Frei Lesen: Der Komet

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Jean Paul

Der Komet

Zwanzig Enklaven zu den vorstehenden zwanzig Kapiteln

eingestellt: 14.7.2007



Da ich in allen zwanzig Kapiteln des dritten Bandes keine einzige Abschweifung geliefert: so fürchtete ich, wenn er herauskäme, dem Homer ähnlich zu werden, dem mehre Kunstrichter den Frosch- und Mauskrieg darum absprechen, weil er nicht darin , wie in seinen andern Heldengesängen, abgeschweift; - und ich nahm mir daher vor - damit dieser Band keinem fremden Verfasser zugeschrieben würde -, die mir gewöhnlichen Abschweifungen unter dem Namen Enklaven im folgenden Kometenschweifanhängsel nachzutragen, wenigstens für jedes Kapitel eine. Aber Verschieben und Verdicken des Buches zugleich - und manches Traurige sonst - verhindern, mehr als drei zu geben; sonst hätte man noch des Kandidat Richters Tagebuch - seine Bemerkungen über Weiber und Hofleute an Hacencoppens Hofe - und tausend bessere Sachen geschenkt bekommen. Indes, was schadet es, wenn einem Buche auch einige Bogen fehlen - oder manchem andern sogar alle -, da noch immer Zeit und Raum genug in der Welt übrig bleiben, sie nachzutragen.

Baireuth, im September 1822


 


I. Enklave

Einige Reiseleiden des Hof- und Zuchthauspredigers Frohauf Süptitz; aus dessen Tagebuch entnommen von einem aufrichtigen Verehrer und Stubenkameraden desselben

Der rechtschaffene Süptitz äußerte einmal gegen mich und einen andern sich so. »Trieb ich, Freunde, das Spitzbubenhandwerk: so könnt ich bei jedem Gaunerstreich, den ich leise zu verüben hätte, mich darauf verlassen, daß mich ein heftiges Husten oder langes Niesen ergreifen und überliefern würde. Und was könnte mir anderes zustoßen, wenn ich als Jagdbedienter mich auf dem Anstand so still und tot wie ein angerührter Speckkäfer anzustellen hätte, als daß gerade, wenn der Auerhahn nicht balzte, mich alles mögliche Insektenvolk überall stäche, damit ich rauschte, und er entflöge! Denn so ist einmal der Teufel gegen mich gestimmt.«

- Es ist bekannt genug, daß der Hof- und Zuchthausprediger ein ordentliches Lehrgebäude hatte, worin er den Satz festgestellt, daß der Arihman oder der Teufel, d. h. nämlich Teufelchen oder boshafte Geschöpfe den Menschen mit mikroskopischen Wunden, mit elenden Kleinigkeiten hetzen, deren ein guter Engel von Verstand sich in die Seele hinein schämen würde. »Traue man mir aber nie zu,« - fuhr er fort - »als lieh ich dem Beelzebub körperliche Kräfte, etwa zum Bewegen von Körpern, Maschinen, Büchern und dergleichen - wahrlich, wo bliebe dann noch Verlaß auf einen Uhrzeiger, auf eine Windfahne, auf ein eingesperrtes Stück Geld? - Sondern ich lasse nur zu, daß dieser Fliegengott, ob er gleich nicht einmal so viel Körperkraft wie eine Fliege hat um gleich dieser nur einen Spinnenfaden oder gar eine Fliege selber damit fortzutragen, doch durch seine organische Hülle (jeder Geist muß eine umhaben) sich mit jeder Menschenseele in einen magnetischen Bezug setzen und diese dann, wie ein Magnetiseur die Hellseherin, seine Gedanken kann denken lassen und dadurch alles durchsetzen; denn durch eine Reihe von Menschen, die ihm und einander nachwirken, kann er mit feinster Berechnung (Verstand hat der Teufel genug) tausend Ringe von körperlichen Vorgängen zu einer so künstlichen Kette schmieden und einhäkeln, daß er gerade, zum Beispiel wenn ich mich rasiere und noch den halben Seifenbart zu scheren habe, an der Kette einen alten heißgeliebten, seit Jahren unerblickten Freund in meine Stube zieht, der an meine Brust und an das eingeseifte Gesicht mit Küssen stürzt, und ich halte das zurückgebogene Schermesser hoch in der Hand empor aus Angst. - Aber wahrscheinlich ergötzt sich eben daran, an solchen komischen Ansichten, der Fliegengott, an dem weißen Kurzbarte und dem Verlegensein darüber. Ein solcher gefallner Engel will doch lieber spaßen als rasten und greift, da man ihm von oben große Einschreitungen versperrt, wenigstens nach kleinen und führt lustige Streiche aus. Luther nennt ihn Gottes-Affe. In den ältern christlichen Possenspielen erscheinen gewöhnlich vier Teufel und machen bloß die Hanswürste. Übrigens führ ich dieses auf tausend Erfahrungen erbaute und auf sie zurückleuchtende Lehrgebäude ganz frei vor allen Augen auf; denn der Ruf, worin ich seit Jahren bei allen Klassen in Rom als ein Philosoph von nur gar zu häufigem Reflektieren stehe, wehrt, denk ich wohl, den Verdacht eines Schwärmers von mir ab.«

Wir haben nun das Tagebuch des trefflichen Philosophen und Hiobs oder Werthers voll Leiden vor uns hergelegt, um daraus treu mehre Blätter wörtlich mitzuteilen - sogar einen ganzen Brief an seine Frau, den er der Malereien-Gleichartigkeit wegen mit hineinkopierte -, da wir auf drei Tage lang das Glück genießen, dessen Stubenkamerad im Gasthof zum römischen Hofe zu sein und in diesem schönen Verhältnisse ihn bequemer kennen zu lernen aus seinen Worten und Schriften. Die Blätter des Tagebuchs sind ganz ungebunden und bloß numeriert; auf jedem steht gewöhnlich nur eine Not. Wir geben die Nummern unter dem Namen Nesselblätter, da leider sein Tagebuch mehr ein Nessel- als Nelkenblätterkatalogus ist. Wir sagten ihm früher selber, er blase sein Leben gern auf einer Harm- und Trauerflöte ab, und ein Harmzusatz sei ihm ein lieber neuer Flötenansatz. Allein dessen ungeachtet liefern wir hier das erste (Nessel-)Blatt ganz wörtlich, so wie es geschrieben lautet, um womöglich zu zeigen, daß wir, wie überall, so hier, redlich ohne Selbstsucht zu Werke gehen.

Nesselblatt 1

Es gehört gerade nicht zu meinen Reisefreuden, daß ich den luftigen sogenannten Reisemarschall Worble wenigstens auf einige Tage zu meinem Zimmergenossen haben muß, zumal da der satirische Mensch sich der spanischen Wand bemächtigt hat, die zwar ihn gegen mich in seinem Bette deckt, hinter welcher er aber jede Minute, wenn ich gerade aus meinem mühsam aussteige, vorbrechen und mich sehen und stören kann. Ob er nicht vollends diese Nachbarschaft benutzt, um mich zu behorchen, wenn ich nachts im Schlaf die unsittlichsten Reden ausstoße - weil der Teufel ordentlich meinem frömmsten Wachen und Wandel zum Trotze mich im Schlaf Niederliegenden in die sündlichsten Träume hineinschleppt -, daran ist bei einem so lockern Gesellen wie W. gar nicht zu zweifeln, der mit Freuden einen reinen Mann in seinen epikurischen Stall-Gespann und Kollegen wird verwandelt hören. O, ich werde zuweilen ordentlich rot, wenn ich dem Schadenfroh meinen Morgengruß biete.

Nesselblatt 2

Daß sie in Gasthöfen die Kopfkissen etwa hoch genug für den Kopf aufschlichten, bringt man durch vieles Vordeuten und Fingerzeigen - obwohl immer ein halb lächerliches Kolloquium für einen gesetzten Geistlichen bei einer Gasthofdirne - vielleicht dahin; aber das ist nie zu machen, daß die Bettdecke gerade um keine Handbreite schmäler oder kürzer oder um kein Pfund leichter ausfällt, als man seit vielen Jahren gewohnt ist, sondern man muß sich eben bequemen, daß man die ganze Nacht bald vornen, bald hinten etwas Anwehendes, abgekühlte Stellen und Glieder verspürt und das Erkälten wechselnd unter sie durch Umwälzen im Bett verteilt; wobei man sich bloß durch die Aussicht tröstet, daß dieses Nachtleiden etwas abmagere, wenn man zu dick ist. - Ist endlich das Wälzen vorbei und frisches Morgenrot da, so fehlt für einen beleibten Mann der Bettzopf - denn gewisser als diesen will ich einen Weichselzopf, einen Weihwedel in Gasthöfen antreffen -, und ich muß mich nun mit meiner Last ohne Bettaufhelfer aufrichten und erbärmlich hebellos über das Bettbrett herausdrehen, mit jeder Windung gewärtig, daß der komische Schadenfroh hinter seiner Wand plötzlich hervorkömmt und scheinbar zurückfährt.

Bl. 3

Sonst wird man im März nicht von Stubenfliegen heimgesucht, aber auf Reisen weiß der Fliegengott wenigstens eine oder ein paar Fliegen aufzutreiben, die er einem Gelehrten, der den so geiststärkenden Morgenschlummer durchaus nicht entraten kann, ins Gesicht treibt. Gegen eine solche Verbündete des Teufels grub ich gestern mich in Schlafmütze und Deckbette ein bis auf Mund und Nase, lieber das Schwitzbad vorziehend; - tausendmaliges Wegjagen mit Händen hilft ohnehin nichts; und schon Homer singt daher von der Unverschämtheit der Fliege - aber wer mit Fliegen umgegangen, oder mit welchem sie, der weiß längst, daß man ihrem Saugrüssel keine Blöße geben darf, z. B. durch das kleinste Loch im Strumpfe, wenn der Rüssel sie nicht benutzen soll. Meine Fliege setzte sich gern und immer auf Nase und Umgegend. Dadurch wurd ich gegen meine ganze Natur, da ich sonst alle Tiere schone, weil ich mit Bonnet sogar an die Beseelung und Unsterblichkeit der Blätter glaube, geschweige der Blattläuse, grimmig und blutdurstig; ich stellte den Mund als Mäusefalle auf und wollte den Feind etwa zufällig mit den Lippen erschnappen. Viel Morgenschlummer war nicht dabei zu erwarten. Zuletzt, als der Feind nach einer halben Viertelstunde mich noch nicht auf dem rechten Ort angriff, setzte ich mich lieber aufrecht und hielt mich unverrückt und zugleich ganz fertig, um diesen Störenfried, sobald er sich auf meine Backe begeben, mit einem Schlage zu erlegen. Ich verfehlte ihn aber vielleicht fünfmal. Da hörte ich etwas neben mir lachen - denn der Bettschirm-Lauscher hatte in einem fort observiert -, und ich antwortete: »Zuletzt fall ich selber in Ihr Gelächter ein, daß mir der Teufel die Backenstreiche durch meine eigene Hand zuteilt.« - Wirklich trat Herr Worble hervor und an mein Bett und sagte ganz freundlich »Guten Morgen! Die Bestie will ich schon fangen.« Aber mir war die gewiß andern nicht ungewöhnliche Täuschung begegnet, daß ich für eine wiederkommende Fliege gehalten, was zehn einander ablösende waren. Natürlich hätt ich mich lächerlich gemacht, wenn ich so lange, bis dieser Spaßvogel meine Stoßvögel und Harpunierer - (welche letzte Metapher von ihm wirklich passend ist, in bezug auf Stechen sowohl wie auf relatives Größen-Verhältnis zwischen Fischer und Walfisch) - insgesamt hätte eingefangen und erquetscht gehabt, wenn ich, sag ich, so lange im Bett geblieben wäre, um dann noch auf Morgenschlummer zu lauern, was wohl der Schadenfroh am diesmaligen Nicht-Frohauf gern gesehen hätte; aber ich stieg ohne weiteres aus dem Bett.

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< Einundzwanzigstes Kapitel in einem Gange



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