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Kapitelübersicht

Vorrede | I. Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus | II. Sedez-Aufsätze | III. Frage über das Entstehen der ersten Pflanzen, Tiere und Menschen | IV. Warum sind keine frohen Erinnerungen so schön als die aus der ... | V. Sedez-Aufsätze | Die Frage im Traum, und die Antwort im Wachen | VII. Bruchstücke aus der »Kunst, stets heiter zu sein« | VIII. Bemerkungen über den Menschen | IX. Programm der Feste oder Aufsätze, welche der Verfasser in jedem ... | X. Des Gehurtshelfers Walther Vierneissel Nachtgedanken über seine ... | XI. Blick in die Traumwelt |

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Jean Paul

Museum

XI. Blick in die Traumwelt

eingestellt: 24.7.2007



Wenn der Traum zuweilen das Wachen auslegt, ja weissagt, so sollte dieses noch leichter jenen zu erklären und zu erhellen vermögen; aber leider ist die ganze Traumwelt in eine Dämmerung eingebauet, durch welche das vom Tage geblendete Auge nicht in sie hineinschauen kann. Seltsam genug ists, daß den Menschen gerade die Hälfte seines Lebens, wie die der Mondkugel, abgekehrt und zugedeckt begleitet.

Aber wie sollten wir tiefer in die Natur der Träume blicken, da jeder nur seine eigenen prophetischen kennt und untersucht! Würde uns nicht ein anderes Physiologisches und psychologisches Licht darüber brennen, wenn wir mehre Arten von Träumen, die der Kinder, der Jünglinge, der Greise, der Geschlechter, der Menschenarten, zu vergleichen bekämen? Wahrlich mancher Kopf würde uns mehr mit seinen Träumen als mit seinem Denken belehren, mancher Dichter mehr mit seinen wirklichen Träumen als mit seinen gedichteten ergötzen, so wie der seichteste Kopf, sobald er in eine Irrenanstalt gebracht ist, eine Prophetenschule für den Weltweisen sein kann.

Was jedoch am meisten der rechten Erklärung des Traums im Wege stand, war eine schon alte. Nämlich nach den Seelenlehren (nach Platner u. a.) ist der Traum eine Reihe von bloßen Vorstellungen unter welchen die sinnlichen uns darum nicht als Abbilder, sondern als Urbilder der äußeren Gegenstände erscheinen können, weil sie, in dem von der Sinnensperre ausgeleerten Raume als die einzigen dastehend, keine wahren äußern Gegenstände und kein äußeres Ort- und Zeitverhältnis zum Vergleichen antreffen und in dieser Sinnennacht, unverdunkelt, sich selber erleuchten.

Schon vor Jahren macht ich gegen dieses Unerklären Einwendungen; jetzo kann ich sie in eine einzige sieghafte durch den Beweis vereinigen, daß wir eine ganze Klasse unserer Vorstellungen, wenn nicht zu bemerken, doch scharf zu bezeichnen und abzusondern vergessen haben. Denn man erwäge nur die einfache Tatsache: im Traume halt ich mit einem vor mir da stehenden Menschen, der nach der gewöhnlichen Traum-Erklärung nichts ist als eine Vorstellung, ein Gespräch über einen abwesenden Menschen, welcher noch mehr gleichfalls nur eine Vorstellung ist; was bringt nun in beide Vorstellungen den Unterschied der Sichtbarkeit und der Abwesenheit, den Unterschied der Einwirkung des gegenwärtigen Mannes und der Unwirksamkeit des abwesenden? Der Raum, in welchen man die gegenwärtige Person hineinträumt, erklärt nichts; denn die abwesende wird auch in einem, obwohl entfernten vorgestellt. - Oder: da der Träumer Vergangenheit und Zukunft scharf von Gegenwart, wie der Wache, auseinanderhält: wodurch tut ers denn, wenn alles nur Vorstellen ist, da dieses, als solches, in der Abgeschiedenheit von äußern Merkmalen nur reine Gegenwart ist? Warum und woran unterscheiden wir im Traume geträumte Erinnerungen von geträumter Wirklichkeit? - So vernehm ich ferner im Traume die fremden Worte, meine eigenen und doch auch meine Vorstellungen, welche meinen lauten Worten erzeugend vorangehen müssen, und welche ich von diesen doch durch etwas unterscheiden muß. Endlich mit welcher Lebhaftigkeit sucht und folglich denkt der Träumer zuweilen einen Gegenstand, ohne ihn gleichwohl zu finden! - Nach der alten Erklärung hieße dies: wie lebhaft stellt man sich oft einen Gegenstand vor, ohne ihn doch sich lebhaft vorstellen zu können!

Aber es gibt eben nach den Empfindungen und den Vorstellungen noch ein Drittes.

§ 2
Unterschied der Empfindbilder von den Vorstellbildern



Unter einem Gegenstande und unter der Empfindung desselben ist für uns kein Unterschied; denn was sonst als wieder eine neue Empfindung könnte eine alte von dem Gegenstande absondern? was aber nur hieße, Empfindung nicht dem Gegenstande, sondern nur der Empfindung entgegensetzen. - Von diesen Empfindungen bleiben nun dem Geiste zwei sehr verschiedene Bilder (nicht Nachbilder), erstlich die Vorstellungen davon, die man auch Vorstellbilder nennen kann, und die Traumbilder, die ich lieber Empfindbilder nenne.

Die Vorstellungen sind aber mit ihrer Dürftigkeit der Farbe und des Umrisses in Vergleichung mit den Empfindbildern noch gar nicht tief genug herunter gestellt. Stelle dir irgendeinen alten Bekannten vor: wie fließet das Bild ohne Innenhalten auf und ab, ohne klare Farbe, ohne abgeschnittenen Umriß, kurz, wie ist es, gegen das Spiegelbild des Traums, nicht etwan ein fester Kupferstich, sondern ein durchsichtiger Schattenriß, ein wallendes Bild im bewegten Wasser! Ist dagegen nicht das Empfindbild von demselben Freund im Traume ein wahres, in allen Teilen festes und reines Wachsbild? Schließe doch der Leser jetzo vor der eben ihm vorliegenden Blattseite das Auge, und betracht er das matte Bild, das er von ihr nachsucht im Kopfe; oder er stelle sich hinter dem Augenlide die Landschaft um seinen Wohnort vor: welches Schattengewimmel zerrinnender, farbloser, durchsichtiger, schwankender Gestalten in Vergleich mit der festen lichten Wirklichkeit und der farbigen Traumwelt! Gleichwohl war bisher nur vom klarsten Sinne, dem Auge, die Rede. Je tiefer aber die Sinne einsteigen, desto dunkler werden sie nachgespiegelt. Mache dir die Vorstellung von nur einem Tone, nicht einmal einer Tonreihe, wenn du kein Tonkünstler bist; und siehe dann zu oder höre zu, ob du dir nicht den Ton bloß im fernsten Pianissimo und am Ende bloß durch optische Umgebung, ja Verwechslung erneuerst. Diese stummen Vorstellbilder der Töne vergleiche dann mit den leisen Empfindbildern derselben, welche dir aus einer langen Musiknacht bis auf das Kopfkissen, ja bis in den müden Morgen hinein, nachfliegen: welcher Unterschied!

Endlich weiter hinab in der Tierklasse der Sinne, in den Gerüchen, Geschmäcken, Gefühlen, stellen die Vorstellbilder davon so wenig Entschiedenes und so viel Verschwommenes dar, daß, sogar zwischen Entgegensetzungen, zwischen Wohl- und Schlechtgerüchen, salzigen und lieblichen Geschmäcken und heißen und frostigen Gefühlen kaum ein Unterschied kräftig vortritt, geschweige zwischen den Abstufungen der nämlichen Reihe.

Und dies ist eben recht gut. Denn wie würden die Schwelger der Zunge und des Gefühls, tief von den Weiden der Herden herabgesunken, in Sümpfen grasen, wenn sie ihre Genüsse mit stärkerem Nachgeschmacke wiederkäuen und die Pausen der äußern Wollüste mit innern füllen könnten; zum Glücke wärmen, außer den Vorstellungen, sogar die Traum- und Empfindbilder jene tiefere Sinnen kälter auf; ein geträumter Geruch, Geschmack, Schlag, Reiz, wie neblich und leer bleiben sie, wenn nicht ein körperlicher Außenstrahl selber in den kalten Nebel zückt und blitzt!

Weniger groß erscheint der Unterschied, daß die Vorstellung ihren sinnlichen Gegenstand in einer unbestimmten dunkeln Ferne ohne bestimmte Raum-Ausfüllung sieht, indes die Empfindbilder des Traums in der Nähe, in scharf ausgedrückter Nachbarschaft und in vollendet-ausgeführtem Umkreise dastehen. Vor dem Einschlafen hängt jedes Empfindbild dicht vor dir; jetzo im Wachen stelle dir die nächste Sache vor, sie wird wie von einem Hohlspiegel weit ins Tiefe entrückt und einsam aus dem Finstern gespiegelt. Auch verkürzt oder wenigstens durchläuft nur die Vorstellung sinnliche Gebirgketten, die der Traum in einem Halbzirkel umher bauet; welcher Unterschied zwischen einer gelesenen, vorgestellten oder erinnerten Landschaft und zwischen einer geträumten! und zwar so sehr, daß wieder die Vorstellung von einer geträumten nicht viel farbloser ausfällt als die von einer durchwanderten.

Nirgend erscheint aber so sehr, wie weit Vorstellbilder auseinander gehen von Empfindbildern, als im Dichter. Wie färben, erhellen, gestalten sich ihm mitten im treibenden und anleuchtenden Feuer aller Kräfte nicht alle Vorstellbilder von Menschen und Landschaften, und zwar ihm gewiß noch farbiger und geründeter als seinen Lesern! Aber wird ihm oder diesen je sein lebendigstes Vorstellbild zu einem vor ihm schwebenden Empfindbilde, sein Bilderkabinett der Phantasie zu einem Wachsfigurenkabinett des Traums? Und haben seine in einem fernen Mondscheine liegenden Landschaften das frische Saftgrün und die plastische Breite und Länge geträumter Landschaften? -

Noch weniger erhalten wir Leser durch die allmählich zusammenlötende Wörtermusaik des Dichters eine dichte Anschauung; wir glauben durch ihn die Gegenstände zu empfangen und zu schauen, indem er uns blos die Empfindungen zu genießen gibt, welche ihnen folgen. Die Ätherwelt des Dichters muß sich erst verdichten zur Wolkenwelt des Traums; in jener sind wir Schöpfer, in dieser Bewohner; jene schwebt uns als ferne Vergangenheit und Zukunft hoch oben, diese umfließt uns mit Gegenwart.

Wenn Raffael in einem bekannten Briefe eine Idee für die Juno und Eva oder Götter- und Menschenmutter seiner hohen Gestalten erklärt: so kann er damit nicht eine flache zusammengebettelte oder auch dichterische Vorstellung gemeint haben; denn aus bloßen Gliedern der Schönheit bauet man keine Ideale, weil man schon das vollendete Urbild gesehen haben muß, nach welchem man die entlehnten Glieder zusammenfügt zu einem Nachbilde. Aber diese urbildliche Schönheit hat eben der Götterjüngling einmal - mehr braucht es nicht - wirklich gesehen, nämlich als ein Empfindbild, es sei in einem Traume, oder vor dem Einschlafen, oder in irgendeiner andern Rauschminute, welche, wie wir im nächsten Paragraphen sehen werden, die verschiedenen Empfindbilder blitzend schafft und zeugt; von diesem Empfindbilde behielt Raffael nun, wie wir aus unsern Träumen, die Vorstellung oder das Vorstellbild, und aus dem Schattenriß dieses Polyklet-Kanons suchte er das Götterbild wieder herzustellen. Sogar der Verfasser dieses, dessen Anlagen und Triebe am weitesten von allen malerischen abliegen, wurde oft in Träumen von Gesichtern und besonders von Augen angeschauet, deren Himmelreize er nie auf dem tiefen Erdboden der Wirklichkeit gesehen, und von welchen ihm nun das Vorstellbild fest bleibt.

Der Traum schafft, so wie im Gräßlichen, so im Schönen, weit über die Erfahrungen, ja über die Zusammensetzungen derselben hinaus und gebiert uns Himmel, Hölle und Erde zugleich.

Der tiefe Stand auch der lebhaftesten Vorstellungen unter auch nur gewöhnlichen Empfindbildern zeigt sich uns in den immer wachen Wahnsinnigen, vor welchen ihre fortbrennenden Wahngedanken sich niemal zu Traum- oder zu Außenbildern verdichten. Ja die quälende oder sehnsüchtige Vorstellung von einem Verstorbenen stellt doch dem Furchtsamen oder dem Weinenden kein Empfindbild von ihm in das Außen.

Der letzte Unterschied zwischen Vorstellung und Empfindbild ist der, daß du zwar nach Willkür eine bestimmte Reihe Vorstellungen kannst vorüberziehen heißen, daß du aber nicht vermagst, das Aufsteigen bestimmter Empfindbilder aus dem dunkeln Geister-Abgrunde zu befehlen oder zu verwehren, und daß du höchstens in gewissen körperlichen Begünstigungen, bei langer Schlafentziehung oder bei Erhitzung durch Trunkenheit und Fieber, im Stande bist, Gestalten, aber unbekannte, vor dir emporfahren zu lassen, von welchen du nicht weißt, ob sie dich erschrecken oder erfreuen werden.

Noch sind wir nicht am Ende; denn wir haben vorher die Stufenfolge der Empfindbilder zu verfolgen, um dann die Erklärung ihrer und der Träume zu gewinnen.

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