Jean Paul
Der Komet
Zwölftes Kapitel
eingestellt: 14.7.2007
woraus man erst sieht, was aus dem elften entstanden, und daß in jenem eine Sitzung ist, und die Berichterstattung derselben
Die drei Neubeamten mochten nun von Marggraf denken, was sie wollten, so viel sahen sie wenigstens, daß die Säcke voll Besoldungen vor ihnen standen, und konnten sich leicht entsinnen, daß sie der Stößer die Treppe hinaufgetragen und hingesetzt. Keiner von den dreien wußte, ob er sie annehmen sollte oder
nicht, sondern jeder behielt sie vor der Hand.
Worble rannte in der ersten Bestürzung in die Apotheke und fand daselbst die drei Schwestern schon in der zweiten, dritten und vierten - denn die jetzo weitläuftigern Anverwandten des Fürsten saßen zuerst mitten in Prinzessinsteuer und Witwenkassen und Nadelgeldern, kurz in Geldern, welche ihnen Nikolaus geschenkt, und tropften noch vom goldnen Platzregen. - Der Stößer ferner hatte im Vorbeilaufen sowohl Dummheiten, die er glaubte, als
andere, die er ersann, zusammen ausgeteilt und unterwegs die glänzendsten Nachrichten von einer Heiligen und Wundertäterin, die er nicht mehr zu nennen wisse, beschworen und gegeben. Auch der Apotheker selber war, eh er zum zweiten Male ausging, zum ersten mit drei großen Schauls auf den Armen wiedergekommen und hatte es vor den drei Beschenkten flüchtig bedauert, daß er in künftiger Woche auf Reisen gehen und sich überhaupt als Fürst in mehr als einem Sinne von ihnen entfernen müsse.
Gerade gegen die Schwestern hatt er sich über seine Herkunft nur keck und kurz erklärt, wovon die Ursache allerdings zu untersuchen wäre.
Zum zweiten Male war er mit Geldern und Leuten ausgezogen, um in aller Eile, als gäb es einen Tag später keine Kutschen und Pferde mehr, sowohl diese und Kutscher einzukaufen als noch tausend andere Sachen.
Der wirkliche Reichtum war da - sahen sie alle -, aber mögliche Tollheit auch. Nur eine oder zwei seiner Schwestern - welche bei
der Auferstehung früher ihre Kleider als ihre Knochen gesucht und aufgelesen hätten - fanden in den geschenkten Schauls alle Spuren eines wackern Verstandes.
Ehe Worble kaum das größte Erstaunen ausgeteilt und angehört hatte, kamen noch der Prediger und der Maler nach und halfen weiter staunen, besonders den Schwestern, welche von ihnen Marggrafs neueste Geldauswerfungen bei seiner Selberkrönung erfuhren.
Ganz Rom hatte ohnehin der Stößer erschüttert, weil er über jede
Gasse, durch die er ging, den Schneckenschleim und Laich seiner Berichte gezogen. Sterbende sollen allda (ist Worblen zu glauben) der Neuigkeit wegen eine halbe Stunde länger gelebt haben; - ein verdienter alter Soldat, der seine Frau mit Füßen getreten und noch dazu mit scharfen hölzernen Stelzfüßen, soll von ihr herabgestiegen sein, bloß um das Nähere von der Sache in Ruhe zu erfahren. - Wer nur Deutsch konnte, beobachtete die rhetorische Regel und fragte: quis quid ubi quibus auxiliis cur
quomodo quando? - Alle Peters-Kuppeln und Kapitolien im welschen Rom waren Streusand gegen den Edelstein im Hohengeiser - Regenten aus allen fürstlichen Häusern standen auf ihren verschiednen Thronen umher und ragten empor, aber kein Mensch sah hinauf, jeder war nur auf den steinernen harten Pitt oder Regenten erpicht - - Aber warum denn, bitt ich, läßt der Mensch sich die weite Brust, welche ganze Universalhistorien und Universa beherbergen kann, vom Gewebe einer Winkelspinne ausfüllen und sagt
dem All, wie einem schlechten Mietmanne, die Wohnung auf, damit sich ein Endchen Ding einquartiere? - Aber warum, frag ich fort, lass ich mich denn selber durch Fortfragen von dem elenden kleinen Stadt-Gelärme dermaßen einnehmen, daß ich das Große der Geschichte vergesse und mit Mühe erst so fortfahre, wie folgt? -
»Für so vieles Geld« - redete Libette die drei Herrn an - »könnten wir wohl alle unser bißchen Verstand und Unverstand zusammennehmen und darüber beratschlagen, wie einem
so guten Manne zu helfen sei.«
Der Zuchthausprediger fing als der erste Vorstand der gelehrten Sitzung zuerst zu stimmen an und äußerte sich nicht ohne Scharfsinn so:
In nichts find er sich für seine Person leichter als in des Herrn Marggrafs Tollgewordensein. - Von dessen früherer Erziehung aus Gründen gar nicht zu sprechen, so habe schon das bloße ungeheure Glück, statt eines großen Loses sogar das allergrößte zu gewinnen, womit die andern Lose auch zu gewinnen wären, den
besten Kopf verdrehen müssen; zu diesem Fluge sei nun noch gar der Fall von der Leiter gekommen, der durch den Abstand das Gehirn doppelt erschüttert habe - Gleichwohl wäre noch Besinnen möglich geblieben, hätten nicht die Nachtwachen, wodurch sogar Tiere, wie Falken, um Verstand und um Erinnerung des vorigen Wesens kommen, ihm beides von neuem beschnitten, wiewohl sogar in diesem Falle sich fragen ließe, ob er ohne den Fund des Regentdiamanten auf den Gedanken einer
Regentschaft gefallen wäre. - - »So aber, mes Demoiselles, konnte schlechterdings jeder Seelenkenner nichts anderes erwarten als eine wahre fixe Idee; etwa von wirklicher Tollheit. Sind denn, nicht alle Menschen bei weit mattern Veranlassungen dahin gekommen, für weit unwahrscheinlichere Wesen als für Fürsten sich zu halten, der eine sich für einen Gott den Sohn, der andere für einen Gott den heiligen Geist, der dritte sich für gläsern und der vierte buttern, der fünfte (ein großer Theolog zu
Oxford) für eine Flasche, oder bloß für einen Topf ein sechster, zu geschweigen der Hähne, Rüben, Gerstenkörner, wofür noch andere sich angesehen, was doch alles nicht so menschenmöglich ist als ein Fürst, da dergleichen existiert?« -
»Gelehrtester Herr Prediger,« - rief Libette aus - »daß mein Bruder sich etwas in den Kopf gesetzt, glauben wir ja alle gern und sitzen deswegen hier; wir wollen nur aber wissen, was zu tun ist, und ob man wie ein Narr dem Narren so zusehen soll.«
»Nun ist aber das Erwünschte bei der Sache,« - fuhr Süptitz fort - »daß er sich wirklich für einen Fürsten hält und somit dem bekannten Professor Tittel in Jena gleicht. - Dieser sah sich gleichfalls für einen an, und zwar für einen römischen Kaiser sogar; - man nannte von weitem eine Macht, sogleich ließ Tittel die seinige ins Feld rücken -; indes er in allen andern Punkten, zumal auf dem Katheder, so vernünftig war und las, als säß er auf gar keinem Throne. Mit demjenigen
Verstande, den Herr Marggraf noch hat, läßt sich also anfangen und der verlorne sich gleichsam wieder einfangen, wie man große Stockfische mit kleinen ködert.« Aus diesen Gründen war Süptitz der stimmenden Meinung, man müsse ihn reisen und gewähren lassen; denn wörtlicher Widerstand, wie hier in Rom am ersten zu befürchten sei, presse und höhle die fixe Idee nur noch tiefer und fester in sein Gehirn - die heitern Zerstreuungen der Reise, der Wechsel neuer Ideen heile Leib und Geist - und ein
geschickter Seelenlehrer, der ihn begleite, könne unvermerkt hier mit Blick, dort mit Wort, heute umschleichend, morgen ganz ansprengend, die Spielwalze seiner Ideen so glücklich verschieben, daß sie ein ganz anderes Lied vorspiele.
»Sie reisen demnach hoffentlich«, sagte Worble, »als Seelenlehrer und Hofprediger mit und arbeiten am Manne und stellen ihn her?« - Wider Erwarten brachte der Prediger starke Bedenklichkeiten zum Vorschein, die Züchtlinge seines Kirchsprengels
hintanzusetzen, da es größere Pflicht sei, Bösewichtern geistlich beizuspringen als bloßen Wahnsinnigen - wiewohl oft die Polizei Zuchthäusler und Tollhäusler unter ein Dach gebracht -; indes setzt er diesen Bedenklichkeiten wieder seinen unschuldigen Wunsch entgegen (und schwächte jene damit genug), auf einige Reisen zu gehen, um vielleicht sowohl seinem beschwerlichen Fettwerden als seinem immerwährenden Geistanspannen einigen Einhalt zu tun.
Als ihm Worble diese Ausleerung der
Fettzellen und der Gehirnkammern recht ernstlich anriet und ihn daran erinnerte, wie oft er ihm selber vorgeklagt, daß er für die Kanzel seiner Kirche (zumal bei heftigen Nutzanwendungen) endlich zu dick und feist werde, so wie sein Ringfinger für den Ehering, auf dessen Durchfeilen er sich ungern vorbereite, so versetzte Süptitz wiederum: »Wahr genug! - Inzwischen erklär ich hiemit, lieber bleibe ich daheim, eh ein Reisegeld mich bestimmen soll, unterwegs den Herrn Apotheker für einen Fürsten
auszugeben; höchstens etwan werd ich seinem Eigennamen Marggraf, nach der Weise der Süddeutschen, den Artikel vorsetzen und bei den Leuten sagen: der Markgraf.«
Dem Frohauf Süptitz - den Worble ein lebendiges Pro-contra oder Fürwider hieß - versetzte Renovanz, um gleichfalls abzustimmen: »Ich will bersten, tu ich auch nur dies, gesetzt er nähme immerhin mich unter der lästigen Bedingung mit, ohne welche ich nach dem Testamente meines Vaters ohnehin nicht verreisen darf.«
»O,« sagte Libette, »Ihren phantastischen Bruder packt er so gern mit auf als Sie; was ist dem närrischen Verschwender jetzo ein Narr mehr oder weniger!«
- - Der gute Leser, für den ich ja alles tue und für welchen allein (und für niemand andern) ich eine so lange Geschichte ausarbeite, soll wahrhaftig nächstens das Kapitel, worin über den Bruder des Malers der vollständigste Aufschluß gegeben wird, in die Hand bekommen. Nur jetzo muß vor allen Dingen fortgefahren werden.
»O meinethalben!« - fuhr Renovanz fort - »Maler aber haben von jeher sich nach keinen Fürsten gefügt - Holbeine und andere haben vor Königen, die sie malten, Tabak geraucht - Tiziane haben sich von Kaisern, die nur zusahen, Pinsel aufheben und zulangen lassen. - Und dabei waren dies noch Fürsten von Geburt und Geblüt ..... Was gibts aber hier an echter Fürstlichkeit für einen Künstler? - Ohnehin hoff ich unterwegs dem Herrn Apotheker wohl wesentlichere Dienste als jene Künstler ihren
Fürsten - denn malen werd ich ihn überdies noch oft genug müssen - zu leisten, wenn ich, da er doch jetzo sich als Fürst noch mehr denn sonst als Hunde-Apotheker für einen Kenner der Malerei wird geben wollen, mit den nötigsten Kunsturteilen aushelfe, die er in den verschiednen Kunstsammlungen, die er besieht, zu fällen hat. Ich dächt wenigstens.«
»So denkt doch«, unterbrach Libette, »jeder nur an sich, keiner an meinen Bruder.« - »Mich nehmen Sie aus,« versetzte der Maler, »denn nach
meinem Urteile soll er gar keinen Tritt aus Rom versuchen. Er muß als Mente captus, als Imbecile, als veritabler Narr seinen Vormund und Curator bekommen, der sein Vermögen bewacht, - man könnt ihn sogar für einen Verschwender erklären.«
Da stimmte Worble ab und fuhr auf: »Wie, ein Mann, der, wie eine Harnblase, jeden Monat Steine erzeugen kann, und zwar die edelsten, der soll kurz gehalten werden? Einen lebendigen Demantbruch, ein ganzes europäisches Brasilien im kleinen, das uns
wenigstens Westindiens diamantne Ketten zerbröckeln könnte, will man aufhalten in seiner Arbeit? - Beim Teufel! wenn er sich nun von heute an hinsetzte und nichts mehr machte? - Oder soll er mit seinem Glanze in diesem modrigen Neste verschimmeln, sich wie eine Fackeldistel in der Wüste abblühen? - Meinetwegen halt er sich für die heilige Pforte oder für den heiligen Stuhl: ich werd ihn gemäß dem Range in seinem Kopfe anreden, und wenn er sich für den Beherrscher von Darfur in Afrika ansehen
wollte, der hochtrabend genug sich den Ochsen, den Sohn eines Ochsen, den Ochsen aller Ochsen schreibt: ich würde meine bisherige Duzbrüderschaft mit ihm ohne Anstand fahren lassen und ihm seine Titel geben. - Der Henker! dort kommen ja eben Seine Durchlaucht mit einem neuen Wagen und Kutscher herabgefahren, und Stoß steht hinten auf.«
Er wars in der Tat.
Zwei Schwestern, welche bloß für einen Kopfputz Kopf genug hatten, gaben in der Eile nur die kurzen Stimmen ab, daß
es für die Ehre der Marggrafschen Familie allerdings am geratensten sei, wenn ihr verrückter Bruder ihnen und der Stadt keine Schande mache, sondern in der Fremde sein Wesen triebe. - - »Ho, ho,« versetzte Libette, »mich laßt nur mit. Und sollt ich in ein Paar Hosen und Stiefel hineinfahren und als die einzige Frau unter dem Männergesindel mitlaufen:« - (hier nickte Worble recht beifällig und sagte: o göttlich!) »so soll mein guter blinder Bruder nicht ohne eine gescheite Schwester herumreisen,
die ein bißchen auf ihn sieht; denn es gibt gar manche Schelme unterwegs, Herr Worble!«
Eben trat der Apotheker ein; leichter ruhiger Anstand, verbindlichstes Lächeln, eine gewisse Würde verkündigten den Fürsten. »Ihro Durchlaucht haben wir«, hob Worble an, »sämtlich in corpore unsern Dank darbringen wollen; auch haben wir vorher eine heutige leichte Sitzung über das Mitreisen gehalten, von welcher ich Ihnen, Sire, einen kurzen Bericht abzustatten wünsche!« - So hatt er angefangen, in der festen Erwartung, der Apotheker werde bei seinem
vollen Absprung von der Duzbrüderschaft seine Leute kennen. Aber der Apotheker erwiderte: »Damit werden Sie mich unendlich verbinden, Herr Reisemarschall« - und warf so den betroffnen Marschall beinahe aus seiner Rolle, weil dieser seinen halben Ernst gar mit einem ganzen aufgenommen sah. Dabei hatte Marggraf seinem sonst schreienden Sprachton einen solchen Dämpfer (sordino) aufgesetzt (hohe Personen sprechen fast unhörbar, hatt er gehört), daß er unendlich schwer zu verstehen, sogar zu
beantworten war.
Der Freimäuerer erstattete jetzo einen gedrängten Bericht, nicht ohne leichte Bosheit gegen die zwei Mitbesoldeten. »Wie konnten Sie,« - wandte sich darauf der Apotheker mit ausnehmender Leutseligkeit und Grazie zuerst an Renovanz - »mein bester Herr Hofmaler, nur einen Augenblick daran zweifeln, daß ich Ihren Herrn Bruder mit größtem Vergnügen und ganz auf meine Kosten in mein Gefolge aufnehme, wenn ich damit einen solchen Künstler wie Sie gewinnen und um
mich behalten kann? War dies freundschaftlich genug gedacht?« Renovanz verbeugte sich schweigend, aber doch um zwei Pariser Linien tiefer als sonst.
»Auch Sie, Herr Marschall, können Ihre Gemahlin mitnehmen«, fuhr Nikolaus fort. - »Durchlaucht!« - versetzte Worble mit ptolemäischen Kreisen und Windungen und Wendungen auf dem Gesichte - »diese laß ich wohl nirgend lieber als zu Hause. Mach ich mich auf einige Zeit weg von ihr: so tu ichs hauptsächlich, weil ich eben auf zweierlei
ausgehe, welches in der Ehe so wichtig ist, in der wohl manche Wetterwolken unterlaufen: Ich wünsche nämlich durch mein Verreisen es dahin zu bringen, daß wir uns beide nacheinander stark sehnen, nicht nur sie sich nach mir, sondern auch ich mich nach ihr, was beides jetzo der Fall nicht sein will. Die Ehe - auch meine - hat das Besondere, daß man - die Frau vollends - darin zwar sehr liebt, aber auch verteufelt brummt; so wird man dadurch auffallend jenem frommen Manne ähnlich, welcher bei
dem Namen Gott, so gottesfürchtig er war, aus Gemütkrankheit ihn immer so zu lästern gezwungen war, daß ihm selber grausete; die eheliche Liebe selber erhält sich unter der Schneedecke der ehelichen Zänke ganz warm. - Zweitens will ich meine Abwesenheit zu noch etwas machen, nämlich zu einer Hahnemannschen Weinprobe gegenseitiger Tugend und Treue; ich will versuchen, ob sie mir in der langen Abwesenheit, und ob ich ihr unter den großen Versuchungen treu bleiben kann. Dies ist das wenige, was ich
mit vielem habe sagen wollen, Durchlaucht! Sonst hab ich noch andere Gründe genug zum Mitreisen, die nicht einmal so ordentlich lauten.«
Der Apotheker nahm zwar den kühnen Scherz in seiner Gegenwart liebreich auf; doch lächelte er nicht laut, sondern wandte sich schnell so an Süptitz: »Wie herzlich gern, Herr Prediger, säh ich Sie, so wie Ihre Gemahlin, auf meiner Reise zugegen! Es sollte Ihrer Gesundheit so gut zuschlagen wie, hoff ich, der meinigen.« - Erst aus spätern Papieren
ersah ich, daß Nikolaus unter seinen Reisezwecken sich auch den vorgesetzt, seine am chemischen Feuer vergelbten Jugendrosen in freier Luft rot aufzufrischen, um schöner bei der Schönsten anzulangen. »Ohne weitere Frage« - sagte er zu sich - »stellt jeder sich nach einer Reise viel blühender vor, und die Freude des Wiedersehens tut denn auch noch dazu.«
»Herr Marggraf!« - (versetzte Süptitz),- »mein Herr Markgraf von Hohengeis muß wohl in jedem Fall erst um gnädigsten Urlaub von mir
gebeten werden; aber ich werde daher erst nach einigen Tagen indirekt - unmittelbar wollt ich sagen, jedoch beides, so wie direkt mit mittelbar wegen des Gleichklangs zu verwechseln, gehört wohl auch unter die unerkannten Leiden des Menschen - alle Beschließungen überbringen können.«
Damit ich aber meine mir so lieben Leser und Käufer auf keinem halben Bogen lang die Angst aushalten lasse, einen solchen Mann wie Süptitz auf Marggrafs Reisen einzubüßen: so soll ihnen sogleich dieses
Kapitel mitteilen, was ich im nächsten hätte berichten müssen. Frohauf Süptitz hatte nämlich das Eigne, daß er zu einem Gott getaugt hätte, welcher, um eine kurze Zeit zu erschaffen - sei sie auch noch so lang -, vorher eine ganze Ewigkeit a parte ante nach den Philosophen dazu haben muß: - so lange beratschlagte er sich mit sich und seiner Frau. Letzte aber setzte ihn jetzo erstlich vor lauter Bewunderung - denn ihr Ehe-Haupt war ihr das Haupt der Christenheit und ein Christuskopf des
Wissens -, zweitens vor lauter Liebe - denn für sich und ihr Wohlsein gab sie keinen Groschen, aber für jenes und ihn alles - in noch größere Schwankungen, als er schon litt, weil sie teils gern zu Hause bleiben wollte, gegen welches er ihr seinen Mangel an einer Kranken- und Gesunden-Wärterin einwarf, teils gern mit dem Männerzuge gehen, wobei er ihr dessen mögliche Verstärkungen, deren Ende gar nicht abzusehen war, und ihre einzige weibliche und priesterliche Würde vorhielt. »Mein
Hauptanliegen dabei ist ja bloß, daß du nicht so viel nachdenkst, sondern etwas magerer wirst«, sagte sie.
Daß Frohauf nun nicht bis diese Stunde noch dort sitzt und fortfährt, abzuwägen und zu überschlagen, verdanken wir bloß seiner Diebgemeine, die in einer Nacht den gordischen Knoten durchschnitt! Es traf sich nämlich glücklicherweise für alle Parteien, daß der Spitzbubenverein im Zuchthause sich zu einem Ohnehosenbund oder -klub verknüpfte, und daß das ganze
Schelmenkonklave - nur darum so hart wie Kardinäle vermauert und so karg beköstigt, damit jeder selber sich zu einem heiligen Vater erhebe - sich eines Bessern besann und glücklich durchbrach und den Zurückzug antrat, ohne auch nur einen Mann oder die geringste Kindermörderin einzubüßen. Nicht einmal einen ehrlichen Mann hätten die Schelme zurückgelassen, wäre einer im Zuchthause dagewesen; zum Glück aber war ihr Zuchthausverwalter selber keiner, sondern hatte diese Habeas-corpus-Akte für diese
armen Inkorporierten bestätigt und war mit ihnen als Räuberhauptmann davon gegangen. Es ist noch nicht historisch ausgemittelt, ob zu dieser Aufhebung der Selberleibeigenschaft, nämlich zu diesem Stürmen der Bastille von innen heraus, nicht das damalige französische von außen hinein die Schelme hauptsächlich bewogen hat. Der Leser erinnere sich nur - was er ohne seinen größten Schaden nie vergessen kann -, daß die gegenwärtige Geschichte, die er hier aus mir als der Quelle zu schöpfen hat,
gerade im Anfang der französischen Revolution vorgefallen. Das Diebgesindel fand sich ja von seinen Obern ebenso gebunden und gedrückt wie Frankreich, ja es hielt sogar mit einigen Frankreichern (die ich aber für damalige Emigrés halte, welche sich in der gallischen Kreuzschule selber veniam exeundi gegeben) die Marmorsäge gemeinschaftlich an der Hand. Davon aber anderswo! Wichtiger ist für uns der Umstand, daß die Zuchtleute ihre kleine Bastille nicht sowohl abgebrochen als angezündet. Dies
hatte den für unsere Geschichte kaum zu berechnenden Erfolg, daß mit dem Zuchthause auch dessen Kirche in Rauch aufging und dadurch unser Süptitz weit längere Ferien überkam, als auf der Universität Coimbra gegeben werden, wo sie jährlich nur acht Monate dauern. Denn jetzo konnte er jahrelang abwarten, bis die Stadt den Schafstall und die dazu nötigen Böcke für den Seelenhirten wieder zusammenbrachte, besonders da Rom vielmehr sich tausend Glück dazu wünschte, daß die Kirchgänger die Mühen und
Kosten eines Selber-Schubs unaufgefodert übernommen. Kleinere Sünder und ehrliche Schelme aus der Stadt, die sonst auch in der Zuchthauskirche hospitiert hatten, konnten künftig in anständigeren Kirchen bekehrt und gebessert werden, in der Stadtkirche, in der Schloßkirche, in der katholischen.
Kurz der Zuchthausprediger Frohauf Süptitz wurde Hofprediger des Apothekers und nahm Ruf und Reisepaß an, was eben zu erweisen war und den Lesern frühzeitig zu erzählen ......
Wir
sind nun wieder ins Zimmer zurück, wo, wie gedacht, gesessen und gestimmt wurde. - Der Fürst hob endlich die Sitzung auf, entließ aber jeden mit solchen aufrichtig-gemeinten Anerbietungen der Fürsorge, mit solchen herzlichen Ausdrücken seiner Hoffnung, ihnen allen, und wer etwa noch sich anreihen würde, den Reiseweg durch lauter Freuden zu verkürzen, daß seine Schwester Libette ordentlich Tränen in die Augen traten über sein gutes Herz und seinen kranken Kopf und sie ganz verdrießlich die
Reisegesellschafter ansah, welchen jenes und dieser etwas eintragen sollte.
Nach der Entfernung der Mitreiser befahl Libette ihren Schwestern, aus dem Zimmer zu gehen, weil sie so gut etwas zu sagen habe als jeder; denn der vortragende Rat Worble hatte sie (er wollte mithin mehr als gewöhnlich zart erscheinen) in seinem Stimmen-Protokoll ganz ausgelassen. »Bruder,« - fing sie an - »denn eine Mutter werden wir gottlob doch haben - ich will mitreisen; höre mich aber aus.«
Jetzo stellte sie ihm - sie konnte eine Schwester Rednerin, ja eine Kanzelrednerin sein - mit sanftem Nachdruck vor, wie sie bisher am meisten für ihn gesorgt, sowohl für seine Pflege als für seine Freude, und wie sie, ob man sie gleich den wilden rauschenden Ruprecht nenne, doch ihn immer so weich auf den Händen und Fingern getragen wie ein Grasmücken-Ei - sie fragte ihn, wer wohl seine Bedürfnisse und Nöten und Süchteleien besser kenne als sie aus einem langen Beisammenleben - (»das werd ich
hart empfinden,« sagt er dazwischen, »aber stark ertragen«) - sie bat ihn, selber zu entscheiden, ob es nicht gut sei, wenn ein doch von weitem Blutverwandter sich seiner und seiner Gelder ein wenig annehme gegen blutfremdes, durstiges Hofgesindel, das einen Zapfhahn nach dem andern in ihn stechen und einbohren werde. - »Sie mögen stehlen,« sagt er, »ich mache einen Diamanten und bleibe vergnügt.« - »Und vergnügt, mein Bruder?« erwiderte sie und faltete die Hände und blickte zu ihm starr mit
solchen liebewarmen, liebefeuchten Augen hinan, daß seine selber trübe wurden und er mit beiden Händen ihre gefalteten lange umschloß, eh er sich endlich zur Frage verfügte: »ob es aber je die Delikatesse des Geschlechts erlaube, daß eine Dame als die einzige unter lauter Männern sei, gleichsam eine Blume im Forst; hier besonders sitze der Hauptknoten.« - »Wenn er nur da sitzt, so gibts noch Trost in der Welt«, versetzte sie; »ich werde dein Hofnarr, Herr Marggraf, und habe Hosen an und sage
Du zu dir, wie zu allen deinen andern Narren! Ihr nennt mich ja ohnehin immer den Tyroler Wastel.«
Eine kühne Frau errät selten ein Mann; denn ihre Mißgriffe wie ihre Griffe fahren über den Kreis der Klugheit hinaus. - Mit dieser unvorhergesehenen Kleidung und Rolle hatte sie das schon lange stehende Heer von Marggrafischen Einwendungen auf einmal zerschlagen; es flohen alle Einwendungen ihres Geschlechtes - ihrer bürgerlichen Abkunft - ihres lustigen mannhaften Poltertons - einiger
Unbildung - und des Du; und er nahm ihre Mitreise an und um so leichter an, da sogar Hofnärrinnen von fürstlichem Geblüt an großen Höfen, bemerkte er, nichts Unerhörtes seien. Nur wurde ausgemacht, daß sie einige Tage vor ihm sich aus der Apotheke verlieren und dann in Tracht eines Tyrolers sich zu ihm finden sollte, damit nicht einmal seine Freunde, geschweige ein anderer in seinem Gefolge, je errieten, wer sie wäre. Sie versprach es ihm um so leichter, da sie es den Freunden sagen und sie
um Blind- und Stummsein bitten wollte.
- - Aber welche rüstige Eile der Reiseanstalten! Marggraf wäre noch lieber aus Rom geflogen als gefahren; und einen solchen Schwangern-Ekel, eine solche Wasserscheu empfand er vor der Stadt, die ihn so lange für einen Bürgersohn, für einen Übergeschnappten, ja neuerdings für einen Spitzbuben angesehen, daß er nicht einmal die Freude kosten wollte, etwan eine oder die andere Armengasse zu beschenken. - - Ich sollte hier fast über die Erscheinung
einen Augenblick philosophieren. Wie oft kommt sie nicht vor in manchem Fürsten- und Ministerleben, diese Ortscheu! Welche Kleinigkeiten gehören nicht dazu, um eine Wagentüre mit dem Kronwappen auf immer vor einer Stadt zuzusperren oder sie gar auf so fernen Umstraßen vorüberzulenken, daß man die nächsten nach der gedachten Stadt niemal auszubessern braucht! - Und doch hat ein solcher Ort-Ekel das Eigne, daß ich oben von solchen Orthassern die Metaphern von Schwangern und Gebißnen, welche nicht
etwas Ursprünglich-Verhaßtes fliehen, ganz glücklich gebraucht und daß die Sache noch viel weiter geht. Denn ein guter Mensch wie Marggraf konnte sämtliche Romer kommen lassen und alle ziemlich lieben, nur aber den Rest der Stadt nicht ausstehen, den er im Kopfe hatte.
Nach allem, was bisher gewiß ausführlich erzählt worden, müßt ich nun gar zu wenig von Welthändeln verstehen, wenn ich nicht voraussehen wollte, daß im nächsten Kapitel der Auszug aus Rom unfehlbar
erfolgt, und daß Marggraf samt allen seinen Freunden - und Lesern, setz ich dazu - an der Grenze in neue Länder übertritt. - Ist denn nicht schon alles Kostbare bestellt und bezahlt, was im nächsten Kapitel kommen muß, weil es unentbehrlich ist, und hat Marggraf irgend etwas nicht gekauft? Ja hat nicht sogar der Schächter Hoseas sich selber eingekauft zu einem Hofjuwelier desselben und will mitreisen - für schwache Reisekosten und mäßigen Gehalt -, um nur sich dem Apotheker stets als den treuen
Diamantkäufer bereit zu halten, welcher die Funkelsteine, wie elektrische Funken, aus seinen Händen in fremde weiterleitet?