Frei Lesen: Tenderenda der Phantast

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Hugo Ball

Tenderenda der Phantast

Bulbos Gebet und der Gebratene Dichter

eingestellt: 16.8.2007



In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich das Lachen. Die Gegensätze treten grell hervor. Der Tod hat magische Gestalt angenommen. Sehr bewußt wird dagegen das Leben verteidigt, die Helle, die Freude. Die hohen Gewalten treten persönlich in die Schranken. Gott tanzt gegen den Tod.

 

Nun hätte man meinen können, der Tod selber sei gestorben, aber weit gefehlt. Kaum intonierten die großen Gespenster auf den Zementröhren die Totenklage, da kam, von solchem Rhythmus gehoben und in Bewegung gesetzt, der Tod lebhaft wieder herfür und begann auf eisernem Schenkel zu tanzen. Die Fäuste nach innen geballt, schlug er den Boden und stampfte mit dröhnenden Hufen.

Und die großen Gespenster lachten, und die Sargdeckel ihrer Backenknochen knackten. Denn das große Sterben war wieder da. Da sank Bulbo auf seine Knie, warf die Arme zum Himmel und schrie:

»Erlöse uns, o Herr, von der Verzauberung. Ziehe uns, o Herr, unsere versottenen Münder aus den Schmutzeimern, Rinnsalen und Abfallgruben, in die wir verrannt sind. Erbarme dich, o Herr, unseres Aufenthaltes in Sud und Latrine. Unsere Ohren sind mit Jodoformgaze umwickelt, in unseren Lungenflügeln weidet die Schar der Weinschröter und Engerlinge. Ins Reich der Spulwürmer und Abgötter sind wir verschlagen. Der Schrei nach der Auflösung nimmt überhand.

Mit feurigen Stöcken prügeln sie deine Erzengel. Sie locken deine Engel auf die Erde und machen sie dick und gebrauchsunfähig. Wo die Hölle ans Paradies grenzt, walzen sie ihre Betrunkenen in dein gelobtes Land, und es erschallet der Wagnerjodel, wigalaweia, in Germano panta rei.

Ein Haus des Gespöttes ist deine Kirche geworden, ein Schandhaus. Lästerer nennen sie uns und krötige Gnostiker. Unter der Fleischesfülle jedoch erscheinen ihre Apachen- und Tiergesichter. Wie soll man sie lieben? In den Schiebladen mehrt sich die Zahl der gefundenen Fötusse, und in den Bettern lottert der Speckmatz.

Nicht mehr gewahren sie die Mumie in der Hängematte, das einbalsamierte Gliedergerümpel und die Cholerabazillen in der Baßgeigennaht. Nicht mehr die Grütze, die aus dem Rauchfang tropft, und den Familienvater verwesten Gemütes. Schon im Mutterleibe verkaufen sie einander das ewige Leben.

Sie verschieben das Weizenmehl, das für deine heilige Hostie bestimmt ist, und gurgeln sich den Hals mit dem Krätzer, der dein heiliges Blut darstellen sollte. Du aber vergibst uns unsere Schlechtigkeit, wie auch wir versprechen, daß wir die unsrige tun.

Ich könnte mich ja in einer anderen Zeit aufhalten. Was nützte es mir, o Herr? Siehe, ich bewurzele mich bewußt in diesem Volke. Als Hungerkünstler nähre ich mich von Askese. Aber die Relativitätstheorie genügt nicht, noch die Philosophie ›als ob‹. Unsere Pamphlete verfangen nicht mehr. Die Erscheinungen von expansivem Marasmus mehren sich. Alle sechzig Millionen Seelen meines Volkes quirlen aus meinen Poren. Rattenschweiß ist es vor dir, o Herr. Doch erlöse uns, hilf uns, pneumatischer Vater!«

Da quoll aus Bulbos Mund ein schwarzer Ast, der Tod. Und man warf ihn in der Gespenster Mitte. Und der Tod exerzierte und tanzte auf ihm.

Der Herr aber sprach: »Mea res agitur. Er vertritt eine Ästhetik sinnlicher Assoziationen, die an Ideen anknüpfen. Eine Moralphilosophie in Grotesken. Seine Doktorey geht süß ein.« Und er entschloß sich, gleichfalls zu tanzen, weil das Gebet ihm gefallen hatte.

Da tanzte Gott mit dem Gerechten gegen den Tod. Drei Erzengel drehten seiner Frisur turmhohes Toupet. Und der Leviathan hing sein Hinterteil über die Himmelsmauer herunter und sah dabei zu. Über der Frisur des Herrn aber schwankte, aus den Gebeten der Israeliten geflochten, die turmhohe Krone.

Und ein Wirbelsturm erhob sich, und der Teufel kroch in das heimliche Gemach hinter dem Tanzplatz und schrie: »Graue Sonne, graue Sterne, grauer Apfel, grauer Mond.« Da fielen Sonne, Sterne, Apfel und Mond auf den Tanzplatz. Die Gespenster aber verspeiseten sie.

Da sagte der Herr: »Aulum babaulum, Feuer!« Und Sonne, Sterne, Apfel und Mond stoben aus den Kaldaunen der Gespenster und nahmen ihren Platz wieder ein.

Da hänselte der Tod: »Ecce homo logicus!« und flog auf die oberste Stufe. Und tat seine Großduftei auf, um seine Autorität zu beweisen.

Da schlug ihm Gott die Kategorientafel auf den Kopf, daß sie zerschellte, und tanzte weiter mit männlichen Schnörkeln und hurtigen Schleifen. Die Kategorientafel aber zerstampfte der Tod, die Gespenster aber verspeiseten sie.

Da machte der Tod einen Aschenregen aus dem Schwarzsauer der Hobelspäne, die für die Särge bestimmt sind, und schrie: »Chaque confrère une blague, et la totalité des blagues: humanité.« Und knackte dazu mit den Sargdeckeln seiner Backenknochen. Die Späne aber fielen ringsum hernieder, die Gespenster aber verzehreten sie.

Da senkte Gott die Trompete nach unten und rief: »Satana, Satana, ribellione!« Und es erschien der rote Mann, die falsche Majestät, und erschlug den Tod, daß kein Mensch ihn fürdermehr erkennen konnte. Und die Gespenster verspeiseten ihn. Aber siehe, da wurden sie sehr mächtig und schrieen: »Man reiche uns einen gebratenen Dichter!«

»Kuh, du bist unser!« sprach der Teufel.

»Freiheit, Verbrüderung, Himmel, du bist unser.«

»Unserigkeit und Knauserigkeit«, sprach der Teufel, »was soll nun dieses heißen?«

Da überließ ihnen der Herr den gebratenen Dichter. Die Gespenster aber hockten sich nieder im Kreis, entkeimten ihn, pellten die Kruste ab und den Federflaum und verspeiseten ihn. Da stellte sich heraus, daß Oblaten seine Hosenknöpfe waren, ungegoren der Kehlkopf, duftig das Gehirn, aber schief genabelt. Und der Gespenster jüngstes hielt ihm die Totenrede:

»Dieser war ein Psychofakt«, begann die Rede, »kein Mensch. Hermaphrodit vom Kopf bis zur Sohle. Spitz stachen die geistigen Schultern durch die Achselstücke seines Cutaway. Sein Kopf eine Wunderzwiebel der Geistigkeit. Blind beherrscht vom Drange, sich bruchlos zu bekennen, war sein Beginn, sein Ende und Anfang von solch jungfräulicher, völlig kompromißloser Seelensauberkeit, daß wir Nachwachsenden den Zweifel an der Pflicht zu revolutionär sittlichkeitsbildender Mutterschaft unserem annoch kraftlosen Streben nach einem Kosmos von Flugwillen und Erdüberwinderschaft als ein zwar unerläßliches, aber süßes Problem binnentragisch einzuordnen nicht umhin können.

Herrliches liegt hier verschüttet in einem Wust unvergorener, abstrakt verbliebener Rednerei. Subjektivistische Ekstatik vermochte nicht immer theatralischem Selbstzweck sich zu entheben. Stämmiger Schwärmer und fakirhafter Erlösungssucher, Hohepriester und Seher, Queller und Sporn dithyrambischen Schwunges fügt seinem löblichen Vorbild herbe Beeinträchtigung der einzige Umstand bei, daß Max Reinhardt, dessen schöpferische Regie den Aufriß der einzelnen Visionen befruchtete, sein Können dem Könner erst lange nach dessen Hingang hat spenden dürfen. Requiescat in pace.«

Und sie verspeiseten ihn; den Leichenredner aber verspeiseten sie ebenfalls. Und die Teller verspeiseten sie. Und die Gabeln verspeiseten sie. Und den Tanzplatz ebenfalls. Oh, wie gut war es, daß der Herr sich der Szene vorher enthoben hatte. Sie hätten auch ihn verspeist.

< Satanopolis
Hymnus 1 >



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