Jean Paul
Der Komet
Viertes Kapitel
eingestellt: 14.7.2007
oder man hat viel, wenn man begraben wird wie ein Fürst, desgleichen so getrauet wie einer
Der Apotheker war, wie wir längst gelesen, aus dem Klub nach Hause gelaufen. Er kam mit der von Worble geschmiedeten berauschenden Krone im Kopfe an und schauete vor allen Dingen nach dem chemischen Brütofen seiner Diamanten. Sein Stößer Stoß ruhte vor dem faulen Heinze mit dem gegen das offne Ofentürchen gebückten Kopfe, zu schlafen
scheinend. Als ihn Marggraf leise wecken wollte, fuhr er nicht auf oder um, sondern guckte fort und rief: »Morbleu! das geht ja, wie es Gott nur haben will, morgen früh ist entweder ein oder der andere scharmante Diamant fix und fertig, oder ich will, so wahr ich lebe, gelogen haben wie ein verfluchter Windsack.«
»Lieber Defektuarius!« - versetzte der Apotheker und sah immer froher ins Blühen seiner Kohlen hinein - »ganz wohl! Und von dem kleinsten Diamante glaub ichs selber fest. Hab
ich Ihn denn nicht bishero für einen der gescheutesten Diener irgendeines Herrn gehalten?«
»Lieber wollt ich auch ganz viehdumm sein, Herr Prinzipal, als kein ordentlicher gescheuter Diener, der die Sachen und Öfen seines Herrn Prinzipals so gut besorgt und heizt, als er nur nach seiner wenigen Einfalt versteht«, sagte Stoß.
Die langen Freudenblicke, die der Apotheker in den Ofen als in eine Diamantengrube warf, waren für den Stößer ebenso viele beweisend aufgereckte
Schwurfinger, daß die Sache schon richtig sei und ausgemacht; denn er hielt mit eigentlichem Köhlerglauben die Kohlenmeiler seines Herrn für die versprochenen goldenen Berge und glaubte ihm alles, weil er nur dessen Stößer war - und weil er an ihm hing - und weil er die Öfen heizte. »Leg Er«, sagte Marggraf endlich, »Seine dumme Tiegelzange weg; sieht Er nicht, daß ich Ihm die Hand drücken will?«
»O sacre Diable!« (sagte Stoß nach dem Drucke und wusch und scheuerte mit den
trocknen Händen das Gesicht und war überhaupt halb außer sich vor Lust) »ich wills Ihnen gerne stecken, warum wir am Montage die Demanten so gewiß bekommen, als das Vaterunser im Amen ist. Es haben drei Schöpsenköpfe mir aus List Stein und Bein schwören müssen, daß sie mir am Montage allerhand leihen wollten; - nun kanns uns an einer spendabeln Woche nicht fehlen.« Das aberglaubige Volk hält nämlich Abborgen am Montag für ein Zaubermittel zu einer gesegneten Woche, und darauf rechnet Stoß. Der
Adel nimmt vielleicht mit mehr Recht dasselbe von jedem Wochentage an.
»Ich lege mich jetzo«, sagte der Apotheker, »hier auf dies Kanapee und sinne aus; schweig Er ein wenig.« Marggraf wollte sich nämlich auf ein ernstes Austräumen und Ausmalen des von Worble nur lustig abgeschatteten Fürstenstuhles legen, um dessen Thronhimmel mit Deckengemälden und Sternbildern zu überziehen. Oder deutlicher: er ging an die Baute eines Ätherschlosses.
- - Ich wollte, ich dürfte
voraussetzen, daß die Leser den Unterschied zwischen Luftschlössern und zwischen Ätherschlössern, anstatt ihn zu vergessen, machten. Luftschlösser an sich kennt und baut jeder, sie sind das letzte und höchste Stockwerk auf jedem Lustschloß - etwan wie auf der Peterskirche die Doppel-Rotunda -; nur daß am höhern Luftschloß oft durch Baukosten das tiefere Lustschlößchen verwittert und zerbröckelt. Inzwischen dürfen wir Untertanen uns schon von der Hoffnung einige teure Baurisse
zu solchen Luftkugelrotunden zu verschaffen suchen; nur den Fürsten sollten spanische Schlösser und böhmische Dörfer bleiben. Ein Baulustiger eines neuen Jerusalems über seinen Giebeln und Türmen erliegt dem Schwerdrucke und Passatsturme der Lüfte, in die er hineinbauet.
Hingegen wie anders, höher, leichter werden Ätherschlösser dem Bauherrn fertig! Es wird nämlich ein dergleichen Schloß leicht dadurch auf- und ausgebauet, daß man nichts wünscht und sucht, sondern es nur so
macht wie der Apotheker Marggraf oder wie viele, die ich kenne, z. B. ich.
Sieht (mein ich) ein tüchtiger fleißiger Bauherr der Ätherschlösser, also unser Apotheker vor allen, etwan einen außerordentlichen Luftspringer: so malt er sich unter dem Zuschauen vor, wie es vollends wäre, wenn ers zehnmal weiter triebe; dann springt er heimlich in sich von einem Tore zum andern durch Springwasser hindurch, bringt ein gefülltes Glas aus diesen mit, ja er setzt über eine vorüberfliegende Wolke
hinüber und kommt auf einer entfernten wieder zum Vorschein; und nun denkt er sich das allgemeine Erstaunen über den Wolkenspringer, gegen welchen der arme Seiltänzer nur ein rückgängiger Seilermeister ist. - Vernimmt er eine große Sängerin, die alles übertrifft und rührt: sogleich setzt er sich hin und gibt sich solche Mara-Töne, eine solche Diskanthöhe, unbegreiflich wachsend aus einer solchen Baßtiefe, und dabei so unerhörte Fertigkeiten, daß er die ganze weibliche Zuhörerschaft zu warmem
Brei auf den Sesseln zerflossen vor sich sieht, und daß sogar die Männer fallsüchtig durcheinanderzucken und einige vor horchendem saugenden Anhalten des Atems gar ersticken, worauf er selber so ruhig, als hätt er nichts verrichtet, nach Hause geht, um da von den nachgelaufenen Bekannten mit Bewunderung sich umrungen zu sehen. - Rücken verschiedne mit Ruhm bedeckte Heere ein, welche die Stadt zu toll anstaunt: so ist er auf der Stelle (in seinem Kopfe) ein außerordentlicher Held-Riese, entweder
Pantagruel der Sohn oder Gargantua der Vater oder Grandgousier der Großvater, kurz ein Generalissimus der Welt, und geht als solcher den Heeren bloß allein (stich- und schußfest an Achilles Ferse und Sigurds Schulter) ganz gelassen mit seinem mähenden Degen in der Rechten entgegen, dabei doch sich mehr auf die Linke einschränkend, womit er Mann nach Mann bloß aus einer Compagnie in die andere überschleudert. Auf gleiche Weise stellt sich der Bauherr von Ätherschlössern bei allen großen Gemälden,
Büchern, Jagden, Riesen, Zwergen die Wirkung vor, die es hätte, wenn er Colossäa lieferte, wogegen jene zu elenden Fuggereien einkröchen. Und wer unterließ die weniger als Marggraf! Solche Ätherschlösser werden aber ohne Baugerüste und Baurechnungen - bloß mit eigenen ausgedehntesten Baubegnadigungen - aufgeführt, so hoch man will (denn wie schon Luftschlösser größer sind als Bergschlösser, da der Luftkreis 15 Meilen höher über dem Erdkreis steht, so noch mehr Ätherschlösser, weil Äther die Luft
einschließt und schrankenlos überschwellt); - - ohne zähen Wunsch der Erfüllung, ohne Neid und Gier - noch leichter als einen Traum, den man nicht palingenesieren kann, sieht man ein Schloß entfliegen, das jede Minute schöner nachzubauen ist. Kurz dergleichen Ätherbauten bleiben nach Bauverständigen unter allen Werken die harmlosesten, selber die der Liebe und die Außenwerke der Festungen nicht ausgenommen. -
Als der Apotheker auf dem Lotterbette lag, ging er, wie gedacht, an die
Bauten des Ätherschlosses, indem er dasselbe (wie Menschen pflegen) auf sein fertiges festes Luftschloß, zu welchem er durch die Edelsteine in der Diamantgrube längst den Grundstein gelegt, aufsetzte, da Luft den Äther leicht trägt und beide zuletzt ineinander verlaufen.
»Wenn Er wüßte, Defektuar,« fing langsam Marggraf an, »was für Himmelfahrten ich mir jetzo im höchsten Grade lebhaft denke, ein ganz himmlisches Leben für uns beide, welchem gegenwärtig nichts fehlt, als daß es noch
nicht da ist, sondern erst mit den Diamanten kommt; aber wie wollt Er das wissen, Stoß!« - -
»Fi! Ob ichs weiß oder nicht, ein so himmlisches Leben sucht seinesgleichen und war von jeher mein Leben«, versetzte Stoß und geriet vor dem Apotheker in acht oder neun mimische Entzückungen über einen durchsichtigen Himmel, welcher gar nicht genannt war, geschweige gewölbt, noch gestirnt.
»Mein Stoß,« sagte Nikolaus, »wenn Er sich besonders verwundern will, so muß Er erst hören,
wie ich mir alles deutlich ausmale, was ich genösse, wenn ich ein regierender Herr würde und eine Krone bekäme und meinen Zepter dazu. Eine Unmöglichkeit wär es am allerwenigsten. Wenn man Premislause im Böhmen vom Pfluge wegnimmt und zu Königen aushebt; - wenn Pizarros, die nicht einmal lesen und schreiben können, statt der Schweine Reiche der Inkas zu hüten und zu regieren bekommen und Lima zur Residenzstadt; - ja wenn gar Lakaien, wie ich gewiß gelesen , bloß darum zu Fürsten
emporgestiegen, weil sie vorher uneheliche Kinder derselben gewesen und zu ehelichen legitimiert geworden: so ists ja noch natürlicher, daß zu einem Apotheker als dem viel edlern Wesen zuerst gegriffen wird und er auf den Thron gesetzt, der ihm vielleicht aus mehr als einem triftigen Grunde gebührt. - Jedoch was ist denn dies? Kennt Er, ich bitt Ihn herzlich, den Didius Julianus?«
»Au voleur! Ich mag den närrischen Menschen kennen oder nicht, so bleibt doch alles wahr, was Sie von ihm
sagen wollen.«
»Didius lebte zu seiner Zeit im großen römischen Reiche und erstand, als eine Prätoren-Kohorte von 15000 Mann dasselbe öffentlich versteigerte, das ganze lange Kaisertum um 1300 Taler, an jeden Mann 15000 mal zahlbar, wurde jedoch baldigst samt seinem gekrönten Haupte enthauptet, als Septimius Severus sich die römische Kaiserkrone von seinen Soldaten zuschlagen ließ, weil er mehr geben konnte, nämlich 2600 Taler jedem. Wenn Er nun bedenkt, wie außerordentlich groß
das römische Reich - weit ausgedehnter als ganz Europa wegen seiner andern einverleibten Weltteile - gewesen gegen eine kleine deutsche Markgrafschaft, die ich ja zu jeder Stunde mit einem tüchtigen Diamant bezahlen will: so wird Er wissen, Stoß, von was die Rede ist. Jetzo sind vollends die Zeiten, wo mancher Thron, weil alles unten um ihn herum rebelliert, für Geld zu haben ist, und ich kann Königen, die ihren abstehen, dafür vielleicht etwas bieten, wenn es dort im faulen Heinze zu etwas
kommt.«
Der Stößer schnappte heftig mit der Tiegelzange auf und zu und sagte entzückt: »Peste! darin kommts freilich zu was. Und daß Sie in drei Kuchen auf einmal Bohnenkönig geworden , das muß manches bedeuten. Aber was wollen wir lange passen, wir können ja König werden ohne einen Heller Demant, da Sie doch, wie jeder hofft, so gut ein echt fürstliches Hurenkind sind wie der Bediente vorhin, ders auch bis zum Fürsten gebracht. - Aber freilich brauchen tu ichs so sehr wie Sie- ich
muß ganz neu herausgekleidet werden vom Stiefel bis zum Kopf - betrachten Sie nur, was ich an Sonntagen anhabe, und an Werkeltagen bin ich gar ein Haderlump. Peste! wenn ich daran denke, wie Sie mich Halunken so gnädig ausstaffieren werden, sobald Sie in Gold und Silber stecken - haben mir schon jetzo so viele Kleinigkeiten spendiert, wo Sie selber schmal bissen und nichts hatten.«
»Leg Er mir« - sagte Nikolaus - »noch das Fußkissen unter das Kopfkissen, ich liege zu tief. - Aber um
Gottes Willen, wer von uns spricht denn davon, daß ich heute oder morgen, dir nichts, mir nichts, ein regierender Fürst werde? Hör Ers besser, daß ich mir nur recht lebhaft vormalen will, wie es stände, wenn ich den Fürstenmantel umhätte. Und da gesteh ich gern voraus, daß ein Paradies, soviel ich sehe, in das andere führt und des Guten, das ich sowohl stiften als genießen kann, gar kein Ende ist.«
Hier rieb sich Stoß die Hände vor Lust, vor möglicher.
»Aber bild Er sich
doch nicht sofort ein, ich werde im Fürstenmantel Ihn mit jeder Kleinigkeit ansingen, die einen Fürsten so groß macht, und wie warm ich mich z. B. schon in der Wiege betten würde als Fürst; denn ich hätte als Kind meine Orden und Regimenter und einen Hofstaat - es besteht aber solcher aus einem Oberhofmeister, zwei Kammerherrn, einem Kammerheizer, einem Tafeldecker und Türhüter -«
»O! Sacre! das wäre!« rief Stoß.
»Was wäre,« versetzte Nikolaus, »da ich die fürstliche
Kindheit längst verabsäumt? Aber dies will ich mir denken, was ich als Fürst genösse, wenn ich mich so recht herunterlassen könnte bis zu jedem Bürgerlichen und nun der Augenzeuge der unbeschreiblichen Freuden wäre, welche so arme, vom Thronhimmel um ganze Himmelleitern entfernte Teufel über einen so nahen Fürsten empfinden müßten, gerade als ob sie einen hohen Fixstern unten in der hohlen Hand hielten. Welche Luftsprünge würde Er z. B. machen, wenn ich mich mit Ihm - ich will Ihm nicht einmal
einen Groschen schenken - so recht vertraulich unterhielte, als kennt ich Ihn schon längst!«
»Ganz natürlich,« versetzte Stoß, »und hinterher steckten Sie mir doch viel genug in die Tasche.«
»Aber was ist alles Herablassen eines Fürsten, lieber Mann, gegen ein ordentliches Inkognito desselben, das allein schon wert ist, daß man ein Fürst wird, da Untertanen sich keines Inkognito anmaßen dürfen, indem sie ja niemals so überall bekannt sind als ein Fürst. -
Da hab ich denn schon früh in meinen Tölpeljahren mir es lebhaft gedacht, wenn ich etwa so in einem bloßen blauen Überrocke ohne Stern und Stein (denn ich will den Fürsten verstecken) in der erbärmlichsten Novembernacht in eine enge einstöckige Bettelgasse schliche, durch die mit Lumpen geflickten Fenster hineinsähe in die dampfende Stube voll Kinder in Viertelhemden, die in die Kartoffelschüssel ohne Salz hineingriffen - - Denk Er sich doch einmal, ich bitt Ihn, hinein in die Sache, wenn Er nun
in Seinem Überrocke ohne Seinen Fürsten-Stern in die niedrige Stube schritte und ganze Hände voll auf die Kartoffeln würfe« .......
»Corbleu!« - versetzte Stoß - »Aber doch nicht alle meine Dukaten würd ich vor die Hungerleider schmeißen, sondern viele für mich wegstecken, und ich ließe eben vorher fünf oder sechs wechseln fürs Bettelzeug.«
»Um Gottes Willen,« - rief Marggraf - »wer spricht denn von Ihm und Seiner Knauserei! Damit Er aber nur einigen Begriff von mir als
Fürsten bekommt, so wollen wir Spaßes halber meiner fürstlichen Leichenbestattung nachfolgen.
Schon vorher wird der ganze Hof schwarz gemacht, von jedem Kavalier an bis zu den Zimmern und Degen, und keine Perücke darf sich pudern. Den größten Höfen wird mein leider zu frühes Abfahren geschrieben. Ich selber liege in Samt auf einem hohen Paradebett, neben mir Kommandodegen, Zepter und Stab, und werde strenge von den vornehmsten Kammerherrn in ganz langen Trauermänteln bewacht; dabei
häng ich noch als mein Porträt an der Wand und stehe in Wachs gebosselt auf einem Sessel und bin oft genug da. Er kann sich leicht denken, daß das ganze in eine solche Trauer versetzte Land nach der Trauerordnung weder schießen, noch tanzen, noch orgeln darf, nur läuten, aber letztes in jedem Neste eine Stunde. Wem zu Ehren glaubt Er wohl, Defektuar, daß eine so allgemeine Landtrauer angestellt wird? Mir bloß, Stoß, mir, der markgräflichen höchstseligen Leiche.«
»Diable! - Wahrlich
diese meine Nase gäb ich drum, wenn mich der liebe Gott einen solchen Tag an Ihnen und Ihrer Leiche erleben ließe.«
»Wenn ich mich denn auf dem Paradebette mit meinen Armen ausstrecke und mein ganzes Gesicht daliegt, sehr weiß und etwas eingefallen, und ich freilich die Augen zuhabe wie ein Schlafender, aber doch ganz anders als in der Schlafzeit, nämlich zierlich gekräuselt, gepudert und angezogen bin: so werden unter den Untertanen, die meinen Fürstenglanz zu beschauen kommen, ganz gewiß die einen und die andern, wenn nicht gar alle, erscheinen, welche daran
denken, wie oft ich mit den Armen, die nun so starr sind und lang, ihrentwegen umhergegriffen zum Beschenken, und wie ich mit den jetzo unverrückten schneeweißen Mienen ihnen sonst vieles Glück lächelnd zugesagt und heruntergelangt vom Throne; und wenn sie dies alles so in der Seele zusammennehmen, so werden wohl viele vor Tränen kaum zu bleiben wissen, weil sie der armen Leiche nichts mehr vergelten können. Und ich möchte jetzt fast selber so treuen Herzen nachweinen und mich vom Paradebette
emporheben, wenn ich noch Kräfte hätte und Verstand, bloß um die trostlosen Wesen etwas aufzurichten und zu erfreuen.«
»Das rührt wohl einen Stein, Ihre fürstliche Güte und Gnade«, sagte der Stößer und ließ seine Tränen laufen, weil er die herrschaftlichen sah. - »O so sei Er doch nicht allzunärrisch!« - sagte Marggraf - »Ist denn ein Wort wahr von allem, und red ich nicht hier mit Ihm? Horch Er lieber aufs andere!
Hierauf werd ich nun - denn ich bin noch lange nicht
begraben - mit Sorgfalt aufgeschnitten und sowohl das Herz und die Zunge als das Gedärm wird mir aus dem Leibe genommen« ....
»Wer«, fragte gelassen Stoß, »darf sich dergleichen unterfangen?«
»Sowohl meine Leibärzte als die Leibbalbiere«, versetzte Marggraf.
»Die impertinenten Hunde! - Und das wollen Sie mit ansehen, daß an Ihnen herumgeschnitten wird wie an einem Stückchen Vieh? - Wo soll bei solchen Umständen der Respekt und ein ehrliches Begräbnis herkommen,
wenn die Leute einen vornehmen Prinzipal, wie neulich den Missetäter, zu einem Wurstgehäck zerschnitzen? Ein solcher Herr verdiente wohl hundertmal in einem Tage sein ehrliches fürstliches Begräbnis. - Und wer darf ihn denn, wenn er tot ist, noch tödlich verwunden, da es bei Lebzeiten keiner probiert und ihm nur einen Ohrlappen abschneidet? - Alle Pest über die Bestien! - So wollt ich doch gleich...«, schloß er und stampfte den Nachsatz mit dem Absatze des krummgetretenen Stiefels heraus.
»Etwas höher muß ich noch liegen« (versetzte der Apotheker) - »Hol Er vom Bett draußen noch ein Kissen. - Aber, guter Mann, lass Er sich endlich beibringen, daß alles vom Hofe nur geschieht, um mich, in mehre kleinere Ganze zerfällt, gleichsam heftweise in mehre Kirchen beizusetzen; daher spannen sie eben meinem bloßen Herzen, das über keine anderthalb Pfund Gewicht hat, vier Pferde vor, die es in die Kirche ziehen, welcher diese besondere Auszeichnung widerfahren soll; übrigens begegnet
mir, wenn sie alsdann auch das Gehirn und das Gedärm besonders bestatten, weiter nichts Größeres, als was dem Kaiser Leopold erwiesen wurde, dessen Herz und Zunge man in einem goldenen Becher, überschrieben: ›cor Leopoldi primi Romanerum Imperatoris mortui die Maji 1705‹ in die Lorettokapelle beisetzte, das Gehirn und Gedärm aber in der Hofkapelle in einem vergoldeten Kessel mit der Umschrift zur Ruhe brachte: ›Intestina Leopoldi etc.‹«
»Wird auch einmal«, fiel
der Stößer ein, »eine besondere Auferstehung geben, wenn der Tote seine Siebensachen aller Orten zusammenschleppen muß und sein Hirn bei dem einen Kapellmeister liegt und sein Herz bei dem andern. Ih Fi!«
»Jetzo lieg ich endlich (Er stört nur stets) zum Beisetzen in die Fürstengruft ganz fertig da. Wenn ich nun, da mir ja das Schönste zu wählen freisteht, annehme, ich stinke so stark wie andere gekrönte Leichen im Verfaulen: so erhalt ich gleich mehren Fürsten die Gelegenheit, zweimal
begraben zu werden, gleich wie man die französischen Fürsten zweimal tauft.«
»Wie oft werden denn Kaiser und Reich- und andere Kurfürsten eigentlich begraben, wenn schon Herzen und Gehirne ordentlich zur Ruhe gebracht worden?« fragte Stoß.
»Heiliger Gott!« versetzte Marggraf, »hier ist ja mehr von Särgen die Rede, wovon der eine volle mit dem ausgeweideten leeren Leibe still von den Hofkavalieren an Tellertüchern kann eingesenkt werden; es ist dies keine Einbildung, sondern
im deutschen Hofrechte von Friedr. Karl von Moser erster Band 1761 gegründet und erzählt, daß Tellertücher durch die Sarggriffe gezogen und so die fürstliche Leiche langsam von den Herrn hinabgelassen wird. Aber die Hauptsache bleibt immer der leere oder Paradesarg; wovon einmal ein zinnener in Wien (nach Herrn von Moser) 42 Zentner wog und in Kupfer gestochen herauskam mit vielen Beschreibungen. Jetzo aber wollt ich, Er sähe lebhaft die tiefe Trauer um mich - den Leichenwagen mit einem
Doppelpostzug - und die getragenen Schleppen sowohl der Trauermäntel als des Leichentuchs, und wie die Stangen des Thronhimmels zwar von vornehmen Kammerherrn fortgebracht werden, aber dessen Schnüre von noch vornehmern - wie Pferde gar nicht geritten werden, sondern geführt« - -
»Morbleu! All die Pracht!« sagte Stoß und klatschte auf die Knie.
»Und da gibts keine Wachskerze, keinen Heroldstab und Pferdeschwanz und nichts, um das nicht Boy gewickelt wäre - und da hört Er
gedämpfte Trauertöne und gedämpfte Pauken und Kanonaden und Salven bei der wirklichen Einsenkung« - -
»Wie dämpfen sie denn die Kanonen und die Salven?« fragte Stoß.
»Ich soll es erst noch hören; - durch Pulver vielleicht. Du vergißt aber über den Bettel das Trauerpferd mit den prächtigsten Diamanten am Schwanz und das Paar Kavaliere, die es führen. Schaue noch schärfer im Zuge auf das Freudenpferd hin, ein herrlicher Springer, die rote Schabaracke ganz mit Gold und
Diamanten durchzogen, und der Reiter darauf mit seinem emaillierten Harnisch und vergoldeten Helm und seinem Degen in der Rechten sticht allen in die Augen und kurbettiert ....... ich wollte, ich säße darauf und paradierte!«
»Coquin!« sagte Stoß, »das ist gerade mein Gedanke. Aber warum sprengt denn der Goldmann jetzo mitten unter die gedämpften und geflorten Leute und Sachen nein?«
»Er will nur auf dem Pferde die Empfindungen meines Thronfolgers ausdrücken und es zeigen,
wie sich ein solcher darauf freuet.«
»Das könnte aber der Narr«, versetzte Stoß, »heimlich in seiner Stube verrichten und die Trauerleute nicht so mitten in ihrem besten Betrübtsein aufhalten. Meinentwegen reit er in die Hölle, ich seh ihm nicht nach.«
»Stoß! Nichts wird aufgehalten; denn ohne Grenzen dauert der Jammer um mich im ganzen Land fort, und alle Freuden scheinen mit mir wie vergraben; und an sechsundvierzig Leichenpredigten über mich in Regal-Folio (so viel
erlebte Kurfürst August I. von Sachsen nach seinem Hintritte) werden mit Kupfern und Samtbänden an alle freundschaftliche Höfe verschickt - damit sie es lesen, wie man mich auch nach meinem Tode lobt und erhebt -, und jeder Mensch von Geburt und Hof trägt wochenlang seine schwarzen Strümpfe und Degen und angelaufnen Schuhschnallen und brennt sich vor dem neuen Fürsten sozusagen nur langsam weiß; ja ein Trauern um mich vorigen Landesherrn wird so hoch gehalten, daß nur höchster und hoher Adel und
Staatbeamte sich desselben erfreuen, gemeines Bürgerwesen hingegen sich von jeher keiner öffentlichen Traurigkeit um mich unterstehen dürfte.«
»Der Donner! So stehts? - Ich denke aber, ich kann so gut über Ihr dummes Sterben vor der Zeit mich ablamentieren als irgendein anderer Flegel von Adel, und keiner soll mirs wehren, wenn ich kohlschwarz gehen will von der Gurgel bis zum Knorren; ein redlicher Defektuarius kann wohl so gut seine paar Ellen Flor um den Arm spulen als ein
Referendarius und läßt seine Schnallen schwarz anlaufen. Ist denn ein verständiger Stößer schlechter als ein dummes viehisches Reitpferd, das bis an den Hintern in Flören stecken darf und das doch sich nicht so viel aus höchstseligen Königen macht als sein Reitknecht? So haben uns die großen Hansen schon die besten Lustbarkeiten genommen, nun wollen sie uns noch um ein paar Trauern bringen. Mir komme keiner; auf den öffentlichen Viehmarkt stell ich mich hin und heule bitterlich und schwenke
einen langen Flor am Hute und schreie aus: ›Ja, ja, ich trauere gleichfalls, mir nichts, dir nichts, ich kenne meinen Herrn Landesherrn wohl länger als ihr alle, schon als er noch als armer Prinzipal auf dem Kanapee lag, und es ist, als säh ich ihn noch vor mir.‹«
»Das tut Er ja ohnehin. Mehr Kissen! Ich muß viel höher liegen. Mach Er nur nicht so gar viele Umstände, - als ob ich Ihn nicht vor meinem Hintritte dermaßen adeln könnte, daß Er so traurig und schwarz erscheinen
kann wie nur irgendein Mann von Geblüt! Und sollt ich vollends - wer kanns wissen - gar wie Karl der Große bei lebendigem Leibe meine fürstliche Leichenbestattung feiern, um selbe etwas mit Gesundheit zu genießen: so seh ich ohnehin auf Ihn besonders, und ich verspreche Ihm (halt Er mich beim Wort) jede Hoftrauer um mich zu erlauben, die Er nur wünscht.« (Hier küßte der Stößer sich beide auf den Mund gelegte Hohlhände.)
»Aber, mein Freund, dies alles ist nur hochfürstliche
Beisetzung; jetzo betracht Er erst hochfürstliches Beilager, das lang vorher zu halten ist, und sag Er mir, wie Ihm wird nach dem vorigen. Denn mein erster Blick vom Throne herunter wird nach einem fürstlichen Brautbette geworfen. Freilich ein Fürstenglück wird mir dabei abgehen, nämlich daß ich wie andere Kronprinzen schon in meiner zarten Kindheit mit einer äußerst blutjungen Prinzeß wäre verlobt gewesen. Indessen, Stößer, bleiben himmlische Prinzessinnen, die man erst in ihren
zwölften, dreizehnter Jahren anzubeten bekam, auch noch reizend, ja reizender und lieben gern Geliebte. Solche können jetzo neunzehn Jahre alt sein und auf Reisen ...... Stößer, bild Er sich nur nicht aus Einfalt ein, daß Er mich versteht« ..... »Ich dachte, was mich bisse«, antwortete Stoß - »Steck Er«, fuhr Nikolaus fort, »lieber alle Kissen auf einmal unter, ich will ganz aufrecht liegen. ... Ich muß etwas haben schildern wollen, Stoß! - Ja das Beilager gekrönter Häupter. Wir wollen nur etwas
davon nehmen, da wirs in der heutigen Nacht doch nicht durchbringen. Wahrlich, der Himmel sind zu viele unter einem Thronhimmel und Betthimmel, wenn man nur vom überreichen Bilde an zählt, das der hohe, nie gesehene Bräutigam, mit zahllosen Diamanten gestirnt, an die ebenso hohe Braut ablaufen läßt, bis zum Vor-Beilager desselben durch einen Gesandten! -
Ich möchte ordentlich meinen eigenen Gesandten und Bevollmächtigten selber vorstellen und als solcher (so forderts Etikette hoher
Häupter), mit einem Arm und einem Fuße im Harnisch, ganz öffentlich beiliegen im Brautbette neben dem Schwerte, das mich von der andern Puissance, von der hohen Braut, gehörig abtrennt, die neben der Schneide desselben unbesorgt ruht. Wenn ich nun gleich darauf aus einem bloßen Selber-Plenipotentiarius mich auf einmal in den wahren Entrepreneur von hohem Haupte selber umsetzte und als Factotum oder Fac-simile aufträte, - denk Er sich die Sache, und sei Er ganz still.«
»Bin ich nicht still, und versteh ich ein Wort vom ganzen Handel?« fragte Stoß.
»Nachher kommen, das versteht Er gleich, kleine unschuldige Feste, welche hohe Häupter seit Jahrhunderten einige Tage nach Beilagern zu begehen pflegen, und worunter ich mich besonders auf die sogenannten Bauernhochzeiten und -wirtschaften freue.
Der hohe Bräutigam stellt einen rohen Bauer vor, und die so liebliche Prinzeß seine bäurische Braut, und jeder Hofmann macht den nötigen
Landmann dazu. Da wird denn von hölzernen Tellern gespeist und aus hölzernen Schleifkannen getrunken, freilich lauter maskierte Delikatessen sinds. Hatte nicht der dänische Hof sogar ein besonderes Dorf bei Kopenhagen liegen, Amak genannt, wo die königlichen Herrschaften jedesmal nordholländische Bauern wurden und nach den elendesten polnischen Böcken oder Dudelsäcken tanzten?«
»Helas! nach dem Dudelsack kann jeder Mensch und jeder Bock springen, der auch keine Herrschaft ist.«
»Was weiß Er von Fürsten, die sich herunterlassen wollen! Ich treibe aber« (- hier drehte der Apotheker die Beine vom Kanapee herab -) »hochfürstliche Lustbarkeiten in meinem Geiste noch viel weiter, und statt der Bauern können Honoratiores gespielt werden und desto mehr ergötzen. Wie, wenn das hohe Brautpaar z. B. statt der Bauernwirtschaft eine Apothekerwirtschaft wählte? Neueres kenn ich in dem verbrauchten Fache nichts. Stell Er sich vor, ich stellte als Fürst einen
Apotheker vor, die Fürstin meine Frau, und Er (denn Er bleibt bei mir) einen Stößer! - Gott! Stoß, wenn wir alle dergleichen würden!!« rief der Apotheker und stellte entzückt sich auf die Füße.
»Goddam!« versetzte Stoß, »jetzo sind wirs schon, freilich nur so im Ernste, aber wenn wirs einmal gar zum Spaße wären, o Ventre saint gris!«
Da Marggraf einmal zu Fuße war, ging er zu Bette und übergab sich luftigern Träumen. Beide sahen den ersten Diamant schon darum am künftigen
ersten Jahrmarkttage so gut als in ihren Händen, weil sie sich über den Verbrauch desselben so deutlich und freudig verständigt hatten. Ein gutes Paar Geister! Jeder wechselnd der Gläubiger und der Gläubige des andern. Der Apotheker steht als überreife Ähre da, auf welcher der Stößer als ein Samenkorn schon ausschlägt und keimt, ohne andere Wurzelerde zu haben als eben die Ähre selber; oder, in einer mehr außereuropäischen Metapher, Marggraf senkte als Lianenbaum den Stößer als einen Ast von
sich in den Boden nieder, damit dieser wieder daraus aufwüchse zu ihm heran und wieder herab und hinauf. Jeder war die Halbkugel des fremden Himmels, und so klebte sich aus beiden ein ganzer zusammen. - - Desto begieriger ist man auf die nächsten Kapitel, wo sich so viel für das ganze Buch, ja für das ganze Lesepublikum entscheiden muß.
Nachschrift. Es wird vielleicht geschickter hier als später, wo man vor lauter wichtigsten Ereignissen kaum zu
sich und zu Wort kommt, von mir aufgeklärt, warum der Stößer so sehr französisch flucht und schwört. Da er nämlich ganz und gar kein Französisch verstand, und doch immer deutsche Leute um sich sehen mußte, welche, ohne ein Wort mehr davon zu verstehen, täglich Briefabschriften - Besuch- und Abschiedblätter (pour faire visite, et pour prendre congé en personne) - Billets de Concert - Haustürüberschriften (au noble jeu de Billard) - und dergleichen in bester französischer Sprache schrieben: so
wollt er ihnen auch nicht wie ein Narr nachbleiben, sondern sich angreifen und die Schreiber überflügeln durch vieles französisches Sprechen. Er schnappte und pickte daher jeden französischen Fluch, Schwur und Schimpf, welcher Deutschfranzosen von Stande oder gemeinen Franzosen im Deutschsprechen entfuhr, sorgfältig auf, samt der besten Aussprache, die er nur hörte, und hielt die Wörter vorrätig für den täglichen Gebrauch - Die Wahl gerade der Schimpf- und Fluchwörter war gut - denn da nach
einigen Philosophen, z. B. Herder, die ganze Sprache mit Ausrufen anfing und diese überhaupt am häufigsten einzuflechten sind - daher schon der Star durch Fluchen und Schimpfen aus Dichtkunst in Sprechkunst, aus dem Vogelsange in die Menschenprose übergehen muß -, so setzte Stoß sich dadurch in das Ansehen eines Stößers von Welt, der sich auszudrücken weiß. Nur konnt er mitten in seinem Sprachreichtum nicht das Vergreifen in den Flüchen und Schwüren vermeiden, sondern pflegte oft
diable auszurufen, wo Mon dieu nötig war, oder à merveille, wo Fi, oder au voleur, wo plait-il erwartet wurde, was aber weniger auf Rechnung seines Herzens als seiner gänzlichen Unkunde aller Gallizismen zu schreiben ist. Aber über den Mißbrauch von Goddam ist er doppelt entschuldigt, und zwar durch seine doppelte Unkunde englischer und französischer Sprache zugleich. Er hatte diesen schönen englischen Fluch wohl hundertmal von einem
Pariser Atheisten der Revolution gehört und konnte ihn also wohl nicht anders als für einen französischen nehmen.