Jean Paul
Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf
Zweiter Brief. An Marietta Zeitmann
eingestellt: 1.7.2007Der Stumme mit den Blumen - der eiserne Blumengarten
Postskript: Luna am Tage
K., d. 23. Jun.
Die Rose, die sonst die Parole des Schweigens ist, hat der arme stumme Florist als eine Stummenglocke in der Hand; er will wie die sultanischen Stummen etwas haben mit seiner Blumensprache; - und ich auch, liebe Marietta. Zuerst soll er vor Ihnen das ganze Blumenkörbchen umstürzen und
ausschütten, damit der Bodensatz, mein Nachtstück, herausfalle. Alles das wird Ihnen geschenkt, weil Sie Verse machen; das Nachtstück, damit Sie es darein bringen und einrahmen; und der Junius-Flor, weil ich Ihnen, wenn ich die Académie des Jeux Floraux wäre, statt der weichen Violen und Ringelblumen harte von gutem Silber geben müßte. Und ich glaube, ich täte dann besser. Sie Mädchen sämtlich lieben an Blumen mehr die Farben, wir die Düfte; und für Sie sind alle Blumen Vergißmeinnicht und jede
Flora eine seidene. Hätt ich das Geld, ich ließe mir welsche und lyonische Floristen statt der Gärtner kommen und für Gartenfreundinnen einen ordentlichen Hesperidengarten aus Draht und Florettseide pflanzen. Welch eine Idee! Sie verdient noch drei Blicke. Oh, sehen Sie nur wenigstens zur Gartentüre hinein auf mein Rosenparterre ans Holundermark - nicht nur Sie als Blumengöttin in Seide, sondern auch alle Ihre Landeskinder - ein perennierender floréal mitten im häßlichen brumaire - die Blumen
ganz verschiedener Jahrszeiten, wie in einem deutschen Gedicht, nebeneinander gedeihend - herborisieren Sie weiter, so kann ich Ihnen einen Prince Paul aus Papier präsentieren und anstecken, indes im Bouquet um den Prince noch ein gläserner Mark Aurel, ein porzellaner Agathon und ein Ovid aus Federn gebunden sind. - -
Aber nun will ich wieder mein Stummer werden, zumal da ich nichts so Blühendes wie er zu geben habe; und wahrhaftig, man sollte jetzt mehr die redenden als die
stummen Teufel aus den Menschen austreiben. - Apropos! Das Gremser Feuerwerk und tanzende Frühstück bleibt ein unbewegliches Fest; und ich habe hier bloß so viel für Sie getan und geschrieben, damit Sie der Frau Spezialin zureden, dem Herrn Spezial zuzureden. Es muß sein. Ich und der Prediger wollen uns nicht umsonst in Kosten gesetzt haben. Addio! Das Nachtstück hier wird Ihr weiches Herz mehr befriedigen als das scherzende Blumenstück. -
J. P.
*
Luna am Tage
Mit erdenfarbiger erloschner Gestalt und mit langen Seufzern zog Luna auf ihrem Wagen nahe vor des blühenden Apollos Feuerrädern durch den Himmel und schauete immer gegen das warme lachende Antlitz ihres Bruders zurück, um ihn zu lieben und sich zu trösten - denn ihr teuerer Endymion wurd ihr vom Tage genommen, die Fesseln seines unsterblichen Schlummers banden ihn in seiner Höhle fest, und die
Liebende schmachtete nach der alten Stunde umsonst, wo sie unter dem Mantel der Nacht zum blühenden Träumer heruntersank und ihn süß-zitternd anschauete und sich immer bebender niederbog und endlich von den ewigen Rosenknospen seiner jungen Lippen mit einem eiligen Kusse entfloh.
»O siehe, mein Bruder,« (sprach sie zu Phöbus, ihr zartes Weh verkleidend) »wie mir alle meine Vielen drunten ihren Duft versagen und ihn erst hauchen, wenn ich vorüber bin. Dir aber öffnen so viele tausend
Blumen ihr Herz!«
Recht beklommen schauete sie nun über die heiße matte Erde voll Rauchsäulen und sterbender Schatten hin; da erblickte sie zwei Liebende auf ihr, die sie nie unter ihrem nächtlichen Wagen gefunden. Sie waren immer vom Argus des Tages begleitet; - niemals hatten sie nebeneinander auf die Nachtigall gehorcht und zum Lächeln der Sterne aufgeblickt und dann süßer alles wieder verloren und nur einander gefunden - - bloß unter den harten Tonarten der gellenden Welt
vernehmen sie die Lautensaiten der Liebe - - und blöde, wie Luna, und liebe-schonend verlangten die zarten Herzen vom Tage nur ein kurzes Wiedersehen, und keinen Händedruck und nicht den ersten Kuß.
Die bleiche, vom Bruder bewachte Luna fühlte die weichen Schmerzen und Wünsche der fremden Liebe in der eignen Brust. O, von der Liebe wird die Liebe vergeben und geehrt! »Geliebter Bruder,« sagte sie bittend, »schaue nach Delos hinab auf deine blühenden Geliebten, auf deine Sonnenblume,
auf deinen Lorbeer und auf die Hyazinthe und die Zypresse und die Weihrauchstaude, wie sie dürsten und sich beugen! - Und sprenge auf die heißen Zweige einen labenden Tropfen Tau! - Lasse mich, du Lieber, den Mantel der Nacht über deine feuerschnaubende Rosse schlagen.«
»Verhülle ein wenig die Flammen!« sagt er willig, weil er in den geheimem Wunsch des Schwester-Herzens eindrang. Nun fiel die erfrischende kürzeste Nacht wie ein Abendregen auf die Erde und auf das liebende Paar! Wie
stauntet ihr Glücklichen, als die kreischenden Kanarienvögel stockten und die Lerchen schmetternd höher aufflogen - und die Nachtviolen aufgingen und die süßen Abendopfer brachten - und als auf der tief behangnen Erde voll liebender Einsamkeit nichts mehr leuchtete als die Vulkane, deren schmutzige Wolkensäulen zu Feuersäulen anglommen und gegen die Sternbilder aufbrannten - und als Philomele in den schläfrigen Blüten erwachte und aus der überfüllten Brust melodisch stöhnte und in schöne Klagen
dahinfloß - - aber ihr stauntet nur kurz, und das Herz wandte sich zum Herzen und das Auge zum Auge. - O, ihr Seligen! Zweifelnd und doch glühend, zagend und doch schon tränen-trunken wie die Blumen um euch, die die kleine Nacht betauet, blickt ihr euch an und scheuet eilend die Flucht des schönen Dunkels und doch zögernd die erste Kühnheit des Händedrucks. - Aber die schuldlosen Herzen, so gefangen und betäubt von der freudigen Finsternis, wie die Bienen um sie von dem nächtlich zufallenden
Tulpen-Kerker, vergaßen die erste Kühnheit und sanken überwältigt mit der süßern aneinander und küßten sich und ruhten auf dem Kuß und vernahmen nur noch wie ein fernes Echo die Nachtigall, und die Diamanten auf dem geliebten Herzen fingen zu leuchten an, gleichsam als gäben sie nicht bloß den eingesognen Glanz der Sonne, sondern auch der Freude zurück.
Da glänzte Lunens Auge vom Schmachten feucht, und sie suchte schnell und kühn auf der träumerisch-erleuchteten Erde Endymions Höhle.
Sie fand den Latmus-Berg und den Geliebten, und wache Johanniswürmchen spielten in der Grotte um seine Rosenwangen. Erschrocken und der Tränen unbewußt blickte sie sich um; da sah sie die Venus lächelnd neben ihrem Bruder stehen. Sie errötete und riß den Schleier der Nacht von den Flammen der Rosse weg, und der Tag sank wieder mit seinem weiten Glanz über die ganze Erde. Und die Liebenden drunten wachten auf wie an einem Morgen, aber die Morgenröte stand bloß auf ihren Wangen; und sie schaueten
selig die helle, jugendliche und singende Erde an und den Glanz ihres Taues in den aufgerichteten frischen Blumen. Luna aber blieb vom Sehnen träge hinter dem raschen Jüngling zurück und immer weiter zurück, bis die Nacht sie übereilte: dann ward auch die Blöde wieder selig.
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