Jean Paul
Museum
IX. Programm der Feste oder Aufsätze, welche der Verfasser in jedem Monate des künftigen Morgenblattes 1810 den Lesern geben will
eingestellt: 24.7.2007
Obgleich der Verfasser seine zwölf Aufsätze künftig lang und breit vorlegen wird: so will er doch solchen verkürzten Lesern des Blattes, welche vorher entweder von den Lebens-Bühne oder vom Morgenblatte selber abtreten, jetzo ein Vergnügen, das sie ohne seinen Willen einbüßen, durch Vorschmäcke einigermaßen erstatten. Schickt man doch in Hamburg sonnabends den Sonntagpredigten gedruckte Entwürfe derselben voraus oder an Höfen großen Festen beschreibende Programmen
derselben; die versprochnen Aufsätze aber sind beides gleich sehr, ordentliche Fest-Predigten, ordentliche Predigt-Feste. Wahre Spitzbuben schilt aber der Verf. alle Autoren, welche seine Entwürfe - z. B. sogleich den ersten oder die Zimmermanns-Spruch-Rede auf einem Tollhause - aus diesem Blatte rauben und sie früher ausgeführt einschicken, als er selber kann. Einen solchen gelehrten Wildprets-Dieb wünscht er nur zu treffen. -
Hier folgen die Aufsätze nach ihren Monaten, samt ihren
Vorschmäcken.
Der 31. Januar des Morgenblattes bringt die obengenannte Baurede auf einem Doppel-Tollhause.
Der Verf. setzt einen gelehrten Altgesellen aufs Dach, welcher einen Lorbeerkranz aufsteckt und unter andern zu einigen neuern hohen Dichtern und Philosophen seiner Bekanntschaft so herunter spricht:
»Er freue sich, daß durch diesen neuen Bau wieder der Freihafen und die Noahs-Arche aufgetan werde, worein sie einlaufen könnten, wenn sie wollen,
sobald die Mäuerer fertig wären. Mit Lust erkenn er darunter Männer, welche schon längst Tabatieren oder Tabaksdosen von Fürsten bekommen, weil diese gelesen, daß Tolle nichts so lieben als Schnupf-Tabak.
Das löbliche Handwerk verhoffe, daß es für die verschiedenen Gattungen der Poesie und die Systeme der Philosophie die Kammern nach Wunsch des Bauherrn eingerichtet, demnach die romantischen Kammern, die spanischen, griechischen, desgleichen die absoluten, die kritischen u. s. w. -
Prosit Bauherr!
(Hier wird getrunken.) Auch das Bedlam für Tiere, die so toll werden wie Menschen, z. B. für die ihres gesunden Verstandes beraubten Hunde, sei glücklich ausgebauet. Nur eine Hütte oder ein Gelaß für Flöhe, welche nicht recht bei sich sind oder nicht richtig im Kopf - weil sie sich an tollen Hunden selber toll gebissen -, und vor welchen die Gräfin dEsclignac so außerordentliche Scheu trug, dergleichen sei dem ganzen Handwerke unmöglich auszuführen gewesen; dafür
aber habe dasselbe eine besondere Kammer für die Gräfin selber oder ihresgleichen sehr künstlich eingerichtet, als einen guten dichten Stuben-Verhack und Schanzkorb gegen jedes Narrenschiff von Flöhen, das von einem tollen Hunde ausspringe. - Prosit Bauherr!«
Darauf zeigt der Altgeselle auf die Mansarden des Tollhauses hin und redet wieder an: »Hoch- und Wohlansehnlicher, auch nach Standes-Gebühr Hoch- und Wohlgedachter Umstand! Es sollten wohl immer zwei Toll-Häuser gebauet werden,
neben das thetische jedesmal das antithetische; denn es sind zweierlei Narren vorhanden, die übernärrischen und die überweisen, unter welche letzte wohl ein Platon, Rousseau, Hamann und die größten Dichter zuerst gehören. Die Masse, Menge, Mitte muß im weitern Indifferenz-Punkt jeden ihr entweder in Toll- oder Weise-Sein entgegengesetzten Polar-Menschen auswerfen und bleibt der ausgleichende kalte Gleicher aller warmen Köpfe; sie wiederholt, so wie König Philippus zu seinem Sohne sagte:
›Schämest du dich nicht, so schön zu singen?‹, gleichfalls die Rüge: ›Schämet ihr euch nicht, so weise zu sein?‹ So hat denn unsere Stadt den Ruhm, die erste zu sein, welche für indeklinable Weise wohltätig etwas tat, nämlich bauete, ein Hospizium für diese Älpler, ein Spinnhaus für ihre Ideen, eine Freistätte gegen allgemeinen Tadel, und es gereicht die lange Reihe von Mansarden für Weise unserer Stadt umso mehr zur Ehre, da sie noch fast gar nicht nötig ist, und da
überhaupt eine Irren-Anstalt für solche, welche weniger sich als andere irren, nicht viel größer zu sein braucht als ein Schafstall oder eine Passagierstube oder ein Spritzenhaus.
Auch mir kommt die Bauanstalt zugute, und ich passe auf das Zumauern meiner Mansarde, so wie auf seine der Herr Verf., der mir meinen Bauspruch ein wenig durchgesehen, und aufgesetzt. Rühmlich ist die Stadt, glücklich sind ein paar Städter daraus, welche als einkasernierte Weisen von ihrer Loge zum hohen
Lichte herab so nahe und leicht die Tollheit vor sich haben und als Klughäusler mit den Tollhäuslern sich wie Extreme berühren - schöne Koppelhut und Simultankirche in einem Narrenhause!« u. s. w.
Darauf fährt der Altgeselle fort, bis er fertig ist.
Der 15. Hornung des Morgenblattes gibt: Küstenpredigt an die Engländer.
Vorwort im Jahr 1814; ist anders eine seitenlange Kleinigkeit eines wert! Die folgende Nutzanwendung aus einer den alten
Strand- und Kosegartens Ufer-Predigten nachgespielten Küstenpredigt wurde vor vielen Jahren in einem solchen frischen Unmut über die britische Belagerung Kopenhagens geschrieben, daß ich mir in dieser Woche das Blatt aus der Druckerei mit Briefpostkosten zurück erbat, um hier den Lesern vorher zu sagen, daß ich wenig von dem glaube, was ich in der Predigt behaupten werde; und solche Vorwörter sollten überhaupt vor mehren Predigtsammlungen stehen. Wahrlich England, der unermüdlichste Verfechter
spanischer und deutscher Freiheit, glänzt als ein Negern-Protektor - ungleich jenem Deutschlands-Protektor in einem Frieden - durch seine gefoderte Sperre des Negerhandels ganz anders als die neuern Karthager, welche zum Erfüllen der Frieden-Bedingung, die Menschenopfer abzuschaffen, eine Quinquenell-Bedenkfrist verlangen. Aber hier steh es endlich, wie ich vor Jahren die guten Briten auf meiner Kanzel angefahren:
»Und jetzt, da ihr uns nicht mehr wie Pferde anglisieren könnt durch
Abschneiden, ersetzt ihr durch Köpfen das Schwänzen und schwimmt gleich Fischen an die Küsten, um zu laichen, Leichen nämlich und Kanonenrogen; und nehmt in den Häfen nichts ein als frisches Tränenwasser. War nicht euer Ruhm bisher eine Seekrankheit, die sich leicht verlor, sobald ihr das feste Land - z. B. ost- oder westindisches - betratet? Wenn ihr durch euere geheimen Expeditionen aus dem Wasser wie aus Kiesel Kanonenfeuer schluget gegen schuldlose Städte und Elbeufer, und wenn ihr ein
umgekehrtes Strandrecht einführtet, nämlich das vom Wasser aus gegen irgendein scheiterndes Land: so beschämt euch euere eigne innere Großherzigkeit und Rechtliebe zu Hause. - Freilich unscheinbar mattfarbig stehen so manche Staaten wie elend gemalte Figuren vor euch, lassen lange Zettel aus dem Maule hangen, die ihren Gehalt aussprechen sollen, genannt Geld- oder Staatpapiere u. s. w.«
Jetzo kommt eine heftige Stelle, die ich zu meiner größten Freude ganz unverändert behalten und
behaupten kann, sobald ich nur statt der Engländer die Franzosen setze und so anfahre und fortfahre: »Wir mußten euch Stolze mit Nahrung bedienen, wie den (englischen) König beim Essen die Hofbedienten; nämlich auf den Knieen, anstatt daß sonst nur das Wesen kniet, z. B. das Fohlen, das Hirschkalb etc., welches Nahrung saugt, nicht erteilt. Ja steht der Uferprediger selber denn nicht am heutigen Aschermittwoche mit einer runden Glatze voll Asche da, welche ihm jedoch wie andern nur aufgesäet
worden, nicht weil er Fastnacht und mardi gras genossen, sondern weil ihrs? - Aber wir Deutsche sind überhaupt - ordentlich als wären wir euere nur größere Schweizerei - für euch eine tragbare Patent-Soldateska, euer Patent-Kriegstheater u. s. w.«
Der 21. März des Morgenblattes schenkt: Polymeter, überhaupt viel Weiches, weil da des Verf. Geburtstag einfällt.
Indes würden die Mithalter des Blattes zu lachen anfangen, wollt er ihnen das Weichste
daraus schon hier zum Imbiß auftragen, da zu solchen Jubel-Tagen gewöhnlich gehört, daß man sie erlebt, er aber den ganzen langen Winter noch so wenig bis zu Frühlings-Anfang durchgemacht, als irgendein jetzo lebender Geist im All. Doch mag ein Polymeter, der ja auf so viele 1000 Menschen paßt, als es gibt, hier verlaufen:
Wie genieß ich den Frieden, den die Länder miteinander gemacht? - »Nur wenn du einen mit dir selber schließest.« - Ach nur unschuldige Kinder durften sonst die
Früchte des Ölbaums pflücken! - »Alle Friedens-Kränze und Friedens-Zweige der Erde haben ja nur Blätter.«
Der erste April unternimmt (man will sonach auf den ersten Tag und auf den ganzen Monat zugleich anspielen) einen Beweis von der doppelten Beständigkeit der Weiber. Er wird - um unparteiischer zu Werke zu gehen - zuerst von ihrer Festigkeit in schlimmen Angewöhnungen ganz kurz geführt, der Beweis aber von ihrer andern Festigkeit in guten aus Mangel an
Raum verschoben; ordentlich als könnte der Verf. aus Vorliebe, um nur recht diese Edel-Steine zu heben und unter Licht zu setzen, nicht genug Fehler-Folie unterlegen. Folgendes ist Vorschmack:
»Auch in der Ehe bleibt der Name des geliebten Bräutigams im weiblichen Herzen stehen, in welches ihn schöne Stunden und Wunden eingeschnitten; freilich geht es dem Namen wie Namenszügen, die man in einen Kürbis einritzt: die Frucht reift ungeheuer und unförmlich fort: und dann sitzt der
eingekerbte Name daran lächerlich und unleserlich auseinander gewachsen und gespreizt.«
Der erste Mai bringt den Steckbrief des Herrn von Engelhorn hinter seiner entlaufnen Gemahlin.
Der edle Mann schickt gerührt ein kurzes Programm dem Steckbriefe hinter seiner liebens- und strafwürdigen Hilda voran. Sie habe, sagt er darin, ihm etwas Besseres gestohlen als sein Herz - denn dieses wiedererzeug er jeden Abend so leicht als eine Eidechse den Schwanz oder ein Krebs
die Schere -, sondern sie habe die feinste Haut, die je um ein weibliches Herz geschlagen war, ihm entwandt, des kleinen Juwelen- und Kleider-Besatzes daran kaum zu erwähnen. Die Raserei, welche vor Gericht die Ehen scheide, stifte solche oft außergerichtlich, und seine gehöre dahin; denn wie (nach Gall) das Gehirn eine zusammengestaltete Haut sei, so sei die glänzende seiner Hilda ein ausgebreitetes Gehirn für sie und ihn gewesen, durch welches das seinige ziemlich hin und her verrückt
geworden; daher sie ihm Gatten-Aeneas aus ihr ein ziemliches Didos-Reich vor- und zugeschnitten. Was ihn jetzo am meisten außer sich setze, sei, daß sie, da sie nach Paris entwichen, schwer daraus zurückzufangen sei - sie könne in dieser Minute von einem Generale und dessen Adjutanten zugleich an den Armen geführet werden, um in keine andern zu fallen - und in welcher Gasse dieses Gassen-Ozeans, frag er ohne Trost, hab er das liebe Wesen aufzujagen und einzufangen, da sie ja in der rue des
mauvais garçons hausen könne - oder in der rue des mauvaises paroles - oder in der rue de fosse aux chiens - oder in der Frau ohne Kopf - oder in der Teufelsfarzgasse (du pet-au-diable) - oder in der rue des filles anglaises - oder der du contract social - oder der rue des deux anges. - - Auch würd er ihr persönlich nachspringen, wenn er nicht besorgte, unterwegs, zumal in besagten Gassen, ihr untreu zu werden und in der rue des deux anges zwei Engel mit einander zu verwechseln. »Das schöne
junge Kind, ich war sein ältestes!« (sagt er und weiß sich kaum zu lassen) »O wärest du bei mir, ich wollte dir soviel nachsehen als mir selber! Und mögest du wenigstens nur keinem rechtschaffnen Manne in die Hände fallen, der dir zulange treu bleibt!«
Darauf wird Herr von Engelhorn, da er sich das Signalement denkt, ordentlich verdrüßlich: lieber zwanzig Spitzbuben setz er steckbrieflich nach als einer einzigen Frau; alle eines gewissen Standes sähen einander so ähnlich wie die
Rücken der Karten; denn der Anzug sei das einzige, worin sie verdammt harmonierten und einig blieben. Auch der gute Umstand, daß seine in großen Gesellschaften unter die Halbnackten und nur in kleinern unter die Viertelnackten gehöre und unter vier Augen gar im dichten Negligé sitze, signalisiere nur schlecht; denn mit ihr haben diesen Vorzug alle die bessern Weiber gemein, welche endlich die Kriegnot zum Nachdenken und Entschlusse gebracht, noch wirtschaftlicher und tugendhafter vermittelst
einiger Nacktheit zu werden, indem sie bei der Teuerung der englischen Zeuge durch jede anderthalb Fuß breite Stelle, die sie unbekleidet lassen, dem Gatten ein Viertel Morgen Land ersparen oder eintragen, und indem sie mit ihrer Tugend unbekleidet vor hundert Zeugen sicherer seien als bekleidet vor einem.
Am Ende fängt von Engelhorn den Steckbrief so an: »Eine gewisse Hilda, geborne von Templer, ist selbstdiebisch entwischt und hat dem Herrn von Engelhorn folgende Preziosa
von Wert mitgenommen: No. 1. eine superfeine Menschenhaut, die sie anhat - No. 2. eine seltene Niobes-Nase - No. 3. ein Paar kostbare Saphyre oder Blau-Augen vom ersten Wasser - No. 4. ein Paar fein gearbeitete Händchen mit Armen, zärter als Handschuhe von Hühnerleder, samt andern Kleinigkeiten, deren Spezifikation vor hiesigen Gerichten niedergelegt worden. Es ist aber mehrgedachte Land- und Stadtstreicherin und Blondine besonders daran kenntlich, daß sie den Engel im Gesicht und den Teufel im
Leibe hat und, obwohl eine Blondine, doch eine Selberzünderin ist; wie denn diese Person und Zauberin zwar nie den Blocksberg befährt, aber die ganze Bergpartei desto öfter bei sich hat. Ein anderes Kennzeichen, das sie von allen Frauen unterscheidet, ist, daß sie auf Herrn von Engelhorn sehr schmähet, welches keine von so vielen Hunderten tut, die mit ihm ebenso genau bekannt geworden. Als nun außerordentlich daran gelegen, auf gedachte Diebin und Schönheit zu invilgieren und solcher habhaft zu
werden: also etc.«
Der 30. Juni gibt:
Liste der anstößigen Stellen, welche dem Verf. auf seiner langen literarischen Laufbahn von den Zensoren ausgestrichen worden.
Er reicht hier nur einige Anstöße zum Anbiß:
Der Staat werde dem Bürger, was das Zimmer manchen zahmgemachten Singvögeln ist, aus welchem diese bei gutem Wetter ins Freie gehen, und in welches sie doch wieder zurückfliegen; aber er sei kein Käfig, der halb im Zimmer, halb im
Freien hängt.
Bei den Alten glich der Staat mehr einem englischen Garten, welcher nach Kant die freie, aber ins Enge gezogne Natur sein soll; bei den Neuern gleicht er öfter einem französischen, welcher nach le Notre eine wachsende Baukunst ist.
Napoleon endigt seine Vorlesungen für Fürsten (wie man seine Kriege nennen sollte), gleich andern Professoren, meistens in einem Semester (Halbjahr).
Die Türken trauern
blau; und über sie und die jetzigen
Griechen trauert der Himmel auch blau.
Der erste Juli gibt die aus Raum-Mangel unterbrochene
Fortsetzung der ausgestrichnen Zensor-Stellen.
Hier nur einiges daraus:
Zwar Büttel, aber nicht Schulmeister standen schon in Adreßkalendern, obgleich diese früher und länger mit dem Stocke lehren und prügeln als jene. Wahrscheinlich aber will man das Schul-Amt einziehen oder doch zu einer Vakatur-Stelle machen, welche der Büttel nicht mit versieht.
Politische Preßfreiheit und große religiöse Preßfreiheit sagen in der Geschichte fast einen entgegengesetzten Kurs ihrer Gegenstände aus. In Zeiten der Vaterlands-Wärme ist die politische Freiheit sehr groß; in Zeiten der Religions-Kälte ist die religiöse Preßfreiheit noch größer.
Der erste August bringt:
Stammbuch des Teufels.
Da das Stammbuch künftig als ein dickes Buch erscheint und noch dazu in Klein-Queir-Folio: so kann das künftige Morgenblatt daraus nur
einige Proben aufnehmen, von denen ich im jetzigen hier wenige Proben gebe. In dieses Album des Schwarzen haben sich neu - was erst in des Verf. Vorrede dazu begreiflicher wird - Menschen aus allen Ständen und Zeiten - denn der Teufel geht seit Jahrhunderten damit herum und hausiert noch fort - eigenhändig bei ihren Lebzeiten hineingeschrieben, und mit einem solchen Anstand fremder Sprachen und Handschriften, daß ich es mit keinem ähnlichen Buche, selber nicht mit dem Vaterunser vergleichen
möchte, aus und in welchem Adelung alle Sprachen in Proben dargestellt hat. Denn alles durcheinander steht darin, Teufels Gönner und Widersacher - z. B. dessen Großmutter als Verwandte wie gewöhnlich vornen - Thomasius - Dr. Luther - Gréwiert - der Erzengel Michaelis (aber in sehr unleserlichen Charakteren) - Dr. Semler - Peter Breughel - David - David von Schottland - beide Carraggios - Shakespeare - Ivan Basilovirz - Tibull - Paul I. - ich, Meusel, Goethe, nebst vielen noch lebenden Gelehrten
- Leibgeber - Judas Ischariot und Robespierre (bei welchen beiden einer, wahrscheinlich der Franzose, das alte Sprichwort beigesetzt, da sie auf
einer Seite stehen: jungit pagina amicos) u. s. w.
Einige davon mögen am ersten August, wo nach alter Sage der Teufel vom Himmel geworfen worden unter uns auf die Erde herein, in meinen schwachen Übersetzungen da stehen:
Wie die Schnecke bei jedem Anstoße ihre zwei schwarzen Such- und Fühlpunkte zurückzieht und verbirgt,
sie aber im Freien weit vorträgt: so ziehe jeder den Flecken oder ein ganzes schwarzes Herz zurück bei Unglück; bei Glück aber tast er damit herum und zeige alles keck.
London 1649 | Damit will sich seinem Protektor empfehlen Oliv. Cromwell. |
Stehet ihr auf dem Glatteis des Hofes gefährlich, so streuet nur Asche von Häusern und Pfälzern darauf: dann steht ihr fest; so will
es der Polizei-Lieutenant.
Paris 1690 | Ewig der Ihrige Louvois. |
Die Grenzgötter sind ohne Arme und Beine abgebildet, sie können also weder (nec) streiten noch (nec) fliehen; daher trage diese Götter selber über die Grenzen und über jeden Rubikon hinweg und setze sie dann nieder, wo du willst, etwan an den Herkules-Säulen.
Romae. | Dem bösen Genius zum Opfer Julius Cäsar. |
Die Thronen sind jetzt auf der ganzen Erde kriegerisch-schön, gleich Vulkanen, verknüpft; so wie diese Vulkane immer in Verbindung Feuer speien, so geben sie Feuer meistens in allen vier Weltteilen auf einmal, und auf dem Ozean dazu; ein erhabner Anblick!
London 1802 | Auch dafür sei
Ihnen Dank, hoher Fürst der Finsternis! Lord ...... |
Sollte wohl der Mensch erst eine Paradieses-Schlange zu seiner Vergiftung brauchen? Kann er nicht so gut wie die Klapperschlange, wenn sie sich beißt, sich selber vergiften?
Nie, mein Teufel, werd ich die Stunde unserer ersten Bekanntschaft vergessen! Schriebs zum Andenken |
Baireuth 1807 | Jean Paul Fr. Richter. |
Der Michaelistag des Septembers bringt:
Der wiedergefundne »allzeit fertige Banqueroutierer« von Rabener samt meiner Einleitung.
Da der Verf. schon seit Jahren bei allem Verlust, den Dresden durch die Belagerung von Friedrich II. erfuhr, den größern am meisten bedauerte, welchen Deutschland durch das bis jetzo vorausgesetzte Einäschern der genannten letzten und gewiß
besten Rabenerischen Satire erlitt, besonders da bei diesem sich im dornigen Gradierhaus des Alters das satirische Salz immer reiner und schärfer anhing: so hatte der Verf. über die (wahrhaft wunderbare) Errettung und Erkaufung dieser Rabenerischen Satire eine so große Freude, als hätt er das köstliche Stück selber gemacht. Deutschland soll ihm danken, meint er. Nur so viel aus der Einleitung:
»Gewiß genießen wir alle diese alte Satire über Bankerutte jetzo reiner, ohne bittere
Beziehungen, kurz nur als unbefangene Liebhaber eines Kunstwerks, da wir seit Rabeners Zeiten Falliments so wie Selb-Falliments (Selbstmorde) und Unehelichkeit etc. im viel gerechtern und mildern Lichte erblicken. Wenn sonst der arme Banquerutier Steine und Hunde tragen mußte: so wird jetzo besser sämtlichen Gläubigern diese Schulden-Last verteilend aufgelegt; und die leeren Beutel, womit sonst Jungen den ohnehin leeren Zahlunfähigen durch die Gassen ordentlich recht zu seiner Schande verfolgen
mußten, halten zu Hause nur dessen Gläubiger in der Hand.
Aber besonders gehört es unter die wenigen Wohltaten der Kriege, daß man leichter falliert und - ich wag es zu sagen - nicht ohne Ehre, komme letzte auch nicht sogleich. Was dem Wort- und Bankbrüchigen so unentbehrlich ist als dem Trauerspielschreiber, nämlich gute glaubliche Unglücksfälle, um mit ihnen, wie dieser, eignen Schrecken und fremdes Mitleid zu reinigen, kurz, jedes zur Herstellung einer guten Konkursrechnung
nötige Unglück liefert der Krieg nach Wunsch; leicht ist durch fremde Truppen das Alibi des Geldes zu bezeugen; leicht schließen mit den Häfen sich die Kaufläden, und Kriegs-Compagnien sprengen Handels-Compagnien, nicht aber Kriegsreiterei die Wechselreiterei. Im Oktober oder Weinmonat falle eine Schlacht vor, so ist aus ihr im nächsten oder Wind-Monat so viel (bisher latenter) Land-Wind zu entbinden, als nötig ist, um für den See-Wind zu entschädigen, der keine Schiffe mehr zubläset. Matthey zu
Turin erfand Windbüchsen, welche man auf einmal zu achtzehn Windschüssen lädt durch Gas-Entwicklung, wenn man in ihrer Kammer bloß 2 Unzen Schießpulver abbrennt. Wahrlich aus einigen verflüchtigten Pulver-Zentnern einer Schlacht getrau ich mir so viel Wind für dreißig Bankerutierer auszuziehen, daß ich noch genug davon für ebenso viele Zeitungsschreiber übrig behalte.
Ist der Krieg das Mausern (die Mauße) der Menschheit, worin ihr die alten Federn ausfallen oder sonst ausgehen (und
wärs durch Ausrupfen): so geht dem entfiederten berupften Kaufmann so gut das Gedächtnis seiner Wechselbriefe, Versprechungen und so weiter aus als jedem Falken in der Mauße alles in schlaflosen Nächten Erlernte. Besonders tut hier der Buchhändler in der Mauße das Seinige und Nötige - spielt zweimal jährlich zur Messe eine Malefiz-Komödie gegen seine Mitspieler - hilft dem reinen Ertrag etwas durch unreinen nach - wird aus Mangel an Absatz schreibender Seelen der Seelenverkäufer seiner eignen
armen Seele und
verschreibt sie durch Verschreibungen und durch jeden doppelsinnigen Schuld-
Schein - und verkauft mir kurz nach dem Fallissement das Manuskript von Rabeners Satire darüber; denn letztes hab ich wirklich von einem falliten Buchhändler in Sachsen.«
Der 14. Oktober bringt:
Erziehanstalt für Embryonen und Fötus von Stande.
Die Vorrede sei hier Vorschmack:
»Wie sehr den höhern Ständen die stärkere Leibes- und oft dadurch die
Geistes-Beschaffenheit täglich einschwinde und einschrumpfe, dies zu zeigen, hieße am unschicklichen Orte einen Wagenzug von Krüpelfuhren aufführen und am Ende doch mehr Lachen erwecken als Mitleid. Genug, daß bloß die Rüstigern daraus noch abgemagerten verdrüßlichen Löwen gleichen, welche in den Eismonaten des gefrornen Deutschlands hinter Gittern zur Schau herumgefahren werden - andere dagegen sind, zumal auf der Rückreise von einer Residenzstadt, wahre Bart- und Haarsterne, welche, von der
Sonne zurückkehrend, ihren Kern in Nebel und Schweif aufgelöst mitbringen - einige werden zum zweiten Male Embryonen und erhalten sich, wie totgeborne, nur frisch in Gläsern voll Spiritus - ja viele sind kaum. - So sehr will, anstatt daß bei ältern Völkern der längste stattlichste Mann der vornehmste und regierend war,
hoher Adel gegen
niedern in Rücksicht der Statur und Zelle fast die Beinamen auswechseln und glaubt die Zahl der künftigen Ahnen durch die Menge der vergangnen
zu ersetzen. Überhaupt ist jetzt sogar Reichtum schon halbe Krankheit, und junge reiche Kaufmanns-Söhne schreiben auf Reisen das alte Sprichwort so: quod habet in crumena, luit in corpore; d. h. wer Geld hat, kann so gut als irgendein junger Engländer halb tot und halb sichtbar nach Hause kommen.
Welches Heilmittel gibt es denn dagegen? Keines, wenn bloß von sichtbarem Adel die Rede ist. Stets werden Zeit und Geld und Sucht den Geist und Bauch so warm und weich von Innen und Außen wattieren, daß er, gesetzt in derbe, frische, freie Luft, dann kränkelt und schauert und schimmelt und rostet. Aber ist denn kein unsichtbarer Adel, nämlich ungeborner, mehr zu haben, gleich der unsichtbaren Kirche? Kann nicht außerordentlich viel für vornehme
Embryonen und Fötus getan werden?
Allerdings; aber hiezu muß man die Mutter haben und auf sie wirken, und zwar auf eine neue Weise. Denn was einige Mütter bisher nur versuchsweise getan, um der Nachwelt kräftigere Ritter, als die nächste Vorwelt nachgelassen, zu bescheren, indem sie die vom preußischen und französischen Gesetzbuch verbotene Nachfrage und Forschung nach Vätern (la recherche de la paternité est interdite) bloß für sich zur rechten Zeit, nämlich in der unschuldigen, in
der Ehe anstellten, diese mütterliche Vorsorge wollte, so viel man sieht, so wenig fruchten und anschlagen als eine ähnliche ihrer Eheherren für Ammen; denn ein Jupiter als Vater, eine Juno als Amme reichen der Welt noch keinen Herkules, sondern erst eine ehrliche gute Hausfrau Alkmene tuts. Die ersten neun Stufen-Monate bilden die künftigen Stufen-Jahre; und aus dem neunmonatlichen Antichambrieren des Lebens fliegt oft dem kleinen Wesen ein Neuntöter durch alle Jahre nach, welcher beißt und
spießt und frißt. - Aber wie werden die armen Personen von Geburt behandelt vor der Geburt, d. h, von ihren Müttern, der Väter zu geschweigen? Eben zehnmal schlimmer, als es dieselbe Dame nach der Geburt einer Amme zuließe; denn welche Amme dürfe mit dem kleinen Cavalier oder Stammhalter an der Brust auf eine Weise, wie die Mutter mit demselben unter dem Herzen vorher getan, so walzen, so karten, so Abendessen, so trinken, so wachen, so brennen (liebend
oder zürnend), so nichts-tun; indes gleichwohl die Amme in weiterer, mehr gleichgültiger Ferne von dem Edelmännlein oder Fräulein steht; denn eine Ziege ist wohl leicht eine Göttin-Amme, aber keine Menschen-Mutter. Gerade im schnellesten heftigsten Entwickeln und Wachsen des noch Ungebornen, das schon im zweiten Monat abnimmt, führen die Mütter ein Leben, als hätten sie für kein zweites zu sorgen, und opfern ihren Stunden seine Jahre. Könnt ihr nicht, sagte jener größte Lehrer zu seinen Jüngern,
eine Stunde mit mir wachen? Könnt ihr nicht, sagen seine Lieblinge, die Kinder, zu ihren Müttern, neun Monate lang Mütter sein und unsern tiefsten Schlaf bewachen?
Nach allem ist demnach eine Erziehanstalt für Embryonen nichts als eine für Mütter. Diese will ihnen ein günstiges Schicksal jetzo durch mich bescheren.
Ich bin nämlich so glücklich, eine schöne Wohnung, schöne Gegend, die gehörige Dienerschaft und Gerätschaft für Damen-Erziehung zu besitzen, und dadurch instand
gesetzt, für alle Embryonen und Fötus von Stande, denen an ihrer Bildung gelegen ist, etwas zu wirken, indem ich bloß Damen guter Hoffnung, sowohl des hohen als des niedern Adels, von den 16schildigen an bis zu den 4schildigen, in meine Anstalt aufnehme und solche durch die zweckmäßigste Behandlung - ein Gemahl soll nicht mehr tun können - in den Stand setze, daß jeder Fötus von Geburt, bis zum baronisierten und hochgebornen Embryon hinauf, nachher, sobald er das Licht der Welt erblickt, schon
selber als ein halbes Licht der Welt erscheint und in spätern Jahren mich (unverdient genug) für ein ganzes ansieht und mir ewig für das Vor-Schnepfenthal seines Daseins dankt. Man frage nicht, nach welcher Methode er bei mir die erste Neuner-Probe des Lebens so glücklich aushält. Genug der adelige Fötus wird - sei er ein reichsadeliger, gräflicher oder nur leontischer - außerordentlich, ohne daß er etwas davon weiß oder sich anstrengt, geistig geübt und gestärkt durch seine Mutter,
indem ich keine Kosten schone, damit in der ganzen adeligen Schulpforte kein Spieltisch zu finden ist, kein Tanzsaal, keine französische Küche, kein italienischer Keller und kein Liebhaber (denn ich selber erhöre auf Ehre keine und bleibe exemplarisch schon als Schutzheiliger und heiliger Vater so vieler Embryonen; denn Bildungvorsteher und Adels-Ephori müssen sich hierin viel versagen). Arbeiten müssen sie, die Damen, und fast über ihr Vermögen; denn jede muß wechselnd die andere bedienen und
diese jene, sie muß deren dame datour oder du palais, deren erste Kammerfrau und Wartfrau sein; eine herkulische Arbeit, welche ihnen zugleich einen kleinen Vorschmack von der Hiobischen Geduld ihrer Kammerjungferschaft beibringen kann. In allen Zimmern sind - um auf ihre Phantasien durch schöne einzufließen - die tugendhaftesten und tapfersten Handlungen aus der ganzen Geschichte aufgehangen in guten Kupferstichen, teils in punktierter Manier, teils in geschabter; auch sie selber müssen von
Zeit zu Zeit edle Handlungen malen oder sticken, es sei mit Plattstich oder tambouriert; besonders werden die gemeinen häuslichen Tugenden zu Stickmustern vorgelegt, da der Fötus, den man zu bilden hat, ja ihres Geschlechtes und eine Fötussin sein kann. Alles dergleichen hört natürlich auf, sobald die Dame niedergekommen ist; sie kehrt dann aus der Anstalt an ihre vorigen Nach-, Nacht- und Spieltische zurück und überliefert wie gewöhnlich, aber mit dem frohen Bewußtsein, eine Mutter gewesen zu
sein, ihr Kind den Händen einer ebenso treuen Dienerschaft von der Amme an bis zum Hofmeister ...«
Darauf geht der Plan noch tiefer ins Bestimmte und zeigt, daß es der Ernst des Verfassers ist, nicht einer von den Autor-Scherzen, welche man ihm und er sich täglich abzugewöhnen sucht mit so schlechtem Erfolg.
Der erste November oder Allerheiligentag bringt: Was hat der Staat bei großen Sonnenfinsternissen zu tun?
Diese eigentlich für die Polizeifama
geschriebne Aufsatz stellt einige Dutzend Spitzbuben- und H-Streiche historisch voraus, welche unter einigen zentralen und ringförmigen Finsternissen von den Menschen begangen worden. Die Nacht, nach den Alten sonst die Mutter der Götter, gebiert jetzo im Alter mehr Teufelchen; wie Raubtiere heben in ihr die schwarzen Laster sich aus ihren Höhlen auf, und die giftigen Nachtschatten des Herzens blühen. Aber auch sogar eine allerkürzeste Intermezzo-Nacht ex tempore kann im jetzigen
Kaperjahrhundert der Armut und des Reichtums dem Staate gefährlich werden, wenn eine ringförmige Finsternis den Spitzbuben und H- in Residenzstädten den Ring des Gyges leiht. Bloß in Neapel traf man bisher einige Polizeianstalten gegen die Diebe aus; ein schöner Zug dieses Landes. So dient ordentlich eine Sonnenfinsternis zum Entwerfen von Landkarten sowohl in sittlichem als in geographischem Sinne.
Der Verfasser schlägt daher vor, daß man ordentliche Nachtwächter, so wie Patroullen,
in solchen Durchgang-Nächten anstelle, umso mehr, als darin aus Knauserei der Kammern keine Laternen brennen. Ferner verlangt er, daß man die Sonnenfinsternis einige Stunden vorher ausrufen und ausklingen lasse, damit jeder sich vorsehe; und endlich, daß man geschärfte Strafen auf solche nächtliche Einbrüche setze, welche der Spitzbube wegen der Einschieb-Nacht so gern für tägliche ausgibt durch seinen Verteidiger. So möchte etwan Schandtaten so sehr gesteuert als Ehrentaten vorgearbeitet
werden; denn die jetzigen Menschen sind leicht edel und lieben leicht Staatwohl, sobald man sie mit Person-Weh bedroht, und sie gehen in sich, sobald am Horizonte nur ein Stückchen Rabenstein oder ein halber Polizeikopf sich erhebt; so daß der Rabenstein, wie mehre Ernähr-Anstalten, seinen Namen-Zweck erreicht, wenn er den Raben nichts zu speisen läßt, dadurch daß er die dazu gehörigen Menschen gleichfalls verhindert, sich auch als Raubvögel zu beköstigen.
Noch unbeantwortet von
Juristen ist die Frage des künftigen Aufsatzes: was hat, da sonst Nachtboten doppelten Lohn erhalten, ein Kammerkollegium wohl den Boten Überschuß zu zahlen, welche mitten am Tage in eine Sonnenfinsternis, also in eine Zwergnacht geraten? - Aber die Antworten der Kammerkollegien ist längst da: »Keinen Heller mehr!« -
Zu Deutschlands wahrem Glücke hat es gerade im Jahre 1810 keine Monds- und keine Sonnenfinsternis zu befürchten; und es bekommt dadurch zu seinen jetzigen Ähnlichkeiten
mit dem Planeten Mars eine mehr, welcher in keinem Jahre dergleichen erlebt.
Der 31. Dezember des Jahres 1810 gibt: Mein Erwachen auf dem Sylvester-Ball im Casinosaale.
»Obgleich« - so fängt der Beitrag selber an - »die Toten- und Wiegenfeste der Zeit, die jährlichen Erinnerungen an das irdische Hinunterfliehen, ernster und mit anderer Vorbereitung gefeiert zu werden verdienen als durch einen Vor-Tanz in der letzten Jahres-Nacht und durch einen Nach-Tanz
am ersten Neujahrs-Vor-Morgen und durch elende Abspannung am Neujahrstage: so mache ich es doch wie andere, ich gehe auch auf den Ball im hiesigen Casino-Saal, teils um das Fest mit einem Mitgliede mehr zu schmücken - teils um mich da niederzusetzen und in jenen köstlichen Schlaf zu fallen, welchen allein zweckmäßige Tanzmusiken bescheren - teils um nach 12 Uhr von Trompeterstößen aufzufahren und mich ins allgemeine Küssen zu mischen und einer kurzen halbtrunkenen Lieberklärung der
sonst immer Krieg erklärenden Menschen zuzuschauen und beizutreten. Dies tat ich denn auch in der Sylvesternacht (1810); ich setzte meine Doppellorgnette auf und versank bald hinter ihr (Musik und alles waren erwünscht) in meinen gewöhnlichen Schlaf; ich tue gern hinter Brillen, wie andere vor Nachtlichtern, die Augen zu.
Ich mußte aber träumen, und zwar wie folgt: Ich sei - kam mir vor - niemand anders als der sizilische Prinz Januarius Karl Franz Joseph Johann Baptista Anton
Ferdinand Kaspar Melchior Balthasar Franz de Paula Kajetan Agnello Raimund Pasqual Zeno Julius Johann von Nepomuk. Um mir aber noch mehr Namen zu machen und überhaupt einen langen, stellt ich mich an die Spitze meiner sizilischen Armee und kommandierte gegen die Franzosen. In der linken Hand einen Sturmbalken oder Sprengblock, in der rechten einen Parisien, in allen Taschen Taschenpuffer, an beiden Hüften Hieber, focht ich wie verzweifelt und tat sieben Wunder auf einmal; denn ich stand auf
einem Telegraphen-Turm und kommandierte und focht (die Telegraphen waren meine Adjutanten) so glücklich, daß ich (nach wenigen Generalstürmen auf Generale) den Feind, in einer Entfernung von achtzig Meilen von mir, mit dem Handgemenge meiner Leute schlug und verfolgte; in der Tat ein ganz anderer Sieg, als wenn man den Feind, den man niedermacht, schon vor der Nase hat. Indes machte mich dieses Glück so verwegen, daß ich, sobald ich auf dem fünften Telegraphen erfuhr, mein Heer wende sich um,
und auch das feindliche, und jage meinem nach, daß ich mich, sag ich, ganz vermessen, ohne mich an meine Prinzen-Wichtigkeit zu kehren, und wenig erwägend, wie sehr ein Feldherr mit seiner Unersetzlichkeit zugleich ein ganzes Heer aussetzt und bloßstellt, vom Turme herabbegab und mit fürchterlichen Sommerdegen in den Händen, Kolleradern vor der Stirne, Mauerbrechern an den Seiten, mich mitten ins Schlacht-Gewühl hineinsteuerte und herauswürgte ... Freilich hatte am tollkühnen Traum und Kommando
auch der Tanzsaal Schuld, indem ich die forthopsenden Kolonnen im Schlafe für antrabende Kavallerie-Kolonnen ansehen mußte - das Händeklatschen der Anglaisen für Kleingewehrfeuer, und den ganzen Tanz für Waffentanz ... Plötzlich brachen Tanz und Musik ab, und aus der Stille fuhren Trommetentöne wie schmetternde Leichen auf: - es hatte 12 Uhr geschlagen, und das alte Jahr war vorüber.
Und dadurch mein Schlaf; aber meinen närrischen Traum schleppt ich ins neue hinein: ich sah mich noch
am ersten Januarius als kommandierenden fechtenden Prinzen Januarius Karl Franz u. s. w. an, worin mich das allgemeine Jahres-Getümmel mit Recht bestätigte; denn ich hielt das allgemeine Umarmen für heftiges Kriegbalgen - das Hände-Fassen für Gefangen-Nehmen - das Prost-Neujahr für Feldgeschrei unter der Kriegmusik - die Herren für schwarze Husaren und die Damen für die Partei der weißen Rose, die ich gegen die der roten anzuführen hätte. Noch wachend so keck wie im Schlafe, werf ich mich mitten
ins dickste Gewühl der Schlacht und halte - da an mir nichts bewaffnet war als das Augenpaar - die nächste Weinflasche am Halse als Handgranate und will anführen, anfeuern und feuern ... Wahrlich es waltete ein günstiges Schicksal über den Casino-Saal, daß mich in dieser Stimmung und mit meiner Handgranate in der Hand (auch im Kopfe hatt ich Granaten) kein schwarzer Husar zu hetzen versuchte - ich möchte als Mars ihn ungewöhnlich umhalset haben -, sondern daß eine weißgekleidete schöne Freundin,
schon dem Tauf-Namen nach zur Rosenpartei und mir gehörig, mit ihren Händchen die meinigen zu umarmen suchte. Dies brachte mich auf einmal ins Wachen und ins neue Jahr zurück, und ich holte, so unversehens aus dem Kriege mitten in den süßen Frieden geschwungen, feurig und freudig jeden Kuß und Handdruck der Liebe-Feier nach. Sogar einigen von gutem Adel, welche ich vier Jahre lange nicht wohl ausstehen konnte, drückt ich im neuen Händchen und Faust.
Die Zeit und die Musik erhoben
jeden über den gemeinen Boden der Verhältnisse. Die Worte löseten sich so leicht und frei aus der Brust wie die Töne sich von den schweren Instrumenten los. Der kurze Rausch der Liebefeier, der Anblick einer einigen und seligen Gesellschaft gab mir den Wunsch und das Gemälde eines jubelnden Volkes anderer Zeit; und ich dachte, wenn schon der Haß Menschenmassen zur Begeisterung auf einem Schlachtfelde verknüpft, wie erst Liebe und Glück sie zu größerer in einem Lustlager und
Lustwalde! Aber freilich bis hieher haben leichter die Völker gemeinschaftlich gefeuert als gefeiert.
Ich machte mir daher alle fremden Entzückungen zunutze, d. h. zu meiner eignen, und gewann mehr dabei als Schlachten; ohne Tränen legt ich meinen sizilischen Zepter und Kommandostab nieder gegen einen Fächer, den ich so lange einstecken mußte, als das liebe Mädchen tanzte. Damit mir aber nicht der gemeine, meistens in der Nachmitternacht verwildernde Tanz jetzo wieder den Kriegtanz
vorspiegelte und die Quadrillen die Quarrées: so ging ich davon und begab mich draußen - so weit die Augen gehen konnten - in den reinen frischen Sternenhimmel, in welchen ich in der Neujahrnacht am liebsten schaue, gleichsam in das weitoffne Prachttor des ewigen erleuchteten Weltgebäudes. Der schwüle West hatte sich seit 12 Uhr, wie die Winde in den beiden Wende-Zirkeln des Tages tun, in einen frischen Morgenwind verkehrt, der wie ein Atem der Aurora verjüngte und erfrischte. Von weitem hört
ich die Töne wie Echos nach, und die weißgekleideten Jungfrauen wurden glänzend und zu fernen Sternbildern, und ich war mit mir und den Menschen ein wenig zufrieden. Bekommt nur (wünscht ich noch auf der Gasse) die längere Freude nicht bloß, wie heute, in einer langen Nacht, sondern auch an langen Tagen; genießt als eure Selbst-Friedensfürsten den Frieden des künftigen Jahres recht aus, in welches nicht einmal für uns Mond- und Sonnenfinsternisse einfallen, ordentlich unser Glück vorbildend;
denn der größte Erdschatten, den unser Weltkügelchen in den Himmel wirft, ist der Krieg. Dies wünsch ich euch zum neuen Jahre 1811.« - -
Dies sind die schwachen Weinproben von den Aufsätzen, welche der Verfasser im Jahre 1810 liefern wird, nur den vorigen zwölften ausgenommen, da dieser schon vollständig hier steht und man daran statt bloßer Vorschmäcke schon Geschmack findet. Auch brauchen wir, beim Himmel! vor der Hand erst Wünsche für das nächste 1810; wie denn der
Aufsatz selber in seltsamer Verwechslung beider Jahre nur für das nächste passend etwas anwünscht. Und wer hat denn noch von uns den Sylvesterball von 10 erlebt? ja wer nur den von 09? Nicht einmal der Verfasser selber, weil er wie gewöhnlich alles schon vor dem Abdrucke niederschreibt. Bis zum Ausgeben des Morgenblattes aber kann gegenwärtiger Verfasser dahin sein - oder mehr als ein Abonnent - oder der Setzer - oder der Zensor - so daß wir sämtlich dort droben am Sylvesterabend schon bessere
Sachen schreiben - oder kaufen - oder setzen - oder ausstreichen, als die vom Endes-Unterzeichneten je gewesen.