Jean Paul
Der Komet
Vierzehntes Kapitel
eingestellt: 14.7.2007
Das Zollhäuschen - Jeremiaden von Frohauf Süptitz - Kirchengütereinkauf - der Artillerist Peuk mit seiner Stockuhr - Dorf Liebenau - Bau der Mobiliar-Residenz - Liebebrief an Amanda - Allerhöchstes Klistiernehmen und -geben
Dessen erster Gang
Kleindeutschland - der Vorfrühling - das Zollhäuschen - Wetterklagen des Predigers - einiges Wetterlob des Kandidaten
Die
große Reise des Fürstapothekers sollte von der Markgrafschaft Hohengeis, dieser äußersten Spitze des Land-Runds Kleindeutschland, durch die beiden Brennpunkte desselben bis zur zweiten Spitze gehen. Leider ist nur bis zu gegenwärtiger Minute und Zeile Kleindeutschland im Gegensatze von Großdeutschland so unglaublich wenig bekannt und beschrieben, daß ein Deutscher gewiß tausendmal mehr von Großpolen und Kleinrußland weiß, indem man wirklich in so dicken Länderbeschreibungen wie
Büschings, Fabris und Gasparis sogar den Namen des Landes vergeblich sucht und folglich in guten Karten noch weniger davon antrifft. - Zu erklären ist die Sache leicht, wenn man sich erinnert, wie wir Deutsche von jeher statt eines geographischen Nosce-te-ipsum (Erkenne dich selber und dein Nest) lieber die Kenntnisse von den fremdesten und fernsten Ländern aufjagen und daher zum Beispiel die österreichischen Länder nur als Straßen kennen, die vor Italien liegen und dahin hinabführen; so wie wir
die zugänglichern Schönheiten Salzburgs liegen lassen auf der teuern Wallfahrt nach der steilen Schweiz. Das Eigne durchreisen wir nur, um das Fremde zu bereisen. - Ich darf daher keck behaupten, daß in dieser Reisegeschichte mehre Ortschaften und Länder vorkommen, wovon wir die erste erschöpfende Beschreibung und die ersten Kartenrezensionen noch heute durch die allgemeinen geographischen Ephemeriden erhalten sollen. Oder sind denn die Fürstentümer Scheerau, Flachsenfingen, Hohenfließ, so wie
die Städte Pestitz, Kuhschnappel, Flätz, Rom und so viele andere, von welchen ich (und zwar als der erste, soweit meine geringe Belesenheit reicht) einige Nachrichten als Beiträge zur Kleindeutschlands-Länderkunde geliefert, sind sie seitdem nur im geringsten näher untersucht und beschrieben worden von so vielen Reisenden und Erdbeschreibern?
Bloß das Landstädtchen Krähwinkel nehm ich aus, welches in Kleindeutschland im Fürstentum Flachsenfingen (ganz verschieden von einem
Dorfe in Norddeutschland) liegt, und wovon ich die ersten Nachrichten bei Gelegenheit einer da spielenden Geschichte gegeben. Kotzebue hatte nun die Gefälligkeit, das von mir zuerst beschriebene Städtchen mit seinen Kleinstädtern zu bevölkern und sie darin handeln zu lassen, als wären sie darin geboren. Indes hätte er - wenigstens haben die andern Namenvettern in Norddeutschland sich darüber bekanntlich im Druck beschwert - wohl irgendwo anmerken mögen, daß ich zuerst ihn in das Städtchen
gebracht; an sich zwar eine wahre Kleinigkeit, sowohl für den Kotzebueschen Nachruhm als für den meinigen; aber die kritisch-geographische Welt will doch genau wissen, wer von uns beiden Amerika zuerst aufgefunden, ob eigentlich Kolumbus oder ob Vesputius Amerikus, der zu deutsch Emmerich heißt; und ich berufe mich hier auf den Herrn Kapitän Kotzebue, der ja selber entdeckte.
Im ganzen belohnen mich meine Werke wenigstens durch die Beruhigung, daß ihnen und besonders dem
gegenwärtigen, sollten sie auch zu dünne poetische Ausbeute darreichen, doch geographische genug übrig bleibt, welche sie zur Nachwelt aus einer Jetzo-Welt hinüberbringen kann, wo unter allen Karten während der freundschaftlichen Friedenschlüsse keine durch geschickte fausse melange so sehr gemischt werden als Landkarten. Für mich wird es noch immer Schmeichelei genug bleiben, wenn ein künftiger Pomponius Mela - gleich jenem Geographen, welcher (nach Addisons Zuschauer), das Heldengedicht
Virgils aufmerksam durchgegangen, nicht um die poetischen Schönheiten, sondern um die geographischen Nachrichten von Italien darin aufzufischen - gleicher Gestalt das lange Prosa-Epos des Kometen weit mehr wegen der trocknen Notizen, die ich über Kleindeutschland mitteile, als wegen der dichterischen Schönheiten und Blumen durchstudiert und liebgewinnt, die ich in einem fort unterwegs verstreue, um der geographischen Kunststraße sozusagen das Trockne zu benehmen. - -
So
fange denn endlich die wahrhaft wichtige Reise an!
Die Reisezeit war nicht trefflicher zu wählen, denn es war Lenzanfang, folglich der 21. März; im März aber zu reisen, ist sehr köstlich, zumal wenn man vor Staub kaum sein eignes Wagenrad oder sein Stiefelpaar sehen kann. Welche ausgehellete Herzen schlugen von Marggraf Nikolaus an bis zum Kandidaten und Stößer hinab - welche beide nun vollends stilltoll waren vor Lust -; denn es fehlte an nichts, weder an Himmel noch an Erde!
Das Himmelblau sah aus wie eine junge Jahrzeit; als wär es anders gefärbt, so sehr erschien alles Älteste neu - die Tannenwälder ergrünten lustig unter ihren Schneekronen, als wär es im Winter anders - gelbe Gänseblümchen und gelbe Schmetterlinge, immer die ersten im Herauskommen, trugen neue chinesische Kaiserglanzfarben auf die bisher erdfarbige Erde auf - das welke Herbstlaub der Büsche rauschte zwischen den lebendigen jungfräulichen Knospen, aber das Rauschen war viel schöner als das
andere des noch ziemlich frischen Fall-Laubs im Herbste. Der Vorfrühling kann sich zwar nicht zu den Menschen hinstellen wie der Nachsommer und zu ihnen sagen: »Sehet, was ich auf den Armen und Zweigen habe, und ich wills euch zuwerfen«; - er braucht vielmehr selber Kleider und Früchte; aber ihr liebt ihn doch wie ein nacktes Kind, das euch anlächelt.
Der Wetter-Kandidat Richter sprach sich darüber passend gegen den Reisemarschall Worble aus, welcher neben ihm saß und fuhr. Worble
hatte nämlich, da er mit dem größten Vergnügen sah, daß wenigstens einer aus des Fürsten Gefolge den Fürsten für keinen Apotheker ansah, sich mit Richter in den leeren Zeremonienwagen gesetzt - den leeren Gaul ließ er nachreiten -, um ihn als einen weniger Kleingläubigen als Großgläubigen ganz vollzupacken mit lauter halbwahren, aus einer besondern Linkerhand-Ehe der Wahrheit mit der Lüge erzeugten Berichten von Marggrafs Jugendleben, für welche er recht leicht das ganze Gefolge als Zeuge
stellen konnte. Der Durchlauchte Herr Vater, erzählte er, habe den Fürsten absichtlich im strengsten Inkognito einem Apotheker zum Erziehen anvertraut, damit er ohne die leiblichen und geistigen Giftmischereien des Hofs zu einem gesunden gewandten Honoratior großgebildet würde. »Es ist von da aus,« fuhr er fort, »mein Freund, nur ein Katzensprung zu einem regierenden Herrn, indes von einem Bauer, zu welchem wohl manche Romanschreiber, z. B. Wieland, ihre Fürstenkinder lächerlich genug verpuppen,
ein gar zu langer Weg bis zu den Sitten und Kenntnissen eines Regenten aufläuft. Und mit wem hat ein Fürst unmittelbar ein größeres Verkehr, mit Landvolk oder mit Stadtvolk? Und doch, welche Sitten und Lagen - bitt ich Sie ernstlich - kennt er wohl dürftiger, die der Landleute, die er so oft in der Feldarbeit, in der Kirche oder auf dem Markte sehen kann, oder nicht vielmehr die versteckten Seiten der eingebauten Honoratioren, der Apotheker, der Rentamtmänner, der Spitalschreiber? - War es also
vom Fürstvater unklug gedacht, oder filzen Sie ihn auch, wie so mancher meiner Bekannten, darüber aus, daß sein Sohn sogar die Apothekerkunst und in Leipzig die akademische Laufbahn (ich versah schwaches Gouverneuramt dabei) studieren müssen, und aus welchen Gründen, bitt ich, Herr Kandidat?« - (Ich ersuche meine Leser, mir hier und sonst alle Querantworten zu schenken und solche selber zu geben.) - »Um desto erfreulicher werden Sie es demnach finden, daß der Fürst sich endlich auf die Reise zu
seinem so lange ungesehenen Herrn Vater macht, obwohl in einem starken Inkognito - denn er nennt weder seinen noch den väterlichen Namen bestimmt -, und daß gerade Ihr Wetter so paßt.«
»Wahrlich beim Himmel,« versetzte Richter, »ist es nicht ein neuer Reiz der Jahrzeit mehr, daß die Vögel noch sichtbar, ohne Laubgehänge, auf den nackten Zweigen voll Knospen unverdeckt sitzen? Und nun vollends die Lustflüge der neugewordnen Vögel, die uns aus den fernen Ländern die alten Gesänge, die
für unsere Gärten gehören, wiederbringen; - und doch ist auch wieder der Gedanke schön, daß sie dieselben Töne, die sie jetzo auf nackten Ästen singen, vielleicht vor wenig Wochen in Asien auf immer grünen Gipfeln angeschlagen. Und hört man nicht in neuen Tönen alle vergangnen tausend Frühlinge auf einmal?«
»Sehr himmlisch scheint das Wetter,« - versetzte Worble -, »und daher speisen Durchlaucht im Freien, droben neben dem Zollhäuschen auf der Anhöhe. Abends übernachten wir schon in
einem Dorfe, wo alles sogar noch viel wärmer und der Frühling mehr herausgekommen. Auch ich erblicke gern die alten Sänger auf den Bäumen; aber weniger gefallen mir von den Schreiern die vorjährigen Nester-Betten ohne Vorhänge; jene Krähennester dort droben möcht ich sämtlich heruntergabeln.« -
Die Gesellschaft kam nun vor dem Zollhäuschen an. Der Zolleinnehmer, ein dickes Männlein, war mit einem entzückten Gesichte unter sein Haustürchen gesprungen, ohne die geringste Not - denn er
hätte bloß zum Fenster heraussehen und in der Stube den Schlagbaum aufziehen können -; und er faßte einen kostbaren Zug ins Auge, der ihm so viele Gulden zu zollen hatte, daß ihm selber davon fast ein halber zufiel, nach dem Zollgesetz. Um so weniger wußte er, was er aus der Sache machen sollte, als er sah, daß ein Teil des Gefolgs unter dem Schlagbaum fortfuhr, der andere aber diesseits desselben abstieg und Lager schlug. Denn in seinem Kopfe waren an die Gehirnkammerbretter nur zwei
ausländische Wörter geschrieben: Invalid (das war er) und Defraudanten (das waren andere). Endlich hört er den Reisemarschall überall herumsagen, daß der Fürst hier, unmittelbar nach dem déjeuner im Wirtshause, ein kurzes Lager aufschlagen wolle, um sein déjeuner dinatoire (Nikolausen gefielen solche französische Sprach-Kokarden oder dieses Wort-Rauschgold der Großen ausnehmend) zu nehmen, und da merkte der Einnehmer, man würde ihn nicht sowohl betrügen als beehren. Marggraf würdigte vom Wagen
herab nicht nur das Haus eines Blicks in die Fenster, welches bloß ein einziges mit Ziegel gedecktes Stübchen war, sondern auch den Soldaten einiger Fragen über sein Privatleben. »Höchst Dero Durchlauchten,« sagte der Mann, »es geht etwas knapp; doch läßt sichs leben. Jeden Sonnabend bringt mir meine Frau das Essen auf die ganze Woche, und ich brauche nichts. Jeden Sonnabend trägt sie auch den Zoll in die Stadt auf die Kammer, weil ich nicht aus dem Chaussee-Hause darf. Wäre nur das elementische
Defraudieren nicht: so wollt ich mich jährlich auf 25 bis 27 Gulden rheinisch schätzen, denn ich erhebe von jedem Chaussee-Gulden 2 Pfennige als mein, und ich könnte leben wie ein Prinz, da alle meine Kinder brav spinnen und krempeln. Aber das heilige Donnerwetter schlage doch in alle Defraudanten, die ich unten im Tale mir vor der Nase kann vorbeifahren sehen! Ich kann ja nicht nachlaufen und auspfänden, weil sonst währenddessen rechtschaffene Passagiers mir oben gratis den Zoll verfahren.«
Hier verfügte sich Nikolaus selber vom Wagen ins Stübchen oder Häuschen und besah, was er darin antraf, den Hangtisch mit einem Stuhl, ein Schränkchen mit einer gedruckten Zollzettelbank und dem nötigen Dintenfaß und einem großen Wasserkrug neben ein paar Tellern. Sogleich gab er dem Reisemarschall, der durch das Zollfenster hineinsah, einen Wink zum Eintreten und darauf einen Doppelsouverain mit dem zweiten Wink, den Souverain dem Einnehmer zu zollen. Große Fürsten geben und
nehmen freilich gern mit fremden Händen; denn sonst hätte Nikolaus alles näher und kürzer gehabt. -
Der Soldat wies sogleich den Souverain zurück und schwur, in der ganzen herrschaftlichen Kasse hab er jetzo nicht Silber zum Wechseln genug. Worble aber gab statt aller Antwort die Zollgebühren besonders. Der Einnehmer zählte zwar letzte genau durch, aber während des Zählens sagte er: »Zu viel ist zu viel! Meine Frau und meine Kinder fallen in Ohnmacht darüber. Die sollten beim Element
da sein und meinen alleruntertänigsten Dank vor Ihrer fürstlichen Gnaden abstatten!« Er beniesete die Sache, nämlich seinen Dank, weil ihm die Freudentränen in die Nase gekommen waren.
Es ist aber ganz natürlich: Gold war zu viel und zu bedeutend für das Auge eines Mannes, der denselben Wert nur in viele Silberstücke zerschlagen vorbekam, und welchen stets mehre klingende Münzen bezahlten, die nun von einer einzigen stummen vornehm repräsentiert werden; - ein Goldstück ist eine goldne
feste Sonne, um welche die Silberplaneten laufen, die erst zusammengenommen eine ausmachen - es ist Patengeld, eine Residenzmünze, eine Summa Summarum für alle kleine Einnehmer und Ausgeber.
Daher nennen Fürsten nie Gulden, Kreuzer, Heller nach ihren Namen, Louis, Fréderic, Napoléon, sondern nur Goldstücke. So wars auch fürstlich von Nikolaus gedacht, daß er mit vieler Mühe eine Tasche voll Gold in Rom einwechselte, um, gleich andern Fürsten, die gern leicht tragen, nichts anders bei
sich zu haben als das an sich schwerere Gold. Ein Fürst kann von der Paradewiege aufs Paradebett gelegt werden, ohne je einen Kreuzer in der Tasche gehabt zu haben; eine Fürstin vollends hat nicht einmal einen Kronentaler je getragen; denn sie hat gar nichts bei sich, nicht einmal die Tasche. Es würde indes dem liebenden Herzen einer Fürstin gut zuschlagen, wenn sie, um dasselbe auf der Stelle zu befriedigen, ohne von ihren Kammerherrn zu borgen - denn ihre Hofdamen haben auch keinen Heller -,
etwa eine Tabatière voll Goldstaub oder einen Rosenkranz von Samenperlen bei sich führte, damit sie einem zerlumpten Bettler mit durchlöcherten Taschen, der um eine Gabe winselt, eine kleine Prise oder kleine Perle geben könnte.
Jetzo wurde zur Tafel des Frühstücks gegangen, oder vielmehr zu den Tafeln; die platte Erde, ein paar Schenkel, ein breiter Stein, ein Kutschkasten, ein Teller, ein Handteller, alles war Tafel, nicht bloß der Hangtisch des Zollhäuslers. Denn an diesem und auf dem Stuhl daneben setzte sich der Fürst vor den ersten Schinken und ersten Wein, der je auf diese Tafel gekommen, und lud freundlich den Kandidaten ein, sich ebenfalls an den Tisch zu stellen, ohne
alle Umstände; denn er sei eben froh, sagte der Fürstapotheker, daß er unterwegs von allen lästigen Ketten seines Standes ganz entbunden sei. Die andern Gelehrten aber, Worble und Süptitz, und der Stallmaler mußten am Pfeifertische, nämlich auf der Ofenbank sitzen, mit ihren bloßen Handtellern in der Hand. Ich schreibe diese Auszeichnung des Kandidaten hauptsächlich der ungeheuchelten warmen Einfalt zu, in welcher er am marggrafischen Fürstenhut allen Filz für echtes böhmisches Hasenhaar und für
gut gebeizt und gewalkt ansah, so daß er unter allen künftigen Landeskindern des Apothekers eigentlich das erste Kind war, das ihm mit Überzeugung huldigte; denn die am Pfeifertisch seßhaften Gelehrten hatten (wenigstens bis vor kurzem) den Fürsten selber als eines gekannt und waren hierin überhaupt unzuverlässig und nicht ohne Umtriebe. Daher hatte ihm das außerordentlich gefallen, was Richter vor einigen Minuten, sympathetisch die Süßigkeit des Wohltuns in fremden Herzen nachschmeckend, ganz
berauscht ausgerufen: »O, es gibt für einen Fürsten keine lehrreichere grande tour als die durch die Hütten der Armut! Ein Großherr weiß nicht einmal, wo einen Kleinherrn, z. B. die Landrichter, der Schuh drückt, wenn er nicht selber der Schuh ist, geschweige einen Untertanen, wo es der Landrichter tut. Um den Mangel recht zu lindern, muß man ihn ordentlich selber nachempfinden.« - Was Marggraf gern bejahete, der genug davon in der Apotheke vorempfunden, wo oft nichts zu beißen war als
Fieberrinde, oder zu kochen als Klistierkräuter.
Der Zollhäusler war nach dem Kandidaten die zweite Macht, welche unbedingt den Apotheker als Fürsten anerkannte, aber freilich unter der Gewährleistung des Doppelsouverain leichter den einfachen Souverain als legitim annehmen konnte. Seine Soldatenfreude über die Fürstenehre seines Hangtisches und über den Abhub der herrschaftlichen Überbleibsel und sein Jammer über die gänzliche Unwissenheit seiner Frau in dieser Sache übergossen den
Fürsten mit solcher Lust, daß er sogleich dem Rezeptuarius, dem Inhaber der Dreckapotheke, nach der Zoll-Stadt zu reiten befahl, um der Zolleinnehmerin die frohe Nachricht, ja das Goldstück selber zu überbringen. Letztes jedoch war dem Einnehmer nicht abzuringen, und er suchte sein Mißtrauen gegen seine Frau und den Boten in die verliebteste Anhänglichkeit an den Doppelsouverain zu verlarven. Nichts bestach den wohlmeinenden Nikolaus mehr als das Dastehen eines unsäglichen in sich vergnügten
Wesens - und die bloße Abschickung des Eilboten führte schon in seinen Kopf die Einnehmerin herein, wie sie die Hände zusammenschlug und die Augen überschwemmte vor bloßer klarer Freude- und die lebhafte Frau konnt er in seinen Gehirnkammern mitführen bis ins Nachtquartier, wo ihm der Schnellreiter nachkommen mußte und alles frisch und breit vormalen: denn eigentlich bloß dieser Vormalerei wegen hatt er ihn abreiten lassen.
»Wir bekommen höchst wahrscheinlich, Herr Einnehmer,« sagte
Nikolaus in seinem Frohsinn - »heute einen herrlichen Tag und überhaupt einen schönen Frühling zur Reise, versteh ich mich anders aufs Wetter etwas.«
Der Zollhäusler unterschrieb schreiend die Weissagung und unterstützte sie mit den unleidlichen Schmerzen seiner alten Schußwunde im Knorren, und der Wetterkandidat Richter versicherte, dasselbe hab er schon am Morgen gesagt, und Herr Reisemarschall erinnere sichs noch. Etwas unerwartet erhob sich hier der Hof- und Zuchthausprediger
Frohauf Süptitz an seinem Pfeifertische (Pfeiferbänkchen eigentlich) und widersprach allem, ohne jene geistigen Parfüms von Schmeichelgerüchen, womit man sich sonst dem andern an Höfen annähert oder entzieht, indem er mit wahrem Unwillen über das deutsche Wetter anfing: vom deutschen Mai wolle er ohnehin nicht reden; dieser Wonnemonat habe mit Recht bei den Katholiken den Jeremias an der Spitze, dessen Fest sie da an dem ersten begehen; aber auch nur einen einigermaßen aushaltbaren Frühling hab
er nie erblicken können, weder am Himmel noch auf dem Erdboden - sei es oben etwas hell, so sei es unten kalt oder windig, gewöhnlich aber sei Naß und Kot die Regel. - Erschienen einige Blüten, die von weitem an einen Lenz erinnern möchten, so erfrören sie entweder, oder unter Regengüssen blühe der weißrote Garten voll Kot ab - und in den Nächten falle ohnehin einiger Reif oder Wonnemonatfrost. Ein trefflicher inländischer Lenz sei etwas, das man noch erwarte, und ein pium desiderium
Deutschlands. »Ach was!« (stieg er begeistert höher) »o! nur einen einzigen klassischen Preistag hienieden, der, zu gewöhnlichen 24 Stunden gerechnet, weder morgens noch abends zu kühl, noch mittags zu schwül, oder ohne störendes Gewölke oder Gewebe wäre! Aber wo ist er? frag ich schon so lang, als ich lebe und reflektiere. Über den Grund dieser und ähnlicher Mühseligkeiten hab ich allerdings mein eignes neues System.«
Hierauf versetzte der Kandidat mit einigem von Wein angesprützten
vergrößerten Feuer, aber jedoch ohne nur von weitem gegen die Würde eines Hofpredigers zu verstoßen: »Vielleicht gibt es auf der andern Seite gar keinen ganz elenden Tag, sondern höchstens einen, der nach einem zu schönen kommt. Immer hat man doch manche majestätisch-ziehende oder majestätisch-gebauete Wolken - oder abends und morgens etwas Rot - einen und den andern Stern - vielleicht gar ein langes Stück Blau - und damit kann man schon haushalten, bis nach diesem Hausbrot wahres Himmel- und
Götterbrot heruntergegeben wird. Und ebenso möcht ich, schwören, es sei kaum denklich, daß es eine ganz elende, erbärmliche, nichtsnutzige Gegend gebe. Den Himmel an sich schon - und also gerade das Herrlichste, die Hauskrone und Strahlenkrone jedes Erdenklumpens - hat jedes, auch das kleinste und sumpfigste Loch von Gegend so gut als eine weite Ebene; denn das Loch hat notwendig Berge um sich; und auf diese steigt man dann und sieht sich um; und von Sternen will ich gar nicht reden, die überall
hinschimmern, wohin nicht einmal die Sonne blicken darf. Blasen Sie mich, ich erlaub es gern, Herr Hofprediger, in irgendeine sandige platte Mark: der Frühling soll mir dort nicht entlaufen oder im Sandmeer ersaufen; etwas Grünes, dabei mit etwas Blütenweiß besprenkelt, wird es doch dort geben, etwa z. B. einen Schlehenbusch: an den Busch halt ich mich, und irgendein Zugvogel, der gar darin nistet, besingt mir den Lenz. Irgendein frischfarbiges, ja buntes Blümchen müßt ich in jedem Falle finden,
und ich würd es abreißen und lange ansehen und dabei fragen: ›Sollte man unter so dickem harten Schnee ein so feines zartes Schneeglöckchen erwarten?‹ - Und wär es nun gar ein Veilchen mit seinem neuen Duft und ein Südlüftchen dabei, und der Himmel zeigte auch etwas von der Farbe des Blümchens: so würd ich wissen, wie es einem Menschen im Frühling zumute ist. Wollten Sie mich aber noch weiter versprengen, wie ich fast vermute, etwa in die Lüneburger Heide: so tun Sie, fürcht ich,
sich selber den meisten Schaden; denn ich bekäme dort vielleicht ein gar zu gutes und zu üppiges Leben; nicht etwa, weil ich eines auf der Heide mit den Bienen und Schafen führte - obwohl auch dies reich genug ausfiele -, sondern weil dort mitten auf der Eben, nach jeder Poststation ein Haus anzutreffen wäre, ein Wirt- und Posthaus mit mehr als einem Baume und mit dem ganzen Sanggevögel dazu, indem die Tiere aus Mangel an Bäumen sich natürlich meilenweit umher auf die wenigen sammeln um das
Posthaus. Allerdings steht die Gegend um Hof im Voigtlande, wo ich wohne, weit über der Lüneburger Heide, durch ihre vorbeifließende Saale, ihre nahen Tannenwälder und fernen Berge, und ich habe himmlisch genug da gelebt in der dortigen Natur. Freilich würden Durchlaucht in Berneck, dem Vorhofe und Vorhimmel des Baireuther Himmels, mehr vom letzten finden. Im ganzen ist auch jeder mit seinem Lande zufrieden, sei es noch so schlecht, aber selten mit seiner Witterung, sei sie
noch so schön und dies bloß weil jenes nicht sich, aber ihn ändert, diese hingegen aber immer sich, und nicht ihn; und wenn vollends diesem Menschen willkürlich einfällt zu verreisen, so soll es dem Himmel auf der Stelle ebenso willkürlich einfallen, sich zu erhellen. Ich für meine Person sehe sogleich jedes etwa mir verdrießliche Wetter für ein recht erwünschtes an, das sich eben einer oder der andere für seine Wirtschaft glücklicherweise gerade bestellt hatte, z. B. ein Landmann mit
hochliegenden Sandäckern oder ein Fischer für seinen Aalfang. Leider hecken die meisten sich zu ihren Lust- und Rheinfahrten die Rheinschnacken selber aus; ich aber kehr es um und zapfe mir, wenn bloß die Schnacken da sind, aber der Rhein nicht, irgendein Paradiesflüßchen dazu an, und wär es schmal wie ein Krebsloch; und ich bin vielleicht in diesem Sinne für einen halben Wasserkünstler der Freude zu nehmen.«
Unter dem ganzen Redefluß - darum wurd er immer länger - hatte der Fürst
starr vorblickend immer in sich hineingenickt, weil es das herrlichste Wasser auf alle seine Mühlen war. Hingegen des Hofpredigers Denk- und Lehrgebäude wurde ganz vom Wasser untergraben. Dieser hielt deswegen mit dem Käuen inne und machte den Mund auf und sagte laut: »Aber Herr Kandidat !« - und gleich darauf leise: »O Brot, Herr Worble, Brot!« Aber letzter hatte seines aufgezehrt - und der Hofprediger hatte das ganze Maul voll Schinkenfett und kein Brot dazu. Ich trag es absichtlich zur
Warnung vieler philosophischer Mitbrüder recht ausführlich vor, daß der scharfe Nachdenker Süptitz mitten in seinen Kriegzurüstungen - da er zugleich außen dem Kandidaten, und innen sich selber zuhören mußte - einen fingerlangen Schnitt Schinkenfett in den Mund geschoben hatte, ohne im Feuer des Redens nicht sowohl als des Denkens dem Specke das nötige Brot nachzuschicken, mit welchem, als der Widerlage, man jede Fettigkeit unterbauen muß, obgleich sie selber wieder als Wickelgegengift zu dienen
hat. So saß aber Frohauf da, mit seiner Rachenhöhle als Speckkammer und ohne eine Brosame als Gegenpol - und wußte nichts zu machen, am wenigsten eine Widerlegung, und sein bester Freund konnt ihm nicht raten, was das Kürzeste und Unschicklichste gewesen wäre, geradezu das Fett herauszuspucken vor dem ganzen Hofe. So litt er, bis endlich Brot ankam und er es ordentlich (er käuete die nötige Zeit hindurch still vor allen) mit dem Schinken gehörig bis zum Verschlucken durchgewirkt hatte.
Nun fing er mit Gelassenheit, aber mit Nachdruck sich zu beklagen an: tausend ähnliche Unfälle und Zufälle wie der erbärmliche, der ihn im Antworten gestört, träfen ihn täglich und wären sein tägliches Brot, und er habe ein System darüber, dessen er schon gedacht - z. B. wenn er, wie vorgestern, der Reise wegen nach der Wetterfahne schaue, so könn er wetten, daß sie ihm so mit der Schneide entgegenstarre, daß das schärfste Auge nicht herausfände, wehe sie von Süden oder von Norden. - Und woll
er in der Nacht darauf von den ausschlagenden Glocken für sein Leben gern erfahren, ob sie 11 oder 12 Uhr aussprechen, so sei er schon daran gewöhnt, daß, wenn er ihrer wegen von Dreiviertel an gewartet, die drei Stadtuhren in Rom, welche sonst kleine Stundenzahlen in billigen Pausen hintereinander ausschlagen, bei großen ordentlich an- und ineinandergeraten und sich wie toll ins Wort fallen. - Auch brauch er z. B. nur lebengefährliche Arzeneien mit schärfstem Aufmerken in den Löffel
einzutröpfeln, so müss er gewiß nachher alles ausschütten, weil eben unter dem Tröpfeln irgendein Unglückvogel anklopfe und er natürlich mitten unter dem Abzählen rufe. herein! Daher mach er, mit Fehlschlagungen aller Art so vertraut, desto weniger aus kleinlichen an sich, wie ihm denn schon einmal begegnet in Verhältnissen, daß er, wo höflichste Eile und ruhigste Ankleidung unerlaßbar waren, unter dem Zuknöpfen einer Bratenweste unten einen Knopf oder ein Loch übersprungen, so daß er, wenn
nicht der eine Westenflügel unbändig am Halse vorstechen sollte, alles mit den Fingerspitzen (es waren zum Unglück die feinsten Löcher und Knöpfe) wieder einzureißen und einzufädeln hatte, wovon die nächste Folge gewesen daß er bei dem Konsistorialrate eingetreten, als er schon bei Tafel saß.
Worble - welcher sah, wie der Zuchthausprediger den Fürstapotheker ebensosehr einzunehmen gedachte, als es dem Kandidaten gelungen, und wie er gerade die entgegengesetzte Stimmung erzeugte -
Worble munterte ihn zur Fortsetzung auf und sagte, mit demselben Konsistorialherrn sei ihm schon am nämlichen Morgen Unglück begegnet. Es sei wahr genug, versetzte Frohauf, und der Vorgesetzte sei gerade zum Besuche in seine Stube getreten, als unter dem Lesen eben sein rechtes Bein tief eingeschlafen gewesen; er habe nun mit dem Schleppbein, das tot am Schenkel gehangen, nicht nur einen elenden Scharrfuß zu machen, sondern auch neben dem flinken weltmännischen Konsistorialis mit dem
versteinerten Fußgestell - vergeblich wurden damit heimliche Fußstöße in die Luft zum Blutumtreiben getan - auf- und abzuwandeln gehabt; aber natürlicherweise sei der Gang mit einem dicken Säulenfuß ungemein plump und schiebend ausgefallen. - - Nur springe mit ihm leider der Böse auch in wichtgern Angelegenheiten arg um! Er solle nur - fuhr er fort - einmal im Freien im Gartenhause eines Beichtkindes so recht genießen und durchschmecken wollen, sich deshalb etwa gar ein dahin einschlagendes
Predigtthema von den Entzückungen der Natur auserwählen: so habe natürlicherweise unter seinem ganzen Genießen und Darstellen der schönen Natur ein eingesperrter Hund in der Nähe geheult, oder ein geprügeltes Kind in der Nähe geschrien, oder war nichts anderes da, so habe eine Kuh nach ihrem entführten Kalbe, aber in langen Pausen gebrüllt, welche Pausen gerade das erbärmlichste gewesen, weil man während derselben immer auf das frische Brüllen aufsehe.
Am gottlosesten freilich, wiss
er wohl, werde mit ihm hausgehalten, falls er etwan, um einer wichtigen Predigt, einer Neujahr-, Buß-, Erntepredigt, möglichste Vollendung zu geben, gleichsam einer Peterskirche die Kuppel aufzusetzen, dazu sich einen besondern Tag aussteche: Stein und Bein könn er voraus schwören, daß an einem solchen Tage des sogenannten Kuppelaufsetzens nun alles anklopfen und eintreten werde, was nur von Störern und Störenfrieden und Kirchnern und Zuchthausvorstehern und von Kauflustigen nach Taufscheinen
und Trauscheinen und tausend Scheinen in der Welt vorhanden sei, so daß seine so sehr gewollte Predigtkuppel unter den ewigen Einstörungen sich durchaus, um bei der Allegorie zu bleiben, zu eine lächerlichen Dachstube oder Wetterfahne zuspitze, oder zu einem Sargdeckel ausspreize.
Nun kam Frohauf in seiner Rede endlich auf den Zielpunkt und sagte: »Was ich einigemal in meiner langen Tatsachen-Darstellung versprochen, könnt ich kurz geben, eh wir auf brächen, nämlich die Theorie oder
Hypothese, die alle diese ewigen Fehlschlagungen erklärt, und welche sich auf den Teufel stützt.«
- Da war es dem freude- und reisedurstigen Marggraf, der so auf einmal von Richters Himmelfahrt in Frohaufs Höllenfahrt einbeugen sollte, nicht mehr möglich, den Ausbau des düstern Lehrgebäudes abzuwarten: »Unterwegs, Herr Zuchthausprediger,« sagte er, »oder im Nachtquartier; ich kann nicht früh genug im Zauberdörfchen Liebenau eintreffen, wenigstens ein paar Stunden vor
Sonnenuntergange, um da zeitig genug zu dinieren.« Seltsam! so wurde denn der so sehr denkende Süptitz zum zweiten Male bei der Ausschiffung seines Lehrgebäudes angehalten.
Des 14ten Kapitels zweiter Gang
Der schönste Ortname - bewegliche Kirchengüter - Gefecht zwischen Stech- und Schießgewehr - Rückkehr des Eilreiters - Liebenau
»O Liebenau!« - versetzte der Kandidat sehr frei, der einiges vom Weine und vom fürstlichen Beifall im Kopf hatte - »Ja Liebenau - ein solcher Name weiset hier auf die Morgenseite des Herzens - Nichts hör ich so gern als
Städte und Dörfer mit dem Liebenamen kopuliert. So gibt es noch sechs andere Liebenaue in Deutschland, ordentliche Sechsstädte - ferner ein ansehnliches und arzneiliches Liebenstein in Meiningen - und ein Liebenthal in Schlesien im Hirschberger Kreis - und gar ein Liebenzell voll Löffelschmiede im Württembergischen - und sehr artig klingt ein Lieberose in Meißen, wo Sandsteinbrüche sind, aber gewiß keine Ehebrüche - nur das Städtchen Lieblos in
der Grafschaft Ober-Isenburg klingt nicht gut, doch werden da viel Wollstrümpfe gewoben.«
Marggraf fand das Wetter - und sich dazu - reich an Frühlingen; vorzüglich jenes ganz so, wie es der Kandidat vorausgesehen; und es war dem jungen Menschen ein solcher Königschuß von prophetischem Probeschuß und Meisterstück gar wohl zu gönnen. In Nikolausens Herzen webte die Entzückung des Zöllners süßzitternd fort, zu welcher ihm der Eilbote für Abend gute Beiträge von der Zöllnerin versprach.
Ein Dank verfolgt das Herz lange auf der Reise und unter einem heitern Himmel; und glücklich ist, wer gerade durch das Himmelblau eine Wohltat oder durch diese das Blau sich verschönern kann. -
Nach einer Stunde begegnete dem Zuge ein Leiterwagen, worauf einige Juden und Viehhändler eine Kanzel, einen Beichtstuhl, einen Taufengel und andere Kirchenstücke führten, die sie bei dem Zerschlagen und Versteigern einer katholischen Kapelle erstanden hatten. Marggraf ließ halten und stieg
aus, um vielleicht einige Bestandteile zu seiner Reise-Kapelle zu erhandeln. Der Handel wurde bald durch den Reisemarschall Worble über eine niedliche, sogar mit einer Sanduhr versehene Kanzel geschlossen, nachdem er zu ihrer Besichtigung den Hofprediger hinzugerufen, falls sie ihm zu enge sein möchte. Sie aber war dem dicken Prediger wie auf den Leib gemacht. Die Begierde, womit Nikolaus sie zu erstehen suchte, bewies wahre Freundlichkeit und Nachsicht für den Hofprediger, der überall das
kirchliche wie das gemeine Leben nach den feinsten Mikrometern abmaß und also zum Mark einer geistlichen Rede den hölzernen Knochen einer Kanzel verlangte, oder das halbe Holz-Rund für die halbe Eierschale oder auch Hirnschale der geistigen Geburt ansah. Ob aber nicht auch heimlich bei einem so gutmütigen Menschen wie Marggraf die Erinnerung an Süptitzens unterbrochenes Opferfest seiner vorzutragenden Theorie zum Kanzelkaufe mitwirkte, möcht ich fast zu überlegen geben. Auch wurde noch der
Taufengel den Juden abgekauft, da er so schön geschnitzt und angestrichen war und nicht sehr ins Gewicht fiel. Denn die schweren Artikel, wie Beichtstuhl und Altar, ließ man ihnen, um den Packwagen nicht zu überladen. Noch wußte niemand, wem der Taufengel dienen und die Hände und Arme bieten sollte, wenn nicht etwa den mitreisenden Juden selber unter ihrem Abfallen und Bekehren; indes der Engel war doch leicht und schön, und unter solcher Bedingung sind wohl sonst lebendigere Engel auf Reisen
mitgenommen worden.
Während des Engel-Einkaufs sah Nikolaus zwei Wagen mit Kronwappen vorüberfahren, worin auf dem Rücksitze mehre Damen ansässig waren. Da sie, wie er, denselben Weg nach der Residenz Lukas-Stadt einschlugen, so sagte er zum Reisemarschall: »Ich merke wohl, daß Prinzessinnen darin müssen gesessen sein - sonst wären die Damen nicht rückwärts gefahren -; aber mir ist es gar nicht wahrscheinlich, daß hohe Bekannte meiner Amanda mit im Wagen gewesen; sie hätten sonst auf
eine oder die andere Art, da mein Auszug aus Rom allgemein bekannt ist, zu verstehen gegeben, daß sie mich kennten.« - »Ganz gewiß«, versetzte Worble, »wurden Sie nicht gekannt; aber auffallend bleibt es, daß die Fürstinnen mit uns gerade derselben Residenzstadt und an demselben Tage zurollen.«
Als der Zug vor einem prächtigen einsamen Gasthofe auf einem Hügel ankam, wurde auf Worbles Rat schon wieder gehalten und ein kleines diner à la fourchette oder Gabelmittagmahl eingenommen,
damit die Leute bis zum Messermittagessen (abends in Liebenau) leichter ausdauerten. Mir ist als Geschichtschreiber dieser bloße Gabeltisch nicht unbedeutend, weil hier Worble ein wahres Wunder der Tapferkeit verrichtete, und zwar mit nichts als mit einem Blaserohr. Es saß nämlich ein gewisser Artillerieoffizier von Peuk mit unter andern Gästen im Freien und ließ einige Gläser blaue Milch aufgehen. Vornehme schämen sich nicht, wenig zu verzehren und zu bezahlen. Höchst gleichgültig und lächelnd
und ohne, wie andere Gäste, den Hut nicht eher als auf Bitten des Fürstapothekers wieder aufzusetzen - denn er hatte seinen kaum gedreht - sah Peuk das ganze marggräfische Gefolge und die Invaliden und Pferde und Wagen an und machte, ungeachtet das Gefolge von dem Gastwirte, wie ein Fruchtgarten von der Pomona, mit vollen Tellern und Gläsern aller Art behangen wurde, kalt ein vornehmes Gesicht, als halt er den ganzen Hof für lustiges Zigeuner- oder sonstiges verrücktes Gesindel.
Der
Reisemarschall erfuhr es geradezu vom redlichen Wirte, der sich sehr wenig aus dem Offizier machte, weil er ihn lange als einen versteinerten Geizhals kannte, der, wie er sagte, bei ihm in einem Jahre nicht für einen halben Gulden reinen Gewinn aufgehen lasse, und den er daher bloß für andere Gäste seines Erzählens und Prahlens halber, auch um einen Gast mehr aufzuzeigen, und weil der reiche Schabhals bloß von seinen Zinsen lebe, gern und ungern sitzen sehe. »Der Filz fodert auf mein
christliches Wort«, sagte der Wirt, »an Schalttagen seine besondern Interessen ein und gibt nicht nach, und ich weiß noch andere Züge, Ihro Gnaden.«
Über Geizige glaub ich leicht alles Unglaubliche; den poetischen Überladungen der komischen Dichter selber kommen sie mit ihren prosaischen nach, ja zuvor. Am stärksten gilt dies, wenn die Zinsseele nicht von Arbeiten, sondern von Zinsen lebt. Der Zinsen-Pfründner muß das Kapital als die unantastbare Bruthenne der Zinsen unaufhörlich
mästen, damit sie mehr Eier lege; sie selber könnte ebensogut sicher und ungerupft auf dem Monde sitzen und legen, wenn sie nur die Zinseneier herunterfallen ließe. Merkt aber vollends der Zinsen-Kostgänger einmal voraus, er könne am Ende sich schon mit den Zinsen von Zinsen behelfen, so hat er sich dann zum letzten Male in seinem Leben satt gegessen, desto mehr aber am Genusse der Zeit gewonnen, welche ihm durch ihre Flucht gerade so viel zurückläßt, als sie andern entführt; und jeden Abend
kann er zu sich sagen: Gottlob! wieder einen Tag erlebt, der sich verzinste, und der wie ein Apelles seinen Strich oder wie ein Titus sein Gutes für mich getan.
Worble, von jeher ein Widersacher aller Sparsamkeit und auch kein Liebhaber des Militärs, dem er fast Nichtstun und Wenigwissen schuldgab und unzeitige Tapferkeit im Gegensatze seiner eignen, ihm weit nützlichern, mußte in solcher Gemütstimmung noch vollends dem Großsprechen des Soldaten die Ohren darbieten; Ausbrüche waren
unvermeidlich. Peuk zog eine goldene winzige Repetieruhr vor und ließ sie schlagen, indem er bemerkte, daß er sie einem tapfern Generale, den er gefangen, abgezwungen. Niemand gab sonderlich darauf acht als Marggrafs Leute, welchen er die Sage noch nicht, wie den andern, schon zum tausendsten Male vorgetragen. Als ein Beweisstück seines Mutes stellte er seinen Stachelstock auf, mit welchem allein, sagte er, ohne ein anderes Gewehr als einen kleinen Stock-Degen, der darin stecke, er durch den
nahen verschrienen Wald sich wage; »Gott aber sei den Kerlen gnädig, die mir darin aufstoßen und mir verdächtig vorkommen«, setzte er hinzu und sah fast grimmig die unerschrocknen Mienen von Worble an.
Dieser versetzte endlich, er tret ihm ganz bei, denn er wisse aus eigner Erfahrung, was ein Mensch in der Tapferkeit vermöge; er habe ja in der kurzstämmigen Gestalt, wie er dastehe, und in bloßen Zivilkleidern und eigenhändig mehr als einen Militär braun und blau
geschlagen, zwei unharmonierende Farben, welche freilich niemand gern trage, wegen ihrer so schreienden Geschmackwidrigkeit; aber er schlage um so lieber und ohne Gewissensbisse ein Schulterblatt unter der Epaulette oder einen gestickten Ellbogen in einem Monturärmel entzwei, da diese Knochen-Glieder sich nach neuern Erfahrungen noch eher wiederherstellen als die verletzte Ehre selber.
Der Offizier würdigte ihn keiner Erwiderung, da ihn so etwas gar nicht anging, sondern bloß eines
gleichgültigen Blicks und machte sich kaltsinnig, aber zum stärkeren Beweise seiner gedachten Kühnheit, reisefertig zum Gang in den Spitzbubenwald. Er ging, um abzurechnen, hinein zum Wirt, und ließ den Hut da, nahm aber den Stock mit, und Worble sah in einem Winkel zu, wie er den hohlen dicken Stockknopf abschraubte und die Repetieruhr wie eine Kugel fest hineinlud; der Knopf sollte etwas Sicherstellenderes von Festung oder Königstein für die Uhr, die er vorher sein Tedeum klingeln lassen, im
rekognoszierenden Walde abgeben, als die bloße Hosentasche konnte. Der aufrichtige Wirt hatte schon vor der rednerischen Uhr-Ausstellung dem Marschalle die Aufbewahrung und das Transportschiff eines solchen Kunstschatzes verraten.
Von Peuk kam wieder und zog aus Verachtung ohne Grüßen ab. Seinen Stachelstock - wie der Bienenstachel nur die Scheide des eigentlichen Stechgewehrs - trug er waagrecht; und wie Löwen und Katzen ihre feinen Krallen unter dem Gehen zurückschlagen und schonen,
so stach er aus gleichen Gründen den Stock nicht ein. Da begab sich Worble zu dem Fürstapotheker, dem überall nichts weher tat als eine Unhöflichkeit, mit einem leisen Schwur in dessen Ohr hinein, er wolle eine Woche lang Fischschuppen käuen und Fischgallenblasen dazu trinken, wenn er nicht den Artilleristen samt seinem Stocke, sobald solcher nur den Hügel hinab sei, vor aller Augen mit dem Blaserohre des Gastwirtjungen in die Flucht und in den Wald jage, und er bitte um nichts als zwei Minuten
Geduld. »Ja, ja, das tu ich«, sagte er lauter vor vielen.
Die Sache schien in der Tat unglaublich, und von der Stockuhr oder dem Uhrstock hatt er noch dazu aus Gründen kein Wort hervorgebracht:
Er rückte nun dem Artilleristen nach, mit keinem andern Artilleriepark bewaffnet als mit einem Blaserohr - die Tasche war das Kugelzeughaus -, und schoß in einiger Nähe ein paar naßkalte Kugeln wie zum Salutieren Peuken auf den Rücken. Der Artillerist drehte sich wild um und fragte
sehr ernst den Marschall, ob er ihn nicht vor sich gesehen unter dem Blasen. Worble aber hatte ihm schon wieder eine zweite schmutzige Kugel auf die Weste gesetzt, bevor er nur zur Antwort geben konnte, er schieße zu seinem Vergnügen gewöhnlich gerade und nie quer, und wer sich getroffen fühle, wie etwa von einer Satire, der müsse eben einen andern Weg einschlagen; er seines Orts blase fort.
»So will ich Euch Mores lehren, Ihr impertinenter Fürstenhund«, schrie Peuk, der Ehre und
Weste zugleich befleckt sah, und hob wütig den Stockdegen in die Höhe, teils zur Kriegdemonstration, als woll er den innern Degen abschrauben und herausreißen, teils um unter diesem maskierten Angriffe geschickt vor allen Dingen den Kron- und Schlagschatz des Stockknopfs, die Repetieruhr, zu flüchten und einzustecken. Aber dazu, zur Anlegung seines Brückenkopfes, nämlich zur Abnehmung seines Stockknopfes, ließ ihm Worble keine Minute Zeit, sondern drang schreiend mit
erhobenem Blaserohr, gleichsam mit dem Bajonett des vorigen Schießgewehrs, auf den Stock ein, und nun war dem Artilleristen die traurige Wahl ohne die geringste Bedenkzeit vorgelegt, ob er entweder mit dem Stachelstock das Rohr, das schon geschwungen wurde, ausparieren und legieren sollte, und ob er folglich mit einem einzigen Schlag an seinen Stock, den beständigen geistigen Elektrizitätträger, gleichsam durch einen Uhrschlag an seine Schlaguhr, diese vermittelst der Erschütterung auf immer
zerrüttet sehen wollte; -
oder ob er - war die andere Wahlseite - lieber zur Schande greifen und vor dem Kerl, den er in seinem Leben nie gesehen, geradezu waldeinwärts rennen sollte.
Von Peuk griff zur Schande. - Unter fünf oder acht der tapfersten und fürchterlichsten Flüche - sie sollten seinen Schwanengesang vorstellen, wie der Reisemarschall seinen Todes-Engel - warf er sich in den nahen Wald und rettete so mit wenigen Sprüngen das Köstlichste, was er nur hatte, die
Uhr.
Der Marschall setzte ihm so lange nach, als es Ehre und Zorn nur geboten, und rief ihm noch zu: er habe ja nichts zu fürchten als ein elendes Blaserohr; kam aber bald darauf mit Lorbeeren bedeckt aus dem Walde zurück.
Mitten unter dem Amtjubiläum einer Tapferkeit, die er in der Schlacht bei Rom so gut wie nicht gezeigt, bekam er, der Jubilar und Großwürdeträger, dieselbe harte Nuß aufzubeißen, die ich selber schon am Eingange dieser Beschreibung öffnen mußte.
Nichts ist nämlich verdrießlicher und erhält einen Mann länger in Schwanken, als wenn er gern mit zwei Vorzügen oder Siegen auf einmal stolz tun möchte, von welchen er, da jeder den andern aufhebt, durchaus nur den einen oder den andern nehmen darf. »Recht fatal!« sagte Worble zu sich. »Erzähl ich dem Gefolge meine Wissenschaft um den Repetieruhrfries und -karnies und mache mit meiner Verschlagenheit Figur: so ragt meine Tapferkeit nicht vor; setz ich diese ins Licht. so lass ich meine
Feinheit im Dunkeln; eins ist aber so verflucht wie das andere.«
Wie gesagt, ich selber hatte anfangs als bloßer Geschichtschreiber die ähnliche Frage aufzulösen, ob ich nämlich den Lesern (diese stellen hier das Gefolge vor) im Anfange des Schlacht-Bulletin den Umstand mit dem Stock-Knopf als Uhrgehäuse klug verdecken sollte - ich hätte dadurch die Erwartungen gespannt -, oder ob ich ihnen aufrichtig den Umstand vorberichten und dadurch den Artilleristen komischer machen wollte. Die
Welt weiß freilich schon seit Seiten, daß ich hier, wie immer, ganz redlich und ohne List geschrieben und alles herausgesagt.
Der Wunsch aber, widerstrebende (kontradiktorische) Kronen des Glanzes zugleich aufzuhaben, quält manchen von uns erbärmlich und macht, daß er sein eigner Gegenkaiser wird. Der Dichter z. B. möchte gern als einer erscheinen, der in der Begeisterung alles vergißt, und zugleich als einer, der in ihr nichts übersieht. - Ein Paar blaue Augen sähen zugleich herzlich
gern wie ein Paar schwarze aus, und eine Blonde wie eine Brünette. - Eine Residenzfrau erschiene mit Vergnügen als geistiger Hermaphrodit, zugleich zum Bewundern weiblich-weich und männerkräftig. - Und überhaupt wer wäre nicht gern ein paar tausend Menschen auf einmal, wenigstens ein paar hundert! - Aber die Juden verbieten schon, zwei Freudentage an einem Tage zu feiern, z. B. einen Sabbat und einen Hochzeittag; ja die Italiener verbieten in ihren Opern unmittelbare Aufeinanderfolge
zweier pathetischen Arien hintereinander, ordentlich als wären es zwei Oktaven; und so muß denn häufig jeder von uns seinen Glanz ziemlich einschränken.
Etwas half sich jedoch der Reisemarschall durch ein Zwielicht entre chien et loup. Zuerst ließ er das Gefolge, das selber eigenäugig seinen kühnen Fechterstreichen zugeschaut, sich ganz auswundern über den Mut; dann aber, da doch die frühere Bewunderung seiner Keckheit (wußt er) sich nicht ganz verflüchtigen konnte, ohne einigen
festen glänzenden Bodensatz niederzuschlagen, deckte er offen - die Sache mit dem Uhrgehäuse auf, für deren Ausspüren er immer auch einige Lorbeerreiser für sein Kopfhaar erwarten konnte. Er verbarg es dem Hofe und dem Fürsten gar nicht, daß er überhaupt etwas keck gehandelt, da der Artillerist, dessen Mut er so absichtlich hinaufgeschraubt, doch mit der Uhr im Degenknopf hätte einhauen können, oder anstatt desselben im Walde einen Knittel erwischen und damit auftreten. - »Inzwischen wenn auch,«
schloß er, »ich dürfte dann wohl dem Narren, der uns alle vom schäbigsten Kerl an bis zu Ihrer Durchlaucht hinauf ordentlich verlachte, doppelt gezahlt haben, in der einen Hand mit meinem Blasrohr, in der andern mit seinem Stachelstock, und er hätte auf seiner Reise an Ihren Reisemarschall denken sollen, Sire!« -
Wichtig genug bleibt übrigens das ganze Gefecht, schon wegen der Lehre, die ich daraus abziehe für hohe Häupter und noch tiefere Köpfe; denn sie heißt: macht nie den Knopf
oder das Kapitell eures Waffenstocks oder Waffenstabs zur Zitadelle oder Burg euerer Repetieruhr, wollt ihr euch anders nicht erbärmlich schlagen lassen vom bloßen Blasewind, ohne nur einen Stoß oder Stich getan zu haben; ebensogut und so sicher könntet ihr eine wichtige Handelstadt in eine wichtige Grenzfestung stecken. - -
Nach diesem ersten Siege, der unter Marggrafs Regierung vom tapfern Marschall erfochten worden, kam mit den Nachrichten eines schönern eigenhändigen schon der
Rezeptuarius nachgetrabt, der sich längst vom hohen Sattel auf den stillen Wagensitz herabgesehnt. Nikolaus ging ihm stracks entgegen und fragte mit den freundlichsten Linien um den Mund den Reiter, ob der dürftigen Frau die unerwartete Gabe recht gewesen, was sie gesagt und gemacht. »Das alte Stück dachte,« sagte der Rezeptuar, »ich wolle sie Schulden halber kuranzen und festnehmen, und stieß vor Schrecken das Spinnrad um.« - »Die wird aber«, sagte Stoß, »Freudensprünge getan haben, mon dieu.«
- »Wer leugnets?« versetzte der Reiter, der alles lieber machte als viel Worte, und aus dessen Phlegmablock irgendeine historische Gestalt nur Schlag nach Schlag konnte hervorgemeißelt werden; und der Stößer mußte ihm immer die Entzückungen der Soldatenfrau im Brennspiegel seiner eignen entgegenhalten, bevor der Rezeptuar versetzte: »Wer leugnets?«
Für Marggraf gab es keinen feinern Nachgeschmack einer Wohltat als ein recht ausführliches Verhör der Empfänger über ihre Empfindungen und
über ihre Beschlüsse und Hoffnungen dabei, nur ein so reicher Reisetag ließ ihn die Ein- und Dreisilbigkeit des Reiters aushalten, bis endlich dieser die Weitläuftigkeit selber wurde und berichtete: »Das unvernünftige Weibs-Präparat setzte sich in der Lustigkeit gar mir auf den Sattel, bloß damit sie den goldnen Batzen bälder sähe bei ihrem Manne; ich wäre ja sonst viel früher gekommen.«
Der wöchentliche Gastwirt des Gastes Peuk sah nun auf allen Seiten, was wahre Gäste sind und wahre
Landesherren, und er sagte dem Reisemarschall dreist ins Ohr: könnt er seinen Gasthof mit aufpacken, er führe, bei Gott! mit und aus dem Hungerleiderland hinaus; - und dann sollte es schon gehen. Damit es aber früher ginge, ließ er sich in seiner Wirtsrechnung von einem reisenden Landesherrn selber alle Steuern eines Untertanen zahlen, Kopfsteuer - Servicesteuer - Erbsteuer - Schuldensteuer - Prinzessinsteuer - Pferdesteuer - Juden- und Türken- und Nachsteuer - und viele Gelder, wie Tafelgeld,
Fenstergeld, Abzuggeld, samt den Pfennigen, wie Mahlpfennig, Schreibepfennig und Peterspfennig, so daß die ganze marggräfliche Konsumtion etwa ein Zehntel der Konsumtionsteuer betrug.
So von allen Ecken und Herzen bereichert und gefüllt, brach denn Nikolaus honigschwer nach Liebenau auf, um abends zeitig genug das Mittagmahl einzunehmen, zumal da er geringen Hunger hatte, das Gefolge aber starken. Wie voll Lust sah er in seine weite Reisewelt! Der Klang Liebenau war ein Nach- oder
Vorhall Amandas; und sie schickte ihm das Dörfchen ordentlich entgegen. Endlich erschien es von weitem am Ende einer schönen hellblumigen Ebene hinter Obstbäumen versteckt, wie ein Mädchen hinter Gartenstaketen. Aus der Nähe aber lief ein Schäfer mit einer Schalmeie an die Landstraße heran und blies ihm ein schönes Stückchen vor; denn er wollte ganz schweigend und pfeifend ein Almosen haben. Wie viel eingreifender ist diese süddeutsche harmonische Feldbettelei als die gewöhnliche katholische mit
einer ton- und sinnlosen Gebetklapperjagd nach einem Hellerstück! Und wie rührend kommen aus dem Mund, der sonst nur Seufzer gewöhnt ist, dem Freudigen bloß Töne der Freude entgegen und sprechen die bittende Armut hoffend aus! - Die Karlsbader Türmer und die Stadtvorpfeifer des Neujahrs und die Derwische mit ihrem Horne zum Betteln stell ich weit unter den schalmeienden Schafhirten. - Marggraf warf eine Handvoll weißes Geld hinaus für das Ständchen, das man seiner Amanda und seinen Träumen
gebracht, und ließ auf der Stelle Schritt vor Schritt fahren, weil er überall auf der Ebene weitsichtige Schäfer von den Herden mit Pfeifen an die Landstraße springen sah, um daran Reisenden ihr flüchtiges Konzert zu geben und bar mit klingender Münze ihr Almosen zu bezahlen. Sie kamen und bliesen sämtlich ordentlich an. Sogar oben an einer Krümme der Straße nach Liebenau hinein hatten voraus mehre von diesen Kuhreigern sich fest gestellt, um die Herren nicht sowohl mit letzten jüngsten
Tags-Posaunen, sondern mit ersten des Lenzanfanges zu empfangen, und Nikolaus sagte in einem fort: »Echter Frühlings-Anfang heute!«
Das Dorf Liebenau deckte sich vor ihm auf, wenn es eines war, und nicht vielmehr ein Dörfchen; und schöner konnt er nicht einziehen als unter dem Glockengeläute der Schafe und unter dem Anblasen sämtlicher Schafhirten, welche, von den weißen Geldstücken berauscht, alle ihre weißen Schafe vor der Zeit ein- und ihm nachtrieben, welche letzte artig genug
eine Herde weißgekleideter, auf zwei Füße gestellter Empfangmädchen eines Fürsten nachspiegelten.
Des Kapitels dritter Gang
Ortbeschreibung des Örtchens- die Portativ-Residenzstadt Nikolopolis - der Liebebrief
- Und da stand nun Liebenau da, das holde, und alle Welt war darin! Aber ihr glaubt doch nicht etwa, daß es ein belgisches, nettes, buntes, breites Dorf ist? - Kein Haus stand an dem andern, sondern bloß ein Gärtlein an dem andern; in jedem solchen stand erst das Haus, und jeder
Baum wurde von dem andern (besonders im Sommer) abgesondert durch Blätter und Früchte. Zwei volle majestätische Lindenbäume regierten als Thronen das Dorf; der eine, ein breit- und langastiger und lasttragender, stand, vom Maienbaum nicht weit, mit einer kurzen Treppe da, welche an seinem Stamme zu einer an ihm herumgeführten Tanzgalerie hinaufführte; der andere Lindenbaum an der Kirche war mit Bänken umzingelt, damit die Kirchgänger auf den Pfarrer leichter sitzend warteten. Die Turmglocke
schlug bei der allgemeinen Ein- und Auffahrt vier Viertel und fünf Uhr; aber auch sogar die metallkalte Aussprecherin der wärmsten Menschenstunden zählte sie in Liebenau dem wegeilenden Leben mit mütterlicher Stimme zu; denn es gibt Glocken, welche uns gleichsam die ganze Vergangenheit vorläuten und nachsummen, dergleichen eine der Verf. in Nürnberg im Abendgeläute, wie eines ganzen Mittelalters wehmütige Bewegung, hören konnte.
Auf dem Pfarrhause standen schon zwei weiße
Heimkehr-Störche und sahen über das Dorf hin. Und in der Gartenhecke des Schulmeisters sang gar eine Grasmücke, und draußen schweiften weiße Tauben als malerische Farbentinten über dem Saatengrün herüber, und die etwas vertiefte Sonne loderte auf ihrem Hügel noch ganz warm durch die halb vergoldeten Silberstämme eines Birkenwäldchens und färbte jede Wange und jeden Hügel rot. »O! ein echter Frühlings-Anfang«, sagte schon wieder der Fürst; aber es ist ihm jede Entzückung über einen ganzen
schönen, noch von einem Abende verschönerten Tag zu vergeben, wenn man sich den armen, bisher im bangen Rom und in einer Apotheke zu einer trocknen Mumie gewürzten und umschnürten und eingewindelten Apotheker vorstellt, der nun das Freie vor sich hat und Länder an Länder und Zepter und einen Vater samt Braut!
Inzwischen sollte doch dem reichen Dorfe (als hätte Süptitz wieder recht) etwas fehlen - und zwar gerade das, was im All das Wohlfeilste (wie in Paris das Teuerste) ist, und was
jede Sonne auch mit ihren größten Wandelsternen so überflüssig vorfindet, daß noch millionenmal mehr davon übrigbleibt, als sie braucht - nämlich der Raum. Ich spreche vom Platz im Wirtshause.
Zum Unglück, wie es schien, war mitten im Dorfe gar eine Stadt einquartiert, bestehend aus zwölf Ochsen, vier Juden, drei Wagen und einem Pastetenteig zu einer artigen Stadt, sobald er gehörig unter dem Nudelholz gewalzet wurde und dann zusammengeklebt und gewölbt und sein gehöriges
Füllsel von Einwohnern bekam. Es ist eine schon bekannte Sache, daß in Moskau, in London, in Philadelphia ganze hölzerne Häuser, d. h. Bretter dazu, unaufgebaut auf dem Markte feilgehalten werden, mit welchen man z. B. in Philadelphia von einer Gasse in die andere ziehen und da ansässig werden kann, was einer oder der andere ein Hausieren der Häuser nennen würde. Hat ein Mann die rechten Bauleute zu solchen reisenden Passagierstuben: in wenigen Stunden tritt er in seine passive oder in seine
häusliche Niederlassung und guckt hinaus.
Etwas Ähnliches, aber hundertmal Schöneres führten die vier Juden auf ihren Leiterwagen, deren jeder ein Treibhaus von feinen Häusern war. Sie hatten nämlich einem jungen Fürsten, der bei dem Antritte seiner Regierung sich gern mausern, hären und häuten und alles Väterliche bis auf jede Eierschale und jeden Kokon von elterlichen Tapeten und Zimmern abstreifen wollte, die ganze Lust-Einsiedelei oder hermitage seines Vaters, welche Einsiedelei
für die Menge seiner Hofleute zu recht vielen Häusern eingerichtet war, wie gewöhnlich um halbes Geld abgekauft und die Häuserchen nebst dem Lustpark geschickt zerschlagen. Sie fuhren nun das artige Hoflager samt einem Zimmermeister zum schnellen Einfugen und Aufbauen, falls etwa ein Bau- und Kauflustiger auf der Stelle eine Probe von Haus zu sehen begehrte, lange Zeit zu Markte herum, aber ohne den geringsten Absatz und zu ihrem wahren Schaden. Denn überall begegneten ihrer Wanderstadt selber
Wanderthronen und Wanderfürsten und auswandernde Untertanen; und dabei mußten sie ihr zartes Städtchen unter dem groben Stadttore teuer bezahlen.
Das war keine Sache für die guten Juden.
Ihrem Herzen war, als würde jeden Tag Jerusalem wieder zerstört, und sie hatten Tempelzerstörung-Feier.
Da begegneten sie ihrem Messias, der die heilige Stadt aufbauete. Mit einem verständlichen Worte: der edle Marggraf kaufte ihnen das ganze Städtchen ab, zwar nicht
wie in alten Zeiten um Pfund Heller, sondern um Pfund Gulden; gab den Juden aber nicht einen Pfennig mehr, als sie verlangten. Dabei bekam er noch den Zimmermeister zum Kaufe darein, den er unterwegs schon zu einem künftigen Untertanen vernützen konnte.
Jetzo entstand in Nikolaus der wahrhaft fürstliche Gedanke, sogleich den Antritt seiner Regierung und Reise mit der Anlegung einer Stadt zu bezeichnen. Er gab mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit dem Gefolge wider Erwarten Befehle zum
augenblicklichen Aufbau wenigstens eines Stadtviertels oder -achtels. »Wenn man nur vor oder sogleich nach Sonnenuntergang«, sagte er, »die Residenz und einige Dienerhäuser fertig bringt: so ists für heute schon genug und recht viel, meine lieben Leute.« - Es mußte sogleich zum Werke gegriffen und ein Teil der Einsiedeleien abgepackt werden. Nur der Reisemarschall fand keinen rechten Geschmack an der unerwarteten Bauerei, weil er nach dem Reisetage so gern recht bequem im holden luftigen und
duftigen Liebenau ruhen und kreuzen wollte nach schönen Gesichtern und vorher eine frühe Abendtafel vor sich sehen. In der Tat, eine kurze Ungnade hätt er heute der ganzen Baubegnadigung zu einem Dienerhause vorgezogen.
»Eh ich aber den Grundstein lege zu einer Stadt,« sagte Nikolaus zu einigen Gelehrten beim Gefolge, »muß ich in mir über den Namen, den ich ihr schenken will, einig werden, besonders da es meine erste ist und ich den Ort unterwegs überall mitbringe.«
»Niklas
ruhe, Ihre Durchlaucht, sollt ich fast vorschlagen, so etwan wie es Karlsruh und ähnliche gibt«, antwortete der nicht sehr aufgeräumte Worble. - »Mein Name ist Nikolaus oder auf griechisch Nikolo, deshalb ist Nikolopolis oder abgekürzt Nikolopel wohl der bestimmteste Name für meine Stadt«, versetzte der Fürst, mit erlaubter Freude über seinen Sprachschatz. Der Zuchthausprediger fuhr wieder zwischen seine Lust und bemerkte: Nikolo sei völlig welsch, Nikolaus hingegen sei griechisch; als
der ehrliche Kandidat Richter nachfügte: wie man ja beide und mehre Namen so gut einer Taufstadt wie einem Taufkinde geben könne, was Byzanz und Konstantinopel und Stambul nicht sowohl bezeugen als bezeugt. Der treuherzige Mensch - man gewinnt ihn je länger je lieber - hatte vor lauter Hinneigung zu seinem Nikolaus Marggraf so wenig wie dieser selber - und dies ist das rechte Liebhaben - nur von weitem daran denken können, ob Worble nicht mit Niklasruh auf das gleichnamige
Kinder-Schlafpulver, noch dazu auch Markgrafen-Pulver genannt, abzuzielen gemeint. Und ich frage: ist denn das Zielen auch so ausgemacht? -
Der Fürst entschied aber für den Namen Nikolopolis und sagte: Polis ist griechisch genug.
- Er legte nun eigenhändig den Grundstein zu Nikolopolis, oder vielmehr zu seinem Residenzschloß, ja noch bestimmter zur Residenzstube, und nahm natürlicherweise zum Stein ein Brett. Christen und Juden luden ab, stellten auf, fügten ein
und rundeten zu, so daß unter der Leitung des Zimmer- und Baumeisters die neue Residenzstadt Nikolopolis in wenig Stunden fertig dastand, natürlich anfangs nur die Hauptsache davon, nämlich die Residenz nebst vier Dienerhäusern für die vier Herren vom Hofe; so wie auch für die Menschenseele sich im Mutterleib ihr Sitz oder der Kopf zuerst ausbaut samt den vier Herzkammern. Künftig, bei mehr Muße und bei längerem Bleiben an einem andern Orte konnten alle Wagen und die ganze Stadt abgeladen und
aufgebaut werden, mit allen ihren Stadtrechten, Stadttoren und Stadtwappen und, wenn es nötig, sogar mit einem Judensackgäßchen, aus einer Stifts-Hütte bestehend.
Wie überhaupt alles groß bei unserem Fürstapotheker anhob und der Grundstein zu seinem künftigen Reich nicht wie bei dem Kapitolium durch einen gemeinen Stein, terminus genannt, sich legte, sondern durch einen echten Diamanten Regent: so war es natürlich und erfreulich, daß es so fortging auf der Reise, und daß bei ihm und
seinen Städten sogleich mit Residenzen und Dienerhäusern angefangen wurde, indes ganz Venedig mit einigen Fischerhütten, Petersburg nur mit einer einzigen in die Welt eintrat, und Moskau gar aus der Eierschale eines hölzernen Hauses auskroch, wo der Czar Dolgorukoj eine Liebschaft hatte.
Welch einen ganz andern Anblick gewährt ein solches neues Nikolopolis, das jeder schon bewohnt, ich meine, welchen ganz andern Anblick gegen jene gemalten bloßen Dorf-Façaden Potemkins, an denen
alles blind war, nicht bloß Fenster, sondern auch Mauer, und auf welche doch (nach Kotzebue) der Feldherr die große Katharina auf ihrer Reise durch Taurien von der Landstraße herab aus der Ferne sehen ließ! Bei Katharina war alles nur Schein, hier bloß Wahrheit!
Das Residenzzimmer des Fürsten war nach der Vollendung geräumig genug, daß es den Fürsten und den Tisch und die vier Herren vom Hof, Richter, Worble, Süptitz und Renovanz, die darin speisen sollten - ihre Dienerhäuser wurden
während der Tafel gar ausgebaut -, gut fassen konnte. Über dem Speisen äußerte der Fürst: »Ich glaube, ich so wie das Publikum kann mit meinem ersten Tage und mit dem, was ich da vollführt, zufrieden sein. Mein neues Nikolopolis mag von andern Städten zwar leicht an Größe übertroffen werden, aber an nettem Glanz und Geschmack wohl schwerlich, und doch wird es mir ganz anders damit gelingen, wenn ich vollends das nächstemal mehr Zeit gewinne und die Residenz völlig ausbaue; denn Anstalten,
Baumaterialien, Baurisse und alle Vorarbeiten dazu sind schon vollendet.« Er meinte damit das, was von der Stadt noch waagrecht auf den Wagen geladen war. Er hätte gern ein Lob aus den vier Hofherren herausgequetscht, aber niemand als der Marschall fiel ein: »Ich erinnere mich hier mit Vergnügen, wie Sie einmal in Leipzig, wo ich die Gnade hatte, Ihr Gouverneur zu sein, gegen mich im Theater geäußert, daß Sie sich unbeschreiblich in die hohen Paläste hineinsehnten, welche damals eine lang
aufwärts steigende Straße hinaufstanden, die sehr gut vom Theatermaler gemacht und gehalten war. Durchlaucht wollten mit der Phantasie ordentlich die Einwohner darin besuchen und mit ihnen aus den gemalten Fenstern sehen. Auch mir kam ähnliche Lust an. Aber ist dergleichen nicht mehr als erfüllt durch die herrlichen nikolopolitanischen Zimmer der Hermitage, worin man in der Tat und Wahrheit ja eben ist und ißt?«
»Und doch«, versetzte Nikolaus, »fang ich nur gleichsam mit einem
hölzernen Rom an - ich meine nicht das holzige kleine in Hohengeis, sondern das große in Italien -, aber ich endige, geliebts Gott, mit einem marmornen, wie jener bekannte Römer. - Jedoch glauben Sie mir, meine werten Freunde, ich achte all dieses Leblose und vielleicht Glänzende, was ich heute zustande gebracht, unendlich gering gegen das größte Doppel-Glück, das ein Fürst nur erobern kann, nämlich gleich Friedrich dem Großen einige Menschen mehr in den Staat gezogen, wie ich heute den
Bau-Direktor, und, da bei mir alle Religionen freie Übungen haben sollen, auch ein paar Juden zum Weiterreisen gewonnen zu haben. Auch hab ich wohl schon unterwegs an meinem ersten Reisetag nicht wie Titus einen Tag verloren, indem ich daraus einen frohen für manche Dürftige gemacht ...... Ach sehen Sie doch, bei Gott! die allgemeine Freude draußen, wie alles zu den Fenstern hereinschauet, beinah das halbe Dorf, und wie drüben in der Laube alles tanzt und jubelt; denn Bier hab ich sowohl meinen
Leuten als den Liebenauern hinlänglich reichen lassen.«
Und da er jetzo gegen die Fenster grüßte und ihn vielleicht die Hereinschauer vernommen hatten: so erscholl ein weites Lebehoch von den Fenstergläsern an bis zum fernsten Biergläschen in Liebenau hinab. Nun hob der Fürstapotheker die Tafel auf und machte eine schwache Verbeugung gegen die Herren, zum Zeichen abzugehen.
Wie gern hätt ihm aber der Kandidat die Hand zur guten Nacht gedrückt, wäre nicht der Abstand des
Standes zu breit gewesen.
Aber wie würde der Kandidat sich erst diesen Abend noch in ihn hineingeliebt haben, wenn er gewußt hätte, was Nikolaus sofort nach dem Abgange der Herren getan! Denn ihm würde, wie ich ihn kenne, der wohlwollende, obgleich überflatternde Fürst, der wie der Vogel Strauß an seinen Flügeln selber wieder Stacheln trug, um sich zum Fluge zu spornen, ein Mann zum Herzandrücken dadurch geworden sein, daß er so spät abends das menschenfreundlichste Herz mit allen
Irrtümern noch gegen ein ungekanntes wandte und das Tempelchen seiner Amanda aufmachte, um die lang entbehrte Geliebte wieder zu sehen und unter ihren Augen das folgende Briefchen an sie zu schreiben:
Wie hold und fest du mich wieder anblickst, Amanda! mit den stillen blauen Augen, still wie das Himmelblau! - Siehe, endlich bin ich auf der heiligen Wallfahrt zu dir, und das Herz, das dich von Jugend auf fromm in sich getragen, wird dir endlich nahe gebracht. Bin ich doch
tausendmal seliger als hundert meinesgleichen, welche die Diplomatie verheiratet und welche von der aufgezwungenen Prinzessin nichts vorher zu Gesicht bekommen als ein flaches Porträt, das noch dazu mit Farben lügt; denn ich habe täglich deine volle treue Wachsgestalt um mich, und an ihr ist lauter Wahrheit, und alle ihre Schönheiten hast du selber; ja sogar die neuen unerwarteten, womit seitdem die Zeit dich wie eine Blume überhüllte. - Noch duften die Orangeblüten, die du für mich fallen
lassen, mir den alten, nie welken Lenz einer Viertelstunde zurück, und obgleich von deiner Harmonikastimme nur wenige Worte aus dem Parke in mein Herz eingeflogen, singen doch diese Nachtigallen in meinem Innersten unaufhörlich, und deine Stimme versteckt sich als eine Echo überall in alle Ruinen meines Lebens und ruft mir, ach so lieb! O du Stimme! - Könnt ich dir nur, Amanda, aussprechen, wie oft ich mir unser künftiges Zusammenfinden vorgemalt, und zwar jedesmal ein schöneres. Aber
wahrscheinlich würdest du mich nicht sogleich wiedererkennen, da an dem jungen entzückten Gesichte, das du im Parke bei einem einzigen Begegnen in dein Auge aufgenommen, das Leben gar so manches durchstrichen hat, oder doch entfärbt. - Aber gewiß werd ich mich wieder in meine Vorjugend zurückleben, und da, wo jetzo weiße Rosen stehen, werden rote auch wieder aufbrechen - und, Amanda, du wirst mich glühen sehen.
Da meine Reise gleich am ersten Tage so anfing, daß ich fast jede Stunde
um die andere einige Menschen beglücken oder doch erfreuen konnte: so werd ich schon so herrlich alle Tage in Freuden leben, daß ich wieder ein verjüngter Jüngling werde und die Wunden, ja die Narben aus Rom verliere. - Wie würdest du heute froh sein unter den Frohgemachten rings um dich her! - Bis jetzo pflückt ich vom Throne nur die Freuden ab; o! wenn es dir leider auf dem deinigen anders ginge, wie möcht ich fliegen, um dir über den kleinsten Schmerz, womit dich die Krone wund drückt,
weichen Verband zu legen. - Wie füll ich mir die Brust mit den Frühlingslüften, welche um dich geflattert haben, und die nun mich umschließen! Glaube mir, ich gehe einen langen Weg zu dir, und die Sehnsucht dehnet jede Stunde aus, aber ich werde doch nicht müde auf ihm, da der Reisewagen vielleicht manche rohe Anhängsel von mir abrüttelt, oder da (darf ich eine sehr schmeichelhafte Wendung meines Reisemarschalls gebrauchen) das Wagenrad gleichsam das Schleifrad werden kann, welches dem Diamanten
sonst die Glanz-Facette einschneidet. - Ach, auf meine Flecken und dunkle Stellen dreh ich zu leicht und schmerzend mein Auge; doch ein Lichtpunkt blinkt wie Diamantfeuer an mir, die Liebe zu dir.
Hätt ich nur eine Seele, in die ich ganz frei Liebe und Seufzer für dich warm und heiß hinüberhauchen dürfte, und für welche die warmzitternde Brust und das tränenzitternde Auge eines Mannes ein recht ernster und erquicklicher Anblick wäre! - Allein dieses Glück fällt überhaupt den
Männern weniger zu als den Frauen, von welchen keine weiß, wie das stumme Einkerkern der Liebe drückt und schmerzt, indem jede eine zarte Freundin findet, vor welcher sie mit ihren feurigsten Geständnissen nicht lächerlich erscheint; der Mann hingegen schämet sich fast seines Herzens vor dem Mann. - Leider könnt ich aus Rom, aus der Pflanzstadt meines Gefolges, keinen Glücklichen um mich bekommen, mit welchem ich unaufhörlich von dir und mir sprechen könnte. Überhaupt decken die Römer dort dicht
das Herz mit Brustknochen zu und mit allen Westen und Rockklappen; und ich verdenk es daher denen, die ich mitgenommen, nicht im geringsten, wenn ich mich noch nicht vor sie, die mich bisher in meinen Bewegungen mehr als Mann denn als Jüngling zu sehen gewohnt, mit dem ganzen begeisterten Schlagen und Glühen einer Jugendbrust stellen darf.
Sie sind doch gut, die Guten!
Auch wird mir schon der Alliebende auf der langen Reise irgendeinen recht herrlichen Menschen
entgegenführen, der die Liebe selber ist, und dem ich alles sagen kann in lauter Strömen, so daß er am Ende fast so warm zu lieben weiß, als wär er ich selber.
Wie herrlich ist es, daß ich dir nicht nur schon heute (und am Frühlinganfang), sondern auch zuerst aus meiner Stadt Nikolopolis schreibe, die ich vor wenigen Stunden erbauen ließ, was deren Anfang oder Mitte anbelangt.
Vor der nächsten Stadt soll schon mehr von der meinigen fertig gebracht werden; der Grundstein
oder vielmehr ein schönes Brett ist doch gelegt.
Sollte wohl der heutige Wagen mit hohen Damen mir vorfahren und zu dir gehen? Ich hoffe aber wirklich zu viel. Und doch wie unerwartet schön fügt sich nicht alles, daß ich meine erste Stadt, gerade wie meinen ersten Brief, bei Liebenau mache! - Die so rührende Liebenauer Glocke schlägt eben meinen ersten Lenztag aus, und die erste Morgenminute des zweiten schimmert schön an den hellen Sternen.
Nikolopolis bei Liebenau.
Des Frühlings Anfang.
Dein
Nikolaus
Hierauf faltete er den englischen, von aufgepreßten Herzen und Blumen geränderten Briefbogen richtig zusammen, schob ihn in einen schon geleimten himmelblauen Umschlag hinein und setzte Siegel und Überschrift darauf ...... Ich seh ihn noch sitzen, aber wahrlich ich nehme Anteil an ihm, nämlich an seinem Lieben. Macht ihr Leser doch nicht zu meinem
Erstaunen einen sogar gewaltigen Unterschied, daß er das stumme kühle Wachs vor sich hat, und kein organisches warmes Körperbild, als ob an sich dieses geistiger wäre, oder das geliebte Ich in diesem anderswo angeschaut würde als im liebenden! Warum dankt ihr nicht lieber Gott jedesmal, wenn ein Mensch nur etwas zu lieben bekommt, werd er auch nicht auf der Stelle wieder geliebt, oder niemal? In eigner Liebe wohnt schon die fremde; und Nikolaus kann auf den wächsernen Flügeln eines Bildes hoch
genug seiner warmen Sonne zufliegen; ihre Strahlen werden ihn vorher lange durchwärmen, bevor sie etwas von seinen Federn abschmelzen. - Hätte damals der Kandidat Richter um alles gewußt, wie später: er würde die wächserne Amanda weit über die hölzerne Charlotte jenes französischen Marquis gehoben haben. Der Marquis ließ nämlich von seiner verstorbnen Braut aus dem kostbarsten Holze ein bewegliches Nachbild verfertigen - kleidete es jedes Vierteljahr nach der Mode - versah es sogar mit einem
Nachtkleide - mit Essen ohnehin - und mit zwei Aufwärterinnen - ließ es bald Gold zupfen, bald Bücher lesen - am Sterbetage der wirklichen Charlotte ließ er es weiß verschleiern, und an seinem eignen, nach 19 Jahren, solches in Totenkleidern zu sich in die Gruft der wahren Braut begraben. Aber wie anders und schöner lebt es sich mit der Gestalt einer künftigen Braut als mit dem Widerschein einer verstorbenen! Uns sollte dabei höchstens dieses wundern, daß dem Bräutigam nicht geradezu das
täuschende Abbild unter seinen Blicken im Schreiben und Lieben lebendig geworden, da uns die Lebensähnlichkeit im Wachse schon an gleichgültigen Bildern bis zum Schrecken anschaut; und wahrlich, Nikolaus hätte sich ein Pygmalions-Schicksal gemacht, wenn er dem Urbilde nicht eben zugereiset wäre und Amandas fernes Bild nicht unter dem Schreiben sich in ihm mehr beseelt hätte als das nahe bei ihm.
Und so hatte er nun nach so vielen Rüsttagen eines Jugendlebens endlich seinen ersten
Festtag erlebt und gefeiert; wie aber gings denn mit den andern Personen? -
Vierter Gang
Abend des Kandidaten - ferner des Hofpredigers - endlich des Reisemarschalls - und allerhöchstes Klistiernehmen und -geben
Der Kandidat ging in seine Hofwohnung, in das niedliche, nicht von Engeln, aber von Juden gebrachte Lorettohäuschen, und kam da vor Freude außer sich, ohne daß jemand
wußte warum, ausgenommen er selber. Es war schon lange ein Lieblingtraum von ihm gewesen, überall zu wohnen auf einige Wochen - dort mit seiner Wohnung auf einem Hügel am Strome - hier mit ihr mitten auf einer weiten Wiese - dort eng in einem Birkenwäldchen - ja, draußen kaum eine Viertelstunde weit von jenem mit Gärten umzingelten Städtchen - kurz der Schnecke zu ähnlichen, welche sich mit ihrem Haus auf jeden Zweig und Rasen setzt, wo es ihr gefällt, und dann, wann sie ausgeschlafen, sich auf
einem andern Blatte ansiedelt und anklebt. »Welche prächtige Aussichten«, sagt, er, »hätt ich in jeder Woche! Denn gewechselte sind prächtige. - Aber wie könnte ein Mensch zu dergleichen gelangen?« Da er aber doch dazu kam und dabei vorauswußte, daß sein Schneckenhäuschen künftig sich auf allen möglichen Paradiesesbeeten niederlassen würde und ihn einkriechen lassen: so war er, wie gesagt, ganz natürlich abends außer sich und sah zum Fenster in den Mondschein hinaus und sehnte sich nach
allerhand. Der arme Teufel wußte nicht einmal, daß an diesem Frühlinganfang außer dem Geburttage der Stadt Nikolopolis auch der seinige falle. Weder er noch andere hatten - bevor er eines oder das andere in Druck gegeben - auf den Tag seines Eintritts in den großen Druckort der Erde im geringsten gemerkt.
Auf dem Lande, besonders bei Unbegüterten, wozu Richter gehörte, wird fast so wenig an Geburttage gedacht wie bei den Türken, welche daher (nach Meinhard) selten wissen, wie alt sie
sind; und nur die Mütter erinnern sich und stellen etwan bei den Vätern tags vorher die Bemerkung, aber ohne Geburttaggeschenke auf: »Eben morgen um 1 Uhr bracht ich unsern Fritz auf die Welt.« Aber sooft ich zuweilen einen armen Handwerker oder eine Magd höchst gleichgültig unter dem Arbeiten sagen, hörte: »Heute ist mein Geburttag«, und sie dann ohne weitere Feier fortarbeiteten bis ins Bett: so tat es mir so innig wehe, als wär ich eine Kronprinzessin, die sich einen solchen Tag gar nicht
ohne Feste und Festgeschenke und Bälle gedenken kann. - Denn (um auf den Kandidaten wieder zu kommen) es wurde der Mann erst nach einem und dem andern Meisterwerke und näher seinem letzten Tage als seinem ersten mehr gefeiert samt diesem, wie überhaupt mit Menschen geschieht, welche man, wie die Wörter in den indischen Wörterbüchern, nicht nach den Anfang-, sondern nach den End-Buchstaben reihet und aufstellt. - - Das menschliche Herz in Betrachtung gezogen, sollte man
freilich die Leute lieber nach Jugendgefühlen als nach Altertaten schätzen, da die Menschen nur in jenen ihre Vollendung zeigen, indes später etwas anderes in ihnen zunimmt als eben das Beste; so wie an ihnen im Gegensatze der Fische und Schlangen, welche das ganze Leben hindurch immer größer werden, später nichts Besseres fortwächst als Nägel und Haar. Zum Glücke haben die Menschen gegen das fatale jahrelange Verschlimmern ein treffliches und schnell wirkendes Mittel zum Verbessern erfunden,
das wegen der kurzen Zeit seines Einwirkens nie genug zu schätzen ist, nämlich die sogenannte Galgen-Bekehrung, welche bei rechtlichen Menschen keine andere sein kann als die auf dem Sterbebett, so daß dann wirklich einer, wenn er wie die braunschweigische Mumme unter dem Verfahren unten mehrmals sauer geworden, zuletzt wie diese ganz genießbar geworden oben ankommt. -
Aber wie weit verschlug Richters Wiegenfest uns von Nikolopolis!
Der Hof- und Zuchthausprediger wohnte in
der nächsten Gasse, nämlich im nächsten Schmuckhäuschen. Süptitz war von jeher schwierig in ein Wirthaus zu bringen, weil es für ihn keine Person und keine Sache gab, die ihm reinlich genug war; er wünschte - der Pflück-Hände wegen - Kirschen und Beere wären so gut abzuschälen als Birnen oder Nüsse, und jedes Tafelgeschirr säh er erst vor seinen Augen abfegen. Wenige Sachen aber floh sein Leib so bange als Gasthofbetten: »Ich verlange weiter nichts,« sagt er, »als daß ein Mensch, und besonders
ein Prediger, bevor er in ein Lager von tausend Schläfern einsteigt, sich hinstellt und flüchtig überlegt, wie viele hundert Bettlägerige darin gelegen, wovon ein einziger hinreicht, um ihn mit jeder unheilbaren Krankheit überhaupt, aber am meisten mit jener unehrbaren zu verpesten, mit welcher als unschuldiger Ehemann im Priesterornat auf der Kanzel zu stehen grausenhaft sei; denn die frischen Bettüberzüge, worauf einige bauen, ziehen doch gegen altangesteckte Federn noch keinen Pestkordon!«
Zum Glück konnte der Hofprediger, wie ein Paradiesvogel, bloß auf der Luft schlafen. Denn Nikolaus hatte am Tage vor seiner Abreise seinem Hofbankier Hoseas die Vollmacht gegeben, für die Reise alles Gerät um jeden Preis einzukaufen und lieber Unnötiges zu viel als Nötiges zu wenig, und da hatte es sich gerade sowohl zu Marggrafs als zu Hoseas Vorteile getroffen, daß in Rom eine gute Quantität luftdichte Bettzeuge von Clarks zu verkaufen stand, welche der Hofbankier ohne langes
jüdisches Handeln erhändelte, und die so ganz für Süptitz passeten, da sie nicht frisch überzogen, sondern frisch aufgefüllt wurden, anstatt mit Federn bloß mit Luftkügelchen aus dem immer frischen Dunstkreise.
Der Reisemarschall aber, um endlich auf diesen zu kommen, kümmerte sich sorglos um gar nichts, weder um seine Betten in Gasthöfen (lieber um fremde) noch um den Schein seiner Unschuld, ja Schuld. So gab er gern dem Liebenauer Wirthaus den Vorzug vor dem Hofquartiere. Er hätte
darin, so wie im ganzen Dorfe, sogar seine eheliche Treue auf eine der schwersten Proben setzen lassen, wenn jemand es hätte tun wollen. Er durfte sich hierin gewiß mehr zu den Leuten von Stand als zu denen vom Mittelstande zählen, denn sein Herz war in der Ehe nicht, wie etwa chinesisches Papier, bloß von einer Seite zu beschreiben, sondern auf der Rückseite war noch Platz für manche weibliche Hand, oder in einem mehr anliegenden Gleichnis: er hatte nicht, wie etwa der Norweger ein
einziges Mal Brot für sein ganzes Leben bäckt, sich ein Hausbrot von Hausfrau auf immer aus dem Ofen geholt, sondern er nahm Sauerteig und heizte von Zeit zu Zeit für einige frisch gebackene Laibe, wie etwa die Türken, als norwegische Gegenfüßler, nicht säuern und deshalb täglich frisch backen.
Spät abends klopfte Worble - dem wahrscheinlich im andern Sinne sein Brot im Dorfe gebacken war - stark an des Kandidaten Fenster an, damit er heraussähe; er wollte nicht hinein ins Zimmerchen,
sondern sagte, er könne auch außen vor dem Fenster seine Freude ausschütten oder seine Wonnenachtgedanken, welche wahrscheinlich in einem bittern Nachgeschmacke von Nikolaus und dem Abende bestanden. Er hatte sich gegen den so späten Aufbau des Stadtviertels aus den besten Gründen - denn sie bezogen sich alle auf sein eignes Ausruhen - ganz vergeblich und wider sein Erwarten gestemmt, da der Prinz zum erstenmal als Prinz sich zeigte und keine andern Vernunftgründe annahm, als die er schon
hatte.
Er fing an, von Nikolaus zu sprechen, dessen Wert er vom Kandidaten, sagt er, mit Freuden so schön anempfunden sehe. »Er hat nun einmal«, fuhr er fort, »fürstliches Blut in seinen Adern, welche davon natürlich immer etwas schnell und fieberhaft pulsieren. Langsam - Sie sehens am heutigen Bauwesen - kann er nichts leiden; wie alle Fürsten will er in seinen Freuden nur Schwung- und Spornräder haben. Eben deshalb müssen Sie ihm auch sein bißchen Aufbrausen nachsehen; Fürsten
fahren sämtlich auf, aber nur er unter ihnen am schönsten. Ich kenne hohe Personen, die wahre Vesuve sind, und zwar solche, wie einer im Wörlitzer Garten speiet, der außen Fenster hat und innen ein ganz artiges Schmollstübchen; - und ebenso sind Durchlaucht; abgebrannt ist das Zündkraut, noch ehe Sie schießen.«
Dem Kandidaten gefiel zugleich die Freimütigkeit eines solchen Fürstendieners und der Charakter eines solchen Fürsten außerordentlich, und er konnte sein Doppellob beider nicht
oft genug wiederholen und verdoppeln. Der Reisemarschall fuhr, ohne darauf zu achten, fort: »Man ersieht daraus wenigstens, wessen hohen Stammes er ist; aber ich will Ihnen einen Zug erzählen, welcher noch mehr beweiset, wie er zu einer Zeit, wo er ohne alle Geldmittel und ohne alle Nachrichten von seinem Herrn Vater war, dem er entgegenreiset, sich als wahren Fürsten fühlte; - es war, als er ein Klistier setzte. Es klingt komisch genug, benimmt aber der Würde bei der Sache nichts. -
Wie ich Ihnen schon am Morgen gesagt, das Inkognito, worin sich gegen Durchlaucht Ihr Fürstvater festhielt, war so streng als hart; und noch weiß niemand dessen Namen, ausgenommen nur vielleicht Seine Durchlaucht, und Diese selber wissen ihn wohl nur seit der Zeit, daß Sie Diamanten von ihm heimlich bekommen; denn daß Sie die Steine selber brennen und fertigen, wird wenig vom Hofe geglaubt. Nun kamen Durchlaucht und ich, Ihr damaliger Gouverneur, von Leipzig aus schlechten Umständen zurück in
noch schlechtere; mein damaliger Hunger, Herr Kandidat, sei Ihnen ein Vorbild des durchlauchtigen, der noch weit größer gewesen sein mußte, denn Sie hätten sonst den meinigen gestillt. Sie wissen es vielleicht noch nicht, Herr Kandidat, wie ein Mensch, der auf Ehre hält, seinen leeren Magen vor der Welt so künstlich in allerlei verkleidet, wie ein Kunstgärtner in einem Park den geheimen Abtritt - das Gleichnis ist so gar weit nicht hergeholt - artig in eine Nische oder einen Holzstoß versteckt,
oder in ein Tempelchen. In eine Apotheke, sonach in das Nächste, verkleideten Durchlaucht Ihren leeren Magen - von den nobles masques des meinigen ein andermal -, und Sie trieben darin völlig dasselbe, was Herr Henoch Elias Marggraf getan, wovon noch die Apothekergesellen nachzeugen.
In diese elende Zeit nun - ich bin noch immer nicht bei meiner Anekdote - fiel es hinein, daß sich der noch heute regierende Markgraf von Hohengeis nach Rom begab und erhob, um diese Landstadt, die er in
seinem Leben nie gesehen - außer einmal in der Nacht beim Durchfahren -, mit seiner Gegenwart zu bestrahlen, hauptsächlich aber, um zu einer abgebrannten Heiligen-Geist-Kirche den Grundstein eigenhändig zu legen. Sie wissen, wie die gekrönten Häupter lieber diesen ersten leichtern Stein legen als die schweren Quader.
Den Jubel und Glanz und Klang und Rausch unseres neuen Roms beschreib ich Ihnen nicht - im alten welschen finden Sie ähnlichen häufig; aus eigner Weltkenntnis wissen Sie
ohnehin, daß ein Fürst sich nirgend länger als in einem Landstädtchen, gleichsam in dem Paradebett, ausstreckt, oder in einer Paradewiege, was in einer Hauptstadt schon nicht geht. In letzter ist er nur ein Wochentag, weil er da seine Wochen hält; und nirgend als in einem Landstädtchen ein Sonntag, das seinen ganzen Namen mit Sonntagbuchstaben schreibt.
Was braucht es der Worte! Genug, zu Ehren des Herrn und der Geistkirche betrank sich unser ganzes Rom; darauf aber tat dasselbe,
wieder zu Ehren Roms und des neuen Kirchenbaues, der Herr selber, anfänglich mit Maß, später ohne das Maß. Wer kennt dergleichen besser als ich, Herr Kandidat, wenn ich mit jemand trinke! Zuletzt konnt es unser Hohengeiser Landesvater den Leichensteinen in Münster, welche aus Platzmangel aufrecht stehen, nicht mehr so gleich tun als unseren hiesigen, die liegen, und endlich droht er selber unter einen zu geraten, wenn ihn nicht der Hebel einer Klistierspritze wieder hob.
Es wurden
Eilboten an den Schloßapotheker abgefertigt; aber der war selber in dem Zustande, wo man mehr eine Spritze brauchen als gebrauchen kann, und vermochte nicht zu erscheinen. Er trug dieses sein Unglück, die Hintertüre zu Ehre und Geld umsonst offen gesehen zu haben, viel dazu bei, daß der Mann vor Gram länger auf dem Lager geblieben, als nach bloßem Trinken geschehen wäre.
Jetzo wurde zum zweiten Apotheker gesandt, was damalen Seine Durchlaucht waren. Nun hätte man von einem Manne wie
der Fürst, welcher, nie bei Hofe gewesen, so plötzlich dahin gezogen wird mit einer Spritze, als dem Halbleiter zu einem gekrönten Haupte oder als dem Notruder zum Staats-Steuerruder, befürchten sollen, er werde den Kopf verlieren, teils vor Zagen, teils vor Jubeln, einen regierenden Herrn gerade von derjenigen Seite zu sehen, womit er sich auf dem Throne erhält - gleichsam das Untere der Karten und der Kartenkönige - - auch waren zwei Töchter des alten Apothekers, bei dem er erzogen wurde, über
den goldnen Boden des Handwerks bei des Landesherrn bekannter Freigebigkeit schon voraus außer sich; - und auf den Schloßapotheker, über welchen unser Fürst wegschritt, werd er, hätte man denken sollen, schon voraus heruntersehen .....
- Durchlaucht dachten höher. ›Meine Unterziehstrümpfe und die Seidenstrümpfe‹, sagten Sie kalt zu den Leuten.
Darauf zog der Fürst die feinen Überziehstrümpfe über die leinwandnen Unterziehstrümpfe mit solcher ruhigen
Geschicklichkeit an, daß er - was so schwer, wie jeder weiß, der sich vor einem Tanze zur Fuß-Toilette niederkrempt - die Strümpf-Paare ohne Zerdrehen, Verdrehen und Fälteln so glatt wie ein Knochenhäutchen anbekam und anhatte, kurz mit einer seinem sonstigen Hasten so unähnlichen Ruhe, als ob es für ihn Kronsitzteile samt deren Spritzen gar keine in der Welt gäbe, seine eignen ausgenommen; - ein schöner seltner Kaltsinn gegen eine Hofauszeichnung, welche freilich jetzo, da er selber Fürst ist,
uns nur als eine geringe erscheinen muß, wo nicht gar lächerlich.
Nun verfügten Durchlaucht sich mit Spritze und Blase samt Kräutern an den Hof und durchschritten die Säle voll scharfsichtigen Hofgesindels so unbefangen, als gehörten Sie selber darunter. - Und dies tat im Vorgefühl fürstlichen Bluts ein Fürst, welcher in der ganzen Apotheke, auf Befehl des wahrscheinlich vom Fürstvater selber befehligten Pflegvaters Marggraf, nie als gnädigster Herr oder Durchlaucht angeredet wurde,
so wie Augustus auf eignen Befehl (freilich aus andern Gründen) nie, sogar nicht von seinen Enkeln, Herr oder Dominus durfte geheißen werden.
Das übrige versteht sich nun von selber, nämlich die gleichgültige Art, womit er an dem ihn scheinbar regierenden Landes-Herrn das Menschen-Erdgeschoß, für einen Nikolaus kein Noble-Parterre, oder die tragende Erdkugel des den politischen Thronhimmel tragenden Atlas behandelte und ansah, nämlich bloß von der Seite der Kunst, ohne
knechtischen Pöbelrespekt. - War es nicht, als ob er mehr klistiert würde als selber klistiere, oder al ob er - wenn Friedrich der Einzige neben den Kommandostab eine Quanzische Flöte legen ließ - umgekehrt neben der Spritz einen Zepter liegen hätte, der freilich auch oft öffnet und abführt? -
So stand denn unbewußt - an sich eigentlich erhaben, wie Don Quixote neben Cardenio - ein Fürst dem andern als Verbündete auxiliar bei. - Das andere geht mich nichts an, und somit Gott befohlen
und gute Nacht!«
Aber hier barst Worble in ein Lachen auseinander, das er so lange zusammengehalten, und rannte davon.
Als einen Nebenumstand bemerk ich noch, daß die Hauptgeschichte bloß erlogen war. Bis zum Betrinken des einen Fürsten und bis zu dem Hof- und Klistierrufen des andern inklusive war die Sache wahr; aber Nikolaus nahm, trotz aller Vorstellungen seiner Schwestern, den so einträglichen Ruf nicht an: »einem bürgerlichen Patienten«, sagt er, »beizustehen sei er
bereit, aber einem Verstopften von Geblüt nun und nimmermehr, solang er sich selber fühle« - ein Wort, das von vielen sehr falsch verstanden wurde.
Übrigens wünscht ich, daß Sachwalter und Rezensenten - ein desto engerer Bund, wenn sie, wie der tragierende Müllner, beides sind - an diesem scherzhaften Muster Worbles sich ein wichtigeres ernstes nähmen, wie man parallel mit dem Wege der Wahrheit bleiben, und doch in der Ferne auf lauter Lugabwegen fortziehen könne. Es gibt so
treffliche chemische Verschmelzungen von Wahrheit und Lüge, wo die Lüge, wegen der stärkeren Wahlverwandtschaft mit der Wahrheit, latent und gebunden bleibt.
Nur traue man dem guten Kandidaten Richter nicht zu, daß er alles als ein völliges dummes Lamm von Worble gläubig aufgeladen; er war vielmehr ein altes Schaf mit einigem Gehörn und Gehirn, das in des immer scherzhaften Worbles Darstellung der Wahrheit die komischen Schelmereien ganz gut auswitterte und eben deshalb zu
sich sagte: »Der feine Vogel will wohl, scheint es, durch seine Nachahmung meiner Teufels-Papiere-Manier mich bestechen und fangen; er weiß aber wenig, daß ich Scherz und Ernst stets absondere und besonders den guten Fürsten recht ernsthaft lieb habe.« - Indes wird uns der Kandidat zu einem neuen Beweise, wie man zugleich selber Ironien machen, deren Verständnis fodern, und doch fremde zu ernstlich auffassen könne; so wie der Listige über sein Belisten das fremde übersieht. Und doch
würd ich mich einiger Parteilichkeit über den jungen Mann anklagen, wenn ich nicht bemerken wollte, daß er ja von den früheren apothekerischen Verhältnissen Marggrafs, welche der Leser aus zwei Bändchen seit Jahren ordentlich auswendig weiß, nie ein Blatt vorbekommen und folglich alles von keiner andern als der fürstlichen Seite ansehen müssen; aber dies ändert in der Sache viel.