,
Sie zu packen, - welch, ach welch
Zarten Herzens Flut zu trinken!
Ich hab Kräfte, ich hab Mut;
Gib die Last mir von uns beiden, -
Laß nur sie nicht so viel leiden.
(Es klopft an die Flurtür. Der Vogt tritt ein.)
DER VOGT.
Hier grüßt Sie ein geschlagner Mann.
BRAND.
Geschlagner Mann -?
DER VOGT. Jawohl, so sagt ich.
Sie wissen wohl, im Sommer wagt ich
Bedrohlich mich an Sie heran,
Wollt Ihnen hier den Grund abgraben
Und gab für Sie nicht so viel mehr!
BRAND.
Nun ja?
DER VOGT. Doch reut mein Trotz mich schwer,
Heut streck ich schlankweg das Gewehr.
BRAND.
Warum?
DER VOGT. Weil Sie die meisten haben.
BRAND.
So?
DER VOGT.
Wär das etwa nicht der Fall?
Sie sucht man jetzt von überall.
Hier herrscht seit kurzem, ganz entschieden,
Ein Geist, der, weiß der liebe Christ,
Nicht Geist von meinem Geiste ist, -
Woraus ich klüglich folgern darf:
Durch Sie weht jetzt der Wind so scharf.
Hier meine Hand; wir schließen Frieden!
BRAND.
Ein Krieg wie unsrer endet
nicht,
Eh nicht des einen Schwert zerbricht.
DER VOGT.
Was setzt ihm besser Damm und Deich
Als Fried und gütlicher Vergleich?
Ich mag nicht widern Stachel löcken -
Ich bin ein Mensch wie andre auch -
Und lobe mir das Waffenstrecken
Vorm Speer des Feinds als guten Brauch.
Kein Stecken hilft mir aus der Not,
Wenn mich ein spitzer Spieß bedroht.
Vereinsamt man in seinem Streben,
So ists am schlausten:
nachzugeben.
BRAND.
Wenn Sie die Lag nur nicht verkennen!
Sie mögen mich den Stärkern nennen,
In Mehrzahl sehn -
DER VOGT. Und ob!
BRAND. Ja, jetzt
Vielleicht noch; aber wenns zuletzt
Das große, ernste Opfer gilt, -
Wen hebt das Volk
dann auf den Schild?
DER VOGT.
Ein ernstlich Opfer? Das zu sehn,
Wird Sie hier nimmer überraschen.
Woraus wirds bestenfalls bestehn?
Die Leutchen öffnen mal die Taschen.
Die Zeiten sind human und wollen
Nichts Bessres mehr als Opfer zollen.
Doch was mich schier zum Rasen brächte,
Ist, daß ich selbst aus derer Zahl,
Die das Humane hier empfahl
Und so den Opferwillen schwächte.
Ich gab damit voll
Unverstand
Den eignen Vorteil aus der Hand, -
Ja, - in gewisser Weise - band
Ich selbst damit mir eine Rute -
BRAND.
Mag sein; allein bei Ihrem Mute
Und Ihrer Kraft gibt man das Spiel
Doch nicht so kurzer Hand verloren.
Das mit der Rute sagt nicht viel, -
Ein Mann ist seiner Tat geboren,
Das Paradies sein höchstes Ziel.
Und ob zum wilden Meere schwölle,
Was ihm ans Ziel zu kommen wehrt, -
Wie? Dürft ein Mann
drum rufen: Kehrt!
Weit näher ists doch hier zur Hölle?!
DER VOGT.
Ich sage dazu ja und nein;
Man will doch mal aufs Trockne kommen,
Und sieht man seine Müh nicht frommen,
So schlägt man andre Wege ein.
Wir wollen nun einmal Erstattung
Für Arbeit jeder Art und Gattung;
Gewinnt man nichts durch grade Stärke,
So geht man eben krumm zu Werke.
BRAND.
Doch schwarz wird deshalb nie zu
weiß.
DER VOGT.
Mein lieber Freund, wem macht das heiß!
Was hilfts dem weiß wie Schnee Geglaubten,
Wenn alle: schwarz wie Schnee! behaupten?
BRAND.
Und Sie wohl mit?
DER VOGT. Nun nein, - genau
Besehn, nicht eben schwarz, doch grau.
Die Läufte sind human; die Massen
Nicht mehr so herrisch anzufassen.
Dies Land ist
frei - und um den Preis:
Daß jedes Wort gleich gültig schalle.
Wie darf da einer wider alle
Entscheiden über schwarz und weiß? -
Kurzum, da Sie die meisten haben,
Ist mir zunächst mein Grab gegraben.
Doch statt nun fromm mich einzusargen,
Spring ich auf Ihren Kutschentritt,
Und nur ein Narr wird mir verargen,
Daß ich nicht bis aufs Messer stritt.
Man hält, vom neuen Geist beseelt,
Mein Tun
für falsch nun und verfehlt.
Man meint, daß man jetzt Größres lernte,
Als wie man jährlich besser ernte.
Nicht willig mehr, wie vordem, rührt
Das Scherflein sich, wo sichs gebührt, -
Und mag kein Mensch mehr weiter trecken,
So bleibt der Karren eben stecken.
s ist schmerzlich, - wenn Sies überlegen, -
Den Plan zu so viel Weg- und Stegen,
Zur Austrocknung von Sümpfen, Watten,
Und mehr, stillschweigend
zu bestatten.
Doch, lieber Gott, was soll man machen!
Nachgeben ist das Los der Schwachen,
Die Gegenwart geduldig schlucken
Und bis zur Zukunft klug sich ducken.
Nun, - ich verlor des Volkes Gunst,
Wie ich sie mir erwarb. Die Kunst
Ist jetzt, durch anderweit Beginnen
Den Posten wiederzugewinnen.
BRAND.
Des Volkes Gunst, - so also heißt
Der Pol, darum Ihr Streben kreist?
DER VOGT.
Mit nichten, das weiß
Gott! Nein, nein!
Ich wollte das gemeine Beste,
Das Volkswohl einzig und allein.
Womit denn freilich eine feste
Erwartung auf Entgelt für brav
Getanes Werk zusammentraf.
Das ist mal so: ein rühriger Mann,
Der, was er soll, versteht und kann,
Will seiner Taten Früchte sehn,
Nicht nur für höhere Ideen
Durch Mühsal und Entsagung gehn.
Du kannst nicht, selbst beim besten Willen -
Hast Du im eignen Topf kein
Huhn -
Stets alles nur für andre tun,
Wenn Du im Ehejoche knurrst!
Man hat ein Weib und viele Töchter;
Da gilt es erst den Hunger stillen; -
Ideen löschen keinen Durst,
Ideen machen keinen satt,
Wo man, wie ich, das Haus voll hat;
Und käm mir einer drum und möcht er
Mir an, ich spräch: Die nicht so sind,
Sie sorgen schlecht um Weib und Kind.
BRAND.
Und Ihre Absicht nun -?
DER VOGT.
Zu baun.
BRAND.
Zu baun?
DER VOGT. Ich hab zu baun im Sinn, -
Zu meinem wie des Volks Gewinn.
Zuvörderst wär neu aufzubaun
Mein Ruf, den ich im Schwinden spüre; -
Die Wahlen stehen vor der Türe;
Und glückts, die Mißgunst mir zu staun
Und auf was Rechtes zu verfallen,
So werd ich Hahn im Korb bei
allen
Und kann auf Wiederwahl vertraun.
Nun hab ich so gedacht, - man kann
Sich ja dem Zug der Zeit bequemen.
Das Volk will jetzt Erhebung, heißt es;
Dazu bin ich zu kleinen Geistes;
Ich helf ihm höchstens auf die Beine:
Doch wie das tun, wenn die Gemeine
Es wider mich hält wie ein Mann?
Mich drum nicht noch mehr zu verfemen,
Entschloß ich dreist mich, - ging es an, -
Die Armut hier aufs Korn zu nehmen.
BRAND.
Und auszurotten?
DER VOGT. Nein; das läßt
Sich nicht; sie ist nun mal der Brest
Jeder Gesellschaft - und zu leiden;
Doch läßt sie sich in Formen kleiden
Mit etwas Witz und streng bezirken,
Sofern zurzeit wir auf sie wirken.
Man weiß, der Armut Unrat ist
Der Sünde bester Düngermist; -
Man soll nicht länger in ihm waten!
BRAND.
Was wolln Sie tun?
DER VOGT. Ob Sies erraten? -
Ich bau zur Lösung des Konflikts,
Zu Nutz und Frommen des Distrikts,
Der Armut hier ihr eigen Pesthaus;
Ja, Pesthaus sag ich, absichtsvoll,
Weils Ansteckung verhüten soll.
Mit diesem dacht ich mir im Bund
Als zweiten Flügel ein Arresthaus:
So sitzt die Wirkung samt dem Grund
Im selben
Schloß- und Riegelfrieden,
Nur durch die Zwischenwand geschieden.
Und da ich nun einmal im Schuß,
So denk ich mir zum guten Schluß
Noch unterm selben Dach nen Saal,
Teils zu Gelagen, teils zur Wahl,
Zu ernsten Dingen, wie zu Festen,
Mit Rednerpult und Raum zu Gästen, -
Kurzum, ein schmuck politisch Festhaus.
BRAND.
Was gilts, Sie haben stets ein voll Haus!
Doch Eines brauchten wir noch mehr.
DER VOGT.
Ich weiß, Sie denken an ein Tollhaus?
Ja, freilich brauchten wir das sehr.
Ich dachts zuerst als erstes Drittel;
Doch nach so manchem Hin und Her
Verwarf ichs doch als schönen Wahn.
Denn woher nehmen wir die Mittel
Zu einem solchen Riesenplan?
Und, glauben Sie, ein solcher Kasten
Erheischt ein Kapital von Rang,
Will jeder, der da Wert und Drang
Beweist, in seinen Mauern gasten.
Man muß dem Lauf der Zeit
vertraun,
Und nicht nur für sich selber baun.
Jetzt geht ja alles wie der Blitz,
Vorm Jahr entsprechend, dies Jahr minder; -
Und da mit jedem Jahr geschwinder
Jedwed Bedürfnis wächst und wächst,
Und Kräft und Gaben, rein verhext,
Auf Siebenmeilenstiefelsohlen
In jedem Fach sich überholen,
So würd s doch ein zu teurer Witz,
Dem Nachwuchs so nen Edelsitz
Zu baun für sich und Weib und Kinder.
Drum
sag ich: Mag das nur noch ruhn;
Der Zahn soll uns nicht wehe tun!
BRAND.
Und macht mal wer zu arg Skandal
So hat man ja den großen Saal.
DER VOGT (vergnügt.)
Gewiß, der ist ja meist geschlossen!
Da liegt der Vogel abgeschossen!
Ersteht der Bau nach meinen Datis,
So haben wir das Tollhaus gratis -
Und unter einem Dach gesellt,
Von einem Wimpel überwellt,
Die Elemente, die
vor allen
In unserm Kreis ins Auge fallen.
Wir haben die ohn Hab und Gut,
Dazu der Sünder Satansbrut,
Dazu die Narrn, die ohne Hut
Bislang gehaust und ohne Zucht;
Des weitern unsrer Freiheit Frucht:
Wahlkampf und weiser Reden Flucht;
Dazu nen Ratssaal, zu beschließen,
Zum Wohl des Kreises, das und dies;
Dazu nen Festsaal, zu begießen,
Daß unser Urahn Bele hieß.
Geht also alles bloß nach Lust,
Bekommt der Berge Sohn ja just,
Was, recht sich selber auszuleben,
Sein billig Sehnen ist und Streben.
Wir sind nicht reich hier im Gebirg;
Doch steht erst dies Gemeindehaus,
So ruft wohl jeder Kenner aus:
Welch wohlgeordneter Bezirk!
BRAND.
Allein die Mittel -?
DER VOGT. Ja, die hapern
In dieser wie in jeder Sach;
Die Lust zu Leistungen ist schwach,
Und kann ich
Sie nicht für mich kapern,
So kommt nichts unter Dach und Fach.
Doch stützen Sie mit Wortes Macht
Mein Werk, so fallen die Beschwerden, -
Und hab ichs gut zu End gebracht,
Soll Ihrer nicht vergessen werden.
BRAND.
Das heißt, Sie kommen, mich zu kaufen?
DER VOGT.
Wie Sie gleich immer überlaufen! -
Ich meint, es müßt mir damit glücken,
Den Zwietrachtschlund zu überbrücken,
Der
zwischen uns bisher geklafft
Und keinem Teil Gewinn geschafft.
BRAND.
Da kamen Sie zur falschen Stunde -
DER VOGT.
Ach wohl; ich weiß, - der große Schmerz -!
Die Ihnen jüngst geschlagne Wunde -!
Doch Ihre Fassung gab mir Herz -
Und dann Ihr Einfluß in der Runde -
BRAND.
Das Auge trocken oder naß, -
Ich stehe, - gilts, - bereit für jeden.
Jedoch ein andrer Grund will,
daß
Sie diesmal doch vergebens reden.
DER VOGT.
Und welch ein Grund -?
BRAND. Ich selbst will bauen.
DER VOGT.
Was? Baun? Sie stehln mir die Idee?
BRAND.
Nicht ganz.
(Zeigt zum Fenster hinaus.)
Vogt, sehn Sie dort im Schnee -?
DER
VOGT.
Dort?
BRAND. Ja.
DER VOGT. Den großen grauen Stall
Fürs Pfarrvieh, - dort am Wasserfall?
BRAND.
Daneben den; - den kleinen grauen.
DER VOGT.
Die Kirch?!
BRAND (nickt.) Sie will ich größer bauen.
DER VOGT.
Das soll, den Teufel, nicht geschehn!
Dran soll mir einer sich getrauen!
Sie habens auf mich abgesehn!
Mein Plan ist fertig und
hat Eile;
Doch Ihrer schießt mir meine Pfeile
Vorweg. Nein, nein! Ich will nicht leben,
Wenn ich -
BRAND. Ich hab nie nachgegeben.
DER VOGT.
Sie müssen! Baun Sie mein Arresthaus
Und Pesthaus und politisch Festhaus,
In Summa, kurz gesagt, - mein Tollhaus,
Wen schiert dann noch das morsche Dachwerk
Der Kirche? Bricht, weiß Gott, das Fachwerk
Doch nun schon Jahr und Tag nicht
ein!
BRAND.
Wohl möglich; doch sie ward zu klein.
DER VOGT.
Ich sah mein Lebtag noch kein voll Haus!
BRAND.
Nicht eine arme Seele fände
Mehr Raum im Zwinger dieser Wände.
DER VOGT (schüttelt verwundert den Kopf.)
Wodurch, bedünkt mich, eben diese,
Wie not ein Narrenhaus, bewiese!
(Verändert den Ton.)
Die Kirche fällt nicht, eh
ich sterbe.
Ich möcht mich niemals von ihr trennen
Die wir mit Recht ein Erbstück nennen,
Jawohl, ein unverletzlich Erbe,
Trotz allen Ihren Fechtersprüngen!
Ja, wird mein Plan des Teufels Beute,
So werd ich in der Gunst der Leute,
Ein Vogel Phönix, mich verjüngen!
Ich trete, Hand am Schwertesknauf,
Für unsrer Küste Denkmal auf!
Denn früh schon schmückte diesen Strand
Ein Opferstein für unsre
Väter, -
Worüber dann die Kirche später
Aus frommer Helden Raub entstand.
Verklärt in ihrer simplen Pracht,
Geweiht in ihrer alten Tracht,
So ragt sie bis in unsre Tage -
BRAND.
Doch was gezeugt von frührer Macht,
Ist nun wohl längst zur Ruh gebracht -
Und alles nur noch fromme Sage.
DER VOGT.
Just eben dies! Sie ist so alt,
Daß sich kein Span mehr finden läßt;
Doch zu
Großvaters Zeiten galt
Ein Loch noch in der Wand als Rest!
BRAND.
Ein Loch?
DER VOGT. Groß wie drei Maltersäck!
BRAND.
Doch Sie, die Wand?!
DER VOGT. Ja, die war weg.
Und deshalb muß ich rundweg sprechen:
Der Kirche Sturz ist unausführlich.
Es wär ein schmählich, unnatürlich,
Barbarisch Tun, sie abzubrechen.
Und dann das Geld, - ich wette, keiner
Wird Ihr Bedürfnis danach stillen
Und seinen Beutel ziehn um einer
Unausgetragnen Laune willen,
Wenn statt so vieler schwerer Millen
Ein Nichts sie so noch auf dem Damm hält,
Daß sie sich unsre Zeit noch stramm hält!
Doch sehn Sie selbst, wes Krug sie netzt, -
Ich weiß, ich lache doch zuletzt.
BRAND.
Das neue Haus für meinen
Gott
Macht keines Bettlers Hand bankrott.
Aus eignen Mitteln will ich bauen; -
Ich hab all mein ererbtes Geld
In dieses Werkes Dienst gestellt.
Nun, sind Sie immer noch der Held,
Mir meine Tat nicht zuzutrauen?
DER VOGT (mit gefalteten Händen.)
Jetzt platzt die Welt an allen Nähten!
So was geschieht ja kaum in Städten; -
Und hier, - wo jeder sein Metall,
Eh daß ers dem Gemeinzweck lieh,
Lieber
vergräbt, - hier öffnen Sie
Freigebig einen Wasserfall,
Der blinkt und funkelt, sprüht und schäumt -?
Nein, wie gesagt, mich dünkt, mir träumt!
BRAND.
Ich hab mich meines Erbteils längst
Vor mir entäußert -
DER VOGT. Derlei Reden
Vernahm ich oft; doch wies ich jeden
Zurück mit einem: "Was Du denkst!
Wer wär zu
opfern wohl gewillt,
Wos nicht gewissen Vorteil gilt?"
Doch das ist Ihre eigne Sach; -
Gehn Sie voran; ich folge nach.
Sie können handeln, stehn in Flammen,
Ich wirk im stillen, mehr gemach. -
Brand, baun die Kirche wir zusammen!
BRAND.
Sie wissen rasch sich abzufinden!
DER VOGT.
Und ob ichs weiß, und ob ichs tu!
Torheit, hier Widerstand zu leisten!
Wem pendelt wohl die Menge zu,
Will einer
stopfen, mästen, feisten,
Ein andrer melken, scheren, schinden?
Ja, Tod und Teufel, tu ich mit!
Ich bin von Ihrem großen Schritt
Bewegt, ergriffen, schier gerührt;
Ein Glücksfall, traun, hat mich just heute
Nach diesem Pfarrhof hergeführt;
Denn - darf ich sagen - ohne mein
Geplan kam Ihnen Ihrs kaum ein, -
Kam jedenfalls nicht vor die Leute.
Und prangt ein Neubau nächsten Winter,
Steckt eigentlich
der Vogt dahinter.
BRAND.
Doch jene ragende Ruine
Der Vorzeit muß geopfert sein.
DER VOGT (blickt hinaus.)
Betrachtet hier im Doppelschein
Von Neuschnee und von Neumond, schiene
Fürwahr ihr weitrer Beibehalt
Vom Übel!
BRAND. Wie?
DER VOGT. Sie ist zu alt!
Es ist mir völlig unerklärlich,
Daß ich den ganzen Abend schlief, -
Doch steht der Hahnenbalken schief; -
Sein fernrer Brauch wär höchst gefährlich.
Und wo ist Stil, Architektur?
An Wand und Dachstuhl keine Spur!
Wie soll man solche Bogen nennen?
Ein Fachmann würde sagen: greulich!
Und recht hat er; sie sind abscheulich.
Und dieses Moosdach wird wohl schwerlich
Noch König Beles Zeiten kennen.
Nein, Pietät geht leicht zu weit!
Das
muß dem größten Enthusiasten
Einleuchten, daß der alte Kasten
In Summa eine Unmöglichkeit.
BRAND.
Wenn aber nun die Leute sprechen:
Wir weigern uns, ihn abzubrechen -?
DER VOGT.
Will niemand andres, so will ich.
Vertraun Sie mir, ich werd beizeiten
Die Sache glatt in Wege leiten,
Zum Fest schon, bis auf Punkt und Strich.
Hei, werd ich eifern, wiegeln, schreiben; -
Allein, Sie kennen
mich ja, - Schnack!
Und kann ich aus dem dummen Pack
Nicht Hilfe gnug zusammentreiben,
So greif ich selbst zu Axt und Hack,
Ihn Stock- um Stockwerk zu entleiben.
Und müßten meine eigne Frau
Und eignen Töchter auf den Fleck,
Er soll, bei Tod und Teufel, weg!
BRAND.
Was für ein andrer Ton, schau, schau,
Als der, in dem Sie jüngst geschmäht!
DER VOGT.
Vielseitig sein, mein Freund, das
rät
Die Lehre der Humanität;
Und als da sagt der Dichtersmann,
So ist just das ein köstlich Ding,
Daß Flügel unser Geist empfing, -
Mit andern Worten - fliegen kann. -
Ade!
(Nimmt seinen Hut.)
Ich muß zu meiner Bande.
BRAND.
Zu wem?
DER VOGT. Wir griffen heut am Rande
Des Dorfs, selbzweit, - was sagen Sie! -
Zigeuner, häßlich wie
die Schande.
Jetzt liegt das Volk, wie Federvieh
Verschnürt, im Nachbarhaus am Strande.
Indes der Teufel soll mich holen,
Wenn sich nicht zwei, drei fortgestohlen -
BRAND.
Man läutete doch Weihnacht ein.
DER VOGT.
Was läßt uns dann die Brut nicht sein!
Doch allerdings, in einer Weise
Gehört sie der Gemeinde an -
(Lachend.)
Ja Ihnen selbst! Wenn Rätselspeise
Sie
lüstet, - stehn Sie Ihren Mann!
Nun wohl! Es leben Leute: Die sind
Kraft derer da, kraft derer Sie sind,
Und sind doch wieder, schlecht und recht,
Weil sie aus anderem Geschlecht!
BRAND (schüttelt den Kopf.)
Ach Gott, der Rätsel sind so viele.
Man tappt - und kommt zu keinem Ziele.
DER VOGT.
Dies Rätsel ist doch leicht geraten.
Sie hörten von dem Teufelsbraten
Wohl schon das ein und andre Wort -
Dem armen Burschen hier am Ort, -
Im übrigen ein heller Schädel! -
Der einst um Ihre Mutter warb -
BRAND.
Was weiter?
DER VOGT. Um ein steinreich Mädel!!
Worauf ihn denn die Ungerührte
Zum Blocksberg schickt, wie sichs gebührte.
Jedoch was tat nun unser Freund?
Er nahm, verhärmt, halb von Verstande,
Ein ander Weib, aus einer
Bande
Zigeuner, - und bevor er starb,
Ließ er dem Trupp sein Blut zum Pfande,
Das nun in Sünd und Elend sträunt.
Ja, eins von diesen Kebsweib-Trollen
Ward richtig uns hier einbeschert,
Daß wir des Kerls gedenken sollen -
BRAND.
Und das ist wer?
DER VOGT. Die junge Gerd!
BRAND (mit gedämpfter Stimme.)
Die Gerd!
DER
VOGT (munter.)
Was? Macht das Rätsel Staat?
Sein Blut lebt doch kraft derer, die
Sie, Brand, geboren und gesäugt; -
Denn hätt er Ihre Mutter nie
Geliebt, so hätt ers nie gezeugt.
BRAND.
Vogt, wissen Sie mir keinen Rat,
Was diese Seelen retten könnte?
DER VOGT.
Der findt sich hinter Zuchthaustoren.
Die sind mit Haut und Haar verloren;
Wer ihnen helfen wollt, mißgönnte
Dem Teufel, was just selben schiert
Und davor schützt, daß er falliert.
BRAND.
Sie hatten doch zu baun gedacht,
Der Nächsten Wohl so warm erwogen!
DER VOGT.
Der Antrag ward, kaum eingebracht,
Schon wieder auch zurückgezogen.
BRAND.
Und ging es noch -; wärs jetzt zu spät -?
DER VOGT (lächelnd.)
Das ist ein andrer Ton,
schau, schau,
Denn der, in dem Sie jüngst geschmäht.
(Klopft ihm auf die Schulter.)
Was tot, ist tot und abgetan;
Entschlossen Handeln ziert den Mann.
Ade! Ich darf nicht länger fackeln,
Ich muß nach meinen Kücken gackeln,
Den ausgerissnen, und ihr Nest
Aufspüren. Also, frohes Fest!
Ade! Und grüßen Sie die Frau!
(Ab.)
BRAND (nach gedankenvollem Schweigen.)
Endlose
Schuld, wohin ich schau. -
So wirr, so bunt verschlingen sich
Des Schicksals Fäden, Stich um Stich;
So stecken Sünd und Frucht der Sünde
Sich an im trübsten aller Bünde,
Daß du erkennst, es ward aus Recht
Und blutigem Unrecht ein Geflecht.
(Tritt ans Fenster und blickt lange hinaus.)
Mein Kind, Du fielst, schuldloses Lamm,
Für meiner Mutter Trotzenwollen;
Ein Irrgeist bracht die Mahnungsflamm
Vom Throner überm Wolkenkamm
Und hieß den Schicksalswürfel rollen; -
Und dieser arme Nachtgeist wird,
Weil meine Mutter einst geirrt.
So hält der Herr mit dem Ertrage
Der Schuld Recht und Gesetz die Wage,
So schleudert er vom Himmel nied
Heimsuchung bis aufs dritte Glied.
(Weicht entsetzt vom Fenster zurück.)
Ja, dem Gesetz muß gnug geschehn!
Erst müssen gleich die Schalen stehn.
In
unserm Opferwillen lebt
Die Macht, daß sich der Weiser hebt.
Doch darf die Zeit das Wort nicht nennen;
Denn alle scheun sich, es zu kennen.
(Geht lange auf und ab in der Stube.)
Und beten? Beten? Hm, - gar rund
Entrollt dies Wort der meisten Mund;
Bei hoch und niedrig schallt sein Ruhm -
Und heißt: wenns blitzt und stürmt, um Gnade
Winseln zum Herrn verborgner Pfade, -
Betteln um Christi Mittlertum, -
Die
beiden Händ gen Himmel recken -
Und bis zum Hals in Zweifeln stecken.
Haha, wär das des Rätsels Kern,
So wagt ichs wohl, wie mancher Christ,
Und hämmert an das Tor des Herrn,
Den es "ein Graun zu preisen" ist!
(Hält inne und versinkt in Gedanken.)
Und doch, - als er mir Alf entrückte,
Als er des Schmerzenskelches Grund
Mir bot, - mein Kind einschlummert - und
Dem bängsten Kuß von Muttermund
Kein Lächeln mehr zu wecken glückte, -
Was war das -? Betet ich da nicht?
Wo kam der süße Rausch da her,
Der mich wie Sphärensang entzückte?
Was hob mich da zum Himmel? Wer
Durchwob mich da mit Glut und Licht?
Hab ich gebetet da? War Er
Mein Beichtiger in jener Stunde?
Sah Er da meines Herzens Wunde
Und führte sanft mich zum Verzicht? -
Was weiß ich! Alles ist verhängt
Und aber Nacht um
mich gesenkt, -
Und kein, kein Funke Licht zu finden - -.
Doch, eine sieht selbst noch im Blinden!
(Ruft angstvoll.)
Licht, Agnes, - Licht von Deiner Hand!
(Agnes öffnet die Tür und tritt mit den angezündeten Festkerzen ein. Ein heller Schein fällt über die Stube.)
BRAND.
Licht!
AGNES. Siehst das Weihnachtslicht Du, Brand?
BRAND (leise.)
Das Weihnachtslicht!
AGNES (stellt die Kerzen auf den Tisch.)
Sag, Teurer, blieb
lch lang?
BRAND. Nein, nein!
AGNES. Und alles Holz
Verkohlt! Du frierst ja!
BRAND (stark.) Nein!
AGNES (lächelnd.) Dein Stolz
Will nicht einmal den
schlichten Trieb
Nach Wärm und Licht!
(Legt im Ofen nach.)
BRAND (geht auf und ab.) Hm, will nicht!
AGNES (still vor sich hin, während sie die Stube aufputzt.)
So,
Hierher den Leuchter. Gott, wie froh
Er vorig
Jahr zum Kerzenglanz
Die Ärmchen hob und, Staunen ganz,
Von seinem Stühlchen aus die Frag
Tat: Ist das eine Sonne, sag?
(Verschiebt den Leuchter ein wenig.)
Jetzt fällt des Lichtes volle Flut
Hinaus, - hinüber, - wo er ruht.
Jetzt grüßt ihn durch die Scheiben just
Die Wand, davon er fortgemußt;
Jetzt kann er durch des Schneesturms Wehn
Sein Weihnachtsstübchen schimmern sehn. -
Doch s Fenster
ist wie tränenblind; -
Wart, wart; ich hab ein Tüchlein seiden -
(Trocknet das Fenster ab.)
BRAND (ist ihr mit den Augen gefolgt und sagt leise:)
Wann stürmt auf diesem Meer von Leiden
Der letzte wühlerische Wind!
Es muß zur Ruhe.
AGNES (für sich selbst.)
Sieh, wie hell!
Die Scheide
fiel, und lieblich schnell
Wuchs seinem Glanz das Zimmer nach -
Und ward die böse, kalte Erde
Mit einem Mal ein traut Gemach,
Daß süß und hold sein Schlummer werde!
BRAND.
Was tust Du, Agnes?
AGNES. Still doch, Brand!
BRAND (nähert sich ihr.)
Du zogst den Vorhang auf!
AGNES.
Nun schwand
Der Traum; nun bin ich wieder wach.
BRAND.
Im Traum wird leicht der Beste schwach.
Mach wieder zu!
AGNES (flehentlich.) Brand!
BRAND. Zu! Dicht zu!
AGNES.
O Du! Sei nicht so grausam, Du!
BRAND.
Zu, zu!
AGNES (zieht die Laden vor.)
Jetzt ist gut zugemacht.
Gott hat gewiß mir nicht verdacht,
Trank ich auf kurze Traumesfrist
Am Trostesquell -
BRAND. Nein, nein! Er ist
Ein Richter, der mit einem weiten
Gewissen Deine Akten führt;
Wenn auch in Deiner Brust zu Zeiten
Ein
Fünkchen Götzendienst sich rührt!
AGNES (bricht in Tränen aus.)
So sag, wann je Dein Fordern endet!
Entblättert liegt mein Lebenskranz.
BRAND.
Ich habe Dir gesagt: Verschwendet
Ist jedes Opfer, das nicht ganz.
AGNES.
Doch meins war ganz; nichts ist geblieben!
BRAND (schüttelt den Kopf.)
Hats Dich zu weiteren getrieben?
AGNES
(lächelt.)
Versuch der Armut Mut in mir!
BRAND.
Gib!
AGNES. Nimm! Was wär noch unerschwungen!
BRAND.
Dein Schmerz, Deine Erinnerungen, -
All Deiner Sehnsucht sündige Gier -
AGNES (verzweifelt.)
Mein Herz samt seinen Wurzeln, - hier!
Da! reiss es aus!
BRAND. Was Du auch beust,
Versinkt im Abgrund
allzumal,
Sobald Du den Verlust bereust!
AGNES (schaudert.)
Dein Weg zu Gott ist steil und schmal
BRAND.
Der Wille kennt nur diesen einen -
AGNES.
Und Gnade schweigt -?
BRAND (abweisend.) - aus Opfersteinen.
AGNES (starrt vor sich hin und sagt erschüttert:)
Jetzt ziehn uralte Nebel fort - -!
O Wort der Schrift! Die Tiefe
wirbt
Und tut sich auf -
BRAND. Was für ein Wort?
AGNES.
Daß, wer Jehovah siehet, - stirbt.
BRAND (schlägt die Arme um sie und drückt sie dicht an seine Brust.)
Verbirg Dich! Sieh ihn nicht! Versprich!
Sieh nicht!
AGNES. Nicht?
BRAND (läßt sie los.) Nein!
Hör nicht auf mich!
AGNES.
Du leidest, Brand!
BRAND. Ich liebe Dich.
AGNES.
Dein Lieben schmerzt gar sehr.
BRAND. Zu sehr?
AGNES.
Dein Weg ist mein Weg. Frag nicht mehr!
BRAND.
Wie! schied ich denn aus eitlen Grillen
Dein junges Herz von Spiel und Tanz, -
Wie! flocht ich einer Halbheit willen
Dir Deiner Leiden Dornenkranz?
Weh uns! Was hätt es dann für Wert
Gehabt, daß wir den Kelch geleert!
Du bist mein Weib, Du mußt Dein Leben, -
Das heisch ich, - ganz dem Herrn ergeben.
AGNES.
Ja, ja; doch geh nicht von mir, Du!
BRAND.
Vergib mir, mich verlangt nach Ruh.
Bald soll die neue Kirch erstehen -
AGNES.
Mein altes Kirchlein sank in Staub.
BRAND.
Hats Deinen Götzendienst gesehen,
So wards mit Recht der Winde Raub.
(Umfängt sie wie in Angst.)
Gott segne Dich - und schließ auch mein
Geschick in seinen Segen ein!
(Geht nach der Seitentür.)
AGNES.
Brand, wärst Du bös, wenn ich ganz sachte
Das Fenster wieder freier machte?
Ein
Spaltchen nur? Brand, darf ich?
BRAND (in der Tür.) Nein.
(Geht in seine Kammer.)
AGNES.
Alles, alles mir zu wehren!
Jeder Laden zugezerrt!
Gramvergessen, Seufzer, Zähren,
Himmel, Grab verwehrt, versperrt!
Fort! Mein Blut kann hier in diesen
Einsamkeiten nicht mehr fließen!
Fort? Wohin? Sehn nicht von
droben
Strenge Augen jeden Schritt?
Führt ich, fliehend von hier oben,
Wohl des Herzens Habe mit?
Könnt ich aus dem tauben Schweigen
Meiner Furcht je talwärts steigen?
(Horcht an der Türe zu Brands Stube.)
Er liest laut. Und seinen Ohren
Meine Stimme nimmer naht.
Keine Hilf! Kein Trost, kein Rat!
Selber Gott ist heut verloren
In sein Lauschen, was der reichen,
Kinderreichen, glückesweichen
Menschen
Dank ihm singt und lacht.
Heut, in seiner Weihenacht,
Schenkt er keinen Blick mir, keinen
Einer einsamen Mutter Weinen.
(Nähert sich vorsichtig dem Fenster.)
Öffn ich wohl den strengen Laden,
Lass der Kerzen hellen Schein
Seinen schwarzen Schlummerschrein
Alles Grausens lauter baden? -
Nein, mein Alf ist nicht da drinnen.
Heut ist ja der Kinder Fest; -
Ob ihn Gott wohl kommen läßt?
Ach, vielleicht schon steht
er außen,
Pocht in seinem weißen Linnen
Ans verschlossne Fenster draußen. -
Schluchzte es nicht eben nun?
Alf, ich weiß ja nicht, was tun!
Horch, Dein Vater schloß das Zimmer; -
Alf, ich darf nicht öffnen heut!
Tun wir denn, wie er gebeut!
Wir gehorchten ja noch immer.
O, flieg heim zum Himmel wieder;
Dort ist Glanz und dort ist Freud,
Tanzen Reigen, tönen Lieder.
Aber zwing die Tränen
nieder, -
Sag nicht, daß er s Haus verrammelte,
Da Du kamst, nach uns zu sehn.
Kleines Kind kann nicht verstehn,
Was für Weg wir Große gehn.
Sag, wie er vor Trauer stammelte;
Sag, wie selbst dies Grün er sammelte
Zu dem schmucken Kränzlein hier.
Kannst Dus sehn? Das wand er Dir!
(Lauscht, besinnt sich und schüttelt den Kopf.)
Ach, ich träume. Weitaus treuer
Trennt uns eine andre Wand.
Erst im großen Läutrungsfeuer
Fällt in Trümmer ihr Gemäuer,
Stürzt die Wölbung, knarrt der Riegel,
Springt der Kerkertüre Siegel,
Birst des Schlosses ehern Band!
Viel noch, viel noch muß geschehen,
Eh wir zwei uns wiedersehen.
Füllen will ich, Scholl auf Schollen,
Seiner Forderungen Schacht,
Werde hart sein, werde wollen. -
Aber heut ist Weihenacht.
Freilich, dies Jahr fehlt das
Beste -!
Halt! Ich hol hervor zum Feste,
Was von ihm mir noch gelassen,
Und des grenzenlosen Wert,
Seit mein Glück von mir gekehrt,
Nur ein Mutterherz kann fassen.
(Sie kniet vor der Kommode nieder, öffnet eine Schublade und nimmt verschiedene Dinge heraus. Im selben Augenblick macht Brand die Tür auf und will sie anreden; aber da er ihr Vorhaben bemerkt, besinnt er sich und bleibt stehen. Agnes sieht ihn nicht.)
BRAND (leise.)
Ewig dies zum Kirchhof Schielen,
Ewig dies am Grabe Spielen!
AGNES.
Schleier, Kleid und Mäntelein,
Drin mein kleiner Schatz
getauft ward -
(Hält das Kleidchen in die Höhe, betrachtet es und lacht.)
Gott, wie über alle Maßen
Süß dies Kleidchen ist! Ja, mein
Prinzchen war gar wunderfein,
Als wir so im Kirchstuhl saßen. -
Sieh, die Schärp hier und das Röckchen,
Drin er mir das erste Jahr
An die Luft gedurft. Es war
Derzeit, als es ihm gekauft ward,
Viel zu lang; doch wie im Fliegen
Wuchs er draus. - Das mag hier
liegen. -
Handschuh, Söckchen, - potz! die Söckchen! -
Und sein neues Seidenhäubchen
Für den Winter; - noch kein Stäubchen
Hat an seinem Glanz gerührt. -
O, und hier die Reisestücke,
Drein ich ihn auf Brands Gebot
Eingemummt und eingeschnürt; -
Als ich wieder sie zurücke
Legte, war ich müd zum Tod.
BRAND (ringt die Hände in Qual.)
Gott, - ich kanns nicht! Soll sie
ihren
Letzten Trost durch mich verlieren?
Bürd es einem andern auf!
AGNES.
Da sind Flecken; - weint ich drauf? -
Welch ein Reichtum! Perldurchsträhnet,
Schmerzzerknittert, angstbetränet,
Glanzumstrahlt vom Graun der Wahl,
Heilig! Seines Opfertages
Krönungsmantel! Tröst Dich, zages
Herz, noch reich in aller Qual!
(Es pocht heftig an der Flurtür; Agnes wendet sich mit einem Aufschrei um
und erblickt zugleich Brand. Die Tür wird aufgerissen und ein Weib, in zerrissener Kleidung, tritt, ein Kind auf dem Arm, eilig ein.)
DAS WEIB (sieht die Kindersachen und ruft Agnes zu:)
Reiche Mutter, teil mit mir!
AGNES.
Du bist zehenmal so reich!
DAS WEIB.
Ha, Du bist den andern gleich;
Leere Worte dort und hier!
BRAND (nähert sich ihr.)
Sag, was hast Du hier im Sinn?
DAS WEIB.
Nichts mit Dir, dem Pfarrer! Besser
Wieder in des Eiswinds Messer,
Als zu hörn Dein pfäffisch Unken;
Lieber totgehetzt, ertrunken
Auf ner Klippe faulen hin,
Als Dir, Schwarzrock, Red zu stehen,
Der mich heißt, zur Hölle gehen!
Wars, zum Teufel, mein Versehen,
Daß ich die ward, die ich bin?
BRAND (leise.)
Diese Stimme, dies Gesicht
Füllen mich mit Ahnungsgrausen!
AGNES.
Rast Dich, wenn Dir matt zu mut ist.
Bist Du hungrig, hehls uns nicht -
DAS WEIB.
Der Zigeuner darf nicht hausen,
Wo es hell ist, wo es gut ist.
Unser Heim sind hohle Stämme,
Schluchten, Straßen, Bergeskämme;
Müssen ziehen, müssen wandern,
Haus und Herd sind für Euch andern.
Schon zu lang hier halt ich Rast;
Sie sind hinter mir wie Hunde!
Wenn mich Vogt und Amtmann faßt,
Sitz ich
auch zur selben Stunde.
BRAND.
Hier solls keiner wagen.
DAS WEIB. Hier?
Wo mich Dach und Wand begraben?
Nein, der Nachtwind, sag ich Dir,
Wird uns beide besser laben.
Doch ein Fetzen Kleid fürs Kleine!
Denn mein Ältster, dieser Dieb,
Stahl dem eignen Bruder seine
Lumpen, drein ich ihn gewickelt;
Schau, halb nackt ist er, die
Beine
Blau wie Eis, die Haut zerprickelt
Vom Gestöber, das uns trieb.
BRAND.
Weib, laß ab von ihm - und gib
Uns ihn, seinem Heil zulieb!
Laß ihn nicht bei Dir verkommen, -
Und der Fluch wird ihm genommen -
DAS WEIB.
Ja, Du weißt es gut wie einer!
Solch ein Wunder tut Dir keiner, -
Solls nicht einmal! Krieg, jawohl,
Euch, durch die mein Jung verloren!
Weißt Du, wo ich ihn
geboren?
An der Straßengrabenkante,
Unter Trinken, Spiel, Gejohl.
Tauft ihn aus ner Pfütz, einbrannte
Mit ner Kohl ihm s Kreuzeszeichen,
Tat ihm meine Schnapsflasch reichen; -
Und just als ich ihn gebar,
Stritt um mich die halbe Schar -
Bessre Gott die Missetäter! -,
Wer der Vater, - wer die Väter!
BRAND.
Agnes!
AGNES. Ja.
BRAND.
Tu Deine Pflicht.
AGNES (voll Entsetzen.)
Brand! Ihr! Nimmermehr! Das nicht!
DAS WEIB.
Gib, gib! Gib mir, was Du hast!
Seidenzeug und alten Prast!
Nichts ist mir zu schlecht, zu gut,
Wärmts nur sein erstarrtes Blut.
Stirbt er auch noch heut, so seis
Doch in Schweiß und nicht in Eis.
BRAND (zu Agnes.)
Höre dieses Zeichens Zunge!
DAS WEIB.
Darbt Dir drum Dein eigner
Junge?
Nein! - So gib denn dem, der fremd,
Lebenskleid und Totenhemd!
BRAND.
Weh, wer sich dem Gipfelschwunge
Seiner Pflicht entgegenstemmt!
DAS WEIB.
Gib!
AGNES. Das heißt am Toten drüben
Schändung, Leichenraub verüben!
BRAND.
Unnütz ward er hingegeben,
Bleibst Du an der Schwelle kleben.
AGNES (gebrochen.)
Nun, Dein Willen, er geschehe.
Herz,
zerbrich! Was gilt Dein Wehe.
Weib, wohlan, - da ich denn muß, -
Teilen wir den Überfluß -
DAS WEIB.
Gib! Gib!
BRAND. Teilen? - Agnes; teilen?
AGNES.
Eher mag mich Tod ereilen,
Als ich noch mehr gebe. Stiehl
Mir nicht alles! Freu sie der
Hälfte sich! Sie braucht nicht mehr!
BRAND.
War das Ganze auch zu viel,
Als für
Dein Kind es gekauft ward?
AGNES (gibt dem Weib ein Stück ums andere.)
Komm, hier nimm das Mäntelchen,
Das er trug, als er getauft ward.
Hier sind Schärpe, Kleid und Röckchen, -
Das hält warm bei Nacht und Wind, -
Hier das Häubchen, hier die Söckchen, -
Darin tut kein Frost ihm weh;
Nimm den letzten Fetzen denn -
DAS WEIB.
Gib, gib!
BRAND. Gabst Du
alles, Kind?
AGNES (gibt von neuem.)
Hier sein Krönungsmantel, als wir
Ihn geopfert!
DAS WEIB. So! Jetzt seh
Ich nichts mehr. Wenn auf dem Hals mir
Nur nicht Vogt und Amtmann sind!
Ich bekleid ihn auf der Treppe, -
Und dann fort mit dem Geläppe!
(Ab.)
AGNES (steht in starkem inneren Kampf; endlich fragt sie:)
Sag mir, Brand, wär es wohl
billig,
Fordertest Du jetzt noch mehr?
BRAND.
Sag mir Du erst: Schrittst Du willig
Zu dem Opfer, herb und schwer?
AGNES.
Nein.
BRAND. So wars zum Spiel geschehen,
Und die Fordrung bleibt bestehen.
(Wendet sich zum Gehen.)
AGNES (schweigt, bis er an der Tür ist, dann ruft sie:)
Brand!
BRAND. Was gibts?
AGNES.
Ich hab gelogen, -
Dich um ein Ding noch betrogen.
Brand, vergib! Ich widersetzte
Mich: ich gab noch nicht das Letzte.
BRAND.
Nun!
AGNES (zieht ein zusammengefaltetes Kindermützchen aus dem Busen.)
Eins blieb undargebracht.
BRAND.
Dies?
AGNES. Betränt von meinen Schmerzen,
Feucht vom
Schweiß der Sterbenacht,
Lags bis jetzt an meinem Herzen!
BRAND.
Bleib in Deiner Götzen Macht!
(Wendet sich zum Gehen.)
AGNES.
Halt!
BRAND. Was willst Du?
AGNES. O, Du weißt es.
(Reicht ihm das Mützchen hin.)
BRAND (tritt auf sie zu und fragt, ohne es zu
nehmen:)
Willig?
AGNES. Willig! Ja.
BRAND (nimmt das Mützchen.)
So heißt es
Eilen; sonst entfernt sie sich.
(Ab.)
AGNES.
Selbst dies letzte Band, das mich
Noch am Staub hielt, - er zerreißt es!
(Steht eine Weile unbeweglich; nach und nach geht der Ausdruck ihres
Antlitzes in hell strahlende Freude über. Brand kommt zurück; sie fliegt ihm jubelnd entgegen, wirft sich ihm an die Brust und ruft:)
Ich bin frei! Brand, ich bin frei!
BRAND.
Agnes!
AGNES. Alles ist vorbei!
Nacht und Graun, die mich gebunden
Wie ein böser Traum und Krampf,
Ruhn im Abgrund überwunden!
Sieg beschließt des Willens Kampf!
Alle Tränen sind vergossen,
Alle Wolken sind zerflossen;
Hinter kurzen Todesnöten
Schimmern ewige Morgenröten!
Totenacker, Totenacker!
Keiner Seel Irrlichtgeflacker
Lockt mich mehr, Dich anzuklagen; -
Alf ist himmelan getragen!
BRAND.
Ja! Jetzt hast Du überwunden!
AGNES.
Überwunden hab ich, traun!
Überwunden Grab und Graun!
Blick empor! Alf ist gefunden!
Siehst Du, wie er, neuerweckt,
Lächelnd von des Thrones
Stufen
Seine Ärmchen nach uns streckt?
Hätt ich jetzt auch tausend Stimmen,
Wüßte, Gott würd nicht ergrimmen,
Hielt ich dennoch mich versteckt,
Ohn ihn wieder heimzurufen.
O, welch tiefer Weisheit Bronn:
Gott entreißt mich, streng mich von
Meinem köstlichen Kleinode
Trennend, sichrem Seelentode.
Ich bekams, daß ichs verlöre -
Und nach seinem Himmel fröre!
Dank Dir, Freund an meiner
Seite,
Treuer Helfer mir im Streite!
O, ich sah wohl Deine Qual.
Jetzt stehst Du im Tal der Wahl;
Hilf Dir selbst nun angesichts
Deines Alles oder Nichts!
BRAND.
Kind, was willst Du damit sagen?
Ist der Streit nicht ausgetragen?
AGNES.
Du vergißt, was uns verdirbt: -
Wer Jehova siehet, stirbt!
BRAND (weicht zurück.)
Weh mir, welch ein Licht entbrennst Du!
Nein! und
tausend Male nein!
Meine starken Arme kennst Du, -
Und so laß mich nicht allein!
Mag sich alles von mir kehren,
Jedes Lohns kann ich entbehren,
Aber nimmer, nimmer Dein!
AGNES.
Wähl, Du stehst am Scheidewege!
Lösch das Licht, - und das Gespenst, Du
Weißt, es wird von neuem rege;
Tilg der Weihnachtslichter Helle; -
Horch, sie sitzt noch auf der Schwelle; -
Laß mich zu den himmlisch blinden
Tagen
wieder heimwärts finden,
Stoss mich, wiederum entmündigt,
In den Staub, drin ich gesündigt, -
Alles kannst Du; wandle mich;
Was vermag ich wider Dich;
Schneid entzwei der Flügel Sehne,
Gieß mir Blei in jede Vene,
Mach mich mit derselben Hand
Klein, die mich zu heben strebte,
Laß mich leben, wie ich lebte,
Da ich noch in Nacht mich wand.
Willst und kannst Du dies, so bleib
Ich wie ehedem Dein Weib; -
Wähl, Du stehst am Scheidewege!
BRAND.
Weh, wenn ich noch überlege!
Und doch winkten fern von hier,
Heilend jede Herzenswunde,
Leben Dir und Licht im Bunde.
AGNES.
Kläng Dir nicht aus Grabesgrunde
Stets dann ein "Du gingst von mir"?
Würdst Du dann den tausend Seelen,
Deren Hort Du hier, nicht fehlen, -
Die zu liebendem Umfassen
Gott Dir gab in Heg und Pflege?
Wähl, Du stehst am
Scheidewege!
BRAND.
Mir ist keine Wahl gelassen.
AGNES (wirft sich an seine Brust.)
Dank für alles - und dies Letzte!
Treulich halfest Du der Schwachen!
Wenn es naht, das mir Gesetzte,
Wirst Du treulich bei mir wachen.
BRAND.
Schlaf! Dein Tagwerk ist zu End.
AGNES.
Aus, - ja; und das Nachtlicht brennt.
Ach, mich hat des Kampfes Macht
Ganz von aller Kraft gebracht;
O, doch leicht sind
Gottes Strafen!
Brand, gutnacht!
BRAND. Gutnacht!
AGNES. Gutnacht,
Dank für alles! Und nun - schlafen!
(Ab.)
BRAND (preßt die Hände gegen die Brust.)
Herz, bleib treu dem höchsten Richter!
Sieger werden nur
Verzichter.
Erst Verlornes wird Erworbnes; -
Ewig lebt Dir nur Gestorbnes!
- Seite:
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.