Jean Paul
Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf
Vierter Brief. An Benigna
eingestellt: 1.7.2007Über die Geduld der Mädchen und der Frauen
Postskripte: der doppelte Schwur der Besserung - die Neujahrsnacht eines Unglücklichen
K., d. 24. Jun.
Es hätte wenig gefehlt, Madame, so hätt ich heute vormittags in der Hospitalkirche, während Sie unten zu mir heraufsangen, zu Ihnen hinuntergeschrieben; und wenn eine Verszeile auf Sie passete, sang ich sie laut mit. Wahrlich der Brief
hätte zum Hauptlied gestanden. Ich hätte gewiß darin von den schönen Quellen und Höhen der Seele gesprochen, die das Erdbeben des Schmerzes in unserer Seele auftreibt - und von der dunkeln Stille des Grams, worin man im irdischen Heidenvorhof manche Töne aus dem unbekannten Allerheiligsten leichter als im Lustgetümmel höret, wie man vor dem leisen Nachtfluge der Melodien der Mundharmonika die Lichter wegträgt. -
Ich hätte im kirchlichen Briefe ohne Zweifel die doppelte Weise
auseinandergesetzt, wie ein Mann und wie eine Frau die Überfracht des Lebens tragen - jener auf dem Kopfe, diese auf der Brust; jener beweiset sich, daß die heranschreitenden Ruprechte und frères terribles nur verkleidete Plaggeister sind, welche mehr drohen als schaden, aber diese sieht sie für wahre Todesengel an und drückt die Augen zu und wartet gottergeben. Ein Mann kann sich sagen - und wahrlich er soll es -: »Hättest du vor der Geburt dir für den Abend dieses von 6 bis 8½ Uhr spielenden
Lebens die mit Schlägen geplagte Rolle selber gegeben: du spieltest sie gewiß vergnügt hinaus. Kannst du aber nicht in jeder Minute das Schicksal für einen Entschluß ansehen - z. B. den Kerker für ein Zuhausebleiben - das Exil für eine Reise - langweilige Gesellschaft für ein Wachsfigurenkabinett - den Regen für ein Tropfbad - schlechtes Wetter für ein selbsterwähltes Klima - und den Hunger für eine Hungerkur?« -
Damit helft ihr guten Wesen euch nie. Wie gewisse indische Bäume senket
ihr unter der Hand des Geschicks euere Zweige bis auf die Wurzel nieder und in die Erde, aber dann steht der gebogne Zweig als ein neuer Gipfel wieder auf.
Ich hätte aber, Verehrte, wenn ich das geschrieben hätte, mehr auf den Kirchenstand des Rates als der Geistlichkeit niedergeschauet. Die Mädchen sind hierin nicht so gut wie die Weiber; zumal wenn sie eben gut und poetisch sind. Die lichtesten Sterne, sogar der Stern der Liebe und Merkur, werden, wenn sie durch ihren Phöbus
gehen, zu schwarzen Punkten; und jeden Knoten ihres jungen Lebens soll, wie in fehlerhaften Romanen, der Tod zerschneiden. Hingegen in der Ehe lernen sie, daß der Wunsch des Lebens schwerer und verdienstlicher sei als der Wunsch des Todes - daß man die zweite Welt erst auf einer ersten verdienen müsse und man nicht so gratis in jene fahren könne wie in diese, weil man sonst diese gar nicht gebraucht hätte - und daß, wie der Unendliche neben dem großen Reiche der Wahrheiten und der Herzen doch
die ganze irdische kotige Welt der Würmer schafft und sieht, wir uns der Fortsetzung dieser Schöpfung nicht schämen können - und daß es mit dem gen Himmel sehenden Auge wie mit Himmelsröhren ist, wovon eines alles umgekehrt auf der Erde zeigt, indes ein Paar ein gutes Erdrohr geben, das nicht verkehrt.
Überhaupt lernen sie in der Ehe, daß es Leute gibt, die in Kirchen Briefe anzetteln und solche, wenn sie sich auch eines Bessern besinnen, doch nachmittags in einem langweiligen
Extrakte liefern und ins Lob der Geduld eine Probe der Geduld verflößen.
Aber möge nur das Fest keine zweite werden, wozu ich Sie und die Ihrigen schon einmal durch Ihren Vito einlud und jetzt selber einlade, das tanzende Frühstück. Die jungen Leute müssen wahrhaftig etwas haben: was helfen ihnen die Kirschen und die Braten?
Meine schon abgedruckten Aufsätze, den Schwur der Besserung und die Neujahrsnacht , hab ich Ihnen versprochen, ich schicke sie aber nicht, sondern
dafür dieselben Aufsätze umgeschrieben und umgegossen, so daß sie für eine zweite Auflage nun fertig angekleidet liegen. -
Möge Sie, liebes Wesen, alles erfreuen, Postskripte, Briefe und tanzende Frühstücke mit Feuerwerk!
J. P.
Der doppelte Schwur der Besserung.
Heinrich war ein funfzehnjähriger Jüngling, das heißt, voll guter Vorsätze, die er selten hielt, und voll Fehler, die er täglich
bereuete; er hatte seinen Vater und seinen Lehrer innig lieb, aber seine Vergnügungen oft stärker; er wollte gern das Leben für beide aufopfern, aber nicht seinen Willen; und seine aufbrennende Seele entriß denen, die er liebte, nicht mehr Tränen als ihm selber. So irrte schmerzlich sein Leben zwischen Bereuen und Sündigen umher; und zuletzt nahm sein langer Wechsel zwischen guten Entschlüssen und verderblichen Fehltritten seinen Freunden und sogar ihm die Hoffnung der Besserung.
Jetzt kam dem Grafen, seinem Vater, die Sorge nicht mehr aus dem zu oft verwundeten Herzen, daß Heinrich auf der Akademie und auf Reisen, wo die Irrwege des Lasters immer blumiger und abschüssiger werden und wohin keine zurückziehende Hand, keine zurückrufende Stimme des Vaters mehr reicht, von Schwäche zu Schwäche sinken und endlich mit einer besudelten, entnervten Seele wiederkehren werde, die ihre reinen Schönheiten und alles verloren, sogar den Widerschein der Tugend, die Reue.
Der Graf war zärtlich, sanft und fromm, aber kränklich und zu weich. Die Gruft seiner Gemahlin stand gleichsam unter dem Fußboden seines Lebens und unterhöhlte jedes Beet, wo er Blumen suchte. - Jetzt wurd er an seinem Geburtstag und vielleicht durch diesen krank, so wenig ertrug die gelähmte Brust einen Tag, wo das Herz stärker an sie schlug. Da er von Ohnmacht in Ohnmacht sank: so ging der gequälte Sohn in das englische Wäldchen, worin das Grabmal seiner Mutter und das leere war, das sein
Vater sich in der Leichenklage hatte bauen lassen; und hier gelobte Heinrich dem mütterlichen Geiste den Krieg mit seinem Jähzorn und mit seinem Heißhunger nach Freuden an. Der Geburtstag des Vaters rief ihm ja zu: »Die dünne Erde, die deinen Vater hält und ihn vom Staube deiner Mutter absondert, wird bald einbrechen, vielleicht in wenig Tagen, und dann stirbt er bekümmert und ohne Hoffnung, und er kommt zu deiner Mutter und kann ihr nicht sagen, daß du besser bist.« O da weint er heftig; aber,
unglücklicher Heinrich, was hilft deine Rührung und dein Weinen ohne dein Bessern?
Nach einigen Tagen erhob sich der Vater wieder und drückte im kränklichen Übermaße von Rührung und Hoffnung den reuigen Jüngling an die fieberhafte Brust. Heinrich berauschte sich in der Freude über die Genesung und über den Kuß - er wurde froher und wilder - er trank - er verwilderte mehr - sein Lehrer, der die sieche Weichheit des Vaters durch kraftvolle Strenge gut zu machen suchte, bestritt das
Aufschwellen des Freuden-Taumels - Heinrich wurde glühend den Geboten ungehorsam, die er für keine weichen väterlichen hielt - und da der Lehrer fest, stark und notwendig sie wiederholte, verletzte Heinrich im Taumel das Herz und die Ehre des strengen Freundes zu tief - und da flog auf das so oft getroffne kranke Herz des hoffenden Vaters der Aufruhr gegen den Lehrer wie ein giftiger Pfeil, und der Vater unterlag der Wunde und sank auf das Krankenbette zurück.
Ich will euch, liebe
Kinder, weder Heinrichs Gram noch Schuld abmalen; aber schließet in das strenge Urteil, das ihr über seine sprechen müsset, auch jede ein, die ihr vielleicht auf euch geladen: ach, welches Kind kann an das Sterbebette seiner Eltern treten, ohne daß es sagen muß: »Wenn ich ihrem Leben auch keine Jahre nahm, o! so kost ich ihnen doch Wochen und Tage! - Ach die Schmerzen, die ich jetzt lindern will, hab ich vielleicht selber gegeben oder verstärkt, und das liebe Auge, das so gern noch eine Stunde
lang ins Leben blicken wollte, drücken ja bloß meine Fehler früher zu!« - Aber der wahnsinnige Sterbliche begehet seine Sünden so kühn, bloß weil sich ihm ihre mörderischen Folgen verhüllen; - er kettet die in seine Brust eingesperrten reißenden Tiere los und lässet sie in der Nacht unter die Menschen dringen, aber er sieht es nicht, wie viele Unschuldige das losgebundne Untier ergreife und würge.
Leichtsinnig wirft der wilde Mensch die glimmenden Kohlen seiner Sünden umher, und erst,
wenn er im Grabe liegt, brennen hinter ihm die Hütten auf von seinen eingelegten Funken, und die Rauchsäule zieht als eine Schandsäule auf sein Grab und steht ewig darauf.
Heinrich konnte, sobald die Hoffnung der Genesung verschwand, die zerfallende Gestalt des guten Vaters vor Qualen nicht mehr anschauen; er hielt sich bloß im nächsten Zimmer auf und kniete, während Ohnmachten mit dem väterlichen Leben spielten, wie ein Missetäter still und mit verbundnen Augen vor der Zukunft und
vor dem zerschmetternden Schrei: Er ist tot! -
Endlich mußt er vor den Kranken kommen, um Abschied zu nehmen und die Vergebung zu empfangen; aber der Vater gab ihm nur seine Liebe, aber nicht sein Vertrauen wieder und sagte: »Ändere dich, Sohn, aber versprich es nicht!«
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