Jean Paul
Der Komet
Siebzehntes Kapitel in drei Gängen
eingestellt: 14.7.2007
Wie der Fürst in Lukas-Stadt geachtet wird - und wie er da große Malerschulen findet - und wie er abends spazierengeht - und zuletzt mit dem Stößer spricht
Erster Gang
Die Höflichkeit des römischen Hofs - die niederländischen und die italienischen Meister und Gesichtmaler
Es ist angenehm zu erzählen, mit welcher Untertänigkeit und Höflichkeit der freundliche Papst
samt seinem ganzen römischen Hof unsern Fürsten samt Gefolge empfing und aufnahm, und wie alles, was Beine hatte, um Hacencoppen lief und stand, scharrte und rannte. Wäre eine dicke, vom langen Regenwetter ausgehungerte Winkelspinne edel genug, so könnt ich des Wirtes Heranstürzen an den eintretenden Grafen mit dem Herausschießen der Spinne auf eine im Gewebe summende Mücke anschaulich machen. Denn der arme römische Hof hatte seit Jahren keinen Fürsten mehr zu sehen und von ihm Papstmonate
abzuschöpfen bekommen, weil er an den früheren Fürsten, wie Juden an deren Münzen, stets zu viel Rand abgefeilt und dieselbe Kreide sogar doppelt gebraucht, womit Bierwirte schlechtes Bier entsäuern, aber die Gäste versäuern.
Endlich sah unser Pabst wieder einen langen Milchner bei seinem Peter-Fischzug in dem Hamen schnalzen, und der Fisch hatte ein ganzes Maul voll Stater. Der Wirt hatte nämlich bei der Polizei, mit welcher er in ewiger Wechselwirkung stand, den ganzen Inhalt des
Marggrafischen Passes erforscht und folglich die Sache erfahren, daß Nikolaus sich bloß für einen Grafen ausgebe, aber für einen Fürsten in der Tat ansehe; daher beschloß er, nun ihm keine gräfliche, sondern eine fürstliche Rechnung zu machen, ihn ganz als Fürsten zu behandeln. Und später darf ich auch zu meinem Vergnügen die Rechnung und die Behandlung als Beweise anführen, daß unser Fürst-Apotheker zuerst vom römischen Hofe als Fürst anerkannt worden.
Der Nikolausische Hof besetzte
den ganzen Gasthof, Der faule Heinz und die voltaische Säule wurden von einer Bedeckung unter Stoßens Anführung und Trag-Ordres in ein Kabinett des Grafen hinaufgebracht. Die Prinzessin Amanda war der Reisemarschall Worble befehligt, in dem Inkognito ihrer mit rotseidenen Vorhängen umkleideten Standuhr durch eine Sänfte und deren Träger in das schönste Zimmer Marggrafs bringen zu lassen; die nötigen Wachen waren schon an die wichtigsten Türen gestellt.
Sogleich bei dem Eintritt in den
römischen Hof mußte Nikolaus bald gewahr werden, wie gut man sein Inkognito durchschaue und in ihm deutlich genug den Fürsten erkenne, so viele Müh er auch angewandt, für einen bloßen Grafen zu gelten. »Im Gasthofe kann man sich« - sagte er auf der Treppe zum Marschall - »dergleichen schon gefallen lassen, wenn ich nur dabei hoffen darf, daß man am Hofe mein Inkognito anerkennen und mir alle fürstlichen Zeremoniell-Lästigkeiten ersparen wird. Oder glauben Sie etwa das Gegenteil, lieber
Marschall, und sagen Sie mir es frei?« - »Der Henker müßte den Hof holen« - versetzte Worble - »es ist aber nicht das Kleinste zu befahren - ein Hof, der sich dergleichen unterfinge, wäre selber noch an keinem Hofe gewesen und legte dadurch am ersten dar, wie sehr es ihm am Wichtigsten fehle, an Zeremoniell, an Hofsitten, an Etikette, an Anstand, an allem.« -
Indes hatte Nikolaus doch von der Dienerschaft des römischen Hofs, von den Aufwärtern, Kellnern, Kleiderausklopfern,
Lohnbedienten, eine solche scheue Ehrerbietung auszuhalten, daß er wohl sah, man halte ihn für etwas anderes als einen Grafen. Und darin hatte er auch recht; denn das ehrerbietige Gesinde und Gesindel hatt es von seinem Herrn erfahren, der hohe Gast sei nicht richtig im Kopfe, und es war daher in der beständigen Angst, er drehe mit der Riesenstärke der Tollen vielleicht einem den Hals ab, der ihn nicht nach seiner fürstlichen Einbildung behandle.
Während Marggraf in seiner langen, von
mehr als einem Möbel-Juden aufgeschmückten Zimmergasse zufrieden wandelte und sich endlich zum ersten Male in seinen fürstlichen Appartements antraf, so sagte er zu dem durchlaufenden Stoß: »Jean, siehst du, so sehen Fürstenzimmer wie meine aus. Denke dir aber einmal alle die Kur- und die Fürsten, die Erz- und die Herzoge und Mark- und Grafen auf einmal in corpore hier versammelt, welche vor mir nach und nach diese fürstlichen Appartements bezogen haben, Husar!« - »Diable!« versetzte Jean,
»Pracht heißt das! Da müssen die ersten Herren brav geblecht haben, bis der Gastwirt die Sachen so weit hergerichtet. Nu, uns wird er vollends rupfen, hör ich, und ich möchte meine Federn nicht hergeben - aber Sie sollten als ein vernünftiger Durchlaucht ein Einsehen haben und zu einem solchen Schelm mit seinen ganz unchristlichen Rechnungen sagen: Holla! mein Freund!«
Eben trat Pabst herein, um, wie die Gastwirte pflegen, seinen ersten Gesandtenbesuch bei dem hohen Ankömmling
abzustatten. Es ist dem guten Pabste nachzurühmen, daß er von jeher höflich war, immer ein ehrerbietiger Wohllaut und Bückling in Person, der sein Haupt gar nicht genug entblößen konnte und gern drei Mützen aufeinander aufgehabt hätte, um zugleich mehr als eine abzunehmen.
Die Fischer in Venedig müssen zwar ihre Fische mit unbedecktem Haupte verkaufen, damit der Sonnenstich sie zum Losschlagen für einen wohlfeilern Preis ansporne; aber die, die sich selber stets entblößen und
barhaupt darstellen, wollen Fische erst fangen und andere anders entblößen als sich.
Der Gastwirt schlug sogleich auf der Schwelle den Kramladen seiner Neuigkeiten auf, die er für Schmeicheleien hielt; in dieser Hoffnung erzählte er, wie scharmant mit dem Grafen von Hacencoppen zugleich ein lang-ersehnter Erbprinz des Landes eingetreten, und wie der Herr Graf deshalb recht viele Feste mit seiner Gegenwart zu beehren bekommen werde. »Dies ist noch unentschieden«, versetzte Nikolaus.
- - Hier wird wohl jeder Leser, der nur einige Stücke und Minuten von Marggrafs so freudiger Verwechslung der Prinzgeburt mit seinem Fürsteneinzug im Kopf behalten, voraussehen, daß Nikolaus die obige Antwort mit der verdrießlichsten Stimme gegeben, die nur zu hören ist. -
Inzwischen tat er gerade das Gegenteil: er gab sie mit der freundlichsten.
Aber es konnte nicht anders sein; einmal war er über den verwechselten Willkomm in einer Entzückung, welche, wie jede Empfindung
und wie die Fieber, noch über die Veranlassung hinaus fortdauerte. Auch schloß er ganz richtig so: entweder der Erbprinz langte ganz kurz nach mir an, dann bezog sich ohnehin das meiste auf mich; oder er kam kurz vor mir, dann war man am Hofe - er kenne dergleichen - ordentlich froh, daß die Geburt eines Thronerben einen schönen Ausweg eröffnete, die Feier eines Einzugs und jener Geburt ineinanderfallen zu lassen, ohne im geringsten weder sich selber noch das Inkognito zu
kompromittieren. Später versicherte Nikolaus aufrichtig: »Mein Fall war ein ganz anderer als der lächerliche jenes deutschen Fürsten, welcher bei seiner Einfahrt in London die herrliche Gewölb-Erleuchtung jeder Nacht für eine bloß seinetwegen veranstaltete Illumination zu halten beliebte, weil er sich einbildete, die Erleuchtung falle, wie etwa die Feierlichkeit bei meinem Einzuge, zum ersten Male vor.« -
Welcher erfreuliche Stadt- und Reisemorgen mit seinem Glanzblau des Himmels und
mit dem Jubelgetobe auf dem Marktplatz! Gegenüber sah den Grafen das weiße Schloß, worin sein neugeborner fürstlicher Vetter lag und schrie, mit den blitzenden Fensteraugen an, und Wagen hinter Wagen rollten ins Schloßtor hinein, um zum Vetter (er überschrie alle Hofleute) Glück zu wünschen. Wer nur auf dem Markte stand, sah in die Schloßfenster und wandte sich um und schauete an die Gasthoffenster hinauf zu ihm. Dem Grafen war eigentlich zu Mute, als führen alle die glückwünschenden Festwagen
bei ihm vor und huldigten ihm bestens.
Nun sah er sich doch endlich in der berühmten Kunststadt, wo es statt eines Renovanz tausend Renovanze gab, und wo er zeigen konnte, wie ein Fürst Künste beschützt. In der Tat durfte sich Lukas-Stadt nach dem evangelischen Patron der Maler nennen. - Luxstadt ist daher eine sehr einfältige Verkürzung, wenn die Rede davon ist, wie alles da färbte, pinselte, zeichnete und saß, teils um zu malen, teils um gemalt zu werden, und sogar der Fürst spitzte
den Zepter zur Zeichenfeder zu.
Aus den Niederlanden und aus Unter- und Mittelitalien war längst so viel, ja weit mehr verschrieben und abgeholt, als zur niederländischen und italienischen Schule und Galerie eines kleinen Fürsten gehört. Man scheuete keine Opfer und bezahlte gern treue Kopien für ein Urbild und ließ sich aus Holland und Welschland gern Landschaften und Bauerhütten und Menschen und Vieh auf Holz und Leinwand kommen, sobald die Bilder nichts kosteten als alle ihre
Urbilder in Natur auf dem Boden. Daher es dem Ländchen oft sehr an Geld und Geldeswert fehlte, weil man, wie bei dem sogenannten Schwenkschießen an einigen Orten der Schütze allezeit das in Natur gewinnt, was er im Gemälde trifft, umgekehrt in jener verlor, was man in diesem bekam; kurz das Ländchen lag gleichsam als das dünne Farbenspektrum um die lebhaftesten Farben her. Daher konnten Stadt und Fürst überzeugt sein, daß ihre jährlichen, fast übervölkerten Kunstausstellungen Werke lieferten,
die man etwan in Berlin und in Weimar antraf. Der Stolz auf dieses Neu-Berlin und Neu-Weimar war allgemein; denn er ging bis zum Kerl hinab, welcher zu dem Rahmen seiner Bilder bloß die Galgenpfosten wählte und darin irgendein Urbild in effigie hing, das einzige Gemälde, wobei der Staat etwas gewann. Freilich müssen unter so vielen Malerdutzenden viele Dutzendmaler sein; und in der Tat konnte der Schutz-Evangelist Lukas hier fast in seine Lage in Persien wieder geraten, wo er den Patron der
Färber vorstellt. Das Farbengeben wurde ihren Händen so leicht als bei Edelsteinen unsern Köpfen, die wir bloß leicht zu bewegen brauchen, um jene anders zu färben. - Die Wahrheit zu sagen, die Künstler stolzierten wohl, schmierten aber sehr, und mehre aus der niederländischen Schule verdienten weniger Kopisten als Kopien zu sein. - Doch wars wieder auf der andern Seite ausgemacht, daß, wenn in Lukas-Stadt so viele Künstler eigentlich keinen Heller taugten, die meisten auch keinen hatten,
sondern sich halfen, wo sie konnten; deshalb litten freilich in dieser schönen Kunststadt viele an der Malerkolik des Hungers - und die Lumpen, welche sonst der Gewändermaler an sein Modell als Studien herumhängt, hatte mancher selber an, wenn er aus dem Spiegel arbeitete - und das niederländische Still-Leben ohne Menschen und Geräteprunk war den lukas-städtischen Niederländern viel schwerer auf der Leinwand als auf der eignen Stubendiele darzustellen.
Zu diesem schwachen, aber treuen
Bilde der vortrefflichen Kunststadt - und ich könnte diese noch mehr erheben, wäre sonst der Ort dazu - habe ich mir die schönsten Farben von dem Reisemarschall geben lassen, als er sie dem Fürstapotheker vormalte. »Ich will« - sagte dieser voll größeren Eifers, als Worble erwartete - »den Künsten da schon aufhelfen - welche Malerschulen sind da?« - »Ich glaube wohl ein Paar, die einander entgegen malen«, sagte Worble, der selber nichts Rechts davon verstand. -»So wirds«, versetzte der Graf,
»vielleicht eine niederländische und eine italienische sein?« - Zu keiner bessern Stunde als während dieses Gesprächs konnte sich ein langer, an Rock und Gesicht abgeschabter Mensch anmelden und mit der Bitte vorstellen, den Herrn Grafen zu porträtieren. Er suchte sich noch besonders durch die Nachricht zu empfehlen, daß man ihm bloß bei Gelegenheit, z. B. bei dem Essen, unter dem Frisieren, unter dem Rasieren, unter dem Schminken zu sitzen brauche, und setzte dazu, alle vornehmen Gäste des
römischen Hofs seien bisher, gottlob! noch mit seinem Pinsel zufrieden gewesen. Es war also, so wie es Gasthofbartscherer gibt, der Gasthofmaler, der das ganze Gesicht der Passagiere, aber im schöneren Sinne abnahm als der Scherer ein Stück davon. »Ich unterstütze die Kunst, wo ich sie nur finde,« sagte Nikolaus, »Sie sollen fünf Louis dafür haben.«
Nach einer halben Stunde trat der Wirt ein und trug vor: die größten niederländischen Maler der Stadt und seine innigsten
Freunde, die fast jeden Abend eine Pfeife bei ihm rauchten, die Herren Denner, Zaft-Leeben, Paul Potter und Van Ostade und Dyk, wüßten und wünschten für sich und die Kunst kein größeres Glück als dieses, den Herrn Grafen von Hacencoppen zu malen. - »Himmel! solche berühmte, in allen Galerien ansässige Künstler hegt Ihre glückliche Stadt auf einmal,« versetzte Nikolaus, »Herr Pabst? - Ich erstaune ganz. Wären solchen Heroen der Kunst zehn Louis für mein Bild anständig genug, so säß ich gern;
Künstler aufmuntern, war von jeher mein Bestreben.« - Hier stockte der Wirt ein wenig mit dem Dankerguß und ließ ihn nur tröpfeln, weil ihm zehn Goldstücke für fünf Maler zugleich doch etwas winzig gegen fünf Goldstücke für den einzigen Gasthofporträtierer vorkamen, - bis Nikolaus deutlicher hinzufügte: »Ich wünsche aber noch mehren Künstlern, worunter Ihre Kunststadt ja so manche arme hat, zu sitzen und jedem, besonders dem dürftigen, meine Aufmunterung von zehn Louis zukommen zu lassen.« Da
erriet der Wirt seine ganze Fehlrechnung mit Freuden; denn auf den Gedanken, daß der Graf in der Eile und Unwissenheit alle die genannten, aber längst verweseten Künstler, wie, Denner, Potter u. s. w., für noch leibhafte, in Luxstadt angesiedelte angesehen, käme der Henker und kein Pabst. Indes mäßigte dieser doch die freudigen Ausrufzeichen und Handaufhebungen über einen solchen Kunstmäzen, die sonst ohne das Mißverstehen ausgebrochen wären.
Aber solche Preisaussetzungen laufen und fliegen umher, zumal in Lukas-Städten. Nach einer Stunde erschien der Gastwirt wieder, aber mit noch tiefern und langsamern Bücklingen, und fing an: »Es ist freilich kein Wunder, Ihro hochgräflichen Gnaden - Kenner der heiligen und nützlichen Malerkunst gibt es wenige - Gönner derselben kenne ich noch weniger, seit ich meinen Gasthof behaupte - aber gar einen Kenner und Gönner zugleich, wie Ihro Gnaden,
beteuere ich mit Wollust, noch nie in meinem Gasthöfe, seit dem Ochsenschild bis zum römischen Hof, alleruntertänigst bewirtet zu haben, nach meinen geringen, nur gar zu schwachen Kräften. - Dies ist aber nun schon in der ganzen Residenz weltbekannt, und unser berühmter Ochs, unser berühmter Laus, unser berühmter Esel, desgleichen die gewiß nicht weniger berühmten Meister Schnecke, Bettler, Fresser, Säufer und alter Mann, alle diese echten Künstler (sie treffen jede Blatternarbe, jedes
Nasenhaar) wissen und träumen von keiner größern Ehre - denn Geld ist ihnen Nebenzweck und Hauptbedarf -, als einen Gönner und Kenner der Kunst, wie Euer Gnaden, treffend abzureißen - sie stehen sämtlich draußen im Vorsaale, die Meister!«
»Ich sitze Ihnen allen mit Vergnügen«, sagte Nikolaus. »Das übrige hab ich schon Herrn Pabst erklärt. Ich werde Sie wie Ihre Vorgänger behandeln, so wie Ihnen gleich Ihre Nachfolger, auf meiner ganzen Kunstreise.« - »So viel weiß ich, Ihro Gnaden,
als bloßer Kunstfreund,« fiel der Wirt ein, »daß unter unsern belgischen Meistern hier in diesem Saale einer steht, der den berühmten Balthasar Denner etwas übertrifft. Dieser soll ein altes Gesicht so fein gemalt haben, daß man alles Feine erst durch ein Mikroskop recht erkennen konnte; aber unser Luxstädter Denner trieb es schon weiter: er malte einem alten Kopfe sogleich ein Vergrößerglas in die Hand, durch das man jedes Schweißloch des Kopfes vergrößert sehen konnte.«
Es würde nur
langweilig und verdrießlich fallen, wenn ich das neue gesteigerte Bücken des als ein Knecht aller Knechte dankenden Pabstes wieder mit Lebhaftigkeit darstellen wollte, zumal da ichs vorausweiß, daß er noch einmal kommt und noch stärker staunt.
Denn in der Tat kam er nach zwei Stunden von neuem wieder, an der Spitze eines ganzen Maler-Konklave, das er im Vorsaal hinter sich herzog, und fing, zurückweichend, fast mit einigem Beben an: »Er wage übermenschlich bei Seiner hochgräflichen
Gnaden, könne sich aber nicht helfen - hätte er freilich früher nur irgendeinen Fürsten und Großen gekannt und unter seinem Dache zu bedienen gehabt, welcher alles von höchsten Gönnern und Kennern der Künstler so sehr wie Herr Graf von Hacencoppen überboten: so wären große welsche Meister von solchen Namen, als er hier ankündigen dürfe, längst in andern Umständen, ein Salvator Rosa, ein Anton Raphael Mengs, samt einem Raffael von Urbino, ein Paolo Veronese und Fra Bartolomeo di S. Marco, samt
einem Tizian - Kolorit, Karnation, Projektion, perspektivische Vorgründe, Gruppierung, Idealismus und erhabenes Pittoreskes und tiefer Faltenwurf und höhere Seele in allem, dies sei es, was diese wahren Seelenmaler in ihren Porträten so ungemein auszeichne, daß Ihro Durchlaucht, die hohe Mutter des heutigen Erbprinzen, sich als ihre Mäzenin ausgesprochen; und eben dieser heutige hohe Tag ihrer Niederkunft befeuere ihn, für die Schützlinge der erhabenen Wöchnerin die Gnade der vorigen Maler
auszuwirken, daß Ihro Gnaden ihnen ebenfalls säßen. - Dürf er nach seinem eignen Gesichte schließen, das mehre von ihnen zur Saldierung ihres Abendtisches gemalt, und in welchem sie die kleinsten Züge so herrlich idealisierend hinaufgeschraubt, daß man ihn kaum wiedererkenne, wenn man es nicht wisse: so wiss er sich nichts Schöneres und Idealischeres als ein Porträt vom Herrn Grafen, wenn dasselbe von solchen Idealisiermeistern hinaufgetrieben würde.«
Der Graf antwortete äußerst
verbindlich: »Meine sehr geschätzten Herren, Ihrem Wunsche, mich abzumalen, biet ich allerdings mit besonderer Freude die Hand - und von Meistern, die sich so berühmte alte Namen zugeeignet, darf ich wohl Hohes und Höchstes erwarten. Mein Grundsatz war aber von jeher, keine Kunstschule ausschließlich hintanzusetzen oder aufzumuntern, sondern jede zu begünstigen. Daher sichere ich jedem von Ihnen für jedes Porträt so viel zu als früher den Künstlern der niederländischen Schule, nämlich zehn
Louis. Die Sitzstunden werden künftig näher bestimmt.«
Man sieht aus der Rede, daß jetzo Nikolaus ohne besondere äußere Belehrung sich selber aus seinem anfänglichen Irrtum, als seien die Potter und die Denner in Lukas-Stadt lebendig zu haben, mit eignen Händen durch seine Kenntnisse der Kunstgeschichte herausgearbeitet. Da der Wirt auf seinen Fehlgriff gar nicht gemerkt hatte: so konnt er ihn unter der Hand zurücknehmen. So werden hundert Irrtümer, so wie Einfälle, im
gesellschaftlichen Platzregen nicht verstanden; man sieht erst hinterher, wenn man unnütz die einen zu verbessern und die andern zu erläutern denkt, daß niemand uns zuhörte als wir selber.
Ich versprach oben, nicht wieder mit Feuer zu malen; auch soll Wort gehalten und nichts von Freudensprüngen der italienischen Schule die Treppenstufen hinunter vorgebracht werden. Der Gastwirt sammelte sämtliche Entzückungen im Brennpunkte seiner eignen und bot der italienischen Schule seine
niederländische Tabagie auf den Abend in seinem Gasthof an; denn er liebte die Kunst und die Künstler und den Grafen und sich wahrhaft; und versprach sich von der Vervielfältigung des gräflichen Gesichts eine noch größere der Stunden, die der reiche Nikolaus vor den Malern und in seinem Gasthofe versitzen müsse.
Hinter allen diesen Malern erschien bei Nikolaus ziemlich spät der eigene Hofmaler Renovanz; denn sein Kunsttrieb, für welchen kein Fürst und kein Graf ein Zügel oder eine
Hemmkette war, hatte ihn in der Malerstadt umhergejagt, zu Kunstgenossen, zum Galerie-Inspektor und in die Galerie selber. Nikolaus konnte nicht genug eilen, dem Maler mit den Nachrichten alles dessen, was er an einem Vormittag für die Kunst getan, die größte Freude zu machen und es ihm zu sagen, wie er ganzen Malerschulen auf einmal zu sitzen versprochen. - Mehre und tiefere Stirnrunzeln hatte Renovanz dem Grafen nie auf seiner jugendlichen Stirn gezeigt: er verwundere sich darüber etwas, sagte
er frei heraus - die Kerle seien Bestien, und kein einziger stelle ihn zufrieden, die Schelme aber aus der italienischen Schule am schlechtesten - dabei aber sei alles voll Neid gegen stärkere Künstler - und er selber habe heute bei dem Galerie-Inspektor, den er für einen wahren Kunstesel und Palmesel erkläre, auf dem ein Heiland der Kunst mit Mühe in das Jerusalem der Galerie einreite, am Ende mehr zum Gekreuzigtwerden als zum Königwerden, mit genauer Not drei von seinen Kunstwerken in die
nächste Ausstellung zu schieben vermocht, weil man vielleicht einen ausländischen Mitkämpfer nicht gern auf der Palästra ihrer schwächlichen welschen Schule auftreten sehe.
»Der Inspektor hat Sie aber doch« - fragte der Fürstapotheker, nicht ohne einiges beleidigte und zornige Gefühl seines Stolzes -»sogleich aufgenommen, als erhörte, Sie wären mein Hofmaler?« - »Er hörte es nicht; ein Künstler zeigt bloß seine Kunstwerke, und damit will er stehen und fallen«, sagte der Hohengeiser
Stallmaler und erzählte mit Ingrimm, wie die Luxstädter Färber aus der italienischen Schule sich immer von den alten Meistern, nach deren Kopien sie kopierten, die Namen patenmäßig beilegten, wie etwan in Wien die Bedienten der Fürsten und Grafen sich wie diese selber nennen, so daß oft z. B. mehre Metterniche und Kaunitze in einem Bierhause zusammen karten und ihre Herren erwarten. Am meisten erboste sich der Stallmaler über die zwei Luxstädter Raffaele, den aus Dresden und den aus
Urbino, welche sich, mit solchen Glanznamen vor der Stirn, auch hinsetzen und im römischen Hofe auch porträtieren wollten. »Mein Bruder« - setzte er hinzu, und Geschichtforscher dieses Kometen erinnern sich noch aus dem zweiten Bande dieser Geschichte des mitfahrenden zarten, schönen, phantastischen Jünglings unter dem Namen Raphael - »verdient wegen seiner höchst malerischen Visionen bei Mondschein wohl eher seinen Raphaelischen Namen; und wenn er sich nicht auf Praxis und Porträtieren einläßt:
so tu ichs doch, nenne mich aber ganz kurz weg Renovanz. - O die abscheulichen Prahlmaler!«
Nikolaus tat aus Mitleiden mit diesem ärgerlichen Selbgefühl ablenkende Fragen über die niederländischen Maler und über die Unterstützung des Fürsten; aber da Renovanzens neidische harte Darstellung den Ruhm dieser berühmten Kunststadt schmälern würde, so schildere ich lieber selber. Die Meister der belgischen Schule - wie sich die niederländische da nannte - ließen sich gewöhnlich, jeder von
dem verstorbenen, dessen Schüler er war, z. B. von dem berühmten Balthasar Denner, aus der Taufe heben, und einer nannte sich z. B. Balthasar Denner; so wie gemeine Leute an Fürsten Gevatterbriefe schreiben, eines artigen Patengeschenks gewärtig. Andere belgische Meister, z. B. ein Hase, ein Sau, ein Laus, nannten sich nach ihren Stücken und liefen auch im gemeinen Leben auf dem Konventionfuß der Preistiere um, auf denen sie, wie Muhammed auf dem Esel, oder wie in Rom die Kaiserseelen aus dem
Scheiterhaufen auf einem emporgelassenen Adler, gen Himmel getragen werden. Andere Meister, welche der Gastwirt zum Porträtieren hergebracht, z. B. der sogenannte Säufer, der Bettler, der Fresser, ließen sich von ihren Meisterstücken dieses Namens, gleichsam die Väter von ihren Kindern, taufen, weil nicht zu verkennen war, daß sie solche nach dem Leben, nämlich nach ihrem eignen, gemalt.
Es wäre freilich gegen alle Natur des Menschen und gegen die ganze Weltgeschichte gewesen, wenn
beide Schulen, die Belgier und die Welschen, einander nicht tödlich angefeindet oder einander nicht zu vergiften, zu verpesten und zu brandmarken gewünscht hätten. Der einzige Hut, unter welchen sie zu bringen waren, war das Dach des römischen Hofes, wo allein sie ein paar Groschen auf Borg verzehren durften. Wie einmal in Paris die Piccinisten in einem Winkel der Theaterloge des Königs standen, und die Gluckisten im Winkel der Königin: so war auch hier der Lukas-Städter Fürst der Mäzen der
Belgier, und die Fürstin der der Welschen; denn natürlicherweise wird ein Mann lieber die Natürlichkeit, und eine Frau lieber die Verklärung beschirmen.
Schutz nun erhielten auch die Maler reichlich und Lob hinlänglich; aber von Geld wenig oder nichts, wegen der die kleinen Fürsten so drückenden Armut an Papiergeld, das nur sehr große Reiche im Überfluß besitzen. Die Brotkrumen, womit sonst Pastellmaler die Druckfehler ihrer Gemälde wegscheuern, hätten den Malern schon zum Erschaffen
der Schönheiten Dienste getan; denn in der Tat will ein Künstler - so wie, nach den heraldischen Regeln, im Wappen nach Farbe stets Metall und nicht wieder Farbe kommen muß - ebenso etwas wie Geld aufgelegt sehen.
Nun mag denn Renovanz in seiner stärkern Sprache fortfahren bei Nikolaus: »Diese Hungerleiderei ist nun das Motiv, warum das ganze luxstädtische Malerpack porträtieren muß; wo man nur steht mit ein paar Pfennigen im Beutel, wird man abgerissen oder abgeschmiert, und wer
niemand zum Sitzen bekommt, der sitzt sich selber und guckt in den Spiegel. Für anderthalb Taler kann sich jeder bis aufs Knie gemalt erhalten, und fast in allen Haushaltungen hier hängt jeder an der Wand, ders kaum wert ist, daß er lebendig am Boden stehe. Glauben Sie mir als einem Künstler, unter allen den Kerlen, die Ihnen der höchst unwissende und höchst eigennützige Pabst (Wirt) empfohlen, ist vielleicht kein einziger, der heute etwas zu essen hat; lauter Lumpe, die nun auf Ihr Gesicht wie
auf einen Brandbrief borgen.«
Zu des Stallmalers Erstaunen erwiderte der Graf: recht warm dank er ihm für diese Nachricht zur rechten Zeit; jedes Wort sei ein Fürsprecher für die armen geldlosen Künstler; denn auf ihn könn er mehr bauen als auf den hier vielleicht interessierten Wirt. Nun hab er doppelte Gründe gewonnen, sich von beiden Armen-Schulen malen zu lassen und keine auffallend zu begünstigen. Er stelle sich jetzo die eingefallenen Gesichter der beiden Reihen von armen
Teufeln, die er schon durch sein Versprechen so sehr ausgeheitert, recht lebhaft vor, wie herrlich sie aussehen und lächeln werden, wenn er gesessen und sie lauter Gold einstecken. »Bei Gott,« - setzt er ganz im Feuer dazu - »schlüge ich auch einem einzigen Künstler mein Gesicht, etwa seines Pinsels wegen, ab: so würde mich dieser, das weiß ich, auf meiner ganzen Reise mit seinem eignen betrübten verfolgen und es mir ordentlich vorhalten. - Mein Grundsatz aber war in meinem ganzen Leben der und
bleibt es auf der Reise hindurch, Herr Renovanz: ein Fürst muß den andern ergänzen, und was der ärmere nicht vermag, soll der reichere vergüten, und so werd ich denn sitzen.«
Darauf blieb denn dem Hofmaler nichts zu tun, als seine Galle zu verdauen - die eigentlich sonst verdauen hilft - und ihre Ergießung nach oben zurückzuschlucken, da man bei Nikolaus die warmen Beschlüsse der Wohltätigkeit durch jeden Widerspruch nur anschüren, aber nicht abwehren konnte; und er hatte nichts
Angenehmes mitzunehmen als etwa das für den gastfreien Wirt Unangenehme, daß der Graf beifügte, er werde natürlicherweise aus Zeitmangel nicht jedem einzelnen Maler sitzen, sondern jedesmal einer ganzen Schule zugleich.
Zweiter Gang
Spaziergang
Gegen Abend, vor Sonnenuntergang, ging er als bloßer Graf von Hasenkopf ein wenig in der festlichen Stadt umher, einfach, bloß von seinem Kammerhusaren Stoß und seinen drei Gelehrten, Richter, Worble und Süptitz, begleitet. Die Sonne hängte ihre rotglänzenden Tapeten des Abendrots, wie bei einem Feste, an den Häusern herab, und außer ihm und in ihm war viel Freude.
Alle Welt sah ihn an und zog vor dem von Hacencoppen, ganz bekannt mitten im Inkognito, Hüte und Mützen ab; die Welt aber bestand teils aus den porträtierenden Akademikern und ihren Verwandten, teils aus ihren Gläubigern, endlich wohl auch aus einigen feigen Hasen, welche fürchteten, er nehme sie vielleicht in einem tollen Anfalle gar beim Kopfe, wenn ihrer bedeckt bleibe. Der Graf zeigte Verstand, daß er sogleich mit dem Hute unter dem Arm aus dem Gasthof heraustrat, schon auf das ewige
Begrüßen vorbereitet. Da aus den obligaten Hutbewegungen, womit ein Gefolge in das Dank-Solo eines gegrüßten Großen einfällt, so viel auf diesen zurückzuschließen ist: so weiß ich keinen schönern Beweis von des Fürsten Popularität und Entfernung von allem Stolz als die äußerst verbindliche Weise, womit seine nachahmende Suite jeden mitgrüßte, besonders Richter und Stoß, und der Hofprediger griff unermüdet an seinen Hut, wiewohl mit einigem Verdruß, daß ihn die Gewissenhaftigkeit mitten unter so
vielen Merkwürdigkeiten immer an eignen und fremden Filz zu denken nötigte. Bloß vom Reisemarschall merk ich an, daß er, um sich und seinen Hut zu decken, unaufhörlich sich umsah.
Das Abend- und Festgetümmel war hübsch und groß. Die kleinsten Jungen schrien: »Vivat der Kleine!« und meinten den Erbprinzen; und die abgelöste Schloßwache sagte unterwegs ganz laut: »Unser alter Herr konnte, bei Gott! kaum mehr stehen, es kam aber bloß vom vielen Zechen des Mittags, und da hat er auch
recht, man bekommt nicht alle Tage einen gesunden Erbprinzen.« - Da sich auf der Welt wohl niemand mit weniger Galanterie gegen das weibliche Geschlecht beträgt als dieses selber: so hörte der Graf überall Freudenausrufe von Weibern, welche Gott für die Gnade dankten, daß er das Land mit keiner Prinzessin heimgesucht. Der Fürst labte sich, ohne den geringsten Neid gegen den Erbprinzen und dessen Eltern, so innig an der allgemeinen Lust, als sei er selber gemeint. Der Kunsthändler, der im
Morgennebel auf dem Kopfe sein waagrechtes Brett als einen Olymp voll Götter aus Gips herumgetragen, ging wieder mit dem Göttersitze durch die Gassen, und Nikolaus freuete sich, daß er im Nebel keinen einzigen Gott und Kopf verloren, oder abgesetzt.
Da des Grafen ganzer Spaziergang durch die Stadt eigentlich zur Absicht hatte, vor dem fürstlichen Schlosse, das seinem Gasthofe gegenüberstand, bei der Rückkehr recht oft und nahe genug - doch nicht zu nahe, oder etwan gar in der Schuß-
oder Grußweite - vorbeizugehen: so ging er einige Male vorbei; und bei dem dritten Male sah er eine der anmutigsten und blühendsten Prinzessinnen, welche je im ältesten hundertjährigen Romane aufgetreten, an dem hohen Schloßfenster stehen und ihr kurzes vergoldetes Sehröhrchen (es war gewiß ein seltner Ramsden) nach einem Reiter richten, welchen Hacencoppen wenig wahrgenommen. Der Reiter hatte sich eben in kurzen Galopp, nach den aufgerichteten Füßen des Pferdes zu urteilen, gesetzt und wollte
aus dem Springbrunnen, worin er in Bronze stand, in das Schloß einsprengen, oder doch davor paradieren. Der Mann war, wie leicht zu denken, nichts als eine glänzende Bildsäule zu Pferde, welche so martialisch und ähnlich, als Gußform und Gußofen zugelassen, den seligen Vater des regierenden Herrn, wenn nicht letzten selber, abbildete.
Nikolaus wurde auf der Stelle so wunderlich von der Schönheit der Prinzessin bewegt, als säh er etwas längst Bekanntes, das er jedoch nicht sogleich
erkenne. Er fragte den Reisemarschall, der auf der Reise alles wissen mußte; es war aber bloß eine fremde Prinzessin, inzwischen nicht die, die er im Hofwagen anstatt der Hebamme vorausgesetzt, sondern eine schon längst angelangte, zur Pflege der hohen Wöchnerin vielleicht. Jetzo schloß das durch den Ramsden guckende Gesicht auf einmal das linke Auge auf, das bisher nicht von dem Zeigefinger, sondern bloß von dem Augenlide zugedrückt worden, und zwar ohne die geringste Verrückung der schönen
Züge; - wobei ich nebenher versichern will, daß diesen einäugigen Augenlidzug wohl wenige Leser ohne den sichtbarsten Nachteil ihrer Schönheit, ohne einen zänkischen Runzelkranz am Schließauge und überhaupt ohne das verdrießlichste Aussehen von der Welt nachbringen würden. - Himmel! welch reizendes Gesicht! - Ich meine nicht der wenigen Leser, sondern der Prinzessin ihres.
Als sie aber vollends ihr Auge aufdeckte: so hob auf einmal aus des Grafen nächtlicher Jugendzeit sich das Bild
der einen von den vier Freundinnen Amandas herauf, welche damals der Venus am ähnlichsten geschienen. Er mußte für sein Augenpaar noch das fremde schöne haben, zum Wiedererkennen. Eine aus der Halbjugend in die Volljugend Hinübergeblühete ist gleichsam ein blumenvolles Frühlingtal, vom Sonnenschein aufgedeckt, das man vorher in der Nacht, bloß bei Mondlicht, mit schlafenden Blumen gesehen. - Er geriet außer sich vor Liebe gegen die - Wachsbüste zu Hause; die vollblühende Prinzessin war eine
Zauberrose an Amandas Brust. Stets mußte er - dazu war er gemacht - in Reflexen oder Widerscheinen entbrennen und lieben.
Endlich wurde die fremde Prinzessin die auf der Gasse hinaufblickenden Herren gewahr; und mußte sich natürlicherweise umkehren. Das erste, was der Graf nach ihrem Umkehren vorkehrte, war, daß er es auch tat und den Reiter anschauete, welchen sie angesehen. Sein Herz war nun in Bewegung gebracht und wogte fort - der alte Steinfürst schien ihm immer mehr seinen
künftigen Vater und die erste Umschließung von dessen Armen vorzumachen, und je länger er an ihm herumsah, desto mehr war ihm am Ende, als könn er eiligst vom Pferde springen, um in der ersten väterlichen Entzückung des Findens seinem feurigen Sohn, der dessen Knie umfassen wollen, geradezu ans Herz zu fallen. Er hätte - wenn es sein Stand gelitten - in den Springbrunnen steigen und bis zur Bildsäule waten mögen, um nur sich zu kühlen und die Hand auf ihren Fuß zu legen.
So schwamm er
vor der Abendsonne in einem unbeschreiblichen, aber milden Freuen, ohne akademischen Seelenlehrern recht angeben zu können, was er Namhaftes dazu vorbekommen; unter den spielenden Sonnenstäubchen und Abendmücken haftete er in dem warmen Goldstaubregen, wie die Schwebfliege an einer leeren Stelle in der Luft, fest, sah aber bald nach dem Schloßfenster, bald nach dem Reiter. Wenn er es aber schon jetzo so treibt: so wird es mir, wenn ich den Fund der wirklichen Amanda und des wirklichen Vaters
selber zum Beschreiben erlebe, sauer genug werden, seinen Entzückungen dabei mit dem Pinsel nachzukommen. - »Jean,« sagte er und kehrte sich gegen Stoß, »du erscheinst heute Abend früher und ziehst mich aus.« - »Ausziehen, Seine Durchlaucht? - Ja!« versetzte dieser; denn er wiederholte jeden Befehl fragend und fügte dann spät sein Ja bei, als ob er etwas dagegen zu erinnern hätte, in Wahrheit aber, weil er das Vergnügen des Gehorchens recht durchschmecken wollte.
Als eben ein paar
vorbeigehende Mädchen den Reisemarschall recht aufmerksam ansahen, als ob sie sagen wollten: »Ist das nicht der Spitzbube, der arge Nebelstern oder Irrstern am Morgen?« - und als der Stößer auf einmal rief: »Alle diable! drunten kommt der verfluchte ewige Jude in seinem Lederhabit und sieht uns«, so verfügte sich das ganze Gefolge in den Gasthof zum römischen Hofe hinein. -
Unter dem ewigen Juden hatte Stoß den seltsamen Mann gemeint, der am Morgen, ganz in Leder gekleidet, sich vor
dem Grafen den Fürsten den Welt genannt.
Dritter Gang
Abendessen - Stiefelknechte - und Stoß
Es kommt darauf an, ob eine Dienerschaft lieber einem vornehmen Herrn in die Seele sehen will, oder lieber einer vornehmen Frau. In jenem Falle helfe sie auskleiden, in diesem ankleiden. Um mit der Kammerjungfer anzufangen: so entschleiert sich ihr die Seele der
Gebieterin mit jeder Hülle, womit sie den Körper einschleiert, und jedes Putzstück, besonders die Art, es anzulegen, die Eile und die Weile dabei, ist ein durchsichtiger Fenstervorhang oder Jalousiefenster des Innern der Frau; so daß ich jede Schmucknadel (was jede Stecknadel auch ist) eine Magnetnadel nennen kann, welche die Herzpole zeigt. - Kurz, die Kammerjungfer kann unter dem Heften, Falzen und Einbinden des anziehenden weiblichen Buchs bequem in die Blätter selber hineinblicken und hat
noch dazu an den Nachrichten für die Buchbinderin (sie sind nur halb so dick als das Werk selber) genug zu lesen und zu ersehen.
So zeigt ihr denn die Dame bei dem Ankleiden sich und alles Innere, worin die Jungfer, wenn es auf mein Wünschen ankäme, nicht zuweilen sollte Übermut und Unmut, Reiz und Gefallsucht und Härte und Kleinlichkeit antreffen können. Inzwischen muß ichs dennoch glauben, wenn sogar eifrigste Verehrer hoher Damen mich versicherten, sie sähen lieber eine in der
Badewanne (sie zeigte weniger Fehler) als vor dem Waschnapf oder mitten unter allen Schönheitwassern. Ich will leichter ein Held vor dem Kammerdiener sein als eine Heldin vor der Kammerfrau.
Hingegen das Auskleiden in der Nachmitternacht wirft mir wenig Psychisches ab für eine Jungfer, zumal wenn man die Eilfertigkeit der Dame bedenkt, die sich kaum so viele Viertelstunden zum Entpuppen nimmt, als sie vorher Stunden zum Verpuppen gebrauchte, und besonders bei dem
Nachträumen der Vergangenheit, gekettet an ein Vorträumen der Zukunft (woran ich gar nicht einmal gedacht) - bei solchen Umständen, wo die Dame nichts sucht als ihr Bett, ist wenig zu erfahren, als bis sie wieder aus diesem heraus ist.
Ganz anders der vornehme Herr! Dieser kommt mit vollern Herzen und vollem Kopfe nach Hause und hat des Tages Lasten und Freuden überstanden und spricht, zumal wenn ers noch kann, lieber ein Wort zu viel als zu wenig. - - Dieses kann der Kammerdiener
auffangen und so Leib und Seele miteinander enthüllen, zumal da bei unserem Geschlechte Auskleiden nicht viel kürzer dauert als Ankleiden.
Weder das Lever noch das Coucher des Fürstapothekers bestand bisher aus den vielen gewöhnlichen diensttuenden Kammerherren und Leibpagen anderer Fürsten - hierin hielt Hacencoppen mit andern Monarchen gar keine Vergleichung aus -, sondern alles war und tat der Stößer Stoß mit einigem Stolz. Desto erfreueter war er, daß er bald kommen und sich viel
früher hinstellen durfte als den Stiefelknecht.
Vorher speiste man, und der Tafel- und Salon-Knecht, der Wirt, trug mit dem Suppennapfe zugleich die Bitte der einen unten trinkenden Malerschule, der belgischen, vor. »Herr Graf von Hacencoppen möchte die Stunden Dero Sitzens anberaumen, je bälder, je lieber; denn die Geburt des Erbprinzen habe die große Ausstellung zu nahe angerückt, und jeder Künstler wünsche nichts mehr, als das Porträt des Herrn Grafen bei dem allgemeinen
Maler-Wettkampfe mit aufzustellen.« - »Morgen vormittags sitz ich bestimmt der ganzen Schule«, resolvierte Nikolaus. Pabst merkte höflich, aber frei an, der Belgier seien ihrer sechzehn an der Zahl, und da brauche wohl jeder seine volle Stunde. »Aber ich will« - versetzte der Fürst lebhaft - »ja allen zugleich sitzen, vorwärts und links und rechts, im Vollgesicht, im Profil, im Halbprofil, im Drittel-, im Viertelprofil, und da, wo es nicht weiter zu machen ist, mögen die übrigen hinter mir mich
aus den Spiegeln abkonterfeien, wie von jeher die größten Maler bei ihren eignen Gesichtsitzungen tun mußten; denn man braucht nur etwas von der Kunst zu verstehen, so sieht man die Leichtigkeit der Sache.«
Mit der größten Dankbarkeit und Lobpreisung, so wie mit der stillsten Verdrießlichkeit (über das Ineinanderschmelzen der Sitzstunden), trug der Wirt seine abgeleerten Teller und - Aussichten hinunter zur Schule, brachte aber hinter einem graulichten Hechte - der seinen Schwanz, als
das beste Stück, selber zwischen den Zähnen hatte - wieder neue Entschuldigungen und neue Bitten hinauf: »Außerordentlich, Herr Graf, zu schätzen« - fing er an - »ist allerdings die belgische Schule, welche so treu der Natur auch die kleinsten, ja die unsichtbarsten Züge abstiehlt, jedem Gegenstande, auch dem verächtlichsten, ein ewiges Leben einflößt durch Leinwand samt Pinsel, und ewig wird sie daher von wahren Gönnern und Kennern geschätzt und gestützt. Aber dieselbigen wahren Kenner oder
noch mehr die von der entgegengesetzten Künstler-Bank werden auch zugestehen, daß das weite und breite Reich der Kunst noch bei weitem nicht durch sie erschöpft ist - es gibt hohe Formen - es gibt große Partien - hohen Stil - Ideale - geistreiche Behandlung - entzückende Farbentöne - überhaupt etwas Überirdisches im Kontur, kurz was Sie, Herr Graf von Hacencoppen, als Kenner am besten bewundern, und wovon ich statt aller Worte immer am liebsten meinen einzigen Raffael von Urbino anführe. - Wo
aber sind alle diese malerischen Göttergaben vereinigt zu finden als in der welschen Schule allein, die deswegen sich auch gebildet hat? Funfzehn Meister dieser Schule nun, welche heute unten in meinem zweiten Schenkkabinette sitzen, nähren gleichfalls keinen innigern Wunsch, ja keinen idealern als den, Ihro Gnaden im allerbaldigsten abzukonterfeien; denn sie können wahrlich - das hör ich so oft, als ich einen Kork ausziehe - ganz unmöglich der zweiten Schule die Ehre lassen, daß sie allein im
Bildersaale dasteht und feilsteht mit Ihrem großen Bildnis in der Ausstellung; sie wollen auch dabei sein und sich zeigen.«
Nikolaus versetzte: »Gern und parteilos sitz er sogleich morgen nachmittags auch den andern Meistern auf einmal.« Außer der fürstlichen Sitte, alles recht eilig dazuhaben und wegzuhaben, die ihm auch ohne Krone angeboren war, befolgte er hier noch seine eigne andere, daß er nie einen Menschen auf etwas warten lassen konnte, schon aus eigner Ungeduld; - und hier
wars ihm schon zu viel daß entweder die Welschen auf die Belgier, oder diese auf jene passen mußten.
Der Wirt Pabst trug seine abgeleerten Teller und Ernteaussichten hinab in das zweite oder italienische Schenkkabinett, wurde aber von ihm zum Grafen zurückgejagt und vorher, soviel dasselbe auch bei ihm geborgt, aus Kunstliebe stark angefahren, daß er viel zu einfältig gewesen und mit so weniger Kenntnis der Malerei unterhandelt habe, daß er sich Abendlicht für Morgenlicht aufbinden
lassen. Er brachte dann dem Grafen tausend Entschuldigungen der Maler, die er, wie seine Getränke, ihnen lieh, und die untertänige Bitte um eine vormittägige Sitzung, wegen des bessern Lichtes, hinauf. - »Ich setze voraus,« - antwortete der Graf - »daß man sich unten der inständigsten Bitten um mein baldiges Sitzen noch erinnert; bloß deshalb hab ich gewillfahret, ob ich gleich ein tagelanges Sitzen in einer Stadt nicht liebe, wo mich so vielerlei erwartet.« -
Hat nun ein Fürst an
einem einzigen Tage so viele Hoffnungen teils erfüllt und gemacht, teils selber geschöpft: so ist er etwas müde und sehnt sich mit Recht vor dem Bettgehen nach seinem Stößer zum Ausziehen, den er vorher zum rechten Sattessen und Sichselberaufwarten in den Speisesaal hinuntergeschickt.
- »Jean! um des Himmels willen den Stiefel gehalten«, rief er dem eintretenden Stößer entgegen; denn er hatte wenig anders mehr an. Zwar wollte er jeden Abend sich vornehm und ordentlich ausziehen
lassen, konnt es aber vor fürstlicher und pharmazeutischer Ungeduld nie dahin bringen, daß ers erwartete.
»Um des Himmels willen den Stiefel gehalten«, hatt er gerufen ..... Schwerlich erhalt ich in diesem ganzen Werke eine bessere Veranlassung als hier, einmal ein Wort zu seiner Zeit aus zusprechen über einen Gegenstand, den eine gute Feder wohl früher als manchen anderen im allgemeinen gothaischen Anzeiger hätte beherzigen sollen, nämlich über die schlechten Stiefelknechte in
deutschen Gasthöfen. Noch immer sieht man sie bedeutend unter dem Grade von Vollkommenheit stehen, welche andere Werkzeuge in Europa, wie sogar Schuhbürsten, Stiefelzieher, Stiefelhölzer und deren Wichse, längst erstiegen haben. So schmale Stiefelknechte, daß man auf ihnen nicht auffußen kann, oder solche, mit dem Fußboden auf einer Ebene liegend, berühr ich nicht einmal; aber wenn es zwei Wechselbälge von solchen Knechten in den Wirtshäusern gibt, wovon der eine Balg unendlich eng
ist, und der andere unendlich weit: so kann man einen Schluß machen.
Und doch könnte ein Mann am Ende in die Kneif- und Beißzange eines zu engen sich vielleicht finden, zumal mit Schnürstiefelchen; aber wenn er nun schläfrig oder eilig auf einem Stiefelknechte wie auf einem Gabelwagen steht und seinen Fuß als Pferd in der Gabel hat und damit ziehen will, luftig aber und leicht, wie aus einem Freihafen, wieder herausfährt - weil er keine Kurierstiefel und keine Fußsäcke anhat -, wenn
vollends ein solcher Fußmärterer keinen lebendigen Nebenknecht und Oberdiener neben diesem untersten zur Seite besitzt, sondern am Ende zwischen die Stubentüre und den Türpfosten das Bein klemmen und auf solche Weise (er drückt nach dem Gesetze der Mechanik einige Fuß tief unter dem Schlosse die Türe grimmig gegen seinen Fuß) als sein eignes magnetisches Hufeisen ziehen und ausziehen muß: so wundre sich nur niemand, daß ich der Reisende bin und mein Bein aufhebe und vorzeige und frage: setzt man
denn gar keinen männlichen Fuß mehr in der Welt voraus, der etwas niedlich ist und doch stark genug, und den man als Konventionfuß für alle Stiefelknechte feststellen könnte? Ein allgemein gesetzlicher Kegelschnitt ins Holz täte hier Wunder. - Aber diese Klage reiht sich an die Klage überhaupt über alle Knechte und Dienstboten und Sklaven insgesamt, die jetzo alle auf zu großem Fuße leben, ja von welchen immer mehre eingehen - wie Baderknechte, Landsknechte etc. -, so daß, wenn es in
Griechenland und Rom wie in den westindischen Besitzungen gewöhnlich mehr Sklaven als Freie gab, bei uns zuletzt die Zahl der Freien die Zahl der Sklaven gänzlich übersteigen muß. -
Auf dem gähnenden Stiefelknecht wartete, wie gesagt, Nikolaus auf einen lebendigen - wozu freilich der Gastwirt Pabst, als Knecht aller Knechte, im eigentlichen Sinne geboren war -, als sein Leibhusar Stoß eintrat und ihm sogleich die Spitze hielt, nämlich dem Stiefel. Stoß sagte etwas verdrießlich, da er
dem Fürsten gar nichts weiter auszuziehen hatte: »Das andere hätte unsereins auch tun können«, und half ihn nicht in, sondern auf das Bett -»Niedergesessen, Leibhusar!« - fing der Graf an - »aber was sagst du zu allem? Triffts nicht Wort für Wort ein, was ich dir einmal auf dem Romer Kanapee von meinem Fürstenwesen vorausverkündigt? Und doch sind wir erst in Lukas-Stadt. Hättest du dir aber einen so glänzenden Empfang bei meinem bloßen Inkognito vorgestellt, das Glockengeläute, das Schießen und
die Leute überall, die uns so nachsehen? - Oder hättest du dir träumen lassen wie ich, daß eine Prinzessin mir hierher an den Hof vorauseilen würde, aus recht guten Gründen? Denn ich sage dir, sie ist mir eine Art wirklicher Vorhimmel.« (Der Stößer hob vor Freuden die ausgebreiteten Arme in die Höhe.) - »Sei doch still! - Und sage mir, was sagst du in deiner Einfalt dazu, daß alle hiesige Malerschulen unter allen Gesichtern keines zur Ausstellung liefern wollen als meines? - Ist aber nicht
gerade auf mein Gesicht meine ganze Zukunft und Krone gebaut? - Wie, Jean? Gerade heraus damit!«
(Dieser steckte sogleich beide Hände ein und schüttelte damit die Taschen und den Kopf und den Oberleib vorwärts, um gleichsam ein allgemeines Körper-Zunicken zu geben.) - »Ich bin dabei nur begierig, wie sich Rom schämen und benehmen wird, das mich in den letzten Tagen so schmerzhaft verkannte, daß ich wahrlich immer daran denken muß, um es nur zu vergessen.« (Hier fuhr Stoß vom Sessel
auf und drohte mit geballter Faust ernstlich nach der Stadt Rom hin und sagte: du!)
»Husar! Noch einmal möcht ich erinnern, sprich weniger! - Und so bin ich denn heute so recht nach Herzens Wunsch und über meine Erwartung hinaus glücklich geworden. Nur würd ich es noch stärker werden, wenn ich es recht glaubwürdig und ausführlich vernähme, daß es auch allen meinen guten Leuten, die mir so anhänglich auf meiner Lauf- und Rennbahn nachgefolgt, nach Wünschen ergangen, dir aber besonders,
alter Jean, und es wäre wohl ein kleines Dankzeichen, wenn du nur endlich den Mund auftun und nur etwas darauf antworten wolltest.« -
»Alle diable! Will ich denn nicht reden, bis der Morgen graut? Und kann es jemand besser haben in der Stadt als ich! Den ganzen Tag geh ich darin mit meinen goldnen Tressen herum, ob es gleich ein Werkeltag ist, und zeige mich. Die andern Herren haben es besonders herrlich und trinken, soviel sie wollen, und lassen sich ihr Essen bringen. Am meisten
wunderts mich aber, daß unten zwei Stuben voll Anstreicher oder Malerleute sitzen und grausam jubeln, Ihnen zu Ehren. Gehören denn die zu unserer Suite? Ein ganzes halb Schock sind ihrer.« - Stoß hatte nicht im geringsten das verstanden oder beachtet, was Nikolaus von seinen Malern gesagt.
»Jean!« - versetzte Nikolaus mit dem frohesten Gesichte von der Welt und im Zimmer - »morgen malen mich ja die einen sechzehn auf einmal ab, übermorgen aber die andern funfzehn; auf das freuen sich
nun die guten Leute so sehr.« - »Kann denn nicht einer allein Ihr Gesicht zustande bringen?« fragte Stoß, welcher glaubte, das halbe Schock arbeite es in Compagnie aus und teile sich in die Gliedmaßen für den Pinsel. Als er über seine einfältige Hypothese zurechtgewiesen war, gebar er die noch einfältigere Frage, was denn ein Mensch mit einunddreißig Gesichtern von sich anfangen wolle, zumal wenn er sein eignes noch habe. - »Page,« fing Nikolaus ernstschwer an, »ein Fürst unterstützt
die Kunst, zwar auf jede Art, aber durch Porträtmalerei am liebsten. So ist die Sache schon an und für sich. Geh aber weiter, Page! - Nur kannst du über viele Dinge gar keine Einsicht haben - - Bejah es nicht und störe mich - - Ließe ich demnach zehntausend Schock Bildnisse von mir verfertigen, und zwar teils auf Silber, oder gar auf Gold, und gäbe die Porträts herum: wahrhaftig, niemand bekäme ihrer genug. - Ich wollte aber etwas anderes fragen; denn natürlich hat jeder Geld lieb, indes ist die
Sache immer die, daß der Kopf eines Fürsten nicht oft genug abgebildet und repräsentiert werden kann, da er selber so viele tausend andere Köpfe repräsentiert, die er beherrschen muß. Sogar abbildende Geldstücke sind ihm nicht einmal genug, wenn er jemand mit sich selber beschenken will, sondern er beehrt ihn etwan mit einer Tabatière, auf welcher sein Bildnis im großen steht, obgleich oft unten darunter eine Menge seiner verkleinten Gesichter in der Gestalt von Goldstücken liegen mögen. - Bei
mir aber hat es noch die höchst wichtige Bewandtnis, Jean, daß ich, eh ich mich auf Münzen, oder Münzen auf mich schlagen lasse, darauf zu denken habe, vorher zweien der größten und geliebtesten Personen auf der Welt, meinem durchlauchtigen Vater und meiner durchlauchtigen Geliebten, mein Bildnis, das sich nun durch die einunddreißig Maler zu Hunderten ausbreitet, vielleicht in die Hände zu spielen. - Ich denke mirs, wenn denn nun die Allergeliebtesten auf einmal mein Porträt zu sehen
bekämen .... -«
»Ciel!« versetzte Stoß, »sie wären des Teufels lebendig und wüßten gleich, wen sie vor sich hätten, wenn Ihro Durchlaucht selber nachkämen und aufträten.«
»Und da die Künstler natürlicherweise ihre morgendlichen Kunstwerke in der großen Ausstellung mit aufhängen: so ist es höchst wahrscheinlich, daß die fremde Prinzessin, die im Schlosse ist, sich erinnert, mich in Rom neben einer ihrer hohen Freundinnen gesehen zu haben, und darauf die Freundin oder mich
von manchem benachrichtigt.«
»Morbleu!« versetzte Stoß, »auf mein Wort! Die Prinzessin hat Sie ja ohnehin schon heute am Schloßfenster beschaut, durch das Spektiv.« Nikolaus, der, wie gesagt, alles nur bei Widerscheinen sah und bei Widerhallen vernahm, hatte vor lauter Zukunft gar nicht ans Heute gedacht.
»Denn überhaupt« - fuhr er ruhig fort - »muß ich besser erfahren, was der hiesige Hof von mir denkt.«
»Ei, das weiß ja der Hof selber noch nicht« - sagte der
Stößer, der bloß an den römischen Gasthof dachte. - »Der Wirt wollte wohl mich hinten und vornen aushorchen, aber ich pfeif ihm was. Bloß dem redlichen Kellner hab ichs entdeckt, wie ichs mit meinen eignen Ohren vernommen, und wie ich Dero Durchlaucht Vater selber gesehen, als er in der Apotheke Sie höflich invitiert, ihn einmal bei Gelegenheit zu besuchen auf seinem Throne; und Ihr Herr Vater wäre Ihnen wie aus dem Auge geschnitten, besonders an der Nase. Und an einen Grafen Hasenkopf sei bei
der ganzen Sache bei Ihnen gar nicht zu denken.«
»Es verschlägt wenig, Ihr unpolitischer Jean,« versetzte der Graf, »mein hiesiges Inkognito ist ohnehin nur Schein, und jeder weiß ganz gut, wer ich bin. Jetzo sieh endlich einmal nach dem faulen Heinz und danke Gott in deinem Abendsegen für alles, was dir hier schon begegnete und begegnen wird.«
»Nur der verfluchte ewige Jude in seinem Ledersacke soll mir nicht begegnen; der hat etwas gegen Fürsten und derengleichen und sah
mich heute schon dreimal an, der Satan.«
»Dem stehe ich schon«, sagte der liegende Nikolaus, welcher in sein heutiges Abendrot keinen Pechdampf wollte ziehen lassen, sondern sich in Nachträumen der Vergangenheit und Vorträumen der Zukunft so lange einsenken, bis er von der Nacht einen der herrlichsten Träume von der Gegenwart erhielte - und am Ende überkam er auch den, daß er vor einem Maler sich selber mit 16 Leibern und 32 Armen sitzen sah, welche sich sämtlich zu einer
artigen Gruppe verflochten.