Jean Paul
Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf
Siebente poetische Epistel
eingestellt: 1.7.2007Das Ende
Unterwegs 1798.
Ihr guten Leser, die ihr vom unbekannten einschlafenden Menschen doch den fortsprechenden Autor erbet, schauet leicht meinem kleinen Schachspiele mit mir selber zu bis zum Umlegen der letzten Figur. - Ich kann und will in dieser Epistel nicht an die Menschen denken, die ich in den vorigen aufgeführt. - -
Ich fuhr heute am Morgen einsam aus Leipzig über den
entvölkerten Markt, wovon die hölzerne Budenstadt in der Stadt nach der Messe schon abgetragen war. Ein Mensch, der sich aus dem lebendigen Kreise eines Ortes ablöset, verlässet nicht den letztern (denn dieser merket keinen Abgang), sondern einen alten Lebens-Zyklus, den er nun gegen einen neuen umtauscht; unterwegs ist er ledig-einsam und nichts. - Meinen Wagen begleitete in der Stadt - ob wir gleich schon Abschied genommen - von weitem ein guter Jüngling, den ich herzlich liebte: bleibe so
schuldlos, wie du bist, reiner heller Mensch, und lese immer diese Zeile so wie jetzt! - Draußen lief die ebene lange Straße durch eine Baumschule auf beiden Seiten gleichsam in den blauen kalten stillen Himmel des Herbstes hinein - ich stieg aus und irrte dem schleichenden Wagen nach - o war ich nicht so oft auf diesem Weg an schönen glänzenden Morgen und Abenden sanften Freuden entgegengegangen und der Hoffnung, ihn zu wiederholen? - Der Herbst dampfte glänzend am Umkreise der Erde - ich
schauete mich um, und zwischen den Türmen standen die Rauchsäulenfarben trunken vor der malenden Sonne wie aufrechte Morgenröten über der Stadt - - Es gehe dir wohl, menschenfreundliche Stadt! Und dir, geliebter Weiße, bleibe die Jahrszeit deines Lebens so warm und hell wie die jetzige und wie dein Herz!
Später in der einsamem Ferne und in der leeren Ebene ohne Berge dacht ich an den Inhalt dieser siebenten poetischen Epistel, aber recht froh. O warum darf man nicht unter
dem blauen Himmel, auf der grünenden Erde, die ja, wie ein Krankenstuhl, zugleich unser Tisch, unser Sitz und unser Bette sein kann, vor der großen Natur die sinkenden Augenlider schließen? Schlafen nicht Kinder am liebsten neben der schirmenden Mutter ein? -
Unter allen Episteln ist keine ihrer beschriebenen Stunden so gewiß als diese meiner letzten. Ja die andern können lügen, nur diese nicht. Wenns inzwischen jenes ist, ich meine, wenn das Schicksal meinen Milchtopf wie in der
Fabel umstößet: so hab ich wenigstens, eh es geschah, den Topf und den Traum gehabt; und nachdem es geschehen, hab ich noch mehr als die Erfüllung. Ich kenne dich, Leben, und nehme dich überall ganz; du bist ein Sousball in Paris, worin man nicht den ganzen Ball zu bezahlen braucht, sondern einen und den andern Tanz, wofür man wenige Sous gibt - Du bist eine Kreuzerkomödie in Bayern, die man nicht ganz auszuhören braucht, sondern aus welcher man sich, da sie immer währt, für seinen Kreuzer seine
Szene wählt und dann fortgeht, indes andere bleiben und kommen. -
Ich könnte eigentlich an der Unsterblichkeit versterben, wenn ich wollte oder dürfte; - ich hätte unter dem Schreiben weiter nichts nötig als (da mein Gehirn wie ein Glas, worein man schreiet, mit jeder Seite der redenden Seele stärker nachzittert und ich immer bei einem Feuer aufhöre, womit ich wünschte anzufangen) - ich brauchte nur, sag ich, fortzufahren, mich aus einem Zeitalter ins andere zu schreiben, aus dem
eisernen ins erzene, daraus ins silberne, dann ins goldne und endlich in die Ewigkeit. Denn ich kenne den Tod, er würde sogleich - er passet darauf -, so wie der Jäger aus der Schwinge eines Raubvogels eine Feder reißet und ihn damit am Genick ersticht, aus meinen Fittichen eine nehmen und mich erspießen; aber darauf kann er warten. -
Inzwischen tritt er am Ende doch herein, ohne zu fragen; treib er nur nicht, wie die Sternkundigen, sein Werk in langen, langen Nächten. Und gleichwohl
- dauert denn die längste Nacht bei uns länger als sechzehn Stunden und zwei Minuten? Gesetzt, sie kehre ein paarmal um: so bricht doch nachher ein Morgen an, dessen Aurora von einer Milchstraße zur andern brennt. Der Sterbliche, der über die Länge irgendeines Drangsals wimmert, hat ja diese eben schon verwunden und zurückgelegt, und er zagt nur vor einer Zukunft, die eben darum leichter kurz ist als lang.
Das Alter, besonders das eines gesunden Autors, beschließet sich gewöhnlich mit
dem Nervenschlage, der dem schnellen Zerspringen gleicht, womit eine Sonnenblume alle ihre Blüten erweitert. Diesen Zauberschlag, der diese Welt in die andere verwandelt, setzt der vortreffliche Darwin in die zwei Äquinoktien, worein auch beide Bücher-Messen fallen. Ich fand aber an mir und andern das Herbstäquinoktium noch gesünder als selber den kürzesten Tag; hingegen die Frühlings-Nachtgleiche ist, wie die Ostermesse, ergiebiger für ihn und ist zumal nach harten hellen Wintern der
eigentliche Ziehungstag des Freund Heins. Und da wird er mich wahrscheinlich ziehen; zumal wenn der Winter- oder Nachwintertag (etwan in der Frühlingsnachtgleiche) sonderlich heiter und kalt sein sollte und gleichwohl das Wetterglas fiele. Die mit der Muskularkraft verträgliche Nerven-Asphyxie, die gegenwärtigen Verfasser oft an Wintertagen verödet, befestigt schön Weikards und Browns System. - -
- Wie himmlisch und italienisch-dunkelblau bist du, heutiger Tag! Ich ruhe jetzt, in
schöner dankbarer Erinnerung an eine Familie voll elterlicher und kindlicher Liebe, am romantischbewachsenen Ufer der Saale und blicke in den vertrauten Strom, an welchem ich aufwuchs und worin das träumende Kind oft seinem schwimmenden Lächeln lange nachgesehen und den ich nach so langer Zeit hier in der Ferne wiederfinde. O wie linde und weich laufen deine lieben Wellen vorüber, die ja alle vor meinen Geliebten in Hof und vor ihren Spaziergängen vorbeigezogen sind!
Sehnsüchtig und bekannt schau ich jeder daherflatternden Woge entgegen und folge dann lange dem fliehenden Wasserringe nach und möchte die liebe Flut trinken und sie auf meine Brust kühlend sprengen. - Möget ihr nur, ihr Wellen, lächelnde Gestalten und rote Abende nachgespiegelt haben und den breiten Glanz der Mondesnacht, und keine Träne soll mit euch geflossen kommen! -
Wir würden alle den Tod schöner finden, wenn er unsere Hülle nur entseelte, nicht zerlegte - ferner wenn wir die
Trauer, die uns geliebte fremde Gräber geben, nicht verwirrend in das Bild des unsrigen übertrügen - ferner wenn wir uns nicht im Leben so recht wie in einem warmen häuslichen eingewohnten Neste festgesessen hätten, aus dem wir nicht gern aufwollen in den hohen kalten Himmel - und endlich würden wir den Tod verschönern, wär er uns versagt. Ich träumte einmal, durch Swift entzündet, von einem großen Geiste, der ewig auf die Erde geschmiedet wäre.
Der unsterbliche Alte hatte fünf
tiefe Wundenmale seines Unglücks: er war unglücklich im Frühling, weil uns dieser ewig durch eine höhere Hoffnung erfreuet und tröstet, als der runde Kirchhof der Erde erfüllen kann - er wars vor der Musik, durch welche die ganze Unendlichkeit seines Herzens wach wurde und der er zurief: »Sirene, im langen, langen Leben fand ich nichts von dem, was du versprichst« - er wars vor der Erinnerung der hohen Liebe, die in der hiesigen Welt nur keimen und erst in der andern blühen kann - er wars vor
der Sternen-Nacht, zu deren weit schimmernden Unermeßlichkeit er weinend hinaufklagte: »So leb ich denn ewig geschieden von dir; und das große Sonnen- und Erden-Universum steht über und unter mir, und der Kot einer kleinen Kugel hält mich fest« - er war unglücklich vor der Tugend, vor der Wahrheit und vor Gott, weil er wußte, in welcher Ferne sich der Erdensohn ihnen nähern kann.
Aber es gibt keinen solchen ewig von der wachsenden Nachwelt abgestoßenen Menschen, vor welchem sich immer
nur die dürre Körperwelt ohne die Geisterwelt, wie vor uns die verglasete Halbkugel des Mondes ohne die zweite voll Blumen , vordrehte, es gibt keine fragende Brust in dieser runden Wüste, zu welcher nicht irgend einmal der Tod träte und ihr antwortete. - -
Du mußt mir auch einmal antworten! Jetzt ist die Welt so stumm! - Wie in der wühlenden Stunde des Erdbebens, wenn Berge und Städte schwanken und das aufgeworfne Meer in hohen Wellen emporfährt, wie da fürchterlich das Luftmeer
und der Himmel stille stehen und kein Lüftchen über das Getümmel weht: so liegt über diesem lauten Leben und über unsern Seufzern und über dem Toben der Völker das Geisterreich stumm und fest und eingehüllt, und nichts spricht mit dem einsamen Geist als er selber - - Aber der Tod wirft den tauben Körper und die dicke Erde weit von uns, und wir stehen frei und hell in der lichten Welt unsers Herzens und unsers Glaubens und unserer Liebe. -
Wenn du nun kommst zu mir, letzter Genius des
Lebens: so werd ich dich, dessen schönes Angesicht und dessen glänzende Flügel so oft an meinem Schreibetisch offen standen, hoff ich, noch kennen - und wenn ichs nicht mehr könnte, so wäre der Irrtum nur kurz -, und ich werde sagen: nimm nur hin den leichten durchsichtigen Sommernachtstraum des Lebens, weiter ist nichts da! Und wenn du dann, wie wir schon bei kleinern Mysterien tun, das scheidende Auge verschleierst und wenn nur noch ein paar Träume in der leeren Seele wohnen: o so
werd ich, wenn ich kann, segnend an euch Menschen denken - denn ich hab euch gewiß geliebt -, und es wird mich da noch schmerzen, daß du arme, so oft verwundete Menschheit noch so blutige Entwicklungen zu überstehen hast. Wenn die letzte Wolke dann dichter um das Auge zieht: dann kommt, ihr Jugendmorgen und Juniusnächte, ich werde die jungen Rosen in eueren Händen schon kennen - und ihr gestorbenen Freunde, tretet nahe herbei, denn nur noch das schlagende Herz steht zwischen mir und euch - und
wenn dann, was das Geschick doch so vielen Scheidenden bescherte, ein inneres Tönen und Klingen den entrinnenden Geist begleitete, so würd er noch über diesem holden Frühling der Ewigkeit, über dieser ersten Erde weinend schweben und wünschen: lebt wohl, ihr Morgen und ihr Abende, ihr reichen Täler und Berge, ihr Sternennächte, ihr Frühlinge und du ganze liebe Erde! - Und dann hab ich sie verloren. - O noch ruht sie so glänzend vor mir und trägt die untergehende Sonne an ihrem Herzen - der Abend
brennt hinter seinen Wolken auf den Bergen - die entziehenden Lerchen singen dem künftigen Frühling entgegen - aus den vertrockneten Auen grünen die hohen Wintersaaten mit Frühlingssprossen auf - und ich gehöre noch der erfreuenden Erde an - - o ich will in diesem Vorhof des Seins noch tun, was der Schwache vermag.
Die Sonne geht hinab - meine Reise endigt - und in wenig Minuten bin ich an einem geliebten teuern Herzen - - es ist deines, unsterblicher Wieland!
- Seite:
- 1
- 2
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.