Jean Paul
Leben Fibels
2. Nach-Kapitel
eingestellt: 2.7.2007
Meine Ankunft
Die Reise-Gelegenheit war ein markgräflicher Retour-Wagen mit Sechsen, in welchen mich der Leibkutscher, da ich dem Markgrafen und dadurch dem Kutscher vorgestellet war, willig einnahm. - Ich habe meine Ursachen, folgende Anekdote vorher zu erzählen, eh ich im Dorfe ankomme.
Ein Graf A-a, der sein wichtiges Empfehlungsschreiben dem Minister B-b zu überreichen hatte, suchte aus Umständen noch spät abends
zu Fuße dessen Haus, konnte aber weder dieses noch sich selber recht finden, ob er gleich jedes Haus doppelt sah und die Gegenstände um ihn noch stärker umliefen als er selber. Zum Glück legte das Wenige, was er über das Viel zu viel getrunken, ihn in eine Gosse seitwärts hinein. Unten fand er schon Herz und Brust eines andern Herrn, der aus ähnlichen Gründen sich nach den Gesetzen der fallenden Körper gerichtet hatte. Schrecklich fluchte der untere Herr über den ungeschliffenen Menschen, der
sich auf ihn heruntergebettet habe; ob er denn nicht wisse, befragte er den Grafen, daß er den Minister B-b vor sich habe. »O entzückend, hinreißend!« - rief der Graf vor Freude darüber, daß der Minister drunten vorrätig lag - »Ich bin der Graf A-a und suche Ihre Exzellenz schon seit einer Stunde überall.« Hierauf machten beide, ohne sich erst von neuem zu umarmen, da sie ohnehin einander schon an die Brust gedrückt hatten, sich verbindlich, aber mühsam miteinander auf und halfen sich
gegenseitig heraus, um, so gut das Gehen gehen wollte, Arm in Arm in das ministerielle Haus zu kommen, wo sie diesen Abend sich den Wechselfall so oft wieder erzählten, als sie forterzählen konnten. -
Ich bitte diese Anekdote so lange zu vergessen, als ich nicht daran erinnere, weil wir auf viel wichtigere Dinge zu merken haben. Noch vor Bienenroda zeigte der Kutscher mit der Peitsche auf ein Obstwäldchen voll Gesang und sagte: »Dort sitzt es, das alte Herrlein, und hat sein kleines
Vieh bei sich!« Ich sprang, aus dem Fürstenwagen und ging auf den sogenannten Bienenroder zu. Da mich dem alten Herrlein meine sechs markgräflichen Pferde (ich durft es erwarten) als einen Mann von Rang vorstellen mußten - meiner schlichten einfachen Kleidung nicht einmal zu gedenken, womit sich immer Fürsten und Helden vor ihrem vergoldeten Gefolge auszeichnen -: so nahm es mich ein wenig wunder, daß das Herrlein, ohne dem Pudel das Bellen zu wehren, noch lange mit seinem Hasen fortspielte,
bevor es langsam - als wären Markgrafen ihm tägliches Brot - den wachstuchenen Hut von einem Kopf voll Haare abzog. In einem zugeknöpften Überrock - wofür ich seine Weste ansah -, in ein Paar Strumpfhosen von unten herauf - seine ungeheuern Strümpfe warens - und in einem Halstuch (Krawatte), das aber bis auf den Magen herabhing, schien der Greis modisch genug bekleidet. Noch seltsamer war sein überalter Körper zusammengesetzt: der Grund des Auges ganz weiß, der in der Kindheit schwarz ist - mehr
seine Länge als seine Jahre schienen ihn zum Bogen zu krümmen - die aufwärts gedrehte Kinnspitze gab seinem Sprechen ein Ansehen von Wiederkäuen; - aber dabei waren seine Züge lebendig, seine Augen hell, die Kinnbacken voll weißer Zähne, der Kopf voll blondes Haar.
Ich fing endlich an: ich hätte bloß seinetwegen Pferde genommen, um einen Mann zu sehen, für welchen es gewiß wenig Neues unter der Sonne gäbe, ob er gleich selber etwas Neues unter ihr sei. Um ihn zu Mitteilungen über
Fibel zu gewinnen, fuhr ich fort: »Eigentlich sind Sie als ein Fünfundzwanziger ein Mann in Ihren besten Jahren; denn nach dem Hundert geht eine ganz neue Rechnung an; daher Personen von hohem, wieder von eins an zählenden Alter, z. B. die Frau Verdut oder der Greis von Rechingen, Zähne und Haare und jede Verjüngung wieder bekommen, wie ich ja an Ihrem eignen Haar und Gebiß errate. Ein anderes ist ein Mann in Achtzigern wie Peter Zorten, der Ungar, welcher freilich in seinem
fünfundachtzigsten Jahre nach dem Weltlaufe (zumal da er schon vorher 100 Jahre zurückgelegt) nichts anders erwarten konnte, als was darin eintraf, der Tod. Ich weiß übrigens aus dem erbärmlich philosophierenden Museum des Wundervollen, bei Baumgärtner in Leipzig (B. 7. 5.), recht gut, daß Castegneda versichert, in Bengalen sei ein Mann 370 Jahre alt geworden und habe viermal neues Haar und Gebiß und übrigens 70 Weiber gehabt, und daß mithin ein Mensch, wenn man bei dieser wie bei andern
Nachrichten auch nur die Hälfte für wahr annimmt, wenigstens 185 Jahre alt werden kann. Genau genommen, halten Sie sich ohnehin für etwas älter, als Sie wirklich sind, wenn ich nach den Schalttagen rechnen soll; denn da nach jedem vierten Jahre viermal sechs Stunden eingeschaltet werden, dies aber, scharf genommen, falsch ist, weil nach genauester Berechnung jedem Jahre nicht sechs, sondern nur 5 Stunden, 48 Minuten, 45 Sekunden, 30 Terzien fehlen: so bleibt Ihnen, sogar bei Auslassung des
Schalttags, wie z. B. anno 1800 geschah, doch noch ein Vorschuß von Zeit übrig, den Sie nachzuleben haben.«
Ich hatte mich so verwickelt - weil sich mir die astronomische Schmeichelei unter den Händen dünner ausspann -, daß freilich der Bienenroder kaum wissen konnte, was er dazu sagen sollte; und daher sagt er auch nichts.
»Ich meines Orts gestehe gern,« knüpft ich wieder an, »wär ich einmal über das Jahrhunderts-Ziel oder die Kirchhofmauer von 100 Jahren hinüber, ich
würde dann gar nicht wissen, wie alt ich würde, oder ob ichs wäre, sondern frisch und frei, wie ja die Weltgeschichte öfters getan mitten in Jahrtausenden, wieder von anno Eins zu zählen anfangen. Warum soll denn ein Mensch nicht so alt werden können als mancher indische Riesenbaum, der noch steht? Übrigens sollte man ordentlich protokollarisch alle Über-Greise vernehmen über die Mittel, wodurch sie ihr Leben ohne den Geheimrat Hufeland in Berlin so sehr zu verlängern wußten, als der Geheimrat
selber nicht kann, da er sich nur zu achtzig bis neunzig anheischig macht. Wie stellten Sie es eigentlich an, teueres altes Herrlein? Aus einer langen Nase allein ist schwer, dünkt mich,« (beschloß ich in einigem Ärger über das Schweigen des Herrleins) »ein langes Leben zu drehen, wiewohl ein Franzose die Sache behauptet.«
»Einige meinen wohl,« - versetzte das Herrlein sanft - »weil ich immer froh gewesen und das symbolum gebraucht: nunquam lustig, semper traurig ; aber ich
schreib es gänzlich unserem lieben Herrgott zu; die Tiere da um uns her sind ja auch nunquam lustig, wenigstens meistens lustig, leben aber doch nicht so weit über ihr Ziel hinaus als der Mensch, weil dieser das Ebenbild des ewigen Gottes auch in der langen Dauer vorstellt.« Der Mann schwieg. Solche Worte von Gott haben auf einer hundertundfünfundzwanzigjährigen Zunge viel Gewicht und Trost; - und ich wurde anfangs sehr schön angezogen; aber bei Erwähnung der Tiere fiel der Bienenroder wieder
auf seine Tiere und fing - als sei er gleichgültig gegen einen mit Sechsen gekommenen Mann - wieder mit seinem Viehstande zu spielen an, mit dem Hasen, Pudel, Seidenspitze, Stare, ein paar Turteltauben auf seinem Schoße; auch ein lustiger Bienenstand im Obstwäldchen gehörte, da er die Bienen mit einem Pfiffe heraus-, mit einem andern hereinrief, zum Viehhofe, der ihn wie ein Hofzirkel umschrieb. Zu erklären war das Ganze nicht anders als durch meinen Gedanken: alte Menschen und alte Bäume haben
eine rauhe kratzende Borke an, junge aber eine sehr glatte weiche.
Er sagte endlich: »Es soll sich aber niemand wundern, daß ein gar alter Mann, der ja alles vergessen und den auch niemand kennt und gern hat als der liebe Gott, sich bloß mit dem lieben Vieh abgibt. Wem kann ein altes Herrlein viel dienen? Ich gehe in den Dörfern da herum wie in lauter blutfremden Städten; seh ich Kinder, so kommen sie mir wie meine grauen Kinderjahre vor; seh ich Greise, so sehen sie wie meine
vergangnen Greisenjahre aus. Ich weiß nicht recht, wohin ich jetzt gehöre, und hänge zwischen Himmel und Erde; doch Gott siehet mich immer hell und liebreich an, mit seinen zwei Augen, mit der Sonne und mit dem Mond. Und die Tiere leiten zu keiner Sünde an, sondern zur Andacht; und mir ist ordentlich, als säh ich Gott selber vieles tun, wenn meine Turteltauben ihre Jungen so wärmen und ätzen; denn von ihm erhielten sie doch ihre Liebe und Kunst gegen die Jungen geschenkt.« -
Auf
einmal schwieg der Greis lange und sah ordentlich wie wehmütig vor sich hin; das Kindtaufsglöckchen in Bienenroda schallte ins Gartenwäldchen herein. Endlich weint er ein wenig; ich weiß aber nicht, wie ich nach seinen vorigen schönen Worten zu der Einfalt kam, die Tropfen bloß für Zeichen altkranker Augen zu halten. »Mir ist immer,« sagt er, »da ich wegen meines Alters nicht gut höre, als wenn das Kindertaufglöckchen aus dem fernen Heiligengut schwach herüberklinge; hundertjährige
Kinderjahre steigen aus alten tiefen Zeiten auf und sehen mich verwundert an, und ich und sie wissen nicht, ob wir weinen oder lächeln sollen. Oh! Oh!« - Darauf setzte er hinzu: »Hieher, mein Alertchen!« Er meinte seinen Seidenpudelspitz.
Jetzt hatt er mich selber auf die Bahn zu meinem Reise-Ziel gebracht. »Bester Herr Bienenroder,« hob ich an, »in diesem Heiligengut, das Sie also kennen, hab ich eben das Leben des seligen Herrn Gotthelf Fibel, der das berühmte Abcbuch gemacht, verfertigt und beendigt, und mir geht nur noch dessen Abgang mit Tod ab.« (Hier lächelte das Herrlein und nickte sehr tief.) »Niemand kann wohl seinen Tod besser wissen als Sie, und überhaupt sind Sie
der einzige, der mir seltene Züge aus seiner Kindheit zuschanzen und bescheren könnte, zumal da jede ins kindliche Gehirn geschriebne Geschichte, wie eingeschnittene Namen in einem Kürbis, mit den Jahren größer bis zur Fraktur anwächst, indes spätere Einritzungen bald verquellen. Sagen Sie mir um des Himmels willen alles, was Sie vom seligen Manne wissen; denn in der Michaelis-Messe 1811 muß sein Leben in Nürnberg bei Schrag heraus.«
Er antwortete: »Exzellentes Genie - Literator - Man
of Genius - homme de lettres - autor clariss.....« Da ich vermutete, der Greis ziele auf mich: so wollt ich abwehren; er ließ sich aber nicht halten, denn er hatte sich selber gemeint. »Wie, gesagt,« (fuhr er fort) »für alles dieses und für mehrere prächtige Titel, die ich alle deshalb auswendig gelernt, hab ich mich zwar sonst gehalten, als ich noch jener verblendete eitle Fibel war, der das gedachte, fast mittelmäßige Abcbuch gemacht und drucken lassen.«.........
Das alte Herrlein
ist der selige Fibel! - - Hundertundfünfundzwanzig, ja eintausendachthundertundelf Ausrufungszeichen, hintereinander gesetzt, malen nur schwach mein Verwundern darüber vor, wenn man das stärkere dagegen hält, in welchem jetzt auf diesem Blatte ganze kalte ernste Lager von Literatoren wie Körke aus lange versperrten Flaschen in die Höhe fahren und sich die Hände reiben vor unermeßlicher Freude, daß die Sache so ist. - Beinahe hätt ich in der ersten Dummheit des Jubel-Sturms große Freude über sein
jetziges Deutsch gezeigt und mich verwundert, daß ein Mann wie Fibel, von dessen bearbeitetem Leben ich eben herkäme, so gut spreche. Aber ich kehrte mich bald zur Besinnung und zum Lobe Fibels um. »So weiß ich denn nicht,« versetzt ich, »was mir in diesem Jahrhundert Froheres und Vorteilhafteres hätte aufstoßen können als gerade der lebendige Held selber einer Lebensbeschreibung, in welche noch eilig so manches nachzutragen ist, da sie Herr Schrag schon in diesem Herbste verlegt. Glauben Sie
mir, mehr als einen Irrtum über Sie reut ich nun leicht in meinem Werkchen aus, z. B. den seit jetzt erst erklärlichsten, daß ein gewisser Konrektor Bien- Rod in Wernige- Rode Ihr Werk solle geschrieben haben.«
»So müßte ich auch davon wissen« (versetzte das Herrlein) - »Aber meinen guten lateinischen Namen Fibel, so schön er sich auch mit Bibel reimt, tauscht ich willig gegen den deutschen eines ganzen Dorfs weg und hieß mich nur den Bienenroder, um dem
Hoffartsteufel in mir ein und das andere Horn und Bein zu brechen, weil leider alle Welt, den vorigen Fibel zu sehen, gefahren kam und mich mitten in jeder Demut störte. Diese Übersetzung eines lateinischen Namen in einen deutschen ist, hoff ich ja, die entgegengesetzte Übersetzung eines deutschen in einen lateinischen, z. B. Schwarzerde in Melanchthon, welche so oft von der Eitelkeit gemacht wurde.« -
»So ganz aus ähnlicher Eitelkeit« - bracht ich selber aus meiner kleinen Kenntnis
bei - »übersetzte sich ja Neumann in Neander - Schmidt in Faber - Horn in Ceratinus - Herbst in Oporinus - und eine Menge, die ich recht gut kenne, wie ich mich denn selber , aber freilich als angehender Autor und also aus Demut, ins Französische verdeutscht habe. - Sie übrigens sind freilich überhaupt stark berühmt, und die größten Städte in Vogtland und Reußen bildeten sich Ihrem Werke nach - Nachfolger, nämlich Nachschreiber Ihres Abcs haben Sie längst unglaublich viele gehabt -
Sogar Ihr Bilder-Abc bekam an einem Herrn Bertuch (ein Legations-Rat wie ich) einen Nacharbeiter, dessen Sie sich gar nicht zu schämen brauchen, da er Ihr Werk in seinem Bilderbuch, wiewohl ohne alle Dichtkunst, in Ihrem Geiste fortsetzt, wenn auch viel kostspieliger und dickbändiger, doch minder fühlbar bei bloßer heftweiser Lieferung. - Und das Leben eines so wichtigen Mannes habe ich aus 40 Bänden der Pelzischen Vierziger ausgezogen, so viel mir nämlich der letzte Krieg noch Bruchreste davon
gönnen wollen.«
»Es war der siebenjährige«, sagte der Greis, welcher ganz wie der alte schwache Pütter den letzten französischen mit jenem verwechselte.
»Ungefähr« - versetzt ich -; »aber desto größer ist mir der kleinste Nachtrag von den Lippen des Helden selber; und besonders sind mir mehrere alte späte Jahre nötig, um gehörig in der Michaelismesse zu schließen. O Gott, wie viele Autoren oft einem einzigen Buch zum Großsäugen unentbehrlich sind, zumal einem großen, nicht
etwan wie dem Jupiter Ziegen, Bienen, Bärinnen als Ammen, oder etwan wie mir ein Pelz, Pompier und Fuhrmann, kurz wie viele Autoren oft einem Autor nötig sind, davon weiß ein Autor ein Wort zu sagen.«
- »Fast« - fing Fibel, aber mit unbeschreiblicher Milde, an - »sollt ich Sie, Herr Legations-Rat, für Pelz den zweiten halten, so lieblich Sie auch aussehen und aussprechen; aber nur der erste bestach mich stark mit Loben. Es mag denn sein! Es ist mir jetzo vieles auf der Erde
gleichgültig, ausgenommen der Himmel darüber; und ich sehe jetzunder nur gar zu deutlich ein, wie eitel ich sonst von meinen Gaben gedacht. Wer der Erde abstarb - nicht der Welt, denn dazu gehören mehrere Leben, wenn nicht gar eine ganze Ewigkeit; ja der Ewige selber ist ja nicht dem All abgestorben, vielleicht weil er ihm ewig-ur-vorgeboren ist..... Ach mein alter Kopf wollte etwas anderes sagen - «
Nach diesen letzten Worten wurd ich noch neubegieriger auf die Erklärung der
Metallverwandlung oder Brotverwandlung des vorigen unscheinbaren Fibels in dieses glänzende Herrlein, und ich bat ihn, mir seinen Übertritt in diesen neuen Charakter zu erklären und zu motivieren. Ihm freilich konnte das Motivieren seines Charakters gleichgültig sein, da er ihn schon hatte, aber nicht dem Leser, der es von mir wissen will. Fibel versetzte: nachher recht gern, aber jetzt sei es schon spät.
Er ging in sein Gartenhäuslein - ich ihm nach -; und er tat einen Pfiff;
sogleich kam sein schwarzes Eichhörnchen von einem Baume, worauf es mehr zur Lust als zur Kost war - mehrere Vögel, Nachtigallen, Drosseln, Staren (die Vogel-Pudel), flogen von ihren Gipfeln in die offnen Fenster zurück - ein von Alter aus Rot- zu Schwarzwildpret angelaufner Gimpel trabte im Stübchen einher, närrische Laute von sich gebend, die er selber nicht erklären konnte - der Hase trommelte auf Hinterfüßen den Abend aus mit Vorderfüßen - es gab kein Hündchen im Häuschen, das nicht in
froher, menschenliebender Laune hineingesprungen kam, und ich hebe statt aller nur das Alertchen aus; doch am frohesten trat wohl der Pudel an, welcher schon wußte, was die Glocke geschlagen, daß er nämlich jetzt eine blecherne Büchse mit Schieber an den Hals bekomme, worin der Speise-Zettel des Abendbrotes liege, das er aus dem Bienenroder Wirtshause zu holen habe. Er war Fibels Küchen-Geschäftsträger oder Küchenwagen - dessen Vertumnus und Feldpost - und Ambassadeur in Bienenroda und
Indroducteur des Ambassadeurs im Wäldchen (durch Anbellen meiner als Legationsrat). - Fibels übrige dienende Brüder und Schwestern waren nur Kinder, die ab- und zuliefen.
Erst nachdem er angemerkt: »man sollte auch den engen Tieren so weit bildend nachhelfen, als man kann, da man gewissermaßen ihr Herrgott ist, und man solle sie zu guten Sitten abrichten, da sie wohl nach dem Tode fortleben könnten; Gott und Vieh sei immer gut, aber der Mensch nicht« - da ließ er sich auf mein
Erinnern zu seinem bringen. Greise geben, wie alles Körperliche, so auch das Geistige mit zitternder Hand, die die Hälfte verschüttet; dennoch bekam ich folgendes unverschüttet: Er mochte etwan erst hundert Jahr alt sein, als er in einer sein Leben wiedergebärenden Nacht von neuem zahnte und unter Schmerzen wilde Entwicklungs-Träume durchlebte. Vor Mitternacht erschien seine verstorbne Frau und sagte ihm, sie sei seinetwegen von Toten auferstanden, um ihn auszuschelten und zu benachrichtigen,
daß Pelz ein Spottvogel gewesen und er selber ein Gimpel. Dann träumte er nach Mitternacht: er halte ein breites Sieb in Händen und müsse durchaus dessen Geflecht auseinanderziehen; das fest geflochtne Sieb und der Holz-Rand ängstigten ihn unsäglich, und nichts konnt er zerreißen als träumend sich selber, bis er endlich plötzlich statt des Siebes die ganze große lichte Sonne in seinen Händen hielt, welche ihm blendend ins Gesicht schien. - Er erwachte neugeboren und entschlief wie auf wogenden
Tulpen wieder. Da träumte er, er sei ein Jahr alt nach dem Hundert - und sterbe als ein schuldloses einjähriges Kind ohne Erden-Weh und Erden-Schuld und finde droben seine Eltern, welche ihm einen ganzen Zug von seinen Kindern entgegenführten, die ihm auf der Erde unsichtbar geblieben, weil sie bloß wie helle Engel ausgesehen.
Er stieg aus dem Bette nicht nur mit nahen neuen Zähnen, sondern mit neuen Ideen. Der alte Fibel war abgebrannt, und der rechte Phönix stand da und
sonnte die Farben-Schwingen. Er war verklärt auferstanden aus keinem andern Grabe als aus dem Körper selber. Die Welt wich zurück; der Himmel sank heran.
Als er mir die Sachen erzählet hatte: sagte er mir, ohne auf den diensthabenden Pudel zu warten, ohne weiteres gute Nacht und zeigte mir mit den zum Beten gefalteten Händen den Weg. Ich ging ab, zog aber lange im Obstwäldlein umher, das bloß aus Kernen gewachsen, die er eingesteckt. Er aß nämlich selten eine Kirsche, ohne den Kern -
oft zum Verdrusse der Bauern, welche auf ihren Rainen nichts hohes haben wollten - einzuschwärzen und in die Erde zum Verklären zu begraben. »Ich kann«, sagte er, »keinen Kern umbringen; reißt auch nachher der Bauer das Bäumchen heraus, nun so hatt es doch ein bißchen gelebt und war als Kind gestorben.«
Im Wäldchen hört ich ein Abendlied orgeln und singen; - und ich brauchte nur zurück an Fibels Fensterchen zu treten, um zu sehen, daß er darin eine Drehorgel langsam umdrehte, welche
er durch seine Singstimme mit einem sanften Abendlied begleitete. In der eintönigen Einsamkeit und bei seinem Abschnitzel von Stimme reichte diese noch mehr als eine Voglersche simplifizierte Orgel schon zu seiner Haus-Andacht zu; und ich ging nachsingend nach Hause.