Jean Paul
Der Komet
Fünfzehntes Kapitel in drei Gängen
eingestellt: 14.7.2007
Neuer Untertan - Ankunft in Nikolopolis - Sitzungen über Inkognito - Wappenwahl - Paßwesen
Erster Gang
Rechte Erzählweise von Reisen - der Schlotfeger
Ich fahre hier in diesem funfzehnten Kapitel recht ordentlich wohlgemut fort, weil ich mich über alles freue, was zu erleben gewesen und zu erzählen blieb. Tausend Reisen, z. B. nach dem Nordpol, oder nach dessen
Gegenpol, dem Äquator, sind viel verdrießlicher; und sogar in den gemäßigten Erdgürteln fehlt Mäßigung oft zuerst, und Reisende werden von den Erd-Stachelgürteln, wie von Franziskanerstricken und Schmachtriemen, sichtbar zusammengezogen und gleichsam in der Mitte stranguliert. Desto mehr lebe ein Fürst, der zuerst nach Lukas-Stadt abreiset.
In kurzer Zeit brach man Nikolopolis ab und brach sämtlich auf. Das ganze reisende Lustlager jubelte, und sogar alle Pferde wieherten darein. Die
fremde fürstliche Residenz Lukas-Stadt, der man entgegenzog, stand vor allen mit ihren Türmen, wie mit Cocagnebäumen, in der Ferne, nur für jeden mit besondern, z. B. mit geistigen Viktualien behangen.
Da die Stadt in ganz Deutschland als ein Künstler- und Dichterplatz berühmt war und jede Gasse darin von Gemälden und Gedichten wimmelte: so sah der Hofstallmaler Renovanz sein Kanaan ausgebreitet vor sich liegen. Der Hofprediger konnte bei dortigen Hofpredigern und Gelehrten die
gelehrtesten Besuche machen; und der Reisemarschall hatte in jeder Stadt außer den Leckerbissen noch nach hundert andern Bissen zu schnappen; denn Städte, nicht Dörfer waren seine Sache. Ich weiß nicht, was der Kandidat da erwartete; wie gewöhnlich, wenigstens alles. Gewiß ist, daß die sämtlichen Untertanen und Staats-Bürger Marggrafs ein wenig hinter ordentlichen Stadtmauern zu ankern, um zu kantonieren, von Herzen wünschten.
Dasselbe aber wünschte niemand so eifrig als der Held
selber. »Ich erwarte« - sagte er bei dem Ankleiden zum Reisemarschall - »zwar nicht alles, aber viel von der Residenz. Es ist die erste, in die ich fahre. - Weitläuftige hohe Verwandte von mir könnten, sollt ich denken, da ein Fürst Hof hält, mir wohl daselbst wider meine Erwartung begegnen, und die Aufnahme meiner wird sich darnach richten. Auch wollen wir nur nicht gar zu entschieden behaupten, daß der Prinzessinnen-Wagen, der uns vorausgefahren nach demselben Ziele und Stadttore, in gar
keiner Verbindung mit jenem hohen Wesen stehe, welches ich ewig verehren werde. -
In welchen Himmel ich indes auch dort einziehe, ich werde doch aus ihm heraussehen nach den vielen Malern und Dichtern in dieser lebhaften Kunststadt, wovon viele gewiß meiner recht stark bedürfen, und die sollen auch bekommen. - - Aber es ist doch gewiß nicht weiter als beinahe anderthalb Tagreisen dahin, Herr Marschall?«
»Über zwei leichte«, versetzte Worble.
Nun ging
das allgemeine Rennen und Reiten an, von Dorf zu Dorf - von Marktflecken zu Marktflecken - von Dorf zu Marktflecken - von diesen zu Städtchen - von diesen zu Dörfchen. Man mußte und wollte durchaus in anderthalb Tagen ankommen in der Residenz; Marggraf war wie besessen - er gab Kost und Trank, und Geld über Geld, und Kost und Trank. - Die eigne Residenzstadt Nikolopel wurde gar nicht abgeladen und aufgebaut, und wärs vor elenden Dörfern gewesen, worin kaum die Einwohner hätten wohnen können.
- Und hier liegen nun auf dem Papiere alle die Ortschaften deutlich hintereinander, wodurch Nikolaus flog nach Lukas-Stadt. Soll ich denn aber auf den so weiten Reisen meines Marggrafen jedesmal berichten und ausrufen. von Geschwend gings nach Wölfis - von da nach Trebsen - von Hohenfehra nach Niederfehra (denn Mittelfehra blieb seitwärts) - von Sabitz nach Zabitz - von da nach Fürberg- dann nach vielen Lumpennestern, durch die man hindurchschießt, ohne nach ihren Namen zu fragen -
endlich von Scheitweiler nach Strahlau und nach Nikolopolis? ....
Diesesmal jedoch geschah es; denn es ist ja eben geschehen; und Nikolaus und Gefolge kamen wirklich durch die genannten Ortschaften in Strahlau, eine kleine Viertelstunde von der Residenz, in Nikolopolis an, welches letzte natürlich vorher abgeladen wurde und aufgebaut, aber, wie man denken kann, ungemein prächtig, nämlich ganz. - -
Inzwischen für die Zukunft kann es doch, hoff ich, der Wille der Welt
unmöglich sein, daß ich meinen noch rückständigen Stummel von Leben - - worin ein Tag ein Jahr ist, indes bei dem alttestamentlichen Nichtsschreiber Henoch ein Jahr bloß ein Tag ist, weil er erst im 365ten Jahre gen Himmel fuhr - dadurch aufzehre, daß ich den Lesern jeden Fahrweg, jede Kneipe, jeden Torschreiber, jeden Schenkwirt der Reise auftische und solche Infinitesimalteilchen von Gradenbreite und -länge wie die genannten Dörfer Sabitz und Zabitz u. s. w. namentlich vorrechne; als ob der
Fürst, wenn er nicht mit seinen Leuten und Pferden durch die Wolken den nächsten Luftweg nach Lukas-Stadt nehmen wollte, anders dahin hätte kommen können als durch die unterdrückten Dörfer.
Daß ich übrigens solche recht genau kenne und nicht erst zu erdichten brauche, wird mir hoffentlich jeder zutrauen, der sich erinnert, daß ich die weitläuftigen Tagebücher des Kandidaten vor mir liegen habe, aus welchen ich jede Zeile und Stunde schöpfen kann, noch abgerechnet ohnehin, daß ich,
insofern ich er selber war, hier als meine eigne Quelle springe. Ausfuhr, Ausritt - Einkehr, Einfuhr - Abritt, Abfuhr - Flüsse - Wirte und Hütten schneid ich demnach ab; gewinne aber desto mehr herrlichen Platz für manches historische Kolosseum. Gleichwohl nehme ich gern ohne Keifen Geographisches in die Erzählung hinein, sofern sich in ihm Geschichtliches begibt. Denn dieses allein gebietet und ist mein Herr; daher ist jedes Halbbedeutende und Halboffizielle, was vorfällt, jedes wichtige
Gurgelwasser oder Fußbad, das der Held nimmt, redlich dem Leser zu geben, so wie jeder neue Passagier und Untertan, der zum Zuge stößt, mit seinen Streichen, Verdiensten und Späßen; denn wozu überhaupt, frag ich als vernünftiger Mensch, den ganzen Bettel von Buch und dessen Kapitel und Gänge, wenn ein solches Werk über das Geschichtliche wegspringen wollte, als ob es außer diesem noch etwas anderes zu berichten gäbe?
Wie wenig mir dergleichen einfällt, sieht man am stärksten, wenn ich
von dieser Ausschweifung wieder in die Reisegeschichte einlenke und mit Vergnügen berichte, was auf der Flugreise nach Lukas-Stadt vorgefallen. Es war abends bei Zabitz, daß Nikolaus gegen elf Uhr in der mondhellen Lenznacht spazieren ging und aus einem nahen Wäldchen ein Waldhorn vernahm, das bloß in zwei Dreiklängen auf- und niederklagte. Näher traf er auf einem Baumstock den Kandidaten sitzend an, der es wenigstens in der Stimme nicht recht verbergen konnte, daß er der Musik immer zu weit
offen war, zumal den einfachen Tongängen, die ihn wie Erdstöße bewegten. Auch Nikolaus ließ sich gern von den geblasenen Tönen ergreifen, weil sie ihm gleichsam Amandas ferne Stimme zu begleiten schienen.
Beide gingen in den Wald; der Hornist mußte durchaus hinter dem nächsten Baume blasen; aber nichts war zu sehen und das Blasen verschwunden. Nach einigen Schritten weiter in den Wald hinein fing es auf der alten Stelle mit den alten Klagen an. Beide schlichen sich ihr mit so leisen
Schritten zu, daß der Künstler sie in der Nähe seines Horns unmöglich hören konnte; aber nichts war da, ausgenommen die Musik, welche oben in einem Baume zu nisten schien, auf welchem man nichts sah. »Wer ist da?« fragte recht laut Nikolaus. »Ich selber bins,« - antwortete es auf dem Baume - »ich habe da oben mein Nachtquartier, komme aber vor Hunger nicht zum Schlafen.« - »Lieber Freund,« sagte Nikolaus, »ich sehe nichts von Ihm, tu Er mir doch den Gefallen und komme Er herab; Er soll
hinlänglich zu essen haben.« - Auf einmal rollte - ein runder dicker schwarzer Körper herunter und sagte: »Guten Abend, da steh ich.« Es war ein fetter Schornsteinfeger. »Wo hat Er denn Sein Waldhorn?« sagte Nikolaus. - »Da hab ichs«, versetzte der Schwarze und wies auf seinen Mund, der selber das Mundstück vorgestellt und die Klag- und Fragtöne durch die kalte Luft in die warmen Tiefen des Herzens geschickt hatte.
Nach Marggrafs Ausfragen nach den Ursachen seines Einlagers auf Bäumen
trat der Schornsteinfeger in den Mondschein hinaus und zeigte auf sich und sagte. »Aus Armut und Hunger.« Nikolaus und der Kandidat sahen fragend seine gesunde Dickleibigkeit an; er antwortete und wies auf den unglaublich dünnen Kandidaten, der damals nicht viel dicker war als sein Rückgrat oder seine Armröhre und so härtlich und schalicht wie ein Speckkäfer: »Ach! mit einem solchen Leibe wollt ich lebenlang fegen.« - Es kam endlich die Entwicklung heraus, wie er schon seit Monaten sich zu einer
solchen Speckkammer angebauet, daß er sich damit in keinen gewöhnlichen Schornstein mehr hinauftreiben und -drücken könne; daher er nun sehen müsse, wie er durch langes Laufen wieder etwas zum Steigen abmagere, und er wolle sich gern in der Luft ausdörren, wie Geräuchertes, und sich an der Sonne recht einbraten; - sein nächster Weg aber sei nach Luxstadt (so verkürzt das Volk Lukas-Stadt), ob er nicht vielleicht weitere Rauchfänge oder Rauchmäntel antreffe, in die er etwa hineinpasse.
Aber Nikolaus machte durch seine ganze Rechnung, sein eignes Verkleinerglas zu werden, einen dicken Strich, indem er ihn zu seinem ersten Leibwaldhornisten erhob und besoldete. Zu fegen könnt er freilich dem Schornsteinfeger vor der Hand nichts anweisen, nicht einmal im ganzen faulen Heinz; denn der Ofen ging leichter in den Essenkehrer hinein als dieser in den Ofen; und nur als etwaiger Kammermohr war er künftig von Seite der Farbe noch zu verbrauchen.
Am Morgen wurde der neue
Marggrafische Staatsbürger dem Gefolge gezeigt und sein Naturalisieren allgemein bekannt. Bloß um einen schönen Zug von Kandidat Richter zu erzählen, flick ich hier die matten Vergleichungen ein, welche der Reisemarschall in Gegenwart des Hofpredigers zwischen Kanzelrednern und Essenkehrern anstellte und ausspann, indem er dazu, gleichsam zum Flachsrocken seines Gespinstes, das Fett von beiden nahm, das sie in der Esse und in der Kanzel einschnürte, und welches beide auszuschwitzen reiseten -
worauf er noch weiter bis zum mühsamen Gegeneinanderhalten zwischen Kanzeltreppe und Schlotfegerleiter und zwischen Gesetzeshammer und Essenkehrerbesen und endlich bis zum beiderseitigen Singen oben auf der Feuermauer und vor dem Kanzelpulte sich verstieg und dann mit der Lust aufhörte, womit schon ein Kandidat sich im voraus hie und da schlotfegerisch schwarz ausschlüge; z. B. Halsbinde, Rockknöpfe, Hosen. »Da sonach das Schwarze«, versetzte unerwartet kühn der Kandidat, »das beste Ziel in der
weißen Scheibe ist: so setzen Sie nur gar Stiefel und Hut dazu, welche beide ich schwarz trage als Kandidat! - Aber Himmel! ich bitte Sie, was ist denn alles protestantische Streben des Kandidaten nach der schlechtesten Farbe, die kaum eine ist, und die jede verderbt, gegen das katholische der Mönche nach der roten, dieser Kardinalfarbe in manchem Sinne! Wie viele tausend Mönche haben nicht den roten Strumpf und Hut im Kopfe und vor Augen, um es nur auszuhalten in ihren Kutten und Klöstern!
Daher ich solche Violettsüchtige gern mit dem redenden Raben Jacquot vergleiche, dem man in jeden Käfig immer einen roten Lumpen halten muß, weil er sonst in Zuckungen verscheidet.«
Dies war das erstemal, wo Richter sich zeigte am Hofe, nämlich vor den beiden Hofherren. -
Schon nachmittags rückte Nikolaus - mit seinem neuen Staat- und Stadtbürger - in Nikolopel ein, nachdem er dasselbe unweit Lukas-Stadt völlig aufgebaut hatte, und viel schöner als vor Liebenau.
Mich dünkt, die ganze Baute samt den ersten Früchten dieses Treibhauses, oder eigentlich dieser Treibhäuserstadt, ist wichtig genug, daß man sie, da nicht sogleich wieder ein frisches Kapitel angefangen werden kann, wenigstens in einem frischen Gange aufführt, und zum Glücke ist er schon in der Nähe, nämlich der
zweite Gang.
Residenzbau - Sitzungen über das zu nehmende Inkognito des Fürstapothekers
Es waren zwei ganz andere Gründe, als die Welt bei ihrem flüchtigen Wesen herausbringt, warum Nikolaus so nahe, gerade vor den Augen einer Residenzstadt, wieder eine neue aufbaute, da es viel bequemer gewesen wäre, mit dieser auf der Achse in jene einzuziehen. Der erste, doch schwächere Beweggrund war
freilich der, den Lukas-Städtern einen kleinen Begriff von der fürstlichen Macht dadurch zu geben, daß er vor ihren Augen eine Stadt von zwölf Häusern - die Vorstadt und Sackgasse aus Zelten sind gar nicht anzuschlagen - so leicht aus dem Boden aufgehen ließ wie Amphion durch seine Leierhand Städte, oder Pompejus durch den Stampffuß ein Heer, oder Kinder durch Spiele eine Kartenhäuserstraße. Sogar wer sich lieber in einer Judengasse aufhielt - und dies wollten die mitreisenden Juden -, der zog
nur in die Gasse hinein, sobald sie aus den abgepackten Zeltpflöcken und Zeltstangen und Leinwandmauern ordentlich aufgerichtet und hingestellt worden. Das Oberhofbauamt hielt ja der Bauten wegen still, und die Bauräte setzten sich in Bewegung und alles in baulichen Stand.
Abends sah man den glänzenden Erfolg: Leute jedes Standes kamen aus der Residenz Lukas-Stadt in die Residenz Nikolopolis gewallfahrtet und bewunderten unaufhörlich. Worble, der als Freimäuerer (wie er längst in Rom
hieß) wissen mußte, was er sagte, erklärte öffentlich den Bau für geheime Arbeiten der Zimmerleute und seinen Nikolaus für den schottischen Meister vom Stuhl, und dessen Häuschen sei die Meisterloge zum hohen Lichte; - er, Worble selber, habe die höhern Grade und schweige über das meiste, wie schon die Rosen auf den Ordenschürzen ansagten. - Sonst zwar, fuhr er fort, nehmen Logen keine Juden auf, aber der Hofbankier Hoseas könne halb und halb als ein Hiram oder Salomon betrachtet werden, von
welchen beiden Juden sich ja alle Mäuerer herschreiben. - Was die Logenreden anlange, so werde in allen zwölf Häuschen geredet, und das Trinken der Arbeiter sei ja so gut da als in den Tafellogen, nur daß diese (nach Sarsenna) die Gläser Kanonen hießen und das Trinken Feuern, wiewohl es eigentlich mehr Anfeuern als Abfeuern zu nennen.
Wir kehren zur Geschichte zurück. Einer der wichtigsten Gründe - kein einziger Leser dachte daran - nötigte zum Aufbau der Kantonierquartiere: nämlich
in Lukas-Stadt waren vorher die nötigen künftigen zu bestellen, aber zum Einlaß in diese gehörte für so viel Volk wieder ein Einlaß in die Stadt selber. Konnte denn der Fürst als ein Fürst einziehen; zumal da er nicht einmal den fürstlichen Namen seines Herrn Vaters angeben konnte oder wollte? - Das war offenbar unmöglich. Und wie stand es mit den sämtlichen Pässen? Wie viele führte Nikolaus bei sich und andere für sich?
Er hatte keinen einzigen überhaupt.
So seh ich
wahrhaftig denn wieder, daß der Fürstapotheker einigen hundert Feuerfrauen gleicht, welche sich eine Handel- und Wandelzukunft wählen, die ihnen bloß als ein ferner Berg vorliegt, woran sie aus der Ferne sich leicht gerade grüne Steinwege hinaufziehen, weil erst die Nähe die Schluchten und Hügel und Gebüsche bei jedem Schritte entwickelt. Hüte sich doch jeder vor dem Gesamt- oder Klumpkauf der Zukunft, deren Auseinandergehen in einzelne mehre Stunden den dunkeln Plan einer
zusammenmischenden Minute Lügen straft und täuscht. Niemand entwerfe nach einer Generalkarte seinen Postenlauf, den sein Leben ja nach einer Spezialkarte nehmen muß. Wie erbärmlich fahren deshalb nicht schon - desto mehr spiegle sich das Leben selber daran - in der Phantasie die Romanschreiber, welche oft in den ersten Kapiteln keck und leicht auf irgendeinen Vorfall in spätern Kapiteln auf geradewohl losborgen und Wechsel - der Begebenheiten - ausstellen, ohne vorauszuwissen, woher sie, wenn
der Verfalltag, nämlich das Kapitel, kommt, den Vorfall nehmen und erstatten sollen! Die Schreiber wissen dann im Kummer weder aus noch ein.
Aber wahrlich um kein Haar besser war Nikolaus sogar in seiner Wirklichkeit daran, als die so wichtige Sache seines Einzugs in Lukas-Stadt, so wie die der Züge in alle künftigen Residenzen, näher vor das Auge genommen wurde. Was aber anzufangen? -
Gewiß am zweckmäßigsten eine Sitzung; - und diese setzten auch wirklich die vier
Hofherren zusammen, und sich um Nikolaus herum. Aber hier zeigte der Reisemarschall, daß er unter allen Herren am ersten verdiene, nach Lukas-Stadt zu reiten und da sämtliche Quartiere zu bestellen, so glänzend und gewandt erschien sein Hofverstand. Erst nachdem er Marggrafen absichtlich recht lange über die deutliche Erklärung, unter welchem fürstlichen Geschlechtnamen und Wappen er aufzutreten gesonnen sei, abgequält hatte: so kam er näher und setzte vor dem Fürsten, der auf alles keinen
rechten, nur einen verworrenen Bescheid wußte, die unendlichen Vorteile auseinander, welche von jeher reisende Fürsten vom Inkognito gezogen; daher sogar völlige Kaiser, wie Joseph, als bloßer Falkensteinischer Graf in Frankreich und überall herumgefahren. »Bei dem Inkognito«, sagt er, »gewinnen Durchlaucht wenigstens dies in jeder Stadt, daß Sie nicht solenn empfangen werden, keine langweiligen militärischen Ehrenbezeigungen, keine fatalen hohen Visiten, auf die wieder die Gegenvisiten
abzustatten sind, zu erwarten haben; alles verdrießliche Zeremoniell und Ausförscheln und Schleichen und Schwitzen fällt weg. Durchlaucht können in der Residenz den Niedrigen zuerst besuchen, ohne dadurch im geringsten bei den Höhern anzustoßen. Und dies, eine solche himmlische Freiheit, macht es eben, daß von jeher sich die größten Kaiser bis herunter zu den kleinsten, fast schon inkognito gebornen Fürsten dieses köstliche Privilegium nie nehmen ließen, sondern sich mit ihrer Größe hinter einen
gemeinen Edelmann verbargen, wie etwan ein Fixstern mit aller seiner Sonnengröße sich vom Erden-Mond bedecken läßt. Dabei bleibt der Herr doch, wer er ist; die Welt kennt ihn ganz gut, und die Dienerschaft können Durchlaucht ohnehin nicht abhalten, den Stand aus Prahlerei auszuplaudern.«
In Rom - oder zwei Tage nach dem Diamantfunde, oder auch vorher - hätte niemand weniger eingewilligt ins Inkognito als Nikolaus; - aber hier unterwegs und unweit von Lukas-Stadt erwog er hundert Dinge
- und tausend Hindernisse - und alle Dreh kreuze, Demarkationlinien und lebendige Zäune in den vielen Residenzen der Zukunft; und zwar mit solcher Scharfsicht sah Nikolaus alle diese Hemmungen und Stemmungen voraus an, daß er vor der Sitzung der Hofherren sich erklärte, er sei entschlossen, einen bloßen adeligen Namen anzunehmen, nur sei er über die Wahl des adeligen Geschlechts noch uneins.
»Und ein erloschnes«, sagte Worble, »schickt sich am besten; aber ein
Pitschaft des Geschlechts müßte man den Augenblick doch dazu haben in der Hand. Ich selber führe seit Jahren ein gutes seltenes an der Uhrkette - Durchlaucht kennen es.« (Nikolaus schüttelte und konnte sich der Kleinigkeit nicht entsinnen.) »Es ist das alte mit den drei Hasenköpfen,« (fuhr er unter dem Abdrehen desselben von der Kette fort) - »ich wollte und durfte aber mit solchem als bloßer Bürgerlicher nicht eher zu siegeln mich unterfangen, als bis ich in den Adelstand erhoben worden. Die
Hasenköpfe sind ein altes mecklenburgisches Geschlecht, das längst ausgestorben, und Paschedag Hasencop, der zwischen 1466 und 1498 lebte, war der letzte; mein Pitschaft aber ist das von Bolto de Hasencop, der drei solche Köpfe geführt, nicht aber zwei, wie die von Malzahn. Da ich einmal das so rare Pitschaft hatte: so schrieb ich mir aus Herrn von Medings Nachrichten von adelichen Wappen die Notizen über die von Hasenkopff (336ter Paragraphus, im 1ten Band) ab, ein Blättchen, das ich
da habe.«
Hier las Worble nun den Paragraphen der Seite 230 wörtlich vor:
Hasenkopff.
Ein Mecklenburgisches, Geschlecht, welches sich auch Hasencop, Hasecop, Hazenkoppen, Hacenkop geschrieben findet. Ob dasselbe mit denen von Moltzahn einerlei Abkunft habe oder nicht, darüber sind die Gelehrten ungewiß. Latomus im MS. vom Mecklenburgischen Adel verneint es, unter andern auch wegen Verschiedenheit des Wappens, da die von
Hasenkopff ohne Helm zwei Hasenköpfe im Schilde geführt. Diejenigen, welche die Abstammung bejahen, sagen: daß der Schild, den Otto de Hasencop 1316 gebraucht, mit dem Siegel Heinrichs von Moltzahn 1370 ganz gleichförmig gewesen, auch daß Bolto de Hasencop nicht zwei, sondern drei Hasenköpfe geführt.
Fridericus de Hasencop lebte 1221, und Paschedag Hasencop, der letzte dieses Geschlechts, + zwischen 1466 und 1498.
MS. abgegangner Mecklenb. Familien.
Man siehet hieraus wenigstens so viel, daß die von Hasenkopff zwei oder drei Hasenköpfe in ihrem Schilde gehabt. Wenn ich aber das Moltzahnsche Wappen mit obiger Angabe vergleiche, so halte ich dafür, Latomus sowohl als seine Gegner haben sich in ihren Beweisen widersprochen, denn im ersten Felde des Moltzahnischen Wappens sind zwei Hasenköpfe; ich sehe also nicht ab, wie Latomus die Verschiedenheit damit beweisen will, daß die von Hasenkopff sich zweier Hasenköpfe
bedienet, oder seine Gegner damit, daß Bolto Hasenkopff drei Hasenköpfe geführet haben soll, eine Gleichheit beider Wappen behaupten können. -
»So heißt es wirklich« - setzte Worble dazu; - »den Paragraphus aber über die Herren von Molt- oder Malzahn (es ist wahrscheinlich der 555te) hab ich, ob sie gleich das Landmarschall-Amt im Herzogtum Güstrow erblich bekleideten, nicht abgeschrieben, da sie nur zwei Hasenköpfe führen, ich auch das Pitschaft nicht besitze. Übrigens unterschreib
ich mit Freuden jedes Wort in der Vorrede, welches Herr Professor Gebhardi zum Lobe des Domherrn von Meding vorbringt, so wie das zweite Lob, das wieder dieser in seiner Vorrede jenem erteilt. Auch muß an einem Werke etwas sein, auf welches (wie ich aus dem Pränumeranten-Verzeichnis sehe) beinahe lauter Edele von Deutschland, nämlich unsere adelige Bank, als Nobel-Parterre vorausbezahlet, wenn ich einige wenige Niedrige, wie den Kandidat Vulpius in Weimar, einige Buchhändler und
ritterschaftliche Leihbibliotheken ausnehme.«
Hier legte er nun das abgeschraubte hasenköpfige Pitschaft dem aufmerksamen Marggraf hin und versicherte, mit dem größten Vergnügen überlass ers ihm, wenn er es zu seinem Inkognito gebrauchen und als bloßer Graf von Hazenkoppen oder Hacenkop oder Hasecop oder Hasencopp oder Hasenkopff reisen wollte. -
»Besser wär es wohl,« - versetzte Nikolaus - »wenn bloß zwei Hasenköpfe auf dem Wappen ständen; man könnte dann füglich als Graf
von Moltzahn reisen.« - »Indes zwei oder drei Köpfe macht nicht viel Unterschied«, fiel auf einmal der Hofmaler Renovanz, vielleicht mit hoher Freude ein, daß er sich nicht mehr mit der Umgehung von Marggrafs Fürstentitel abzumüden brauche. Der einfältige Kandidat Richter fand, vor lauter Liebe für den weit- und weichherzigen Marggraf verblüfft, gar nichts Arges, sondern recht etwas Schönes in dem grotesken Inkognito-Namen. Auffallendes, Fremdartiges war dem jungen Menschen gerade Hausmannskost,
und einen Kometenschwanz trug er als einen ehrenden Bassaroßschweif, wie wir ja bald im Weiterlesen sehen können.
Der einzige Hofprediger Süptitz erklärte sich gegen die Hasenköpfe: »Ich stoße mich etwas an dem zu gemeinen Namen der Wappentiere, von deren Köpfen die Rede war, und noch mancher wird sich daran stoßen. Wenn einmal unser vortrefflicher Herr Marggraf sich unter fremdem Titel zeigen und verbergen wollen: so würd ich wohl geraten finden, da man ja nach Gefallen
wählen kann - ich sehe aber dabei vom Pitschaft ab -, daß lieber ein einnehmender, ja prächtiger Name angenommen würde, indem man zuverlässig unter so vielen Glanzgeschlechtern aussuchen kann, wie z. B. Falkenstein ..... oder ..... oder ...« (aber hier vermochte er mit allem innern peinlichen Herumspringen auf keinen zweiten Glanznamen zu kommen, etwan auf Ostheim, Westerhold, Spangenberg, Plotho, Sonnenfels, Löwenstern etc.) - »Es ist ein Leiden ohnegleichen,« fuhr er fort, »daß ich oft gerade
solche Namen, die ich am nötigsten habe, auf keine Weise, und brächt ich mich um, erwischen kann, ob ich sie gleich in meinen vier Gehirnkammern gewiß sitzen habe und sie ordentlich von weitem vernehme.«
»Das ist recht,« - sagte Worble - »ist aber eben ein Beweis, wie wenig glänzende Namen es im Adel gibt; auch schon darum würd ich keinen zum Inkognito wählen, weil ich fürchtete, mich damit des bloßen Scheinens verdächtig zu machen. - Aber, Himmel, Herr Hofprediger, ist denn nicht die
Sache ganz anders und umgekehrt zu nehmen? Hase, Hasenkopf, besorgen Sie, sei als adeliger Titel nicht edel genug? - Himmel! ich flehe Sie an, sind denn Ochs, Esel, Bock, Schwein, Gans, Schaf, Teufel so plötzlich und auf einmal als keine alten mehr anerkannt, welche von Geschlecht zu Geschlecht forterben? Es führen die Herren von Biberern, ein fränkisches Geschlecht, im silbernen Felde einen Eselkopf - die Herren von Sackesel oder Garten einen ganzen beladenen Esel - die von Riedheim gar
einen springenden mit dem Schwanze zwischen den Beinen ; der berühmten Riedesel und ihres Wappens gedenk ich kaum. Nicht anders ist es mit den heraldischen Ochsen des Adels; wovon ich nur den bloßen Ochsenkopf der ausgestorbnen von Oslevessen und den ganzen Ochsen der Grafen von Sprinzenstein aufführe. - Nun kommen mir noch die Herren von Schaf, die Herren von Schwein und von Schweinichen , die Herren Gans von Puttlitz, die von Hund, die von Bock, alle mit ihrem verschiedenen
Gevattervieh auf den Helmen, zu Hülfe, und die Freiherren Teuffel von Gunderstorff gar mit dem Teufel selber, und was eben das Stärkste, alle mit redenden Wappen , wie wir es in der Wappenkunde nennen.
Aber ist denn diese Wildbahn oder dieser adelige Tiervorspann etwas anderes als der heraldische Tierkreis, worin die Adelsonne mit andern Sternen geht und steht? - Und selber ein Bürgerlicher findet sich leicht in diesem ägyptischen oder heraldischen Tierdienst zurecht, wenn er
bedenken will, daß die Ägypter gerade unter den Tiergestalten ihre darein verwandelten Götter wiedergefunden und angebetet.«
»Fällt mir hier, Herr Reisemarschall, das Geschlecht der Närringer ein,« bemerkte der Kandidat, »welche in ihrem Wappen einen leibhaften Harlekin führen« ...... Unglücklicherweise schaltete Richter dies ein, aber ich versichere in seinem Namen, daß er damit nicht auf Worbles Harlekinaden anzuspielen dachte; und doch nahm es der Hofstallmaler Renovanz für
einen Ausfall - denn so gings dem friedfertigen, nie auf einen Gegenwärtigen abschießenden Manne sein Leben lang - und sagte zum Marschall »Ein hübscher Stich!«
»Sitzt doch«, fuhr Worble ohne Antwort darauf fort, »unser Wetterprophet und Kandidat Richter leibhaftig hier und unterschreibt als Bürgerlicher sich von freien Stücken, ohne Anspruch auf Inkognito, unter der Vorrede seiner herrlichen ›Auswahl aus des Teufels Papieren‹: J. P. F. Hasus.« -
- »Erst viel
später« - fiel Richter ein - »las ich in einem alten Buche, Facetiae Facetiarum, sogenannte theses de hasione et hasibili qualitate, auch das Wort hasibilitas; aber wahrlich ich erinnere mich nicht des geringsten Spaßes daraus und weiß kaum, warum ichs nur hier anführe.«
»Alles spricht ja«, fuhr Worble fort, »von Wort zu Wort immer mehr für den Hasen, der sogar - wenn ich ihn gegen den Bock, Esel, Teufel halte - sich unter die glänzenderen ›Wappen‹ einreiht, da er
ebenso schlau gegen die Jäger ist als lernfähig bei ihnen, und immer offene Augen, erstlich schon bei der Geburt, und dann auch im Schlafe hat, und viel leichter bergauf - was jedem zu seinem Aufkommen zu wünschen wäre - läuft als bergab. Ein Wappenwesen überhaupt, das tapfer ist und die Trommel nicht scheuet, sondern selber rührt, und das sich keck gegen seinesgleichen mit den Vorderläuften (wie wir Menschen ja auch mit den unsrigen) so laut herumschlägt, daß es nach Bechstein verschiedene Fuß
weit zu hören ist ..... aber übergenug, und ich möchte doch wissen: was geht denn dergleichen alles Ihre Durchlaucht oder das hasenköpfige Pitschaft an, das ich aus so guten Gründen zum Inkognito vorgeschlagen und angeboten?« -
Nikolaus Marggraf genehmigte Inkognito samt Pitschaft - und ich darf sagen, mehr als einer freuete sich darüber - jedoch gab der Fürst, recht vernünftig, vor dem zu modernen Wappentitel von Hasenkopf mit allgemeinem Einklang dem älteren, ehrwürdigen Titel
Hacencoppen den Vorzug.
Sofort wurde der Reisemarschall beordert, aus Nikolopel noch diesen Nachmittag nach Lukas-Stadt abzureiten und für den Grafen und sein Gefolg ein Hotel zu mieten, was es auch koste. Er brauchte gewöhnlich alles mitgegebene Geld nur auszugeben, niemal vorzuberechnen.
Wenn ich dabei mit Wohlgefallen bemerke, daß er, bei aller seiner Vorliebe für Gerichte, Getränke und Gesichter, nie den Fürsten nur um einen Heller betrog: so werden viele
Reisemarschälle sich verwundern und dabei sagen: ein seltsamer Mensch!
Er mietete nun in dem römischen Hof - dem größten, aber teuersten Gasthofe der Stadt - alle Zimmer dieses Vatikans. So nenn ich den Gasthof zum Teil im Ernste; denn der Besitzer führte wirklich den Namen Papst und hatte deshalb den heiligen Ochsen - so hieß das frühere Gasthofschild, nach dem Stadtwappen, das den Ochsen des Evangelisten Lukas führte - zum römischen Hofe erhoben.
Der überraschte Papst nahm die Nachricht von einem einkehrenden Grafen von Hacencoppen und die starke Vorausbezahlung mit einer reinen Freude an, welche der Himmel seinem Herzen lange nicht gegönnt; denn seit Jahren waren alle hohen Häupter vorübergefahren, welche sonst, als Gegenspiel der otaheitischen Könige , deren Eintritt in ein fremdes Haus, nach den otaheitischen Reichsgesetzen, die Niederreißung desselben nach sich zieht, seinen römischen Hof gerade mit ihren eigenen Händen
größer aufbauen halfen, sobald er in diese seine Wirts- oder Dataria-Zettel gelegt und sie damit gleichsam beflügelt hatte auf eine Weise, welche wohl nur der allergemeinste Sprachgebrauch Prellen, Schnellen, Rupfen nennen kann. Freilich blieben die Fürsten, die der gute Papst auf solche Weise heimschickte, dann auch daheim.
Desto begieriger bin ich, wie jeder, auf alle die Weltgeschichten, welche Hacencoppen im römischen Hofe erlebt.
Aber vorher hatte Worble eine härtere,
ganz grüne Nuß für Nikolaus aufzubeißen - jedoch hatt er zum Glück Zahnlade und Nußknacker dazu mitgebracht.
Der Paß war die Nuß.
Dritter Gang des Kapitels
Schöner Nutzen eines Flebben - schöner Rüstabend zum Aufbruch nach Lukas-Stadt
Wahrlich, es wäre gar nicht gegangen, wenn es anders gegangen wäre, und wenn nicht zum Glücke Worble an hunderttausend Dinge gedacht hätte. Denn sonst wüßt ich nicht, wie der Graf Marggraf und sein Gefolge nur vor den Kunstrichtern, geschweige vor den Landrichtern wäre vorbeizubringen
gewesen. Oder ist nicht ein Paß der einzige moralische Kreditbrief und Seelentaufschein außer Landes und das wahre Land-Segel, das man nur bei günstigem Winde einziehen kann oder einstecken? - Und kommt man nicht auf jeder Grenze als ein mutmaßlicher Spitzbube oder sonstiger Verbrecher an, da ein jeder fremder Grenzstein ein Rabenstein des ehrlichen Namens wird, oder ein fremder Hoheitpfahl ein Schandpfahl desselben, und ein Grenzpfahl gleich einem Circes-Stab den ehrlichsten Reisenden so lange
in eine niedrige Gestalt verwandelt, bis er seinen Paß als Ablaßbrief hervorzieht und daraus das göttliche Ebenbild wieder erneuert? - So daß, wenn der Passagier wie ein Wechselbrief von Land zu Land giriert und endossiert worden und zwanzig Unterschriften und Zeugschaften für seine Ehrlichkeit für sich hat, doch auf der einundzwanzigsten Grenze, falls das Papier zu kurz ist, kann protestiert werden oder er selber verdammt.
Dies aber hatte Worble schon bedacht. Er und die
Kraftschwester Libette gingen - da in Rom mit Geld, nämlich mit vielem, alles zu machen war, folglich auch das Menschentitelblatt, Paß genannt - in das Polizeiamt und legten das ärztliche Zeugnis vom dasigen Hundedoktor vor, daß der Apotheker durch einen plötzlichen Glückwechsel übergeschnappt sei und sich für nichts Geringeres halte als für einen Landesherrn und deshalb auf Reisen gehe, sich das Land zu suchen. So wurde denn ein vollkommener Paß ausgewirkt und eingekauft, worin man höhern Orts
alle Behörden ersuchte, den Apotheker Nikolaus Marggraf aus Rom, welchen Herr Doktor Peter Worble als sein Arzt und Aufseher zur Herstellung seiner geschwächten Verstandes-Kräfte auf Reisen durch Deutschland herumführe, ungehindert pass- und repassieren zu lassen. Als besonderes Signalement im Passe wurde verständig angeführt, daß angeregter Apotheker, seinem Glauben an fürstliche Abstammung zufolge, sich in allen Städten für einen Grafen von Hasenkopf oder Hacencoppen, um sich ein sogenanntes
Inkognito anzumaßen, ausgeben und das Pitschaft des Geschlechts der Hasenköpfe, als sei es nicht ausgestorben, deshalb vorweisen werde .....
Ehe wir mit den Pässen nur drei Schritte weiterziehen, muß die Anmerkung gemacht werden, daß der Hundedoktor und der Reisemarschall nicht im geringsten als Erzspitzbuben bei der Sache verfuhren. Der Doktor hatte bei jenem berühmten Kirmes- und Diamantengastmahl die Doktorseelenwanderung und Heilhut-Metastase von Worble zu Marggraf aus dieses
Munde selber erfahren; ohnehin konnte der altbefreundete Marschall, auch schon ohne offizinellen Hut, in seinem bloßen hellen Kopfe als Heilkünstler des warmen Nikolaus gelten.
Das Antedatieren des Hacencoppen anlangend, so wußte der Marschall, der ihn sehr oft das Pitschaft sehen lassen, recht entschieden, daß er ihn zur Wahl eines solchen Inkognitos - in Ermangelung eines bessern -, zumal nahe vor den Mauern einer Residenzstadt, bereden und bezwingen werde.
Ich frage
überhaupt die ganze Welt: wie war es denn anders zu machen, um Nikolaus durch die Städte zu bringen? Und was mich dabei freuen muß, ist, daß sogar Libette, die Schwester, in alles einging, ja in manchem vorausging. - Gleichwohl übrigens, wenn ich hier den Paß wieder überlaufe, den ich eben zum Abschreiben vor mir ausgebreitet, und nun darin den trauenden Nikolaus nicht als Regenten, sondern als Patienten Worbles finden muß, kann ich mich doch nicht enthalten auszurufen: »Ach ihr armen
umsponnenen Fürsten! - Wahrlich ihr täuscht selten so stark und so oft, als ihr getäuscht werdet, und Mißtrauen ist euch nach so vielen Erfahrungen ordentlich mehr anzuraten als Vertrauen, so gar sehr und oft wird, wie ich nur zu gut sehe, euere Thronspitze in der Ferne von lauter Luftspiegelungen umzogen, und in der Nähe von Lerchenspiegeln und Spiegelgarnen umsteckt, und jeder Stammbaum streckt da Leimruten als Zweige aus!«
Noch denselben Abend brachte Worble auf der Polizeistube in
Lukas-Stadt alles mit den Pässen ins reine, und sie wurden lachend unterschrieben. Es kann sein, daß er dieser Schnelle ein wenig mit geränderten Goldstücken nachgeholfen, die als eingezackte Minutenräder vorteilhaft einzusetzen sind; aber die Hauptsache ist doch diese: damals hatte sich Napoleon noch nicht als deutsche Feuersäule (im Kriege) und als deutsche Wolkensäule (im Frieden) auf den Weg gemacht und uns allen gezeigt und geboten, was zu tun und was zu lassen, besonders in Pässen; und in
jener vorbuonapartischen Zeit konnte jeder leichter und unbehinderter in fremden Ländern ohne alles Signalement wie ein ehrlicher Mann aussehen als jetzo im eignen Lande mit einem Passe.
Desto besser, sag ich, und man erlaube mir zum Beweise davon nur
ein kurzes schwaches Lob der jetzigen höhern Paßwissenschaft.
Das Lob läuft am Ende auf weiter nichts hinaus, als daß sie die menschliche Würde mehr anerkennt und groß schreibt und
den ehrlichen Mann leserlicher stempelt, als früher geschehen.
Sonst konnte jeder auf Reisen mit einem Schelm verwechselt werden, weil er keinen vollständig bestimmenden Zettel - wie doch schon schlecht gemalte Figuren einen im Maule - in Händen hatte, worauf stand, was er war; der Passagier war ein Arzeneiglas, eine Weinflasche ohne angebundnen Zettel, und niemand über der Grenze wußte voraus, was er zu sich nahm. Jetzo aber unterscheide z. B. ich mich auswärts von sämtlichen
Spitzbuben in der Welt; denn ich zeige meinen gestempelten Papier-Paß vor, worin (außer meiner Handschrift) steht, daß ich 5 Fuß und 10 Zoll lang bin, 59 Jahre alt, in Wunsiedel geboren etc., daß meine Stirn breit und hoch ist und mein Mund klein. Oder läßt es sich nur träumen, daß es gerade einen Spitzbuben geben könnte, auf welchen alles von mir so passete, daß wir einander deckten, wie geometrischgleiche Figuren, oder ineinander eingriffen, wie Kerbhölzer? Unmöglich! - Sogar meine nächsten
Nachahmer und Diebe würde mein Paß, so sehr ich auch Swift und Sterne nachgeahmt und bestohlen, auf der Stelle unterscheiden von mir.
Und dies ist eben der unschätzbare Vorzug eines heutigen Passes, daß er eine wahre Monographie eines Einzelwesens liefert, auf einem einzigen Folioblatt; und ich wüßte nicht, womit sie sonst zu ersetzen wäre, am allerwenigsten mit dem Grabschriftpaß auf dem dicken Marmor, der nur an das Inland, nicht an das Ausland lautet, wohin der Paßinhaber
abgereist.
An Pässe sich übrigens stoßen, weil sie halb wie vorausdatierte Steckbriefe klingen und nicht genug Treu und Glauben voraussetzen, heißt wohl das Zartgefühl übertreiben und es am falschen Orte, nämlich in der Polizeistube anbringen; ja ich will hier jeden mit Diebbanden selber schlagen und beschämen. Denn gerade diese, welchen am Rufe und Scheine der Ehrlichkeit so viel, ja noch mehr gelegen sein muß als uns - weil alle ihre auswärtigen Geschäfte darauf beruhen, ja ihre
innern größtenteils, indem in ihren kleinen Einschieb- oder Enklaven-Stätchen im Staat gerade Dieberei untereinander am stärksten und als ein Majestätverbrechen gegen die ganze Verfassung geahndet wird -, eben diese Banden, Schwarzbündner und -bündler, sag ich, finden Pässe so wenig gegen den Ruf und Schein ihrer Ehrlichkeit und unter ihrer Würde, daß sie einen eignen Beamten unter sich besolden, welcher ihnen falsche Pässe (für sie eigentlich wahre) macht. Der Flebben- oder Paßmacher, der
mit Mühe und Kunst die Stadt-Siegel von unsern Flebben ablöset und auf seine anklebt, oder der gar unsere Stempel erst nachstechen muß - daher er sich noch den Zinkenstecher betitelt -, steht im höchsten Ansehen unter sämtlichen Dieben und erhebt außer seinen jedesmaligen Paßgebühren noch von jeder Beute einen besondern Ausbeutetaler.
Es liegt allerdings in unsern Staatverfassungen, daß wir hier nicht ganz die Diebbanden erreichen können, indem diese die Pässe oder Flebben stets nur
außerhalb ihrer Räuberhöhlen gegen die Fremden vorkehren, untereinander selber aber weder Pässe noch Aufenthaltkarten (die Kodizille der letzten) fodern. In unsern weit volkreichern Verfassungen verlangt die allgemeine Sicherheit eine Aufenthaltkarte noch neben dem im Polizeibureau niedergelegten Flebben - und sogar meinen niedergelegten Flebben muß ich in meinem eignen Lande, wegen der Größe desselben, mit Recht in jeder einheimischen Kreisstadt von neuem »visieren« lassen.
Man halt
es mehr für einen Einfall und Traum als für einen ernsten Vorschlag, wenn ich hier frage, ob nicht die Polizei allgemeine Pässe - etwa nach der ersten Beichte - auf den Rücken aller Volljährigen, als zweite Taufscheine, mit Geburtort, Eltern u. s. w. so einbrennen könnte, daß mans mehr sähe als spürte. Und zu machen wär es. Wer bedenkt, daß der Kaiser Theophilus auf die Gesichter zweier Mönche jedem 12 griechische Verse hat einätzen lassen: dem würde ein solches kurzes Paß-Tätauieren nicht viel
anders, ja besser vorkommen als die Malzeichen des Tiers auf den Hinterbacken der Kavalleriepferde oder auf der Wolle der Schafe. Ein solcher immergrüner, immerwährender Rückenpaß bliebe für die Ehre eines ehrlichen Mannes ein Rückendekret und eine tragbare Rückenlehne, und er hätte überall, wo er sich setzen wollte, sich bloß aufzudecken nötig und als sein eigner Hintermann dazustehen; denn ein solcher brauchte, um zu siegen, bloß den Rücken zu zeigen, als die Kehrseite seines Gehalts .....
Doch genug von einem Einfalle, der nur zeigen sollte, wie sich eingeätztes Paß- oder Flebbenwesen ebensogut mit feinstem Ehrgefühl (trotz allem Anscheine von Brandmarken) vertrage als mit Ersparung von Schreibgebühren, Zeitaufwand und mehr dergleichen. - -
Der Reisemarschall kam abends rechtzeitig nach Nikolopolis zurück und konnte die ganze Stadt mit den schönsten Nachrichten erfreuen, daß er den römischen Hof gemietet, und daß der Fürst jeden Augenblick als Graf von
Hacencoppen ohne geringsten Polizeianstoß eintreten könne. (Von seinem aus Rom nach Luxstadt mitgebrachten und im Polizeiamte niedergelegten Flebben sagt er kein Wort.)
»Überhaupt sei ganz Lux- oder Lukas-Stadt in besonderer Spannung auf etwas,« setzte er dazu, »er wolle aber nicht verraten, auf was.«
Das nächste Kapitel wird wohl den Lesern selber aufdecken, was die Leute so spannt. Während seiner Bemerkung flog ein fürstlicher Wagen aus Lukas-Stadt vor Nikolopolis mit
vier galoppierenden Pferden vorbei; auf dem Rücksitz saß nichts.
Jetzo ging Nikolaus mit sehr seligen Gefühlen durch die Straßen der Stadt und sagte allen Nikolopolitanern, er nehme morgen und überhaupt, solang er in Lukas-Stadt verweile, und sonst bis auf weiteres den Namen eines bloßen Grafen von Hacencoppen an und befehle daher, daß man ihn dort bloß gnädigster Graf! anrede, nicht Durchlaucht. Frühes Aufbrechen aus Nikolopolis, mit Zurücklassung der Stadt, schon vor Sonnenaufgang,
wurde besonders angeordnet. Der Leibhusar Stoß wurde mündlich beordert, schon um 5 Uhr aufzuwarten, aber nicht als fürstlicher Page, sondern als gräflicher Kammerdiener. Dieser allein hatte an dem freiwilligen Stande der Erniedrigung etwas auszusetzen und sagte: »Parbleu! Ihre Durchlaucht kommen so vom Pferd auf den Esel, wenn Sie wieder ein bloßer Graf werden; Graf oder Markgraf: Pardieu! da steht nur schlechter Unterschied dazwischen. Und der miserable Dreckapotheker (der Rezeptuar) wollte
noch dazu glauben, daß Hacencoppen aussehe wie Hasenkopf; wir hätten uns aber beinahe gut geprügelt darüber; denn ich weiß die Sache.« - »Jean,« versetzte der Graf lächelnd, »es sieht nicht bloß so aus, sondern ist auch wirklich so; nur daß Hasenkopf neuer ist; allein in der Heraldik verschlägt dergleichen wenig, und Er versteht es nur nicht gleich auf der Stelle, Jean!«
Der Graf ließ noch spät den Wetterpropheten Richter zu sich bitten, um von ihm die morgendliche Witterung zu
erfahren; er wollte, wie der Mensch pflegt, seinen schon gereiften Hoffnungen noch ganz junge unreife zugesellen. Wie erfreulich aber war des Kandidaten feste Versicherung: »wenn er auch über die Abendkühle und über den Morgenwind, sonst zwei herrliche Wetterbürgen, wegsehe, so sei ihm der Stand des Mondes im aufsteigenden Zeichen des Krebses allein ein schlesischer Pfandbrief, daß er so gewiß, als er sich Hasus drucken lassen, prophezeien könne, morgen stehe der Himmel selber am Himmel und sei
so blau wie ein altdeutsches Auge und mache den Menschen keinen andern Dunst vor als einen blauen.« Sonach war dem Grafen der Morgenhimmel so gut wie assekuriert in dieser prophetischen Versicheranstalt.
Da fuhr sogleich nach der frohen Weissagung der oben erwähnte Fürstenwagen - als sei er ein Stück von ihr - vorüber, auf dem Rückwege nach Lukas-Stadt, und zeigte auf seinem Rücksitz zwei Damen. Natürlicherweise, sagte Nikolaus, sitze noch etwas viel vornehmeres Weibliches im
Vordergrund.
So wurde denn Nikolaus vom Lenzabende recht glücklich gemacht, und nichts sah er darin ziehen - Wölkchen ohnehin nicht, und das kleinste Sönnchen siebenter Größe blinkte ungetrübt - nichts als zehnmal hintereinander seinen Einzug mit großem Gefolg und Erfolg in die erste Residenzstadt, wo seinesgleichen thronte, wo Maler und Dichter zu genießen, zu besolden, ja aufzupacken waren, und wo unter Prinzessinnen verschiedener Thronen wohl gar Freundinnen seiner Amanda aus
leichten Gründen zum Besuch dahin gekommen sein konnten. Als vollends um zehn Uhr noch der Mond so schneeweiß und schneeglänzend über die Landschaft aufstieg wie über Rom in jener Nacht, wo Nikolaus zum ersten Male Amandas Bildnis in Lunas Heiligenschein gefunden; und als er in der keine halbe Stunde entfernten Lukas-Stadt recht gut von den Wetterableitern die vergoldeten Spitzen im Mondglanz leuchten sah, gleichsam als Amors goldene Pfeile: so brachte wohl niemand in ganz Nikolopolis so
schönfarbige Träume in den Schlaf als er ...... Es verlache aber doch niemand die Hoffnungen eines so harmlosen Menschen, diese nur schamhaft verkleideten Wünsche und Freuden, geliebt zu werden und lieben zu dürfen. Das Lieben ist ja das einzige oder Beste, was der Mensch sich nicht einbildet.