Frei Lesen: Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf

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Jean Paul

Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf

Zweite poetische Epistel

eingestellt: 1.7.2007

Zank mit den Hagestolzen - elektrische Liebeserklärung - die Urne - Einschluß an Rosinetten

L. in der Böttcherwoche, 1798.

Mittelspitz ist gar kein Landgütlein ohne Bedeutung; denn es muß - sonst nehm ich nicht Besitz - wenigstens seinen Postzug Untertanen haben, die ich durch die niedere Gerichtsbarkeit regieren kann. Du brauchst mir nicht zu sagen, Otto, daß meine nur auf den Federkiel eingeschossenen Schreibfinger vielleicht zu schwer den Schaft des Zepters handhaben. Allerdings hab ich mehr zu einem Großherrn Ansatz als zu einem Gerichtsherrn, weil jedes Land desto leichter zu regieren ist, je breiter und länger es ist. Ein Gymnasiarch hat mehr zu besorgen als ein Prorektor - der Dorfschultheiß mehr als der Reichsschultheiß - ein Hammerherr mehr als ein Lehnsherr - ein einziger Affe würde dem Gefünfter-Direktorat mehr Lenkzügel kosten als die große Nation - und ich kann jede Stunde Zar werden, aber kein Sklavenaufseher - und ein regierender Planet, der gar die ganze Erde unter sich hat, verrichtet gar nichts. Eben daher sucht jeder Landesherr sein Reich immer größer abzustecken, um sich die Ephorie desselben leichter und süßer zu machen; so lässet ein sogenannter starker Mann desto leichter die Schmiedsgesellen auf seinem Busen hämmern, je schwerer und größer der Amboß ist, den man auf das Brustbein hob.

Aber ich habe nur den Thronhimmel, und der Gerichtshalter das Thronfegfeuer, weil er der tragende Atlas des Baldachins sein muß. Wozu aber das alles? Soll ich denn nie die Freude erleben, einen Gerichtstag und Gerichtshalter zu halten, ein gütiger Gerichtsherr zu sein, angebetet zu werden von meinen Lehnmännern und Lehnfrauen und unter meinen und des Gerichtshalters (Dunst-)Kreis-Direktorialkonklusa die Unterschrift zu erblicken: wohllöbliche Richtersche Gerichte allda? -

Als bloßer elender privatisierender Gelehrter in Spitz zu sitzen, wäre mein Tod; man muß nicht bloß an einem Orte sehr viel sein, sondern auch für einen Ort, und wie oft haben wir nicht darüber gesprochen, daß ein gehörtes Lob hundertmal besser sei als ein gelesenes oder gedachtes und daß ein Mr. Couplet, der die Stadt Coulanges wässerte und nun durch die getränkten Gassen unter lauter nachgeworfnen Lorbeerkränzen wandelte, einen viel tiefern und süßern Biß in den Paris-Apfel des Vorrangs tue als ein Homer, an dessen Grabe sich sieben Städte um seinen Geburtsschein raufen, oder ein anderer, der lebendig und frostig zu Hause hockt und Briefe aller Reußen und Preußen erbricht, worin trockne Risse zu weiten Ehrenpforten für ihn liegen! Nein, Europa und Nachwelt reiche dem Rittergütleins-Besitzer von Mittelspitz die drei Roßschweife des literarischen Drei-Weisen-Ruhms: mit Dank wird er die Schweife nehmen und tragen -; aber ebenso gewiß wird er das Parade- und Ritterpferd mit einem Schweif beschreiten, das ihm sein Spitzer-Postzug vorführt, die Steigbügel haltend, und wird auf besagtem Pferde täglich einen oder ein paar Ritte machen. - -

In Frankreich mietet man Landgüter; für ein Mietgütlein geb ich meines - die gegenwärtige Publikation soll mir nichts schaden - bei einer gewissen himmlischen weiblichen Seele so lange aus, bis sie die Lehnsherrin des Lehnsherrn und Lehngütleins zugleich wird. Nur um sie an ihrem hochzeitlichen Namenstage, der sie zu meinem Namensvetter macht, mit einer konstantinischen Schenkung erfreuend zu überfallen, spiel ich den Betrug, aber nicht aus dem Mißtrauen, sie werde etwan am Spitzer Gemeinschuldner und Ehe- und Gerichtsherrn mehr sein Gut erwählen und lieben als sein Gutes. O wie hass ich die Leute, die immer wie Zimmermeister und Müller mit Beilen und Äxten bewaffnet herumgehen! - Schenke ohne Bedenken einem guten Jüngling mehrere Goldküsten und Perlenbänke und dazu eine hausarme Waise von Braut, die nicht so viel Gold rentiert, daß sie seinen Hutknopf oder ihren Ehering damit überspinnen könnte: wird die Waise darum für die ungemeine Liebe ihres Krösus weniger Liebe haben, weil diese noch an der Dankbarkeit sich wärmt? Wird denn nicht jede Liebe, die gegen den Schöpfer, für die Tugend, für die Wissenschaften ins Lohbeet des Bedürfnisses gesäet und an den Stäben der Vorteile gestengelt und gestiefelt, treibt aber eben wie das Wintergrün über die Stützen hinaus und schlägt dann erst, wie dieses, ihre schönen Blüten auf?

Ich brauche den ganzen, an mir lächerlichen Beweis gar nicht, da ich der meinigen im Ehezärter nichts anbiete als den Ehezärter selber, einige zweite und dritte Auflagen und die Gelder, die auf Spitz landesherrlich versichert sind und womit man den Kaufschilling abstieß. -

Eigentlich ist, wie ich jetzt merke, mein lyrisches Drama gar noch nicht angegangen; nur das Theater oder der Ort, die Anschauung a priori ist erst fertig für eine noch schönere. - Und doch werd ich wieder aufgehalten von der kahlköpfigen, wenig fruchtbringenden Gesellschaft der Hagestolzen, die mich gern zu ihrem Ordensbruder anwerben möchten und die es verdrießet, daß ein junger Mann in einem Alter, wo er im alten Rom kaum ein Ädil, geschweige im neuen ein heiliger Vater werden könnte, schon ein seliger werden will. Im ganzen besteht sie, diese ehelose Propaganda, aus Leuten, die, wie die Ägypter, den Wein verabscheuen, aber die Trauben verzehren, oder die es wie die Fledermäuse machen, welche kein angezündetes Licht vertragen, aber doch in die Speckkammer schlüpfen und ihm das Fett abnagen.

Dieses Jahrhundert hat viel auf seinem Gewissen und auch dieses soldatische Aufschneiden der Ehebetten voll guter Flaumfedern. Das Jahrhundert ist gleichsam das Scheidewasser und der Alkahest der Vorzeit, und wir werden am Ende nichts übrig behalten als das fressende Menstruum und ein darin schwimmendes infusorisches Chaos. Die Aufhebung aller Orden der Menschheit, des elterlichen Ordens, des ehelichen, des bürgerlichen, ist das Dichten und Trachten dieses septembrisierenden Säkuls, es wirft alles aus dem Schiff, weswegen man eines braucht, und rettet es leicht. Wie das philosophische seinen Lichtstoff begehrt, ohne einen Gegenstand, den er zeigt und worauf er festsitzt, einen Strahl, der zugleich Farbe, Fläche und Sehnerve ist: so dringt das praktische auf einen Wärmstoff, der im Freien herumfliegt und an nichts hängt, auf ein moralisches philanthropisches Betragen des Ichs gegen sich. Gott sei Dank, daß der Teufel das Säkul in einigen Jahren holt! - Aber schwer wird es noch gefühlt werden, daß man der menschlichsten Liebe, die sich aus dem Zusammenleben und aus dem Zusammenhandeln bildet, das Herz ausreißen will. Nicht bloß in der Physik fangen nahe und lang zusammengelegte Dinge Feuer; Menschen in demselben Werkhause, Schachte, Gewerbe greifen einander wärmer unter die Arme als ein paar bandfreie idiopathische Narren, die, nur an der Landtrauer des Universums und an den säkularischen Spielen der Geisterwelt teilnehmend, das Weltmeer breit befahren und kalt und scharf, wie zwei Eisfelder, vor ihren gegenseitigen durchsichtigen abstrakten Herzen vorübergleiten. -

Doch wirft sich mancher ehelose Strohwitwer von Stand im Alter anders und lässet sich seine Strohkranzrede halten, und zwar - da ohnehin nach der politischen Rechnung allemal der Funfzigste im Lande heiratet - als Funfziger. Wenn er so im Zustande einer geköpften Weide, die noch auf der ausgehöhlten Borke sprießet, ins Winterhaus des Ehebettes eingestellt wird: so muß dem invaliden Schelm daran gelegen sein, daß er für alle Vorzüge, die er unterwegs verloren, den Ersatz und die Doublette an den weiblichen finde, und er kann daher nicht gut weniger Ansprüche machen als das Haus Österreich, nämlich 44 , indes andere sich auf 33 einziehen; er kann wie der Basilisk nichts weniger suchen als sein Ebenbild, sondern gleich der negativen Elektrizität gerade die positive; so bemerkt Meiners, daß die Schwarzen nichts lieber heiraten als die Weißen. - -

Aber ich bitte dich, wie gerat ich unter Basilisken und Schwarze, in einem friedfertigen harmlosen Briefe, ders bloß angenehm auseinandersetzen soll, warum ichs hundertmal besser mache als sie und heirate? Ich will dir in der Auseinandersetzung nicht viel vorsingen weder von den Frachten, die man trägt, noch von den Opfern, die man bringt, wenn man wie die Römer eine fremde Gottheit nach der andern annimmt und endlich den ganzen Tempel voll bekommt - noch von den Gefahren, die man läuft, sich jahrelang vor das Gewehrfeuer der weiblichen Scheren-Flotte und vor ihre Pechkränze aus Blumen, unter die Streitaxt ihres Fächers und vor die geworfnen Leuchtkugeln ihrer Augen hinzustellen. Ich will hier kein Bataillenmaler Rugendas sein; aber wahrlich bedenket und betrachtet man ein wenig diesen Sukzessionskrieg des weiblichen Wehrstandes gegen den männlichen Nährstand - von der Kriegsankündigung an, die sie wie die Athener durch ein Lamm tun, bis zum wirklichen Ergreifen aller Waffen- und Regimentsstücke und des Artillerietrains der Toilette - erwägt das Labarum des Shawls, die Taktik des Tanzes, das Reffelkrautpulver des Puders, den Marseiller Marsch der ersten besten Arie - und die echten Kriegslisten, weswegen sie bald wie die Arier nur in der Nacht Treffen liefern, bald wie die Äthiopier sich weiß, bald wie die Cimmerier schwarz, bald wie die Sparter rot anziehen und gleich den Nordamerikanern schminken, um nicht vor dem Feinde zu erblassen - und bringt man die Erbitterung in Anschlag, womit sie lieber auf dem Bette der Ehren sterben wollen als die Flucht ergreifen: beim Himmel, man erschrickt, wenn man dann bedenkt, daß man sich jahrzehendelang so hielt und (über der Brustwehr fechtend) bloß mit den Wunden des Aderlaßmännchens im Kalender davonkam. Man begreift nicht, daß man noch lebt. -

Aber bessere und ernstere Gründe für den Ehestand kommen im Gemälde vor, das ich dir von meinem entwerfe; jetzt ists hohe Zeit zur Geschichte!

Rosinette soll noch meine Hermine heißen, der ich mit dem Brautgeschenk des Geschlechtsnamens noch das Patengeschenk eines Zunamens mache. Romantische Namen gehören nur für romantische Stunden; in der stündlichen rauhen Wirklichkeit führet sich ihr Gepräge jämmerlich ab. Rosinette harmonieret überhaupt sehr mit der muntern Laune, die das liebe Kind haben wird und soll. Ein Mädchen ist überhaupt ein Wesen, das leichter lacht und weint als das, worüber es beides tut (welches wir sind), und ich kenne in der Geschichte Heiden und Türken, aber keine Heidinnen und Türkinnen, die in ihrem ganzen Leben nicht öfter gelacht als ein paarmal; nur in den Wintertagen der verlornen und verletzten Liebe kann in den guten Wesen die frohe Beweglichkeit erstarren, wodurch man am schönsten über das sumpfige Leben hüpft. Wenn das Schicksal zuweilen das hohe Korn wegmäht, worin ich und Rosinette in unserem Neste sitzen, und wir nun kalt und angewehet im Freien halten: so wollen wir lachend wie Rebhühner aufflattern; und so ists vorbei. Ein einziger Scherz zerstreuet unsere innern Feinde oft schneller als ein schwerbewaffneter syllogistischer Figurenzug. Wenn dünnes Spinnengewebe uns fangen und ängstigen kann: warum wollen wir nicht, wie die Chirurgen, auch mit Spinnengewebe die Wunden verstopfen und dem Weinen ohne Ursache das Lachen ohne Ursache entgegenstellen? - Die Philosophie aber verdeckt uns oft die Leiden nicht besser wie der Nachrichter in Sina, der dem armen Sünder die skalpierte Haut über die Augen zieht, damit er seine Plagen nicht sehe.

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