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Jean Paul

Der Jubelsenior

Zweiter Hirten- und Zirkelbrief

eingestellt: 30.7.2007

Gravamina der deutschen Schauspielergesellschaften, die mörderischen Nachstellungen der deutschen Tragiker betreffend

 
Teuerster Freund!

Viele Regisseurs der bessern deutschen Theater lagen mich schon sei langem an, daß ich dem Reichskorpus die Füsilladen und Mordtaten, welche die Autoren jeden Schauspielabend unter ihnen verüben, einmal ernsthaft und fiskalisch und klägerisch vortrüge. Ich ließ mich nicht bereden, sondern gab sogar im Reichsanzeiger die Antwort, ich müßte besorgen, die sämtlichen Reichstagskollegien nähmen meine gravamina für Spaß, gesetzt auch, die Klage wäre von allen den Akteurs und Aktricen unterschrieben, die von den Tragikern schon totgeschlagen worden. Indessen setzt ich doch die Klage auf, schickte aber nichts nach Regensburg. Zum Glücke für die dezimierten und lanternisierten Theatertruppen wurden jetzt im September die Reichstagsakten - ehe die Franzosen sie zur Einsicht abfoderten - inrotuliert und verschickt aufs Rathaus zu Hof im Voigtland. Ich ging da um diese papierne Bergkette mit sonderbaren Gedanken herum; denn die eingesargte papillotierte Zukunft ganzer Reichskreise stand in den Würfeln vor mir. Auf einmal fiel ich auf die frappante Idee, mein fiskalisches Klagschreiben zu einem Quartanten durch Emballage aufzuschwellen und den Quader unter die Blöcke zu schieben. Es kann sein, daß ich ohne den französischen Gelehrten Chaterinot gar nicht darauf gekommen wäre, der seine Werke, weil sie liegen blieben, selber einsteckte und mit dieser Taschenausgabe in den Pariser Buchläden herumschlich und, sooft der Buchhändler den Rücken wandte, einige Exemplare unter andere Werke einschwärzte.

Unter dem Inkorporieren selber macht ich mich dadurch herzhafter, daß ich mir auf der einen Seite den Jammer der umfallenden Spieler ausmalte, die jetzt (es war abends) eine Tragödie wie sonst der 108. Psalm totbetet, und auf der andern die Bürgerkrone meines innern Menschen, die er aufbekäme, brächte der Erzkanzler wirklich das Schreiben zur Diktatur.

Die tägliche sizilianische Vesper und Aufreibung der besten Schauspieler gehöret meines Erachtens zur Reichspolizei; und ich habe mich oft auf dem Parterre gewundert, wenn der Generalreichsfiskal selber in der Frontloge heraussah und den Menschenmord sah, ohne sich oder seine Feder zu regen. Ich weiß es, den Unterrichtern (den Kunstrichtern) kömmt es zu, den tragischen Würgengeln und Mordtaten zu steuern; aber wenn diese das Ihrige vergeblich getan haben, dann ist man offenbar von einer hohen Reichsversammlung gewärtig, daß sie sich dareinschlage, die öffentliche Sicherheit der Theater herstelle und den Musensöhnen den tragischen Degen abfordere. Ist es hier nicht so wie mit Irrlehrern, denen am Ende, wenn Fakultäten und Konsistorien sie nicht zum Schweigen bringen konnten, Fürsten eines auferlegen müssen? Ja im Notfall wurden oft solche phosphoreszierende Lichtputzer selber statt der Gassen- Reverberen aufgehangen oder aufgehenkt.

Hier ist indes die Kopie des zu den Akten gelegten Klageschreibens, worin ich alle Kurialien vertausche gegen die Formel: das hohe Reichscorpus.

*

Die Gravamina der Akteurs etc.

Hochwürdige, Hochgeborne, Hoch- und Wohlgeborne, auch Wohl- und Hochedelgeborne, Hochedelgestrenge, Fest- und Hochgelahrte, Gnädige, auch Hochgeneigte und Hochgeehrteste Herren!

Sub Litteris A B C D. werden Zeugenrotuls von 8000 Personen angebogen - gerade die Zahl der Subskribenten unter der formula concordiae -, die es für wenige Groschen oder Gulden gesehen und gezählet haben, wie oft Endesunterschriebene - trotz der karolinischen Halsgerichtsordnung und der französischen Kunstrichter - erschossen, erstochen, erdrosselt worden: unschuldige Akteurs, sie mögen den ganzen Tag gelebt und memorieret haben, wie sie wollen, bedecken abends, von Federmessern abgemäht oder vom Fliegengift des Dintenpulvers gefallen, die Bühnen. Die deutschen Tragiker, die oft von uns und unsern Benefizstücken leben, sind es, die uns selber verwehren zu leben und die gleich einem römischen Triumphator nicht eher den Lorbeerkranz zu verdienen meinen, als bis sie 5000 Mann getötet - anstatt gespeiset - haben. Nicht nur das ganze weibliche Publikum sitzt dabei und labt sich sehr und hat solche ludos funebres gern, die den römischen gleichen, worin jedem Magnaten einige hundert Gladiatoren nachstarben: sondern sogar die Rechts- und Schöppenstühle, judices a quibus und ad quos, Leuteranten, dritte Instanzen und deren Aktuarien, die vom Herzen bis zum Kopfe mit Karolinen und Theresianen vollgeschlichtet sind, sogar Edelleute, die mit der obern Gerichtsbarkeit belehnt sind und sonst mit Henkergeldern knickern, alle diese erlegen gern die peinlichen Kosten unter dem Namen Entreegelder und wünschen herzlich wie der Pöbel bei Hinrichtungen den Frais- und Todesfall, um nur die Freude einer müßigen Rührung zu haben.

Das ist es ganz kurz, was wir einem hohen Reichscorpus weitläuftig vorzutragen willens sind.

Vor 45 Jahren sahen wir allerdings nicht ein, was wir damals hatten auf unserem hölzernen Planiglob: jeder Spieler war da seines Lebens sicher - reimend kam er in die tragische Welt - reimend fuhr er wieder hinaus - den Helden machten nicht Schlachten, Wunden, aktives und passives Ermorden, sondern eine in Tränen gesäete und in Reimen geerntete Liebe - Racine und Schlegel brachten selten einen Nebenchristen um und köpften wenigstens gar zu große Spitzbuben nur wie Große heimlich, und selber Voltaire machte ehrliche Spieler lieber verächtlich und lächerlich als tot. Das war unser saturninisches philanthropisches Zeitalter.

Jetzt leben wir im poetischen Terrorismus. Deutsche Landfriedensbrecher zielen aus den Krähenhütten ihrer Museen und pürschen uns herab. Alle Todesstrafen, die Beccaria aufhob, indem er aus dem Schwert der Themis bloße Hand- und Beinschellen schmiedete, werden auf dem Theater durch den Dolch der Muse vollstreckt, und die poetische Gerechtigkeit wird von grausamern und weniger aufgeklärten Frais- und Zentherren gepflegt als die peinliche. Einer hohen Reichsversammlung kann nicht unbekannt sein, daß wir oft im Weggehen von diesem Tyburn und Greveplatz - das ist die deutsche Bühne - die Hand an den Kopf gelegt: das taten wir bloß, wie jener türkische Minister bei dem Weggehen vom Sultan, um zu fühlen, ob er noch auf dem Halse sitze.

Wieder andere tragische Dichter ziehen sich abends elend an und verstecken sich von 6 bis 8 Uhr in Kulissen und passen, wie englische Räuber mit Schießgewehr, wie Feimer mit Stricken, wie Ärzte mit Krankheitsmaterien bewaffnet und wie Türken und Wilde durch Getränke zu finstern Werken gestärkt, so passen sie Spielern beiderlei Geschlechts böslich auf und machen ihnen den Garaus, bloß um vom Ertrage dieser Gewalttätigkeiten einmal zu soupieren, so wie man nach Dapper täglich 200 Menschen für die Tafel des Königs von Macoco schlachtet. Ein solcher Tragikus nimmt oft in seinem Wolfshunger den fettesten Akteur aus dem Ankleidezimmer und wirft ihn in den Hungerturm und lässet ihn da elendiglich vor den Augen des Publikums in drei Stunden verhungern. Heißet das christlich, jüdisch, türkisch gedacht? -

Es kann dargetan werden, daß oft hart nach der Ouvertüre ein frischer neugeborner Akteur, der kaum das Licht der - Bühne erblickte, schon vom Theater und mit Tod abgehen mußte: das rufende Taufglöcklein wurde seine Zügen- und Totenglocke, und er sah dann nur als revenant aus der Kulisse heraus. Andere fristen ihr Leben ein paar Akte länger, aber mit verdammter aqua toffana im Geäder - und am langsamen schleichenden Gift welken sie in einigen Stunden ab. Kömmt vollends das Ende der Tragödie heran: so kennen wir außer dem Kriegstheater nichts Schrecklichers als ein deutsches - wie am Ende des Herbstes, wo der ganze Bienenkorb gemeinschaftlich am Drohnenmord arbeitet, so gehts da her - es hilft kein Flehen, kein Geschlecht, kein Stand, alles, das Kind im Mutterleibe, wird ausradiert und harpuniert vom tragischen Dolch - der Held oder König ohnehin zuerst, wie die Raubbienen zuerst den Weisel des Stocks erbeißen - aber auch alle seine Verwandte und Bekannten - unbescholtene, gesunde, rote Leute, die sich vergeblich durch die fünf Zonen der Akte durchgeholfen haben - es ist freie Pürsch, alles muß fallen...... nur ein einziges Wesen kömmt davon, über welches die Todessense, wie über Gras im Tritte eines Hufs, ohne Schaden wegfährt: es ist der Souffleur, der in seinem Seitenhöhlchen und Dachskessel ohne Wunden hockt und lachen kann.

Wie weit dieser Jammer in deutschen Städten gediehen ist, das mag vielleicht ein oder der andere Personalist, falls er sie gelesen, aus der Grabschrift noch besser ermessen haben, die wir einem bekannten Akteur mit dem Spitznamen Peter Schwenz setzen ließen und die so lautet:

»Hier liegt Peter Schwenz, deutscher Regisseur, der - nachdem er anfangs natürlichen, dann gewaltsamen Todes (nicht zu gedenken des geistlichen) verfahren, nachdem ihn zwei tödliche Apoplexien und im nächsten Abend darauf eine Hemiplegie getroffen, nachdem er geköpfet und kurz darnach gehangen, nachdem er zweimal von seinen Kameraden und dreimal von sich selber erschossen worden, nachdem er die stärksten Gifte und Krankheiten gehabt und neben seiner Julie beigesetzt worden als ein Würmerfraß - endlich weniger lebens- als sterbenssatt das Theater der Welt verlassen hat, um hier unten zu privatisieren.« -

Meistens sind die Tragiker, die das Recht des türkischen Kaisers exerzieren, täglich 14 Menschen aus Inspiration zu töten, blutjunge Menschen und ebenso viele Belege zur Bemerkung, die Voltaire in einem Brief an Friedrich II. macht, daß immer Jünglinge fanatische Königsmörder (z. B. Heinrichs IV. etc.) gewesen. Weiber begehen zwar Zungen-, aber selten Federtotschlag, wie denn unter 100 justifizierten Mördern nur 4 Weiber sind. Bekanntlich macht ein Verfasser solcher erhabenen Werke auf das Privilegium eines maitre des hautes oeuvres Anspruch, der sich ehrlich und zum Doktor richtet, wenn er 110 Personen entkörpert und entseelet. Ein tragischer maitre des hautes oeuvres fragt nichts nach fremden Leiden, wenn er nur imstande ist, sich aus einem Autor zu einem Genie und seine Broschüren, die Stempelgeld erlegen, zu Broschürensammlungen, die keines geben, hinaufzutöten.

Dagegen haben wir nun folgendes:

Der Schauspieldichter steht kaum in geistlicher Seitenverwandtschaft mit dem Schauspieler. Der Dichter erbauet sein Kunstwerk, sein Zauberschloß, ohne dazu den Spieler weder als Gerüste noch Baumateriale nötig zu haben; der Spieler verdoppelt nur das Kunstwerk und verdichtet das Luftschloß zu einem Schauspielhaus. Die Rollen, die im Schauspiel zu machen sind, können nicht schwieriger sein als die im längern Heldengedicht und Roman - und diese werden recht gut von einer chamäleontischen Aktrice gemacht, von der Phantasie des Lesers. Kurz die theatralische Verwandlung der Bilder in Statuen soll das dramatische Kunstwerk weder fortsetzen noch vollenden, sondern nur begleiten und kopieren, wie die Liedermelodie das Gedicht und der Chodowieckische Kupferstich die Romanszene. Kurz man kann Virgils geschilderten Laokoon und sein Nattern-Gewinde recht gut genießen, ohne den steinernen dazu neben das Lesepult aufgestellt zu haben.

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