Frei Lesen: Freiheits-Büchlein

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Kapitelübersicht

Nro. I Untertänigstes Zueignungs-Gesuch, eine Ästhetik betreffend, an ... | Nro. II Offizielle Bericht-Erstattung an den Leser von Deutschland, ... | Nro. III Dissertatiuncula pro loco |

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Jean Paul

Freiheits-Büchlein

Nro. III Dissertatiuncula pro loco

eingestellt: 2.7.2007



Nichts hat mich von jeher mehr erfreuet, als wenn ich im übrigen Deutschland die stärksten und einfältigsten Ausfälle auf die *** Staaten in Bezug ihrer Leseknechtschaft zu hören bekam, weil ich bloß den Mund aufzumachen brauchte, um zu erweisen, daß eine Zensur und folglich eine Lese-Freiheit da herrsche, welche durchaus nicht uneingeschränkter sein kann. Ich ließ daher gewöhnlich - bevor ich den Hauptschlag tat - die Spaßvögel erst auskrähen und fiel selber boshaft genug mit seinsollenden Einfällen ein, als z. B. damit, daß man allda nicht die Preßfreiheit hätte, die Preßfreiheit zu loben, ja nur den catalogus prohibitorum in dem in ein geistiges Gefängnis auf Wasser und Brot gesetzten Lande zu nennen, so wie in der Fastenzeit die Isländer (nach Olaffen und Povelsen) von Fleisch nicht einmal das Wort in den Mund nehmen - und daß alsdann die Literatur dem am Franziskanerkloster bei Montpellier liegenden See voll stummer Frösche gleich sei, welchen der heilige Antonius von Padua das Quaken verboten - - Aber (so unterfuhr ich plötzlich selber meine Zufuhr) setzt dieses Stummen-Institut nicht eine doppelte größte Sprechfreiheit voraus, die der Frösche und die des Heiligen? -

Denn so ist es in der Tat. Es ist ein schönes und unerwartetes Schauspiel, nämlich jene herrliche zensur-freie Lesefreiheit eben gedachter Staaten, welche so weit geht, daß es durchaus kein Werk gibt - sei es noch so zynisch, weltweise, ja gottes-, staaten- und fürsten-lästerlich -, welches sie nicht nur frei zu lesen erlaubten allen dortigen Zensoren (denn vom Pöbel sprech ich hier nicht), sondern sogar auch geböten. Diese Freiheit, alles zu lesen, was geschrieben wird, - eine größere ist überhaupt nicht denklich - genießt nicht nur ein glücklicher Zensor, sondern ganze Zensurkollegien; gleichsam als wolle der Fürst die letztern - sehr verschieden von einem Sultan, der sein Glück mit 40 verschnittenen Stummen umringt - als ebenso viele verschneidende Redende um sich stellen. (Denn Denken ist Reden - leises, nach Platner.)

Kann der Staat besser zeigen, daß er die alten Besorgnisse von zufälligem Einflusse eines Buchs auf schwache Gemüter u. s. w. verachte, als wenn er die größte Lesefreiheit allen Zensoren ohne Unterschied gewährt, wozu unmöglich lauter Götterhäupter zu vozieren sind, sondern auch Gassen- und Straßen-Köpfe, ja wohl Austern- und Milben-Köpfchen, denen gerade die heimliche Lektüre der zügellosesten Manuskripte am ersten das, was sie ihr Gehirn nennen, versengen könnte? Rottete sich diese in so viele Städte gelegte Schar zusammen: wie gefährlich könnte sie werden, wenn das Lesen gefährlich machte! Aber das Gegenteil wird so gewiß vorausgesetzt, daß man solchen All-Lesern die allgemeine Sorge für die Orthodoxie, wie in Frankreich den Setzern die für die Orthographie, ruhig anvertraut. In der Tat sind sie die Menschen, die ein solches Vertrauen rechtfertigen und belohnen; denn unter ihnen ist jede Generation eine neue unveränderte Auflage der vorigen, indes sie selber durch Lektüre mit der Zeit so fortschreiten, da sie zuletzt geistesarme Werke so häufig verbieten als ihre Vorfahren geistreiche; - wodurch sie den Wunsch und die Ehre, verboten zu werden, leise schwächen; da sonst Verbieten und Verschließen den Büchern so viel schadete als der Landmann den Raupen, wenn er sie, um sie auszurotten, in die Erde grub, worin sie sich eben verwandeln. So hörte in Griechenland der Ostrazismus auf, weil er zuletzt statt großer Männer schlechte verjagte, z. B. den Aristobulus.

Genau genommen ist jede Klage über Lese-Knechtschaft falsch, da eine heilige Notwendigkeit der Natur uns, auf welchen Umwegen es auch sei, stets zur Freiheit führt. Denn so wie es keinen reinknechtischen Staat voll Knechte gibt, sondern im Sklavenschiff stets einen freien Kapitän, einen Bey und Dey, der als der einzige Träger der Menschenrechte sie desto reicher entfaltet: so ist auch ein Staat voll lauter Lesesklaven, eine ecclesia pressa ohne eine ecclesia premens, kurz ein Kerker nicht möglich, worin der Schließer selber mit eingeschlossen wäre, sondern freiere Schrift-Sassen, die Zensoren, genießen und behaupten eben das Glück und Recht, das man vermissen will,

Dieselben innern und äußern, vor Mißbrauch bewahrenden Gesetze, auf welche sich z. B. der liberale preußische Staat bei den Lesern der Druckschwärze verläßt, setzet jeder als illiberal verschriene bei den Lesern der Dinte voraus und nimmt, wie sonst Buchdrucker nichts Heterodoxes zu drucken schwuren ohne den Wiederdruck eine Widerlegung, letztere, aber nur innen beigefügt, bei jedem Zensor an. Immerhin mögen dann solche freie Staaten des Dinten-Lesens die übrigen gemeinen, zu keinem Zensieren besoldeten Seelen scharfen Verordnungen unterwerfen; sie sollen immerhin Menschen, die nicht einmal von weitem zu dem Zensurkollegium gehören (etwa als Bücher-Träger, Offizianten etc.), alles ganz strenge verbieten und ihnen Denk-Knebel und statt des Fußblockes den Kopfblock anlegen: mich dünkt, sie werden hier doch nichts tun, als was die Griechen längst getan, welche nicht litten, daß Gesänge und Freiheit, überhaupt Gedichte von den Sklaven gesungen wurden.

Anstatt also in den ** Staaten Verringerung der Zensoren zu bestellen, hat der Freund der Freiheit nichts zu wünschen und zu betreiben als die ungeheuerste Vermehrung derselben. In jeder Landstadt, in jedem Marktflecken sollte alle Welt, wenigstens wer Geschriebenes lesen kann, verbunden sein und sich selber anbieten, Sachen zu zensieren und vorher durchzulaufen, teils um dem Staate zu zeigen, daß er so gesund ist wie jeder andere Zensor, teils um gemeinschaftlich für die geistige Gesundheit der übrigen, nicht lesenden Staatsbürger sorgen und verbieten zu helfen. Nur möchte, wenn man so viele Zensoren anstellte, als es jetzt Leser gibt, von Sachverständigen zu erwägen sein, ob der Umlauf eines Manuskripts, die Abnutzung, die Verspätung desselben, desgleichen die unleserliche Hand, überhaupt die Schreibzeichen nicht es rätlicher machten, wenn für die Zensoren, d. h. für die hier möglichen Leser - 300000 deutsche Leser soll es nach Feßlers Zählung geben - der Schnelle wegen die Handschrift vervielfältigt würde, so daß wenigstens 100 Leser ihre besondere und also 300000 ungefähr 3000 Exemplare hätten; was in unsern Zeiten ja so leicht zu machen ist, durch die Druckpresse, welcher keine Abschreibfeder nachkommt. Solche leserlich gedruckte Manuskripte für sämtliche Zensoren - gleich Lavaters gedruckten Manuskripten für Freunde - könnten alsdann die Buchhändler, als Offizianten der Zensurkollegien, ausgeben, und der Staat hätte keinen Heller Ausgabe; ja anstatt des Zensurgroschens pro Bogen müßte der Leser selber einen Lesegroschen pro Band erlegen. Längst wurde daher auch diese Einrichtung schon von Staaten und Städten, die mehr geistig reich sind als leiblich, z. B. in Berlin und Weimar getroffen; nur daß sie eben darum das ganze Zensier-Geschäft - wie Athen die Kriegs-Zurüstungen - bloß Privat-Instituten überließen, welche unter dem Namen Rezensuren oder Rezensionen meines Wissens durch ganz Deutschland bekannt genug sind, und welche eben stets das lesen, was nicht zu lesen ist, sondern zu verbieten.


 


Zweiter Abschnitt
Unterschied der Denk-, Schreib-, Druck- und Lese-Freiheit



Gegenwärtige Lokal-Dissertatiunkel geht nun, ihrer Bestimmung nach, tiefer in die Materie und verlässet die besondere Beziehung auf die ** Staaten. Inzwischen wird doch auch der letztern Sache unter der Hand fort verfochten; denn die höchste Lese-Freiheit, welche die Abhandlung den Menschen überhaupt erstreitet und zusichert, kommt also auch z. B. den böhmischen, mährischen, ungarischen Zensoren und den Staatsgründen ihrer Einsetzung zu Gute.

Wahrscheinlich muß ich - zumal da ich in der Universität der größten deutschen Stadt zwar nicht einen Grad, aber doch ein Ämtchen suche - vorher scharfsinnig absondern und feststellen; ich zergliedere daher das Wort Freiheit in die in der Aufschrift angezeigten vier Weltgegenden und Weltteile. Die erste, die Denkfreiheit, hat meines Wissens bisher niemand verboten als der Schlaf, der Rausch und die Tollheit; das Bette, die Bier- oder Weinbank und die petites maisons sind die Ruderbänke und Sklavenschiffe des Denk-Ichs - Keine Zensur und keine Inquisition setzen in einen solchen wahren Personal-Arrest als gedachte böse Drei. - Auch die Schreib-Freiheit wird - wenige Kerker ausgenommen - in ganz Europa jedem frei gelassen, schon weil sonst die Zensoren, sobald nicht alles geschrieben werden könnte, antizipiert wären und nichts zu verbieten hätten und mithin ihre Gehalte mit Sünden zögen; sie wären dann ebensogut Polizei-Lieutenants im Himmel.

Hingegen Druckfreiheit und Lesefreiheit! - Aber wie verschieden sind beide, so verwandt sie auch scheinen! Es läßt sich, wenigstens im Allgemeinen, denken und retten, daß ein Staat sich von Ketten der Zeit und der Stelle zum Verbote, ein an sich schätzbares Werk zu lesen, gezogen glaube; aber kann er darum den Druck verbieten und so das Verbot des Lesens auf alle fremde Staaten und Zeiten ausdehnen? Ja gesetzt, alle lebende Staaten hätten dasselbe Bedürfnis des Verbots: woher bekommen sie das Recht, damit künftige Zeiten zu beherrschen? Dürfte ein sthenisch krankes Land darum alle Weinberge und Tierreiche ausrotten - anstatt sie zu untersagen -, oder alle Hunde - wie Briten die Wölfe -, weil sie wütig werden?

Ein Buch gehört der Menschheit an und der ganzen Zeit, nicht seinem zufälligen Geburtsort und Geburtsjahr; es wird wie die moralische Handlung zwar in der Zeit, aber nicht für sie, sondern für die Ewigkeit geboren. Das Meer und der volle Buchdruckerkessel sind Welteigentum, und nur die Küsten haben Herren. Wie kommt nun ein unbekannter Zensor dazu, der Richter, Lehrer und geistige Eß-König einer ganzen Ewigkeit zu sein, der Regent eines unabsehlichen Geisterreichs? Denn darf er nicht das bloße Lesen, sondern den Druck an sich verbieten: so darfs jeder andere Zensor und in jeder andern Zeit ja auch, und folglich wär es ganz leicht und ganz gesetzmäßig, das Werk selber zu vernichten, z. B. eine Spinozas - Ethik, eine Kants-Kritik, oder die Bibel selber, oder alle Bibliotheken in der Welt. Denn der Zensors- und Omars-Vertilgungskrieg gegen Bücher gilt bloß - allen. Aber Himmel! Warum verbot man dann überhaupt nicht gleich früher lieber statt eines Drucks die Buchdruckerkunst überhaupt? und statt eines Lesebuchs Buchlesen insgesamt? - Denn jede Einschränkung wäre eine viel zu gefällige Nachsicht für Menschen, welche gern zeigen möchten, was sie aus ihrem Abc-Buch geschöpft haben, nämlich nicht nur die übrigen Buchstaben d e f ff g h i etc., sondern auch flinkes Lesen.

Jene Zensur-Maxime aber angenommen, so wird jeder Literator, der nur ein gelehrtes Sachsen, Niedersachsen, England schreibt, geschweige ein gelehrtes Europa, Asien, Afrika, Amerika, wissen und fühlen, was eingebüßet werden kann, schon aus dem, was schon verloren gegangen. »Wie,« (darf er sagen) »man sollte keine neuen Bücher zu Rate halten und zum Druck befördern, da schon so unzählige alte umgekommen sind, nach Morhof (Polyhist. c. V. de ordine biblioth.) klassische gerade 100000; - und sonst die vielen andern, z. B. die vom sinesischen Kaiser Xiu verbrannten; die von Cromwell eingeäscherte Bibliothek in Oxford; die vom Kardinal Ximenes bei der Einnahme von Granada verbrannten 5000 Korans - wiewohl doch der Urtext restiert -; die aus den Zeiten der schwäbischen Kaiser eingeäscherten Dokumente und überhaupt die Makulatur von Jahr zu Jahr? O wie würden wir alle die Sterblichkeit und die Würde eines Buches mehr wahrnehmen, erschiene in beiden Messen nur eines und das andere!«

»Aber«, könnte man sagen, »den zufälligen Geistermord z. B. an Kants Kritik konnte auch der Zufall verüben am Manuskript, als es auf dem Postwagen nach Riga ging; ja Kants Kopf hing ja noch früher von der Wehmutter ab, die, als er das Licht der Welt erblickte, am ersten machen konnte, daß er kein Licht der Welt wurde, indem sie mit einer nicht schreibenden, nur pressenden Hand ihn für alle Systeme so zuründete, daß er Jahrzehende später nichts geschrieben hätte als Ja, Ja!« - Ganz gewiß! Und dies ist eben die Größe der Gottheit und ihrer Welt, daß sie das Größte ans Kleinste, Welten an Lichtfaden, die Ewigkeit an Minuten hängt, - sich bewußt ihrer Überfülle von Kraft, Zeit und Raum; aber darf der kleine Mensch seinen Bruder lebendig begraben, weil es das Erdbeben tut? - »Folglich«, könnte man fortfahren, »wurde noch nie eine Wahrheit unterdrückt auf der unabsehlichen Erde voller Geister und Zeiten!« - Ich glaubte es selber, wäre die Erde die Welt; aber eben der Reichtum des Seins, die Welt voll Welten verstattet so gut das Aussterben eines Gedanken auf der Erde als das des Mammuttiers - ja sogar ein Mensch kann nur einmal auf der Erde erschienen sein, sogar im Monde, im Jupiter, im Saturn und dessen Ringen, und wo denn nicht? Im Universum selber. Wer fühlt in sich eine Notwendigkeit der Wiederholung in der Zeitlichkeit?

Folglich gehe der zeitliche Mensch fromm zu jedem Lichtstrahl, der hie und da aus der hohlen Wolkendecke auf seine Erde und Erdenstelle fährt, und spanne unter dem Gewölke nicht vollends den Sonnenschirm der Zensur auf.

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