Jean Paul
Der Komet
Achtzehntes Kapitel In drei Gängen
eingestellt: 14.7.2007
Worin zweimal gesessen wird und einmal fehlgegangen
Erster Gang
Die belgische und Nürnberger Arbeit - Worbles Tischreden
Es kam zeitig genug die belgische Schule, sechzehn Mann stark, damit die Kunst, nämlich jeder von ihnen, mit zehn Louis glänzend vom Fürsten unterstützt würde durch Sitzen. Die größten niederländischen Meister in ganz Lukas-Stadt, ein Denner, ein
Potter, ein Ochs, ein Esel, ein Laus u. s. w., zogen mit ihren Arbeitkasten die Treppe hinauf, und der Wirt Pabst ihnen voran, als ihr Leo X. - als ihr monte di pietà und Gemeingläubiger - als ihr Oberhofmarschall, der sie einführte bei dem Grafen. Die Schule zersetzte sich wieder in vier Malerstoffe, in Miniaturfarben, in schwarze Kreide, in rote Kreide und in chinesische Tusche. Übrigens sah ihre Selber-Draperie nicht so glänzend aus wie die niederländische ihrer Figuren, sondern mehr etwas
bettelhaft. Sie waren ihre eignen Gliedermänner, mit Lumpen und Studien behangen; und bei ihren angezognen Gewändern sah man was man an den raffaelischen rühmt, in der Falte der gegenwärtigen Bewegung nicht etwan bloß die Spur der nächst vergangenen, sondern eigentlich gar keine andern Spuren als längst vergangene.
Darüber staun ich gar nicht; zieht ein großer Gewändermaler sich elend an, so ists so viel, als wenn eine meisterhafte Malerhand, nach Lavaters Bemerkung, gewöhnlich eine
unleserliche schreibt. Denn dies ist wieder nicht verschieden vom Falle trefflicher Dichter und Prediger; - wie man guten Schweizerkäse nicht in den Schweizergasthöfen, sondern im Auslande bekommt, oder gute Rheinweine nicht am Rheine, oder den besten französischen Wein nicht in Frankreich, sondern außerhalb ihrer Pflanzstätte: so hat man auch nicht bei dem moralischen Dichter und Prediger selber gute Eigenschaften, Milde, Liebe, Religion und Erhebung zu suchen, sondern mehr in seinen Lesern,
welche das Ausland von ihm, wohin er alles versandte, vorstellen; und ein Engländer konnte sich recht gut unter dem Galgen an einer Predigt des berühmten Doktors Dodd erbauen, während man den Kanzelredner selber daran knüpfte. - -
Der Graf schickte die nötigsten passenden Worte voraus, welche nicht sowohl den Kenner als - was richtiger war - den Gönner der Kunst verrieten, und es war schmeichelhaft für jeden und ihn selber, daß er sich den zweiten Kaiser Karl den Fünften nannte, der
auf allen seinen Reisen einen Maler mit sich führte, und der von Tizian dreimal die Unsterblichkeit empfangen zu haben versicherte, nach seinem dreimaligen Abmalen; und er setzte hinzu, er dürfe vielleicht auf eine noch öftere Unsterblichkeit rechnen. Das Platznehmen und Lichtzuschneiden machte viele Not. Nur Hacencoppen war leicht in die Mitte des Saals gesetzt, großen Spiegeln gegenüber - um ihn herum stellten sich die Tischchen der verschiedenen Meister, aber nur einige konnten ihn im
Vollgesicht ergreifen - andere bloß im Dreiviertelprofil - mehre im Halbgesicht - ein paar im Viertelgesicht, und die vielen hinter seinem Rücken hatten gar nichts von vornen zu sehen; - diesen aber waren jedoch Spiegel gegenübergehängt, so daß aus letzten wieder Vollgesichter und Dreiviertel- und Halbgesichter äußerst bequem herauszumalen waren.
So fing denn das Konterfeien an allen Enden und Ecken mit Eifer an; denn in einen einzigen Vormittag wurden die sechs Schöpfungtage seines
Gesichtes zusammengepreßt. In derselben Viertelstunde wurd er sechzehnköpfig - wenn man seinen eignen Kopf für keinen rechnet - und bekam sechzehn Stirnen, entweder aus schwarzer Kreide oder aus roter oder aus Tusche oder sonst.
Als man an seine sechzehn Nasen kam: so stellte er - und noch vorher bei der Stirne - richtige Grundsätze über Porträtmalerei auf, teils um in sein Sitzen hinein zu sprechen und solches sich zu erleichtern, teils weil er seine recht guten Gründe dazu hatte,
nämlich seine zwölf Blatternarben. Er brachte vor, wie sehr gerade ihre Schule den Kenner befriedige, der sich oder jemand anders malen lasse, weil er von ihnen doch eigentlich kein Scheinbild seiner selber erhalte, sondern ein wahres, nichts Hineingepinseltes, nichts Herausgepinseltes, nichts Vertuschtes, sondern gerade nur das, was er selber sei. - Und eben dieses Selbst sei es ja, was der Liebende im fremden Bildnis allein aufsuche. - Niemand werde sich einen schönern Vater wählen, als sein
wirklicher sei, und ebenso geh es mit dessen Bildnis; und wenn ein Swift und Descartes sogar an den Geliebten selber das Schielen, oder andere (St. Preux an seiner Julie) sogar die Blattern selber reizend fänden: wieviel leichter natürlich an den bloßen Porträten. - Und er bedaure nur, daß gerade die unschuldigen Fürsten so leicht, so flach, so unkenntlich auf ihren Münzen erschienen, bloß durch lauter Schönkünstelei. - »Meine Herren, nur keck zu, nur redlich keine einzige Pockengrube
weggelassen, und wären ihrer ein ganzes Dutzend«, endigte er fein genug; denn gerade diese zwölf Narben sollten zwölf himmlische Zeichen werden, worin ihn auf seiner Sonnenlaufbahn der Vater zu finden hatte.
Es war daher sehr verständig von ihm, daß er mit seinem Vollgesicht gerade dem herrlichen und in ganz Lukas-Stadt berühmten Balthasar Denner saß, welcher, wie schon gedacht, über ein Bild von sich das Mikroskop sogleich mitgemalt, durch welches man die feinsten und unsichtbarsten
Züge ganz sichtbar und vergrößert erblicken konnte. Hacencoppen verlangte von ihm, er solle auch über sein Porträt ein gezeichnetes Vergrößerglas anbringen, jedoch mög ers nur über die Nase halten, und sogar dies nur so, daß nicht die Nase unendlich vergrößert würde - was schlecht im regelmäßigen Gesicht ausgesehen hätte -, noch auch die Pockengruben - welche dann noch unförmlicher, als zwölf Herzgruben oder waagrechte Nasenlöcher oder als Diamantgruben erschienen wären -, sondern alles sollte
unter dem Mikroskop sich so ausnehmen, wie es in der Natur sei, nämlich als eine ordentliche vernünftige Menschennase, nebst ein Dutzend Blatternarben, »wenn ich anders richtig gezählt«, sagte Nikolaus.
So bekam er denn fast in einer Stunde mehr lange Nasen als ein anderer in seinem ganzen Dienste; denn sein Gesicht brach sich in den Wellen der Farben sechzehnmal. Ich will dies nicht reichlich nennen; denn da der kleine Dresdner Kirschkern hundertundachtzig eingeschnittene
Gesichter zeigte, so keimten freilich aus seinem Gesichtkern ein Hundert weniger Gesichter auf, was absticht, wenn ich auch das morgendliche Treibhaus der welschen Schule mitrechne. Zwölf Gruben, nicht weniger oder mehr, und jede in angeborner Reihe, schlug Balthasar Denner bergmännisch - dies war vorauszusetzen, aber es muß doch zu seinem Lobe hier allgemein bekannt werden - auf der Nase unter dem Glase ein, bloß treu der Kunst, bloß folgsam der Natur, ohne ein Wort zu ahnen, daß diese
Blattergruben Gold- und Silbergruben des Fürsten sind, und daß dieser ohne die Blatterpunkte für seinen Vater bloß ein unpunktiertes Alttestament bei allen seinen sonstigen Lesemüttern oder Matribus lectionis bleiben würde.
Indessen wünscht ich, daß über Denner nicht ein Ochs vergessen würde, ich meine nicht den frühern französischen Gesandten in der Schweiz, sondern den zweiten Paul Potter in Lukas-Stadt. Wenn nämlich der erste Paul Potter eine pissende Kuh, wie Myron eine säugende,
gleichsam der Bundlade seiner Unsterblichkeit vorspannt, und jede Kuh so berühmt ist, wenn auch nicht so erhaben und gesucht, als die Pisse-Vache - wie die Schweizer in ihrer Viehweidesprache den bekannten Wasserfall pomphaft genug nennen -: so stellte der Lukas-Städter Potter einen pissenden Ochsen neben den Evangelisten Lukas von solcher Vollendung auf, daß man nicht bloß den Evangelisten über sein Tier (wie oft in den Heiligen-Legenden umgekehrt) vergaß, sondern auch auf den Maler den Namen
des Viehes übertrug. Es brach der Galerie-Inspektor in seinem Programm über die vorjährige Ausstellung, wo er eben den Preisochsen öffentlich und ästhetisch schätzte, in eine solche Bewunderung aus, daß er spricht »von einer Nische, von einem Heiligtum, das die herrlichen vier Beine des Viehes als Säulen bilden«. Fast zu feierliche Redensarten, die bloß ein Goethe und zwar nur bei der Darstellung von Myrons Kuh mit dem Kalbe, sich wörtlich so erlauben konnte.
Aber eben der Schöpfer
und Namenvetter des genialen Ochsen stellte auf Hacencoppens Nase, ob er sie gleich nur in Miniatur nachmalte, den ganzen Pocken-Zwölfpunkt - wenn ich aus Scherz den Grafen nach der Doppel-Ähnlichkeit mit dem Käfer-Sechspunkt oder coccinella sex punctata so nennen darf - mit schöner Reinlichkeit dar. Eine ganz unerwartete Freude machte aber Ochs dem Grafen durch einen Halbring über seinem Wirbel, der ordentlich dessen bekannte Schädelphosphoreszenz oder dessen Heiligen-Diffusionraum andeuten
konnte. Es blieb der Heiligen-Anschrot immer etwas Herrliches, so wie die Pockennarben-Interpunktion, wenn auch Potter, wie zu vermuten, nicht das Geringste von der hohen fürstlichen landesherrlichen Bedeutsamkeit der Narben und der Strahlen gehört; dann hatt er den Halbring wahrscheinlich aus der Gewohnheit darübergezogen, entweder den heiligen Evangelisten Lukas so oft zu malen, oder neben ihn auch dessen Ochsen, wovon ihm die wie zwei Mondviertel einander zugebognen Hörner als eine Art
Heiligennimbus geläufig geblieben.
Genug! Hacencoppen war mit Ochsen überaus zufrieden.
Sonst aber ist es historische Pflicht, nicht zu verhehlen, daß die andern Maler nur schlechte Denner und Potter waren und viele über zwölf, manche unter zwölf Blattergruben, ein paar vollends zusammenfließende Blattergruben ausgeheckt, der dazu gehörigen Nasen gar nicht zu gedenken; ja einer saß unter den Malern, welcher, wenn jene Männer im Tempel des malerischen Ruhms aufzustellen
waren, gar auf den Kirchhof desselben gehörte; ich mache seinen Namen aus Liebe der Welt gar nicht bekannt, so grobgeschrieben er auch da vor mir liegt.
Niemand in der Akademie, die Maler am wenigsten, konnte so sehnlich das Ende der Sitzung heranwünschen als die Akademie, nämlich der Graf selber. Er konnte sich nichts Langweiligeres denken als sein unablässiges Augen-Auf- und Ablaufen auf den Gesichtern der sechzehn Kopisten, wo er auf kein einziges treffen konnte, das erträglich
fett gewesen wäre. - Viel Farbe hatte auch keiner, ausgenommen die wenigen Lefzen der Miniaturmaler, die ihre Spitzpinsel an ihnen genäßt hatten. - Ermüdet schon Sitzung Fürsten, wieviel mehr, wenn einer, wie Marggraf, die Minute durchaus gar nicht erwarten kann, in der er aufstehen und den sechzehn dürren Schachfiguren - worunter nur drei reich genug an Gold und Silber waren, nämlich die Miniaturmaler an Muschelgold und -silber - zehn Goldludwige (nämlich jeder Figur) auf die Tafel hinlegen
kann, sondern wenn er ordentlich vor Ungeduld zappelt und wie ein Schullehrer denkt: häuslicher Fleiß könnte ja das Beste tun und mich ausmalen.
Endlich konnt er aufstehen und auszahlen. -
Wie gesagt, jede (hier mehr ziehende als gezogene) Schachfigur erhielt zehn. -
Die Auftritte dabei gehören zu sehr der lyrischen Dichtkunst an, und zu wenig der stillen planen Geschichte, wie sie musterhaft ein Adelung in seiner »pragmatischen Staatsgeschichte Europens«
schreibt, als daß ich etwas Stärkeres vorbringen dürfte als den Wunsch: wäre nur der arme Correggio mit seinem Sacke voll erdrückenden Kupferehrensold darunter gestanden: er hätt ihn wahrlich fallen lassen und gesagt: ich bin auch ein Maler, nämlich ein Lukas-Städter.
Die Schwüre sind nicht zu zählen - ich nehme sechzig an -, welche die Meister unter dem Goldeinstecken taten, daß sie die Kunstwerke nach Hause nehmen und da so arbeiten und mit neuen Zügen, die sie bis zur öffentlichen
Ausstellung ihm täglich im Vorbeigehen abstehlen würden, so nachbessern wollten, daß man ihn bei der Ausstellung unter Tausenden auf tausend Schritt weit erkennen sollte.
»Ich weiß, wer den Herrn Grafen unter allen im Saale am besten und ähnlichsten getroffen: - er sich selber, durch sein Bezahlen«, sagte der Reisemarschall abends, als er, in gräflichen und seinen eignen Angelegenheiten den ganzen Tag zwischen Nikolopolis und Lukas-Stadt hin- und hergeweht, endlich zur Tafel kam und die sechzehn Pensionen und Baubegnadigungen aus der Staatskasse vornahm. Er sah sich sogleich für einen fahrenden Landstand an; denn in
ältern Zeiten führten die Fürsten auf ihren Reisen die Stände selber mit, die jetzo erst zu ihnen reisen. -
Auch hatte er gerade den ganzen Tag genug geträumt, um mit einigem landständischen Feuer und Freimut den Fürsten auf seine übermäßige Güte aufmerksam zu machen. Auf keine Weise durfte der Landstand Worble sich unterfangen, etwa untertänigst und treugehorsamst zu bemerken, daß auf solche Weise der nächste künftige Diamant sich voraus verflüchtigen könne, eh er nur aus dem Feuer
heraus wäre, und daß so die Wände des Kammerbeutels, wie die eines ausgehungerten Magens, schlapp zusammenfallen dürften. Aber so viel dürfe er vermeinen, zumal er den ganzen Tag das Seinige getrunken: sowenig er auch von der Malerei verstehe - recht hatt er hier und keinen Sinn für sie -, so müss er doch dem Hofmaler Renovanz beifallen, welcher die ganze luxstädtische belgische Schule mit der Schule in London vergleiche, worin ein altes Weib Kindern Grimassen und Stellungen zum Erbetteln
beibringt. - »Ich will keinen Tropfen luxstädtischen Krätzer in Ihrem Hotel mehr trinken, Herr Pabst,« - fuhr der Landstand, gegen den Gastwirt sich kehrend, fort, der hinter dem Fürstenstuhle Hacencoppens als maitre de plaisirs aufwartete - »wenn nicht mit solchem Malerhonorar alle Bettler der Stadt sich hätten abfinden und heben lassen; so wäre die Sache ein gründonnerstägiges päpstliches Fußwaschen von Armen gewesen, statt ein Handwaschen von Pinslern.«
»Die sechzehn Künstler« -
versetzte Pabst - »sind eben, Gott erbarms! selber schon Arme, und jeder ist mir schuldig.« - »Und deswegen«, fuhr Worble fort, »haben Sie als Kenner mehr ihrer Zeche als ihrer Kunst Prosazeichner und Kurrentkünstler anempfohlen, welche nie das Ideale einer Physiognomie, mit Renovanz zu sprechen, begreifen, geschweige ergreifen können.«
Der Gastwirt versicherte - und berief sich auf Nikolaus -, er habe auch die »idealisierte« Schule, die welsche, ebenso stark empfohlen, morgen kämen
sie ja, und Seine gräflichen Gnaden säßen.
Jetzo rief Worble wie außer sich: »O Pabst und alle Götter! Dies ist gar der Hub, Durchlaucht! Unser Hofmaler Renovanz sagt - ich wollt, er wäre da; er arbeitet aber Tag und Nacht für die Ausstellung -: mit seinem Fußzehennagel, wenn er spitzig genug geschnitten wäre, wollt er ein feineres Ideal-Oval auf das Papier hinkratzen und hinreißen als sie alle in der Stadt. Und Gott sei doch dem Gesichte gnädig, das unter die Glättzähne ihrer Pinsel
geraten; das erste, was der Pinsel wegkehrt und abfrißt, ist die inländische Nase, um eine griechische aufzusetzen, oder wenigstens eine römische, an die Stelle einer romischen; und das kräftigste eckigste Gesicht wird so glatt gescheuert wie das einer scharfen Münze in einem Truthahnmagen. Ich möchte mir meines um kein Oxhoft Wein mit ihren Farben einseifen lassen. - Diese aber, Herr Graf, möchten doch noch abzuweisen und die Treppe hinunterzutreiben sein, zumal da sie gewiß auf ähnliche
Benefize wie die belgischen Planspiegel sich spitzen.« -
Hier nahm endlich der Graf lächelnd und mild das Wort und sagte: »er habe ihnen das Versprechen gegeben, folglich halt ers unbedingt. - Wenn ein Fürst wie der von Lukas-Stadt die Kunst sogar auf Kosten seiner Finanzen zum Blühen getrieben: so könn er selber in seinen eignen Verhältnissen nicht weniger tun als sie in diesen Blüten zu erhalten und zu begießen. - Auch woll er seinem allseitigen Geschmacke nicht vorgeworfen wissen,
daß nur die eine Schule vorzüglich begünstigt würde, die andere aber weniger.«
Hier fiel der freundlich Pabst mit Entzücken ein: er ergreife diese Gelegenheit, da der welschen Maler morgen nur funfzehn bestellt wären, und Herr Graf von Hacencoppen zum ewigen Preise Ihres unparteiischen Geschmacks auf beide Schulen Ihre gnädigen Augen würfen, den sechzehnten anzuempfehlen und nachzuschieben, der sich diesen Nachmittag fast weinend angemeldet; - von Natur und Profession sei er ein
welscher Maler und habe wohl ohne Frage die besten Heiligen in Lukas-Stadt gemacht; daher er auch nur unter dem Namen Heiligenmaler allgemein umlaufe; - und überaus nett und andächtig seien besonders seine 11 000 kölnische Jungfrauen, wovon er ein paar Dutzend geliefert. - Da aber die Stadt mit Heiligen beiderlei Geschlechts längst überladen, so sei er aus Mangel an Absatz ein Kupferstecher geworden und steche eben jetzo ein paar Kupferplatten zu einem äußerst unzüchtigen Romane; es sei jedoch
ein ordentlicher Jammer, dabeizustehen und es mit anzusehen, wie der hagere hungrige lange Mann an den zu anstößigen Figuren verdrießlich mit dem Stichel weiterarbeitend grabe; für den Mann ein wahrhaft fremdes Fach, in das er sich durch das vorige nicht im mindesten eingeschossen. »Dero untertänigster Knecht möchte denn wohl«, beschloß der kunst- und gastliebende Pabst, »zum Behufe des dürftigen unzüchtigen Heiligenmalers das Wort für ihn einlegen, da heute Herr Hofprediger Süptitz
ausgesprochen: ein einziges Gesicht von Deroselben könnte samt dem Honorarium dafür den Heiligenmaler gar aus des Teufels Klauen ziehen.«
»Bei Gott!« rief Nikolaus, »das Gesicht soll der Mann bekommen, aber vielleicht noch mehr dazu, als er erwartet.«
Da kehrte sich Worble gegen den Wirt und sagte: »Eben seh ich, Herr Pabst, aus meinen Reden, daß ich heute beinah halb betrunken erscheinen soll, obgleich sonst einer der nüchternsten Trinker in ganz Lukas-Stadt. Ihnen, sehr
nüchterner Herr Pabst, sind Ihres Ungleichen freilich lieber, zumal in Ihren Schenkkabinetten Leute, deren Lebenstage, wie bei dem Becherbandwurm , in Gestalt von Bechern ineinanderstecken; so eine Art mir sehr fataler Flaschenorgelmenschen , die erst Flaschen leeren müssen, um sich hören zu lassen und das Maul voll zu nehmen; kurz Leute, welche durch ihr eignes Beispiel den Bacchus als den Erfinder des Kegelspiels zeigen und ehren, das bloß im Umfallen besteht. - Wenn mir freilich
jetzund ist, als könnt ich kaum stehen, so ist der Fall viel anders; denn Ihr braver prächtiger Graves-Wein, so in seiner Jugendblüte, so wenige Herbste zählend, ist ein guter Ringer und wirft, nach Plautus, um. - Der Wein ist keiner von jenen alten Ladenhütern oder Kellerhütern, die oft erst nach einem halben Jahrhundert sich endlich aus dem Fasse herauswagen in Flaschen und Gläser - ein solches frisches, junges, minderjähriges Blut trinkt sich selber durch Weingeist einen Geist an, oder veniam
aetatis, und wir jungen Trinker an ihm dergleichen - kurz im ganzen ist die Sache so. - Und dasselbe will ich rühmen von Ihrem Barsac und Haut Sauterne und andern Bordeaux-Weinen, die sich trefflich weiß gewaschen, nämlich gelb.«
Da hier der Wirt recht freudig über die Einfälle, wie ein Sokrates in dem aristophanischen Gewölke, lachte, so fuhr der Marschall fort: »Wäre aber nur zu wünschen, jeder Papst, Herr Pabst, hätte den Kalixtinern so willig jeden reinen Wein eingeschenkt wie Sie
mir oder ich Ihnen. Haben Sie nicht einen seltnen Franz (wenn ich ausgesprochen, bitt ich noch um eine Flasche), welchen ich ordentlich einem gesunden reinen Schwefelregen oder Schwefelbade gleichsetze? Und von einem so reichen Schwefelgehalt ist er, daß man mit dem Weine wieder andere Weine prüfen und jeden Bleizusatz darin niederschlagen könnte, so gut als mit dem Hahnemannschen Probier-Liquor, ders ja auch durch Schwefel tut! Sogar im Kopfe schlägt das reine Getränk jedes Blei nieder, und er
ist am Morgen viel schwerer.«
Als der Wirt in des Grafen fürstlichem Gesicht, auf das er in einem fort sah, keine Unterschrift der lustigen Behauptungen antraf: so lächelte er leicht und selbgefällig; aber diese Unverwundbarkeit schärfte ordentlich Worbles Hieber und Raufer. »Und ists nicht«, fuhr er fort, »eine kindliche Liebe der Weinhändler zu den Weinkunden, wie man in Tunkin bei Kindern gegen Väter findet? - Die Kinder bestellen heimlich für jeden Tunkinesen das Leibmöbel - einen
zierlichen Sarg - und überraschen damit den Vater an seinem Wiegenfeste; so stellt ein Weinfaß, innen mit Bleizucker, recht gut einen versüßten verdünnten Sarg vor, und noch dazu einen fürstlichen bleiernen, in einen hölzernen eingefaßt; nur daß der Sarg, wie natürlich, früher in den Trinker kommt als der Trinker in ihn. - - Aber was Henker gehen mich bleisüße Franze an, wenn ich meine guten herben Deutschen haben kann, welche das Leben ebensosehr verlängern als versäuern! Wollte nur Gott, junge
Leute ergössen und mischten sich ebensogern in älteste als die jungen Weine in alte; oder alter Adel ließe sich so leicht mit neuem kopulieren und auffrischen. Edeln paritätischen Wirten verdankt man hier viel, die Hauptsache, das Wein-Simultaneum. Haben sie am Ende nichts, keinen tiers-état zur Fässervereinigung, so tun sie das Ihrige und nähern Weine, die sich nach so berühmten Flüssen wie Rhein, Neckar und Mosel taufen, einem neuen Ufer und Jordan und wiedertaufen sie darin.«
Pabst
konnte gar nicht aus dem Lachen kommen und beteuerte mehrmal: »herrliche aufgeweckte Einfälle! Er habe ein paar Kollegen, wo er sie anzubringen gedenke; denn bei ihren schlechten Weinen wäre schwerlich Herr von Worble auf dergleichen Pointen verfallen«, und er eilte davon, um die verlangte letzte Flasche selber zu holen; aber der Graf, der Worbles Fortsteigern der Satire kannte und scheute, bat, sie ihm aufs Zimmer nachzuschicken,
Worble ging der Flasche sogar voraus - er hatte seine
Gründe dazu, und zwar viele, nicht bloß die getrunknen Flaschen, noch die trinkbaren, sondern sein Nacht-Abenteuer. Es ist schwer zu entscheiden, ob es den Lesern recht ist, wenn ich dasselbe ihnen erzähle, weil es auf eine gewisse Art den Ernst dieser Fürstengeschichte, wenn nicht dieses Fürstenspiegels, unterbricht; sie sollen aber alle selber richten, wenn sie erst den zweiten Gang wirklich gelesen.
Zweiter Gang
Worbles Gang oder Nachtabenteuer
Es ist schon erzählt worden, daß Worble am Morgen, wo er im Nebel viele Schöne seiner Arme wert gehalten, auch eine Schönste umhalset hatte, welche ihm nachher, als der Nebel nieder war, gerade unter dem Tore des römischen Hofes begegnete; es war Pabsts Tochter. Beide erkannten sich sogleich in der reinen Luft auf der Stelle wieder; Jeannette
lächelte ohne den geringsten Zorn, und er war der freundlichste, herablassendste Reisemarschall, den es in einem Gasthofe nur geben konnte. Er spann das Seil der Liebe, wie andere Seiler ihres, gewöhnlich ehrerbietig zurückgehend, bis ers lang genug zurückgedreht; dann kam er, es in Händen, damit wieder und ging so lang um die Person herum, bis sie verstrickt war. Bei andern, bei leichten Wesen wie Jeannette, zog er bloß die Rede- und Spinnenfäden der Scherze hervor und drehte eine schöne Mücke
so lange in seinem weißen unschuldigen Gewebe herum, bis sie fest umwickelt war mit allen Füßen und Flügeln, dann zog er an einem Faden die Mücke leicht weiter .....
Aber Himmel, stelle ich so nicht den armen Marschall, bloß um eine elende Allegorie kunstgerecht auszuspinnen, den Lesern zehnmal ärger dar, als er aussah? Das Ganze bestand offenbar nur darin, daß er seiner Gattin nicht ganz treu war, sondern nur halb, ein Viertel, ein Achtel, und so in die »Brüche«, juristisch
zu sprechen, hinunter. Er verglich mehrmal seine Ehe und die beiden Eheringe - sowie mehr als tausend andere Ehen - mit den beiden Ringen des Saturns, und die Ehe mit dem Saturnus selber, der anfangs ein goldnes Zeitalter verlieh, dann aber das Zeichen des Bleies wurde, und auf welchem ein Jahr sich dreißig Jahre lang ausdehnt.
Schon am ersten Tage, wo er in Geschäften immer vor Jeannetten vorbeiging, schlug er ihr vor, daß er am zweiten ihr abends einen Besuch geben wolle, wenn sie
und er keine mehr habe, um mit ihr so manche, die den Fürsten angingen, zu bereden, da sie, wie er höre, alles in allem bei Herrn Pabst sei, die wahre Papissa Johanna. Sie sagte, sie willige ungern in die Sache, da sie erst ganz spät, um ein Uhr, allein und in ihrem Zimmerchen geschäftlos sei, woll aber doch seinetwegen bei Licht aufsitzen und auf ihn passen. Ihr Stübchen, setzte sie hinzu, könn er übrigens leicht finden, es sei, wenn er die Treppe hinaufgehe, gerade das dreizehnte oder
vorletzte im Korridor, und er brauche bloß die Türen am Tage zu zählen; »aber«, schloß sie mit schöner Jungfräulichkeit, »kurz fassen müssen Sie sich mit allen und jeden Reden; denn ich stecke nur ein kurzes Lichtstümpfchen auf, und ist dieses abgebrannt, so müssen Sie ohne Gnade fort.« Er versprach ihr den kürzesten Vortrag von der Welt.
Um sein Wort ehrlich zu halten, stieg er am Tag die Treppe hinauf und zählte alle Zimmertüren, worunter eine vermauerte oder blinde war, zweimal
durch, bis er an die vorletzte oder dreizehnte kam, die er ein bißchen aufmachte und hier sehr leicht das Zimmerchen der Tochter des Hauses erkannte.
Punkt 1 Uhr nachts war er mit dem Graves-Wein fertig - denn er eilte - und zählte sich nun tappend, aber leise von Türgriff zu Türgriff fort, bis er den dreizehnten erfaßte. Ein Unglück wars, daß er nicht, wie Jeannette, die gemalte Türe und deren gemalten Türgriff mitzählte, und daß er also anstatt der dreizehnten die vierzehnte
aufmachte. Aber stockfinster war es darin, besonders für seine von dem Wein eben nicht sehr hell gewaschnen Augenfenster, und alle Vorhänge waren herabgezogen. Er glaubte jedoch Jeannettens schöner Seele mit rechter Freude, und sie habe, dacht er, so redlich Wort wie er gehalten, nur sei das Licht zu kurz gewesen.
Da man nun in finstern Zimmern die Menschen nirgends leichter findet als im Bette: so tappte er nach einem umher, und endlich glitt seine Hand auf eine kalte tote Wange,
welche sogar abglitt und ihm in den Händen blieb. Hier fuhr ein lebendiges Wesen mit einem weiblichen Schrei aus dem Bette und darauf zur Türe hinaus. Der Marschall stand vor dem Kopfkissen, mit dem kalten Etwas in der Hand, und konnte in alles in der Welt sich finden, nur nicht in das Fleisch. Indem er damit an den Fenstervorhang ging, um hinter ihm dasselbe vor dem Fenster besser zu besehen, trat er auf ein zweites Stückchen, das er auch mitnahm. Er befand es bald als gutes, noch frisches
Kalbfleisch, dessen Dienste er bei seiner Bekanntschaft mit den weiblichen Sublimier- und Filtrierkünsten der Reize bald erriet: es waren ein Paar Nachtwangen, um sogar das Bette zu einer Wachsbleiche der zarten Haut zu machen; oder Schmutztitel für das schöngestochene Titelblatt des Gesichts. Indes konnt er aus dern Kalbe, mit dem er jetzo pflügte, leicht hinter das Rätsel kommen, daß solche Schminklappen nicht der reiz- und kraftvollen Jeannette angehören könnten, sondern irgendeiner an der
Zeit sich abfärbenden Schönheit - kurz, er war, sah er, ins unrechte Zimmer gekommen.
Während dieses so vernünftigen Mutmaßens wurde vollends außen die Tür abgeschnappt und jenes völlig bestätigt. Es war eine Witwe, welche unter dem Fließpapier ihres zarten feinen Kupferstichs im Bette gelegen; diese war in das nächste helle Zimmer gerannt und hatte da Jeannetten den Einbruch in ihr Gemach und Bette mit mehr Fassung und Lachen erzählt, als zu erwarten war. Aber die zärtere
Wirts-Tochter war wie außer sich: so etwas, sagte sie, sei im römischen Hofe ganz unerhört. »Hätte der Ehrenräuber sich nicht in den Stuben vergreifen und ebensogut zu mir kommen können? Ach lieber Gott, ich wäre auf der Stelle umgefallen.« - »Wenns bloß ein Ehrenräuber war«, versetzte die Witwe, »und kein schlimmerer Dieb; woher kann man aber das wissen?« - Am besten sei es in jedem Falle, antwortete Jeannette, sie bleibe bis am Morgen hier in ihrem Zimmerchen, und man drehe den Schlüssel des
andern Zimmers um und lasse solchen im Schlosse stecken, um auf diese Art - sie tu es auch, eigner Sicherheit wegen -, bis es Tag wird, den gefährlichen Menschen einzusperren und ihn sich dann bei Licht zu besehen, zumal da der Spitzbube, wenn man ihn jetzo im Finstern heraus ließe, das Beste der Madame, ja alles eingesteckt haben könne. Und so wurde denn über den Marschall das Nachtgarn gezogen, und er saß darunter und schlug mit den Flügeln. -
- Schwerlich wird der Leser hier mit
mir weitergehen wollen, ohne sich zu einer von den verschiedenen Parteien zu schlagen, in welche sich die Kunstrichter spalten, um Jeannettens unerwartete Sperrordnung oder Fruchtsperre auf eine oder die andere Art, aber immer mit Scharfsinn zu erklären. Die eine kann alles aus der Jungfrau Verdruß über das Mißlingen und über Worbles Dummheit ableiten; - die zweite aus ihrem Mißtrauen gegen ihn, ob er nicht gar mit Absicht fehlgegriffen; - die dritte, welche daher an die zweite grenzt, aus ihrem
Neid und ihrer Vorsicht gegen die Witwe, bei der Mutmaßung, diese nähme ihn am Ende doch wohl auf; - die vierte kann den zarten jungfräulichen Ehrenpunkt benutzen und aus Jeannettens Pflicht, auch den kleinsten Verdacht einer Verletzung desselben abzuwenden, die Einsperrung erklären; - die fünfte, welche hierin eine starke, aber einer Wirts-Tochter gar nicht nachteilige Sprödigkeit findet, ist von der vorigen im Grunde wenig verschieden; -, und die sechste, die ich selber bin, denkt eklektisch
und verknüpft alle fünf Sekten mit ihrer eignen und läßt in dem wogenden Weiberherzen alle diese fünf Gefühle miteinander und widereinander segeln und reagieren.
- Die Geschichte tritt wieder auf:
Nach Abgang der beiden Zionswächterinnen und Schließerinnen lief der Gefangene in der Engelsburg des weiblichen Schlafzimmers überall umher; da er aber merkte, er könne nicht hinaus, so ging er ohne besonderen Lärm hinein, nämlich in das Bette, mit den Wangenklappen in
der Rocktasche und dem Graves-Wein im Kopfe, und entschlief ohne weiteres.
So waren denn am Morgen beide Damen genötigt, dem Marschalle einen der frühesten Besuche abzustatten. Sie klopften stark vor dem Aufsperren, damit der Schelm in die Kleider komme; aber schon in den Kleidern fuhr er aus den Vorhängen und wie ein geblendeter Finke im Zimmer wild umher, rufend: wer ihn so früh störe? Denn er war nämlich mit dem Augenliderübel - wogegen auch in des göttingischen Richters
Wundarzeneikunst Mittel stehen - und zwar besonders auf Reisen behaftet, daß er am Morgen - wie auch wohl Minister, aber bloß in politischer Morgenzeit - die vom Schlafe zugeklebten Augen eine Zeitlang nicht aufzubringen vermochte mit allem Ziehen und Streben. Es fügte diesmal sich noch der neue Jammer zu, daß sich aus seinem Kopfe vollends alles verflogen hatte, Rausch, Schlafort, Abenteuer, Wangenflügeldecke, sogar sein Schelmenvorsatz, und er also anfangs zu seinem Nachteile mit einem
Bewußtsein gänzlicher Unschuld dastand. Mit solchem Gefühle und bei solcher Augensperre mußte der schuldlose Reisemarschall es hören, wie er eine vornehme Dame im Schlafe gestört und erschreckt, und wie er sie aus ihrem Zimmer verjagt. - Unaufhörlich bat er, hin- und herrennend, um Verzeihung, daß er sie nicht sehe; er wolle den Augenblick antworten, sobald er wisse, wen er vor sich habe. Als er jetzt der Augen wegen in die Tasche griff nach dem Schnupftuch und mit diesem zugleich das
kosmetische Kalbfleisch herauszog: so frischte plötzlich das Fleisch die ganze Nachmitternacht auf, und die Augenlider sprangen auseinander - und die klägerische Witwe stand, fast mehr gewelkt als blühend, vor ihm. Denn manches Gesicht ist ein wahres schönes Tempe; wie das griechische in der Ferne der Geschichte und der Augen unendlich reizend ist, nur aber für den reisenden Walpole und Bartholdy in der Nähe ein wilder zierloser Engpaß wird: so werden die schönsten Gesichter, deren Reize durch
die künstliche Entfernung vermittelst des Abendlichtes am besten erscheinen, vom Taglicht wahrhaft derselben beraubt, weil es zu stark nähert.
Aber Worble wußte sich in keinen Fällen leichter zu helfen als in solchen. »Hier«, fing er an, »halt ich meine Entschuldigung in der Hand Ihnen vor, den Beweis meiner erbärmlichen Augen, auf die ich jede Nacht das Stückchen Fleisch zu legen pflege, um sie zu stärken; aber werden sie leider viel davon besser? - Tapp ich denn nicht - Sie sehen es
ja -, sobald kein helles Licht in der Stube brennt, in jede hinein und störe die schönsten Damen auf? - Deswegen schon allein sollte jede Schöne ein dünnes Nachtlicht brennen, und je jünger sie, desto länger das Licht. - Auch der Wein in diesem Hotel ist wirklich zu stark für meinen schwächlichen Kopf, verehrte Mamsell Jeannette.«
Hier hob er auch die zweite Überziehwange von der Erde auf und steckte sie ein. Die Witwe wurde ganz verdutzt und doch entzückt von solcher närrischen
Delikatesse und Spitzbüberei zugleich und versprach sich etwas von dem Mann. Jeannette aber, die in ihr leichtes Vergeben und in sein lügenhaftes Entschuldigen sich gar nicht finden konnte, hoffte auf Licht und Rache in irgendeiner nächsten Zusammenkunft und schied als reine Johanna Pabst von ihm.
Inzwischen wurde doch ein Viertel der Begebenheit am ganzen Nikolausischen Hofe, so wie im römischen, ruchtbar; viel von den übrigen Vierteln wurde erraten; bloß der Kandidat Richter erriet
und glaubte nichts weiter, als was ihm der Reisemarschall, wenn nicht aufrichtig, doch freundlich auseinandersetzte.
Dritter Gang
Worin von neuem gesessen wird allen hohen Meistern und dem unzüchtigen Heiligenmaler
Zur rechten frühen Tagzeit kamen die funfzehn Meister in Lukas-Stadt die Treppe hinauf, und ihnen schloß sich als der sechzehnte der unzüchtige Kupferstecher an. Namen wie Tizian, wie Fra Bartolomeo di S. Marco, Rosa, Reni fühlten sich und ihren Nachruhm und einige Unzufriedenheit mit dem Vorruhm
der belgischen Vorgänger.
Mit Vergnügen konnte man das fürstliche Zartgefühl bemerken, daß Nikolaus die welsche Schule ganz mit demselben leutseligen Anteil wie die Schule des vorigen Tages behandelte und so dem Neide, soweit es unter Künstlern möglich, vorbaute. So schickte er auch, ehe er und alle sich setzten, wie tags vorher einige kurze Anreden voraus und tat dar: Kunst als solche veredle stets; sie sei kein bloßes Silhouettenbrett des Gesichts oder eine englische Kopiermaschine
der Gestalten, sondern eine selber gebärende Madonna - sie solle mehr sein als ein bloßer Planspiegel des Gesichts, den man überall hinhänge, sie solle sein ein erhabner Spiegel, der vergrößere; - das sei eben die große welsche Meisterschule, daß sie sogar ein bloßes Porträt verschönert zu geben wisse, ohne die Ähnlichkeit zu beleidigen. - Man werd ihn, zumal in diesem Saale, schon verstehen; das heilige ewige Innere so vom Menschen heraus zu malen auf das Gesicht oder Porträt, eigentlich so von
dem ganzen Geiste, der sich nicht immer in Taten und Gesichtzügen rege, oder sich doch nur in schlechten zeige, in Farben, Mienen und Blicken, den wahren echten Silberblick zu malen durch das Porträt - - »O meine Künstler, was brauch ich weiter zu sagen? Beginnen Sie!«
In dieser Anrede scheint Hacencoppen mehr der welschen Schule als sich selber beizufallen und seiner früheren an die belgische fast zu widersprechen; aber er wird uns befriedigen, wenn wir bedenken, daß er die halbe
Meinung und manche Wendung vom Hofstallmaler Renovanz her hat, der sich ganz für die italienische Schule geboren glaubte und oft im Pferd-Stalle die Schönheiten derselben - Zuhörern malte mit unendlich feuriger Beredsamkeit. Seine besten Pferde, die in den fürstlichen Ställen zum Nachgebären aufgehängt wurden, und seine kräftigsten Schlacht- oder Prügelstücke setzte er tief unter die Heiligen- und Madonnenbilder herab, die er der Kunstwelt geben wollte.
Jetzo setzten sich nun die
sämtlichen Meister in Bewegung und auf die Stühle - ein Tizian, Fra Bartolomeo di S. Marco, ein Da-Vinci, ein Kaufmann (wahrscheinlich Kaufmann Angelika) - vorwärts, nebenwärts, seitwärts, hinterwärts, vor den Spiegeln. Aber hinter ihm und an dem Hauptspiegel saß der Heiligenmaler oder unzüchtige Kupferstecher und fing daraus sein Vollgesicht auf. - Herrlich und ungebunden und im großen freien Stile malten und zeichneten alle - der Nase wurde im Vorbeigehen auf dem Gesichte gedacht, aber jeder
Pinsel war ein Jenner, der die Pocken abschaffte; denn man ging allgemein weniger der eignen oder der Hacencoppenschen Nase als der griechischen nach. - Auf der hohen Schneelinie des griechischen Statuenprofils standen sämtliche Künstler und pflanzten da glänzende glatte Schneegestalten und folglich auch seine auf - ihre Farben waren gesunde Abführmittel und Waschwasser, die jede Unreinigkeit und jeden Flecken der Porträthaut so gut vertrieben, daß man nachher schwören wollte, man habe einen
andern Kopf vor sich. - Denn dies war eben von jeher das Ausgezeichnete der welschen Schule in Lukas-Stadt und sonst, daß sie das Gesicht, das zu sitzen hatte, zu einem Paradiesvogel machte, dem man zur höhern Schönheit die Füße abschneidet, und an welchem die malerische Beschneidung der Lippen, der Ohren und des Fleisches die Hauptregel war. - Wie die Büsten der Alten, nach Herder, bloß Ideale waren, denen man, so wie es sich gab, einen dazu passenden Namen eines Einzelwesens beilegte - etwa
die des Euripides ausgenommen -, so wurde den glatten griechischschönen Porträten, welche die welsche Schule erschuf, allemal der Name der Person gegeben, die eben saß.
Hacencoppen sah aus wie ein Engel, man kannt ihn kaum.
Und doch bestand dabei wahre Mannigfaltigkeit des Gesichts, jeder Meister tischte ein Bildnis seiner eignen Eigentümlichkeit auf, keiner schrieb oder druckte dem andern diebisch nach, sondern jeder lieferte seinen besondern Hacencoppen; so erbaute sich,
wie von selber, ordentlich eine Grafen- oder Fürstenbank von sechzehn Nikolausischen Gesichtern.
Und dennoch siegte eines über alle fünfzehn, nämlich das sechzehnte vom unzüchtigen Kupferstecher oder Heiligenmaler. Der Spiegel, aus welchem er, wie ein Selbermaler, zeichnete, tat gewiß viel Großes dabei. Durch das verdoppelte Entfernen des Urbilds hatte der Kupferstecher schon die halbe ideale Milderung des Kopfes gewonnen, und durch die Kurzsichtigkeit, die er sich durch Stechen
zugezogen, erbeutete er die zweite Hälfte. Auf diese Weise war der im Spiegel fast unsichtbare Nikolaus von einem Heiligenmaler, der früher, eh er stach, selber zwei oder drei heilige Nikolaus gemalt, schon so zu idealisieren und darzustellen, daß Hacencoppen sich kaum mehr gleichsah und sich mehr dem Bilde ähnlich fand, das er sich selber in seiner Kindheit von seinem Namens-Heiligen vorgemalt.
Der unzüchtige Kupferstecher tat oben am Scheitel aus alter Gewohnheit noch eine Art
Heiligenschein hinzu und war leicht zu rechtfertigen, hätte auch der Graf nicht schon von Kindheit auf phosphoresziert; der Mann durfte sagen, er sei diesen Halbring oder diese türkisch-christliche Mondsichel von seinen alten Heiligen her gewohnt, und man habe überhaupt diesen Sichelbogen als sein Malerzeichen zu nehmen; daher er dem Putzkamme und Diadem weiblicher Köpfe auf seinen Kupferstichen unwillkürlich sogar etwas von einem dünnen Heiligenschein-Komma anzeichne.
- Aber ihr
Leute samt und sonders, was verschlägt es denn überhaupt, wenn der Maler auf seinem Pergament ebensogut Heilige erschafft als der Papst auf dem seinigen, und zwar ebenso leicht durch einen halben oder ganzen Ring über dem Scheitel, nur aber viel wohlfeiler als der Papst und ohne Hunderttausend-Gulden-Zuschüsse aus allen katholischen zweiunddreißig Winden her? - Der Papst schlage nur selber in Spittlers Kirchengeschichte nach und sehe da, ob nicht jeder Bischof bis in das zehnte Jahrhundert
hinein das Recht gehabt und ausgeübt, Heilige in seiner Diözes zu machen und allda verehren zu lassen; ein Recht der Heiligungen, das erst im zwölften Jahrhundert den Bischöfen von Alexander III. verboten wurde, der den heiligen Vater allein für den Heiligen-Vater erklärte. Wenn Päpste in dem einzigen Benediktinerorden Teig zu fünfundfunfzigtausend Heiligen antrafen und ihn auskneteten und ausbuken - das bloße Kloster Kassin lieferte fünftausendfünfhundertundfünfundfunfzig -: so können sie
sichs wohl gefallen lassen, wenn ein unzüchtiger Kupferstecher zu einer solchen Heiligen-Schar, unter die gewiß mancher Schelm sich eingeschwärzt, auch von seiner Seite ein paar Heilige von nicht besonderer Aufführung anwirbt und sie durch den Ringkragen oder die rote Halsbinde eines Kopfzirkels zur Heerschar enrolliert. Kann es doch auf der Erde der Heiligen kaum zuviel geben, und wenn alle Menschen dergleichen würden, so daß am Ende gar alle bloß sich untereinander selber zu verehren hätten,
sogar ein advocatus diaboli den andern: so säh ich eigentlichen Schaden davon nicht ab; am allerwenigsten für den heiligen Vater selber. Denn diese von seinem Fischerringe über die Köpfe gesiegelten Heiligenringe halten ja seit Jahrhunderten die lange Ruder-Ringkette zusammengereiht, woran er Weltteile festgemacht, und ein paar hundert wunderliche Heilige würden unter so vielen Wunderheiligen weit weniger stören als fruchten. Übrigens wollen wir gar nicht lange darüber reden, ob, wenn ein
Konklave von Kardinälen, oft sogar von einigen sündigen darunter, einen Papst, also einen Schöpfer der Heiligen, selber schaffen kann, sogar aus der eignen Mitte heraus, ob, mein ich, ein unzüchtiger Kupferstecher nicht statt eines heiligen Vaters und Heiligen-Vaters wenigstens einen heiligen Sohn der Kirche erzeugen könne. Die Hauptsache bei allem diesen ist jedoch, zum Grafen zurückzukommen und von ihm zu erzählen.
- Es ist dies aber nicht viel: daß er nämlich mit der herzlichsten
Freude die ganze welsche Schule bar bezahlte, erst darauf sie um schleunige Vollendung und Verdopplung ihrer heiligen Werke ersuchte, damit sie noch ihn in die Ausstellung hineinhingen, bevor er abginge, - und daß er, nachdem er die sechzehn Bilder durchflogen, worin jeder etwas anderes von ihm getroffen, bei dem ganzen mehr freundlichen als feindseligen Treffen sich nach den Goldstücken noch mit Worten bedankte. Er verbarg sich nicht, daß er wie die sechzehn Gesichter auf einmal
aussähe; nur daß er das von dem Heiligenmaler für das schönste und ähnlichste nehmen mußte.
Wie freilich letztes Bild die fremde Prinzessin erfassen und mit hundert Erinnerungen aus den längst vorübergezogenen Roms-Tagen jetzo im Lenze übersäen werde, wenn es in der Galerie dastehe und die Freundin Amandas mit Freuden davor; nicht einmal zu gedenken, daß sie das Bild wohl gar in den ersten Überraschungen an Amanda selber schicke - dies alles zu erleben, konnte Nikolaus kaum erwarten
an dem Tage, wo er den welschen Meistern gesessen.