Frei Lesen: Der Komet

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Ur- oder Belehnkapitel | Erstes Vorkapitel | Zweites Vorkapitel | Drittes Vorkapitel | Viertes Vorkapitel | Fünftes Vorkapitel | Sechstes und letztes Vorkapitel | Ernste Ausschweife des Urkapitels für Leserinnen | Ernste Ausschweife des ersten Vorkapitels für Leserinnen | Ernste Ausschweife des zweiten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des dritten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des vierten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des fünften Vorkapitels | Ernste Ausschweife des sechsten Vorkapitels | Vorrede zum zweiten Bändchen | Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Zehntes Kapitel | Elftes Kapitel | Zwölftes Kapitel | Dreizehntes Kapitel | Vorerinnerung | Vierzehntes Kapitel | Fünfzehntes Kapitel in drei Gängen | Sechzehntes Kapitel In einem Gange | Siebzehntes Kapitel in drei Gängen | Achtzehntes Kapitel In drei Gängen | Neunzehntes Kapitel In einem Gange | Zwanzigstes Kapitel in zwei Gängen | Einundzwanzigstes Kapitel in einem Gange | Zwanzig Enklaven zu den vorstehenden zwanzig Kapiteln |

Weitere Werke von Jean Paul

Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin | Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf | Freiheits-Büchlein | Leben Fibels | Das Kampaner Tal |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Komet) ausdrucken 'Der Komet' als PDF herunterladen

Jean Paul

Der Komet

Drittes Kapitel

eingestellt: 14.7.2007

welches das Nötigste über Worble beibringt, nämlich ungewöhnliche Kirchengesänge, ungewöhnliche Köche, ähnliche Winkelhochschulen und Eßtische

Ich habe zwar im zweiten Kapitel das Versprechen gegeben, einige Vorkenntnisse vom Klub, vom Freimäuerer, vom Zuchthausprediger und vom Hofstallmaler (es sind meine eigenen Worte) mitzuteilen; aber ich bin nicht mehr gesonnen, es ganz zu halten, sondern ich will bloß vom Freimäuerer - um desto früher zum Apotheker in sein so viel versprechendes Laboratorium zurückzukommen - das vorausschicken, was ich nachzuholen habe nach seiner Rückkehr aus Leipzig, wo er Student und Prinzengouverneur gewesen. Der Maler und der Prediger mögen vor der Hand dem Pinsel des Lesers bloß unter ihrem Handeln und Wandeln sitzen. Worble ist ein Mann, der schon mit dem ersten Aufgange oder Bande des »Kometen« erschien und sich daher täglich mit dem Sterne vergrößert, und von welchem jeder Freund des Helden etwas Späteres wissen will, zumal bei seinen so gar erbärmlichen Umständen. Auch hab ich im vorigen Kapitel noch versprochen, die Namen Harmonist, Ressourcer, Kasiner durch ein so großes Werk fortzubehalten; aber mein deutsches Ohr - dies merk ich schon in diesem Kapitel - stürbe an einem solchen widerdeutschen Echo, und ich wüßte auch nicht, wer mich, als Mitglied mehrer Gesellschaften für deutsche Sprache, je zum Halten eines solchen sprachwidrigen Versprechens zwingen könnte. Überhaupt werd ich mich öfters der wahrhaft nützlichen, schon im gemeinen Leben eingeführten Freiheit, zu versprechen, ohne zu halten, bedienen in einem historisch-dichtenden Werke, wo ich durch die angenehmsten Versprechungen ohne Erfolg und Frucht dem Leser gleichsam prächtige gefüllte Blumen reichen kann, die eben dieser Fülle wegen bekanntlich als unfruchtbar nichts tragen. Und warum sollen überhaupt Schriftsteller ihr Wort zu erfüllen verpflichtet sein, da sie dasselbe ja den Lesern bloß schriftlich geben, ohne alle hypothekarische Versicherung, ohne Pfandverschreibung und ohne landesherrlichen Konsens? Die Leser sind höchstens die chirographischen (handschriftlichen) Gläubiger desselben und kommen folglich in die fünfte Klasse, die nichts bekommt.

Unter den Kränzelherrn - so schreib ich von Kränzchen gern statt Klubisten, nach Sprachfolge von Kränzeljungfern - war Worble im Wert der zweite und hieß (wie gedacht) der Freimäuerer. Nur Rom nannte ihn so; sonst finden sich nirgend Belege, daß er wirklich Bruder gewesen; und bedeutende Logen, zu welchen ich nicht gehöre, wollen ihn nicht kennen. Denn daß er häufig prahlte, er kenne und beichte gar keine Mauerer-Geheimnisse, und daß er immer ungefragt sich ganz unwissend hierüber anstellte, diese vorgespiegelte Unwissenheit ist noch kein festes Merkmal eines Freimäuerers, zumal an einem Menschen, der zu oft lachte und selten ein wahrhaft ernstes Gesicht schnitt, ausgenommen im Schlafe, wo er zuweilen soll tränend ausgesehen haben.

Ich erkläre mir aber den Beinamen daraus, daß in gewissen Städten, besonders Residenzstädten, z. B. Weimar, Paris, die höhern Kreise Personen von Gewicht gern mit bloßen Spitz- und Beinamen taufen und rufen; so lief z. B. Diderot in der Pariser großen Welt bloß unter dem Namen Chaise de Paille herum. Ist es ja sogar vom alten Rom bekannt, daß dasselbe ohne Weiteres sagte »Der Große« und damit unter so vielen damaligen Geistergroßen niemand verstand als Cnäjus Pompejus, den Großen. Späterhin konnte man freilich diesen Beinamen nicht ohne den Taufnamen beilegen, weil man, da in jedem Lande ein Fürst der Große ist, so viele Große durch etwas voneinander absondern mußte. - Am glaublichsten hatte Worble den Namen Freimäuerer vom einfältigen Rom erhalten, weil dieses einen Mann nicht zu taufen wußte, der keinen festen Charakter hatte, sondern seinen Torzettelcharakter in jedem Staatkalender wechselte. Er war, wenn auch nicht ernst und reich, doch sonst das meiste und wußte fast alles wenigstens halb, nur die alten Sprachen weniger. Vom Musenpferde war er auf der hohen Schule abgesessen und auf das juristische Streitroß gestiegen - von diesem hatt er auf das ärztliche Trauerpferd voltigiert - und zuletzt hatt er den geistlichen Palmesel beschritten, um auf ihm vor das Abend- und Liebemahl eines Freitisches hinzureiten. Sein Einzug-Esel warf ihn aber bald an Schädelstätten ab. Es war kein Segen bei seinem Leben, etwa seinen Frohsinn ausgenommen, denn sein Prinzengouvernement in Leipzig wollte wenig sagen. Allerdings warf später das Glück einen der wärmsten Sonnenstrahlen auf ihn: es ließ ihn den allgemeinen Neid seiner Vaterstadt dadurch auf sich ziehen, daß er darin Orgelschläger (Organist) und unterster oder fünfter Schullehrer (Quintus) in einer Person wurde; ein trefflicher Anfangposten, von wo an er, sobald er nur durch die fünf Hunger-Rechenspezies oder Fasten-Akte der fünf Schulämter mit ebenso vielen Gerstenbroten sich durchgefristet hatte, in jedem Fall die größte Aussicht vor sich bekam, ein Landpfarrer zu werden und zu Geld zu kommen und zu einer Frau dazu.

Aber er wurde zu früh seines Amtes entsetzt. Von den tausend Ursachen setz ich nur zwei hieher, wovon die eine den Orgelschläger, die andere den Quintus betrifft.

Die erste war sein stehender komischer Charakter der italienischen Komödie, welcher in den ernstesten Kreisen des Lebens Schnurren und Schnacken, und zwar nicht nur Wort-, sondern Tatschnurren umherfahren ließ - und der besonders - dies fällt eben in der folgenden Tatsache so auf - statt eines Einzelnen lieber eine ganze Menschensammlung ins lächerlichste Licht stellte. Wenn er nämlich in der Nachmittagkirche einen Kirchengesang zu spielen vorbekam, der teilweise bis in die Oktave mit gestrichenen Noten hinaufging: so fing er ihn (z. B. den Choral »Straf mich nicht in deinem Zorne«) sogleich in einer Tonart an, die etwa um zwei bis drei Töne höher lag. Anfangs hielt es die Gemeine auf den mittlern Tonleitersprossen noch gut aus. - Es hörte sich wohl fremd an, aber doch noch erträglich. - Darauf aber, wenn die Kreuz-Erhöhungen mit dem musikalischen Doppelkreuze erschienen und der singende Kirchsprengel sich oben auf den obersten Staffeln der Tonleiter versammeln und arbeiten mußte: so brach der Jammer der Kirche los, und ihr wurde sehr zugesetzt. - Einige Bassisten und Tenoristen retteten sich noch notdürftig, daß sie in der Eile zu elenden Altisten verschnitten; aber andere kreischten geradezu hinaus oder stürzten sich aus Verzweiflung in die erste beste tiefere Oktave hinab, und oben hingen im Freien ängstliche Fistelstimmen über der Tiefe. - Am meisten aber zu beweinen waren die singenden Weiberstühle, welche, ungleich den Männerstühlen, sich nicht geben wollten, sondern sich lieber vom Leitseile des Chorals so hoch aufziehen ließen, aus dem einmal gestrichenen F in das zweimal gestrichene A, aus diesem in das dreimal gestrichene C, daß ganze Bänke voll Kirchengängerinnen, wenn sie sich nicht ganz in ein Nichts verpfiffen, sich dermaßen heiser überschrien, daß es klang, als ob sie einander schimpfen wollten und vor Wut es nicht weiter vermöchten. Die ganze Kirche war eine streitende mit Stimmen; nur begriff das arme abgehetzte Singbabel gar nicht, wie alle mitten im Frieden unter der Hand gegeneinander so wild gemacht worden. Es soll ein bekannter Ton-Virtuose - vielleicht zu verwöhnt von den neuern köstlichen Klangwerkzeugen, deren himmlische Namen (wie Uranion, Apollonion, Äolodikon) so sehr an Wohlklang die Orgel übertreffen - auf anderthalb Tage Ohrenbrausen davongetragen haben, bloß weil er vor der trompetenden Kirchengemeine vorbeigegangen war während ihres Kräh-Tutti. Ernst und heiter indes regierte der Freimäuerer auf seinem Orgelstuhl das ganze klingende Spiel; welcher überhaupt, wie er sagte, die Figuralmusik der Nachmittagkirche nicht für zu ernsthaft genommen, sondern mehr für ein übendes Conservatorium der Singstimmen angesehen wünschte, in welches man den geistlichen Schafstall leite oder läute.

Doch vergesse ein ernster Richter nicht, zu des Mannes Entschuldigung zu erwägen, daß Worble zu andern Zeiten, wenn die Gesangstücke gerade tiefes Ton-Gefälle hatten (wie z. B. das »Eine feste Burg ist unser etc.«), dem vorigen Fehler völlig entgegenzuarbeiten suchte und den Choral um drei, vier Töne tiefer als gewöhnlich anschlug; nur zog er freilich dadurch (ein neuer Unfall) die Kirchengänger in einen tiefen dunkeln Baß hinunter, daß bloß einige feste Bier- und Stroh-Bassisten sich unten halten und ausbrummen konnten. Hingegen der ganzen weiblichen Pfarrgemeine setzte er dadurch Dämpfer (Sordini) auf, und die Beichttöchter ließen den Beichtsöhnen zum ersten Male das letzte Wort.

Die kirchliche Obrigkeit sah den Tönen, die ohnehin nicht zu verhaften und abzuhören waren, anfangs durch die Finger, bis sich der zweite Grund zur Absetzung anbot.

Der Kränzelherr Worble hielt sich nämlich als unterster Schullehrer einen untersetzten kurzen Bedienten, welcher allen weiblichen Arbeiten, besonders der wichtigsten für ihn, der Kocherei - deshalb hieß der Mensch nur sein Koch -, hinlänglich gewachsen war. Das Beispiel, sagte er, womit er in seinem wichtigen Schulamte vorzuleuchten habe, lasse nicht wohl zu, daß er eine weibliche Bedienung halte; denn so fest er auch im sittlichen Sattel zu sitzen glaube (er berief sich auf seine Eingezogenheit) so hab er doch Fleisch und Blut (in den 60 Puls- und den 40 Blutadern) und 44 Nervenpaare und außer dem Körper noch eine ganze Seele voll Erbsünden; ja wäre selber die Magd eine heilige Madonna und er ein heiliger Engel Gabriel: er stände dennoch für nichts; denn mit manchen Größen der Unschuld sei es wie mit den Buchstaben in der Algebra, die sich bloß durch Nebeneinanderstehen miteinander vermehren (multiplizieren).

Der Koch versah übrigens seinen magern Dienst sehr gut und mehr aus Liebe als für Geld, hielt sich am liebsten zu Hause und lief gegen abends, wo sonst die Menschen, wie im Sommer die Flußwasser, am wärmsten sind, keiner Seele nach. Gewöhnlich kommen Köche und Metzger (einander ohnehin im Morden verwandt) bald zum Fleisch, sowenig sie viel Fleisch genießen, denn der nährende Dampf desselben mästet sie. So wurde auch der Koch des Quintus täglich wohlbeleibter, jedoch schwerlich vom Nährdampfe des Fleisches, da dieses selber selten in die Küche kam.

Am Wiegenfeste Worbles aber, wo der Koch mehre Fleischstücke als gewöhnlich ans Feuer zu setzen und ungewöhnlich zu arbeiten hatte, fing der junge Mann zu - kreißen an und kam wirklich nieder und machte unsern Kränzelherrn zum glücklichen Vater eines wohlgebildeten Mädchens, so daß dieser auf einmal zwei Geburttage oder zwei Wiegenfeste, wozu nur eine Wiege nötig war, feierlich begehen konnte. - Bald nach der Entbindung vollzog der Freimäuerer die eheliche Verbindung mit dem Koche öffentlich am Altare als stiller Altarist oder Altardiener an Aphroditens Altar.

Fast stärker noch als das Transponieren (Übertragen) in eine andere Tonart scheint hier das Transponieren in ein anderes Geschlecht, nämlich des Kochs in eine Köchin, die Obrigkeit bewegt zu haben, daß sie den Transporteur (Überträger, sonst ein mathematisches Instrument) absetzte und ihm keine Schule mehr überließ als seine neu errichtete Töchterschule, die jetzo bloß aus dem Mitglied bestand, das er und der Koch hineingeschickt.

Darauf gings dem armen verehelichten Teufel etwas hart, und an seinen Unbesonnenheiten hatte er zehnmal länger zu verdauen und abzuführen als andere an ihren schwärzesten Sünden. Der Koch konnte jetzo nichts kochen als etwa Gift und Galle und Gardinen- und Fastenpredigten gegen den Mann - und es war nicht einmal Bratenholz zu bräunen, geschweige einen Braten über ihm. -

Indes verlor Worble weder Leicht- noch Frohsinn noch Farbe, sondern sah so braunrot aus wie ein Schornsteinfeger am Sonntage, wenn er sich selber gefegt und gewaschen. Ja er behauptete, er setze die Stadt, nämlich Huter, Schneider und Schuster, in Nahrung, da er diesen immer etwas aufzufärben, zu wenden, zu flicken und zu besohlen gebe. Er tat oft an die scheltende Frau - um sie mit dem, was sie seine Unverschämtheit nannte, zu strafen - die Frage, ob er nicht wie andere reiche Kaufleute von Verkaufen lebe und ob nicht in seinem ostindischen Hause wie in einem glücklichen Lande nur der Ausfuhrhandel, z. B. von Gerätschaften, Erbstücken, Kleidern, blühe; ja er drang stärker ein und fragte, ob denn ein Rock, wofür man einige Braten erhandle, nicht eben der wahre tätige (aktive) Bratenrock sei, so wie es ähnliche Bratenhosen, Bratenbetten gebe, desgleichen für den Abend ähnliche Abendmahlkleider, für das Decken des Tisches solche Tischtücher; ja so wie man Predigtbücher durch bloßes Verkaufen zu aktiven Kochbüchern veredeln könne.

Einem Menschen, wie der abgesetzte Koch, der sein Kind zu säugen und Kost jetzt weniger mit Händen als mit den Milchdrüsen zu bereiten hatte, würden solche Reden wenig Nahrung gegeben haben, wenn Worble sich nicht an hundert Griffe, Handhaben und Krücken hätte halten können. Besonders ging er auf seinem glatten, schlüpfrigen Lebensteige mit einem guten Alpenstocke in der Hand, mit seinem gelehrten Federkiel, womit er bald Gelegenheitgedichte, bald Inkognito-Predigten, bald Devisengedichte für Zuckerbäcker, bald juristische Arbeiten machte, bald Zeitungartikel für entlegene Zeitschreiber.

  • Seite:
  • 1
  • 2
< Zweites Kapitel
Viertes Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.