Jean Paul
Leben Fibels
9. Pfeffer-Düte
eingestellt: 2.7.2007Der alte Siegwart
Will etwan das Schicksal allegorisch mit mir spielen, daß es mir des Voglers Gold-Grund gerade in Pfeffer-Düten zuschickt? Denn was können die Dorfjungen dafür?
In der Tat nistete er jetzt in einer Laube von Pfefferstrauch. Seine Goldgrube von 365 halben Souverains hatt er selber wieder eingegraben; was damit anzufangen und auszumachen sei, dies konnt ihm nicht einmal ein Freihafen beantworten, der
ein Marktplatz der seltensten Vögel ist; denn nach diesen und ihren Verkaufs-Preisen fragt er jetzt als Reicher weniger.
Am Ende wurd er, nach gemeinem Ausdrucke, melancholisch; ihm preßte die metallische Einspritzung mit Gold die lebendigen Adern auseinander. Er setzte sich aus dem alten Siegwart fast in einen gedruckten Roman-Siegwart von 1775 um. - Er hatte jetzt Tage, wo er so viel sprach wie einer seiner besten Vögel, und wo er einem mexikanischen Vaterunser Gotthelfs zuhörte. -
Er besuchte an heiligen Tagen statt der Dörfer die Kirche, wo er sehr schlief. - Seinen Sohn stempelte er nicht mehr zum Soldaten, sondern er sagte: der Balg mag werden, was er will. Kurz die alte Bleikugel, die ihm seit dem Kriegs-Abschied im Leibe herumzog, wurde vom Goldklumpen, der ihm im Kopf herumging, spezifisch überwogen. Die Bleikolik schneller Armut frißt nicht so viele Kräfte weg als die Goldkolik schnellen Reichtums. Aus solchen Veränderungen - denen gleich, die ein Geizhals erlebt,
wenn er zu schenken anfängt, oder ein Wahnsinniger, wenn er wieder zu seinen Sinnen kommt - konnte die Welt schließen, sein Tod sei nahe. Seltsam ists, daß der ausländische Engel, der uns Irdischen die Erdentracht abzieht oder abbricht, schon von ferne durch sein Annahen sogar am innern Menschen verändert; wie mag er erst einreißen und umformen, wenn er dicht am Sterbebette steht, und nachher!
Man weiß nicht bestimmt, wem er den Traum - denn seine Frau wußte ihn nicht - erzählt hat,
den er am Abende gehabt, als er mit dem Golde des Fürsten heimkam: »Ein schwarzer Papagei flog mit dem Ring im Schnabel auf ihn zu; und fragte: kennst du mich? Ich bin der Totenvogel. Du lebst noch so viele Tage, als ich dir neulich Goldstücke vom Fürsten gebracht: bestelle dein Haus!«
Er bestellte nichts, er sagte: jeder sorge für sich, kanns der Ratgeber, so kanns ein anderer Narr auch. Es dauerte aber nicht die 365 halben Souverains oder Tage hindurch, so warf ihn ein schnelles
Ermatten auf das vorletzte Kopfkissen.
Nach einer siechen Nacht raffte er sich wild, aber leichenweiß wieder auf und wankte in den alten Fangwald hinaus, wahrscheinlich um die untergeackerten Souverains zu befreien. Dies wird noch dadurch viel glaublicher, daß er im Dorfe umherschlich und alle zum Begraben nötige Dienerschaft vom Pfarrer bis zu den Trägern voraus besoldete, damit nachher seinen beiden Leuten durch keine Unruhe das Trauer- und Familienfest verkümmert würde.
Darauf bestellt er sich auf Abend einen Sarg, bloß mit Bretterfarbe, ohne darangepinselte Lebens-Schlußvignetten und Nachtstücke; er wolle, sagt er, lieber in einem liegen als einen riechen. Er kam so matt nach Hause, daß er kaum einen Rosenstock aus dem zweiten Stockwerk in ein Wandschränkchen seiner Schlafkammer hinuntertragen konnte. Bald darauf kam der bestellte Schulmeister als Notar mit Testaments-Zeugen nach, vor welchen er testierte und schwur, sie hätten für das erste nichts
aufzuzeichnen - denn alles, wie es gehe und stehe, gehöre seiner Frau -, sondern sie hätten bloß das Wandschränkchen mit gutem gerichtlichen Siegellack zu verpetschieren. - Darauf befahl er, als sie es tun wollten, der wieder hereingerufenen Frau, dem armen Rosenstocke vorher so viel Wasser zu geben, daß es oben und unten wieder herausliefe, was sie denn ganz vollzog mit einem Überschuß von warmen Tränen. Endlich aber ließ er ein geschriebenes Testament aufsetzen, das nicht früher als das
Wandschränkchen zu erbrechen sei, nämlich erst wenn Gotthelf sechzehn Jahre (heute noch nicht funfzehn) alt geworden.
Nach Abgang der Todessiegel-Bewahrer griff der Vogler in die Tasche und zog 7 (halbe) Souverains heraus und gab sie wie 7 Brote dem Familienpaare mit der Bemerkung, daß man damit schon, wenn man arbeite, auslangte bis zu Eröffnung des Wandschränkchens; wobei er noch dem stumm-zerfloßnen Sohne das Versprechen, ein Skribent zu werden wegen seiner netten Hand,
abnahm, das Gotthelf vielleicht auch ohne Verwechslung eines Schreibers mit einem Schriftsteller gegeben hätte; denn der Mensch verspricht aufrichtiger den Scheidenden - sie mögen nun in die Erde oder um diese reisen - als dem eingewurzelten Nachbar! Und dies nicht etwan in Hoffnung, daß die Abwesenden nichts fodern und rügen, sondern weil man vor ihren verklärten Bildern desto mehr von sich selber in ihrem Namen fodert.
Jetzt schon weinte Engeltrut wie eine Regenwolke; dann aber gar
wie ein Wolkenbruch, als der Tischler der Menschen kleinstes Haus brachte - worin man jedoch, wie ein Emporkömmling, täglich ein größeres macht, weil man es täglich durch verkleinerndes Einstäuben geräumiger einrichtet für einen neuen Gast von Wurm. - Der Vogler dingte dem Tischler ein Drittel des Sargpreises - des Preises für die nicht-gemalten Gemälde - zum Erstaunen des Tischlers und aller ab, wiewohl sich noch untersuchen läßt, ob nicht eben ein lebendiger Sarg-Sasse und Konklavist
etwas herunterbieten könne. Er ließ sich seine Montur anziehen und damit in den viel zu schmalen und kurzen Sarg (der tischlerische Dieb hatte auf einen Mann ohne alles Gefühl gezählt) einschachteln; geschworen mußte ihm dabei werden, daß keine Totenfrau ihn anrühre oder gar wasche für ein paar Würmer, die selber nicht reinlich leben. Verfasser dieses muß schon irgendwo anders die Abneigung bemerkt haben, welche die meisten Männer gegen Totenfrauen (Leichenweiber) und Wehmütter hegen, vielleicht
weil sie dem Zwischenreiche der beiden in das Leben und aus dem Leben fahrenden Frauen ungern ihre männliche Machtvollkommenheit unterordnen; denn gegen Leichenbesorger und Geburtshelfer hätten sie wohl weniger.
So sehr das Volk auch Abendmahl, wie Testament, für eine Selbstverschreibung an den Tod ansieht: so konnte seine zerronnene Frau ihn doch nicht in dieser freien Wohnung liegen sehen, ohne ihn zu freier Kost zu bereden, zum Abendmahl. Er wollte aber lange
nicht, bis er endlich sagte: der Pfarrer möge kommen, wenn man ihn vorher eine halbe Stunde allein gelassen, damit er sein letztes Haus-, Heil- und Stärkungsmittel versuche.
Engeltrut sah und hörte ihm unter dem Gebrauche dieses Mittels heimlich zu durchs Schlüsselloch.....
- Die sächsische Zensur könnte - so liberal sie auch gegen das sei, was Meß-Fuhrleute bei schlechtem Wetter auf dem Wege sagen - letztern nicht erlauben, mein Buch auf eine Messe zu fahren, wenn ich auch
nur eine Seite mit den Flüchen anfüllte, welche der Vogler ausstieß im Sarg. Er stellte sichs so lebhaft vor, er stehe in voller Blüte auf keinem engern Felde als dem Schlachtfelde, und zwar als Korporal vor seinen Leuten, daß er unter dem Schwunge der längsten Arme und dem Ballen der magersten Fäuste entsetzlich fluchte und sakramentierte. Der Fluch-Orkan sollte ihn etwas stärken, hatt er gehofft. Aber der alte heiße, sonst eisenhaltige Sprudel überlegte ihn diesmal bloß mit einigem
Mattgold nachglänzender Zeit, und er sank kränker ins enge Haus zurück. Er fühlte, im Krieg sei mehr Geselligkeit; gemeinschaftliches Kämpfen - Siegen - Sterben und geselliges Übereinanderfaulen.
Engeltrut holte den durch sein Sakramentieren desto nötigern Beichtvater samt dem Sakrament. - Nach dem Abendmahl sagt er: »In dieser Nacht fahr ich ab, und eßt vorher.« -»Ach Vater!« sagte Helf. - »Nun so leistet mir noch einen christlichen Liebesdienst!« sagt er. Er ließ sich seinen
Leibvogel (bloß ein Kanarienmännchen) auf die Brust setzen - dann sollte die Frau entweder ein weltliches Schlemper- oder ein geistliches Kirchenlied singen, und der Sohn zuweilen auf eine Soldatentrommel klopfen, damit alle seine Vögel auf einmal anfingen zu pfeifen. Nach der Bitte zog er selber mühsam seine Mütze über die Augen herein bis an den Mund und sagte: »Adje!«
Als der Sohn auf die Trommel schlug, und die Mutter ein Kirchenlied sang: legten die Sangvögel ihren ganzen
Ton-Markt aus, die Sprach-Vögel warfen ins harmonische Wettrennen alle Schimpfworte der Menschen, und der Kanarienvogel sprang auf der untergehenden Brust umher. »Es ist halt Welt«, murmelte Siegwart unter der Mütze. Die Mutter sang fort, ergriff aber damit sich selber hart, und sie mußte noch die väterliche Hand dem Sohne ins Gesicht fest drücken, der seine Hände für die Trommel-Klöppel brauchte. »Es ist halt Welt«, sagte der Vogler, aber mit viel anderem Tone als vorher. Die Wogen rauschten
ihm lauter, womit der Raubfisch ankommt, welcher den Menschen verschlingt. Aber der Traum seiner Kriegs-Jugend erleuchtete das Totenmeer mit seinem Glanz, und er rief. »Drauf und dran!« und drückte den Kanarienvogel auf der Brust entzwei. »Sie pfeift!« sagt er endlich, und dieses war sein letztes Wort; - aber niemand weiß, ob er damit seine Nachtigall oder eine Schlachtfelds-Kugel gemeint. Kurz darauf wurd er still und war tot.
Die Frau bemerkte es zuerst und fuhr über ihn her mit
schreienden Schmerzen. Der Sohn trommelte fort, weil er ihn wegen der offenen Augen noch für lebendig ansah. Seine Mutter drückte sie zu und ging zur Finsternis in ihr Kämmerchen zum Weinen. Jetzt durfte Gotthelf dem stillgemachten Krieger, ders sonst nie litt, die aufgesparten Sehnsuchts-Küsse vieler Jahre geben; und eine unersättliche Liebe küßte zum letzten Male. Darauf ging er - weil der Vater der Mutter befohlen hatte, zu essen - in die Küche, schürte das mit dem Sterben ausgegangne Feuer
wieder an und kochte unter solchen Umständen das Ei (es war das Abendessen) gut genug, wenn man bedenkt, daß in der Stube des tauben Voglers alle seine Leib-Vögel munter forttrompeteten und ihre Maie, Junis und Julis sangen, und daß dem Kinde das Herz zerrann.
So wenig der alte Soldat uns sonst anging - z. B. in der Fensterscheibe -, so ists doch, als nähmen wir jetzt Anteil an ihm. Wie kurz ist das Sterben gegen das Leben! Aber eben die Kürze gibt das Gewicht. Zweimal zeichnet sich
jeder Erdensohn vor allen Zuschauern aus, 1) wenn er hier ankommt, 2) wenn er fortgeht. Auch gibts noch keine Mode zu sterben, jeder stirbt originell.
Doch nunmehr lasse der Alte sich zudecken von Holz und Gras. Es gefällt mir sehr, daß zufällig eine Rotte singender Soldaten durchs Dorf zog und so etwas von militärischem Begräbnis ihm nachwarf.
Als der Vater einige Fuß tief als ein ganz unbekannter Mann in die Erde einsank und der Sohn bedachte, daß dies so viel sei, als
habe man den Mann durch die halbe Erdkugel durchgesenkt, besonders da er auf deren Rinde keinen eingeschnittenen Namen nachgelassen, nämlich im Heiligenguter Adreßkalender keinen: so war es ihm, als habe alle Welt, nicht bloß er, einen Vater auf immer verloren, und es quälte ihn sehr; und er schwur am vollen Grabe noch einmal den Testaments-Schwur, den freilich Siegwart anders gemeint: »bei Gott, er werde ein Skribent« und schreibe, damit nur durch seine gelehrte Feder sein armer
Vater weit und breit bekannt werde, bei Gelegenheit seiner selber.
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