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Henrik Ibsen

Ein Puppenheim

2. Akt

eingestellt: 4.7.2007



(Dasselbe Zimmer. Oben in der Ecke beim Klavier steht der Weihnachtsbaum, geplündert, zerzaust und mit herabgebrannten Lichtern; Noras Hut und Mantel liegen auf dem Sofa.)

(Nora ist allein im Zimmer, sie geht unruhig auf und ab; schließlich bleibt sie am Sofa stehen und nimmt ihren Mantel.)

NORA (läßt den Mantel wieder fallen.)
Da ist wer! (Geht an die Tür, lauscht.) Nein, - niemand. Natürlich - heut am ersten Weihnachtstag kommt niemand, - und morgen auch nicht. - Aber vielleicht - (Öffnet die Tür und sieht hinaus.) Nein, nichts im Briefkasten. Ganz leer. (Geht durchs Zimmer.) Ach Unsinn! Er macht natürlich nicht ernst! So etwas kann doch nicht geschehen. Es ist unmöglich. Ich habe ja drei kleine Kinder.

(Die Kinderfrau kommt mit einer großen Pappschachtel aus dem Zimmer links.)

KINDERFRAU.
Endlich habe ich die Schachtel mit dem Maskenanzug gefunden.

NORA.
Schön. Stell sie auf den Tisch

KINDERFRAU (tut es.)
Er ist aber arg in Unordnung.

NORA.
Wenn ich ihn nur in hunderttausend Stücke zerreißen könnte!

KINDERFRAU.
Aber nein! Man kann ihn sehr gut wieder herrichten; nur ein bißchen Geduld!

NORA.
Ja, ich will hin und Frau Linde holen, daß sie mir hilft.

KINDERFRAU.
Schon wieder aus? In diesem garstigen Wetter? Frau Nora, Sie werden sich erkälten, - krank werden.

NORA.
Das wäre noch nicht das Schlimmste. - Was machen die Kinder?

KINDERFRAU.
Die armen Würmerchen spielen mit ihren Weihnachtsgeschenken. Aber -

NORA.
Fragen Sie oft nach mir?

KINDERFRAU.
Sie sind ja so daran gewöhnt, immer ihre Mama um sich zu haben.

NORA.
Ja aber, Anne-Marie, in Zukunft kann ich nicht mehr so viel mit ihnen zusammen sein wie bisher.

KINDERFRAU.
Na, kleine Kinder gewöhnen sich ja an alles.

NORA.
Glaubst Du? Meinst Du, sie würden ihre Mama vergessen, wenn ich ganz wegginge?

KINDERFRAU.
Behüte -, ganz weg!

NORA.
Du, Anne-Marie, sag mir, - ich habe so oft darüber nachgedacht, - wie hast Du es übers Herz bringen können, Dein Kind zu fremden Leuten zu tun?

KINDERFRAU.
Aber das mußte ich ja, wenn ich die Amme der kleinen Nora werden wollte!

NORA.
Ja, daß Du das aber wolltest?

KINDERFRAU.
Wenn ich doch eine so gute Stelle kriegen konnte. Ein armes Mädchen, das ins Unglück gekommen ist, muß doch noch froh sein. Denn der schlechte Mensch hat ja nichts für mich getan.

NORA.
Aber Deine Tochter hat Dich doch gewiß vergessen?

KINDERFRAU.
Ach nein, das hat sie nicht. Sie hat mir geschrieben, als sie konfirmiert wurde, und auch, als sie heiratete.

NORA (umarmt sie.)
Du alte Anne-Marie! Du bist mir eine so gute Mutter gewesen, als ich klein war!

KINDERFRAU.
Die arme kleine Nora hatte ja keine andere Mutter als mich.

NORA.
Und wenn meine Kleinen nun keine andere mehr hätten, so weiß ich wohl, daß Du auch ihnen - Unsinn, Unsinn, Unsinn! (Öffnet die Pappschachtel.) Geh hinein zu ihnen. Ich muß jetzt - Du sollst sehen, wie schön ich mich morgen mache.

KINDERFRAU.
Ja, auf dem ganzen Ball wird gewiß keine so schön sein, wie Frau Nora. (Links ab.)

NORA (beginnt die Schachtel auszupacken, wirft das Ganze aber bald wieder hin.)
Ach, dürft ich nur ausgehen! Wenn nur keiner kommt. Wenn hier zu Hause inzwischem nur nichts passiert. Ach Unsinn. Wer soll denn kommen?! Nur nicht daran denken. Jetzt wird der Muff abgebürstet. Schöne Handschuhe. Schöne Handschuhe. Nimms leicht! Nimms leicht! Eins - zwei - drei - vier - fünf - sechs - (schreit auf.) Ach, da kommen sie - (will nach der Tür, bleibt unentschlossen stehen.)

(Frau Linde kommt aus dem Vorzimmer, wo sie Hut und Mantel abgelegt hat.)

NORA.
Ach, Du bist es, Christine. Sonst ist wohl niemand draußen? - Wie gut, daß Du da bist.

FRAU LINDE.
Ich höre, Du warst bei mir oben und hast nach mir gefragt.

NORA.
Ja, ich ging gerade vorüber. Du mußt mir bei etwas helfen. Setzen wir uns aufs Sofa. Also höre! Morgen ist oben beim Konsul Stenborg ein Kostümball, und da will Torvald, daß ich als neapolitanisches Fischermädchen gehen und die Tarantella tanzen soll, denn die habe ich auf Capri gelernt.

FRAU LINDE.
Sieh mal an, Du wirst also eine förmliche Vorstellung geben?

NORA.
Ja. Torvald meint, ich sollte es. Sieh, da ist das Kostüm. Torvald hat es mir in Italien machen lassen; aber jetzt ist alles so zerknüllt, daß ich gar nicht weiß -

FRAU LINDE.
Das wollen wir schon wieder in Ordnung bringen; der Besatz ist ja nur losgegangen an einigen Stellen. Hast Du Nadel und Faden? So, - da ist ja alles, was wir brauchen.

NORA.
O, wie lieb das von Dir ist.

FRAU LINDE. (Näht.)
Also morgen wirst Du in Kostüm sein? Weißt Du was, Nora, - dann komme ich auf einen Augenblick her, um Dich in Deinem Staat zu sehen. Aber ich habe ja ganz vergessen, Dir für den gemütlichen Abend gestern zu danken.

NORA (steht auf und geht im Zimmer auf und ab.)
Ach, gestern fand ich es hier nicht so gemütlich wie sonst. - Du hättest früher in die Stadt kommen sollen, Christine. - Ja, Torvald versteht es wirklich, ein nettes und feines Haus zu machen.

FRAU LINDE.
Und Du nicht minder, sollte ich meinen. Umsonst bist Du doch nicht die Tochter Deines Vaters. Aber sag mir, ist der Herr Doktor Rank immer so verstimmt wie gestern?

NORA.
Nein, - gestern war es sehr auffallend. Übrigens hat er eine sehr gefährliche Krankheit. Der Ärmste hat die Rückenmarkschwindsucht. Du mußt nämlich wissen, sein Vater war ein ganz widerwärtiger Mensch, der sich Weiber hielt, und so weiter -; und daher, verstehst Du wohl, war der Sohn von Kindheit an schon krank.

FRAU LINDE (läßt die Näharbeit in den Schoß fallen.)
Aber liebste, beste Nora, woher weißt Du solche Sachen?

NORA (spaziert hin und her.)
Pah, - wenn man drei Kinder hat, so bekommt man zuweilen Besuch von - von Frauen, die so gewissermaßen halbe Doktoren sind; und die erzählen einem ja dies und das.

FRAU LINDE (näht wieder; kurze Pause.)
Kommt Herr Doktor Rank täglich zu Euch ins Haus?

NORA.
Jeden lieben Tag. Er ist ja Torvalds bester Jugendfreund. Und mein guter Freund ist er auch. Der Doktor gehört sozusagen zur Familie.

FRAU LINDE.
Aber sag mir mal: ist der Mann ganz aufrichtig? Ich meine, sagt er den Leuten nicht gern Komplimente?

NORA.
Ganz im Gegenteil. Wie kommst Du darauf?

FRAU LINDE.
Als Du mich ihm gestern vorstelltest, versicherte er, daß er meinen Namen hier im Hause oft gehört habe. Doch später merkte ich, daß Dein Mann keine Ahnung hatte, wer ich eigentlich bin. Wie konnte denn Herr Rank -?

NORA.
Ja, das ist ganz richtig, Christine. Torvald hat mich so unbeschreiblich lieb, und deshalb will er mich ganz allein für sich haben, wie er sagt. In der ersten Zeit wurde er fast eifersüchtig, wenn ich die lieben Menschen zu Hause auch nur erwähnte. Da unterließ ich es natürlich. Aber mit dem Doktor spreche ich oft von so etwas; denn siehst Du, er hört das gern mit an.

FRAU LINDE.
Hör mal, Nora, in vielen Dingen bist Du noch ein Kind. Ich bin ja manches Jahr älter als Du und habe etwas mehr Erfahrung. Ich will Dir etwas sagen: trachte der Geschichte mit dem Doktor Rank ein Ende zu machen.

NORA.
Ein Ende zu machen - welcher Geschichte?

FRAU LINDE.
Na, überhaupt, meine ich. Gestern plappertest Du von einem reichen Anbeter, der Dir Geld verschaffen sollte -

NORA.
Ja, von einem, der gar nicht existiert, - leider. Was weiter?

FRAU LINDE.
Hat Doktor Rank Vermögen?

NORA.
Ja, das hat er.

FRAU LINDE.
Und niemand, für den er zu sorgen hat?

NORA.
Niemand. Aber -?

FRAU LINDE.
Und er kommt täglich zu Euch ins Haus?

NORA.
Du hörst es ja.

FRAU LINDE.
Wie kann dieser feine Mann nur so aufdringlich sein?

NORA.
Ich verstehe Dich absolut nicht.

FRAU LINDE.
Verstell Dich nicht, Nora. Glaubst Du etwa, ich erriete nicht, von wem Du die zwölfhundert Taler geborgt hast?

NORA.
Bist Du ganz von Sinnen? Wie kannst Du so etwas glauben? Ein Freund unsres Hauses, der uns jeden einzigen Tag besucht. - Welch eine fürchterlich peinliche Lage wäre das!

FRAU LINDE.
Also er ist es wirklich nicht?

NORA.
Nein, wahrhaftig nicht. Auch nicht einen Augenblick ist mir der Gedanke gekommen -. Damals hatte er auch noch gar kein Geld zum Verleihen; er hat erst später geerbt.

FRAU LINDE.
Na, ich glaube, das war ein Glück für Dich, meine liebe Nora.

NORA.
Nein; den Doktor zu bitten, - das konnte mir doch nie im Leben einfallen -. Übrigens bin ich fest überzeugt, wenn ich ihn bäte, so -

FRAU LINDE.
Das wirst Du natürlich nicht tun.

NORA.
Natürlich nicht. Ich kann nicht glauben, kann mir nicht denken, daß es nötig würde. Aber ich bin ganz sicher: wenn ich mit dem Doktor spräche, so -

FRAU LINDE.
Hinter Deines Mannes Rücken?

NORA.
Ich muß heraus aus der andern Geschichte, - das geschieht auch hinter seinem Rücken. Ich muß heraus aus dieser Geschichte.

FRAU LINDE.
Ja, ja, das sagte ich gestern schon; aber -

NORA (geht auf und ab.)
Ein Mann kann dergleichen viel besser in Ordnung bringen als ein Frauenzimmer -

FRAU LINDE.
Der eigene Mann, ja.

NORA.
Unsinn! (Bleibt stehen.) Wenn man alles bezahlt, was man schuldig ist, so bekommt man doch seinen Schuldschein wieder?

FRAU LINDE.
Ja, das versteht sich.

NORA.
- und darf ihn in hunderttausend Stücke reißen und ihn verbrennen, - das ekelhafte, dreckige Papier!

FRAU LINDE (sieht sie fest an, legt das Nähzeug hin und steht langsam auf.)
Nora, Du verheimlichst mir etwas.

NORA.
Kannst Du mir das ansehen?

FRAU LINDE.
Seit gestern morgen ist Dir etwas passiert. Nora, was ist es?

NORA (tritt zu ihr.)
Christine! (Horcht.) Still! Da kommt Torvald nach Hause. Da - geh inzwischen zu den Kindern hinein. Torvald kann die Schneiderei nicht leiden. Laß Dir von Anne-Marie helfen.

FRAU LINDE (sucht einen Teil der Sachen zusammen.)
Ja, - doch ich gehe nicht weg von hier, bevor wir nicht offen miteinander gesprochen haben. (Sie geht links ab; in demselben Augenblick tritt Helmer vom Vorzimmer herein.)

NORA (geht ihm entgegen.)
Ach, wie habe ich Dich erwartet, lieber Torvald.

HELMER.
War das die Schneiderin -?

NORA.
Nein, - es war Christine; sie hilft mir mein Kostüm aufarbeiten. Paß nur auf, wie hübsch ich aussehen werde.

HELMER.
War das nicht ein glücklicher Einfall von mir?

NORA.
Ein prächtiger Einfall! Doch es ist auch nett von mir, daß ich Dir den Gefallen tue!

HELMER (faßt sie unters Kinn.)
Nett, - weil Du Deinem Manne den Gefallen tust? Na, na, Du kleiner Wildfang, ich weiß schon, Du hast es nicht so gemeint. Aber ich will Dich nicht stören; Du wirst vermutlich anprobieren müssen.

NORA.
Und Du mußt wohl arbeiten?

HELMER.
Ja. (Zeigt ihr einen Stoß Papiere.) Sieh mal her, ich war in der Bank - (Will in sein Zimmer gehen.)

NORA.
Torvald!

HELMER (bleibt stehen.)
Ja.

NORA.
Wenn Dein Eichhörnchen Dich nun so recht schön und innig um etwas bäte -?

HELMER.
Was denn?

NORA.
Würdest Du es dann tun?

HELMER.
Zuerst muß ich doch wissen, um was es sich handelt.

NORA.
Das Eichhörnchen würde umherspringen und Kapriolen machen, wenn Du lieb und nachgiebig wärest.

HELMER.
Also heraus damit!

NORA.
Die Lerche würde laut und leise durch alle Zimmer zwitschern -

HELMER.
Ach was, das tut meine Lerche auch so.

NORA.
Ich würde wie die Elfen im Mondenschein spielen und vor Dir tanzen, Torvald.

HELMER.
Nora, - es handelt sich doch wohl nicht um das, worauf Du heut morgen schon angespielt hast?

NORA (dringender.)
Ja, Torvald, - ich bitte Dich so herzlich!

HELMER.
Du hast wirklich den Mut, noch einmal auf die Sache zurückzukommen?

NORA.
Ja, ja, Du mußt mir den Gefallen tun. Du mußt Krogstad seinen Posten an der Bank lassen.

HELMER.
Meine liebe Nora, seine Stelle habe ich für Frau Linde bestimmt.

NORA.
Das ist unendlich gut von Dir. Aber Du brauchst ja nur einen anderen Komptoiristen an Krogstads Stelle zu entlassen.

HELMER.
Das ist mir doch ein unglaublicher Eigensinn! Weil Du das leichtsinnige Versprechen gegeben hast, ein gutes Wort für ihn einzulegen, sollte ich -!

NORA.
Nicht deshalb, Torvald. Um Deiner selbst willen. Dieser Mensch schreibt ja für die schmutzigsten Zeitungen; Du selber hast mir das gesagt. Er kann Dir unsäglich viel Schaden tun. Ich habe eine Todesangst vor ihm - -

HELMER.
Aha, ich verstehe, - alte Erinnerungen schrecken Dich.

NORA.
Was meinst Du damit?

HELMER.
Du denkst natürlich an Deinen Vater!

NORA.
Ja, jawohl. Erinnere Dich nur, wie boshafte Menschen über Papa in die Zeitungen schrieben, und wie greulich sie ihn verleumdeten. Ich glaube, sie hätten es dahin gebracht, daß man ihn absetzte, wenn die Regierung Dich nicht hingeschickt hätte, um die Sache zu untersuchen. Und wenn Du ihn nicht so wohlwollend und nachsichtig behandelt hättest.

HELMER.
Meine kleine Nora, zwischen Deinem Vater und mir ist ein bedeutender Unterschied. Dein Vater war als Beamter nicht unantastbar. Doch ich bin es. Und ich hoffe es auch zu bleiben, solange ich in meiner Stellung bin.

NORA.
Ach, man kann nie wissen, worauf böse Menschen verfallen. Jetzt könnten wir so nett, so ruhig und so glücklich in unserm friedlichen, von Sorgen verschonten Heim leben, - Du und ich und die Kinder, Torvald! Deshalb bitte ich Dich inständig -

HELMER.
Und gerade durch Deine Fürbitte machst Du es mir unmöglich, ihn zu behalten. Es ist in der Bank schon bekannt geworden, daß ich Krogstad kündigen will. Wenn es nun hieße, der neue Direktor hätte sich von seiner Frau umstimmen lassen -

NORA.
Nun, was dann -?

HELMER.
Na natürlich, - wenn mein kleiner Eigensinn nur seinen Willen bekommt -. Lächerlich würde ich mich machen, vor dem ganzen Personal, - würde die Leute auf den Gedanken bringen, daß ich von allen möglichen fremden Einflüssen abhängig sei. Glaub nur, ich würde die Folgen bald zu spüren haben! Und außerdem, - es gibt noch einen Umstand, der Krogstad ganz unmöglich bei der Bank macht, solange ich Direktor bin.

NORA.
Und der wäre?

HELMER.
Seine moralischen Mängel hätte ich im Notfall noch übersehen können -

NORA.
Ja, nicht wahr, Torvald?

HELMER.
Ich höre auch, daß er ganz brauchbar sein soll. Aber er ist ein Jugendbekannter von mir. Das ist so eine jener übereilten Bekanntschaften, die einen später im Leben so oft genieren. Ich kann es Dir ja offen gestehen: wir duzen uns. Und dieser taktlose Mensch macht durchaus kein Hehl daraus, wenn andere zugegen sind. Im Gegenteil, - er glaubt, daß ihn das zu einem familiären Ton mir gegenüber berechtigt; und so spielt er jeden Augenblick seinen Trumpf aus, mit seinem: Du, Du Helmer. Ich versichere Dir, das berührt mich im höchsten Grade peinlich. Er würde mir meine Stellung bei der Bank unerträglich machen.

NORA.
Torvald, das alles kann nicht Dein Ernst sein.

HELMER.
So? Weshalb nicht?

NORA.
Nein, - denn das da sind nur kleinliche Rücksichten.

HELMER.
Was sagst Du da? Kleinliche Rücksichten? Du hältst mich für kleinlich?

NORA.
Im Gegenteil, lieber Torvald. Und gerade deshalb -

HELMER.
Gleichviel; Du nennst meine Beweggründe kleinlich; dann muß ich wohl auch kleinlich sein. Kleinlich! Sieh mal an! Na wahrhaftig, dem soll ein Ende gemacht werden. (Geht an die Tür des Vorzimmers und ruft:) Helene!

NORA.
Was willst Du?

HELMER (sucht zwischen den Papieren.)
Schluß will ich machen! (Das Hausmädchen tritt ein.) Da, nehmen Sie den Brief und gehen Sie gleich damit hinunter. Lassen Sie ihn durch einen Dienstmann besorgen. Aber schnell! Die Adresse steht drauf. Da ist Geld.

HAUSMÄDCHEN.
Schön. (Mit dem Brief ab. Helmer legt die Papiere zusammen.)

HELMER.
So, mein kleiner Trotzkopf.

NORA (atemlos.)
Torvald, - was war das für ein Brief?

HELMER.
Krogstads Kündigung.

NORA.
Nimm ihn zurück, Torvald! Noch ist es Zeit. Ach, Torvald, nimm ihn zurück, tus mir zuliebe; - Dir zuliebe, den Kindern zuliebe! Hörst Du, Torvald, tu es. Du weißt nicht, was diese Kündigung über uns alle bringen kann.

HELMER.
Zu spät.

NORA.
Ja, - zu spät.

HELMER.
Liebe Nora, ich verzeihe Dir diese Angst, obgleich sie eigentlich eine Beleidigung für mich ist. Ja, das ist sie! Oder ist es vielleicht keine Beleidigung, wenn Du glaubst, daß ich die Rache eines verkommenen Winkelschreibers zu fürchten hätte? Aber ich verzeihe Dir trotzdem, weil Du mir damit ein so schönes Zeugnis Deiner großen Liebe gibst. (Schließt sie in seine Arme.) Es muß nun einmal sein, meine heißgeliebte Nora. Mag da geschehen, was will. Glaub mir, wenn es drauf ankommt, habe ich Mut und Kraft. Du sollst sehen, ich bin der Mann, der alles auf sich nimmt.

NORA (schreckensstarr.)
Was meinst Du damit?

HELMER.
Alles, sage ich -

NORA (gefaßt.)
Das sollst Du nie und nimmermehr.

HELMER.
Gut; dann teilen wir, Nora, - als Mann und Frau. Es ist, wie es sein soll. (Liebkost sie.) Bist Du jetzt zufrieden? So - so - so -; nicht diese erschrockenen Taubenaugen. Das alles ist ja nichts andres als leere Einbildungen. - Du solltest jetzt die Tarantella noch einmal durchspielen und Dich auf dem Tamburin üben. Ich setze mich in das mittlere Bureau und schließe die Zwischentür, dann höre ich nichts; Du kannst so viel Lärm machen, wie Du willst. (Dreht sich in der Tür um.) Und wenn Rank kommt, so sag ihm, wo ich zu finden bin. (Er nickt ihr zu, geht mit seinen Papieren in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich.)

NORA (verwirrt vor Angst, steht wie festgewurzelt und flüstert:)
Er wäre imstande, es zu tun. Er tut es, der ganzen Welt zum Trotz. - Nein, - Das nicht - in alle Ewigkeit nicht! Alles, nur das nicht! Rettung -! Ein Ausweg - (Es klingelt im Vorzimmer.) Der Doktor! - Alles, nur das nicht! Alles andere eher, - was es auch sei!

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