Frei Lesen: Museum

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | I. Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus | II. Sedez-Aufsätze | III. Frage über das Entstehen der ersten Pflanzen, Tiere und Menschen | IV. Warum sind keine frohen Erinnerungen so schön als die aus der ... | V. Sedez-Aufsätze | Die Frage im Traum, und die Antwort im Wachen | VII. Bruchstücke aus der »Kunst, stets heiter zu sein« | VIII. Bemerkungen über den Menschen | IX. Programm der Feste oder Aufsätze, welche der Verfasser in jedem ... | X. Des Gehurtshelfers Walther Vierneissel Nachtgedanken über seine ... | XI. Blick in die Traumwelt |

Weitere Werke von Jean Paul

Der Jubelsenior | Der Komet | Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf | Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin | Über die deutschen Doppelwörter |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Museum) ausdrucken 'Museum' als PDF herunterladen

Jean Paul

Museum

II. Sedez-Aufsätze

eingestellt: 24.7.2007



Alle Folianten sollten vor und für Methusalem geschrieben sein. Man hat jetzo keine Zeit mehr, lange Werke zu lesen, seitdem es zu viele kurze gibt. Die Werkchen verdrängen und ersetzen die Werke. Die Geschichte allein hat das Recht, gar nicht aufzuhören.

Wird man vollends vorgelesen, wie abwesendes neues Ehren-Mitglied Ihres Museums, so benehme man sich kurz; der Leser verträgt mehr Weile und Langeweile als der Zuhörer; auch macht jener leichter das Buch zu als dieser das Ohr.

Daher - und weil überhaupt, wie am Leibe, Ausdehnen der Glieder und Gähnen immer reimend beisammen sind - und weil abgerissene Gedanken einen kleinern Anspruch an Aufmerksamkeit machen, da man, so viele man davon will, überhören kann, ohne die übrigen weniger zu verstehen - darum hat das neue Mitglied folgende Sedez-Aufsätze gewählt:

 
Öffentliche Gebäude



Lykurg (s. Plutarch im Lyk.) verlegte alle beratschlagende Versammlungen aus den öffentlichen Gebäuden ins Freie hinaus, damit nicht diese jene mit ihren Bildern und Statuen störten und zerstreueten. In diesem Punkte haben mehre deutsche Städte besser für sich gesorgt, indem sie aus ihren Rat- und andern Sessionstuben so glücklich alle Kunst bis sogar auf den Geschmack ausgeschlossen, daß man darin ohne die geringste Zerstreuung stimmt. Die vier Wände setzen ihren Areopag schon in die nötige Finsternis, so wie Vögel so lange verhangen werden, bis sie ihre Melodie pfeifen gelernt.

 
Die Kunst



Die Kunst ist zwar nicht das Brot, aber der Wein des Lebens. Sie unter dem Vorwande der Nützlichkeit verschmähen, indes sie doch die grobe durch die zärtere erstattet, heißt dem Domitian gleichen, welcher die Weinstöcke auszurotten befahl, um den Ackerbau zu befördern. Gesegnet sei jeder Fürst, der die Freskogemälde ablöset von ihrer Mauer; denn er ist unähnlich jedem Fürsten, der die Mauer vom Gemälde, den Nutzen von der Kunst abtrennt und selig die nackte Mauer allein nach Haus fährt.

 
Das Publikum



Der Leser scherzt vielleicht so sehr mit dem Schriftsteller als dieser mit ihm. Es wolle nämlich einmal ein Autor sein Werk recht für den Geschmack des Lesers zuschneiden, und er arbeite und nähe daran 10 Jahre ganz eifrig: so findet er, wenn ers endlich bringt, einen andern Mann oder Leser dastehen, als der gewesen, von dem er das Maß genommen. Ähnlich sprang Joseph Clark mit seinem Schneider um. Er hatte die seltenste Gabe, an seinem Leibe jeder Verwachsung nachzuspielen und sich in jede einzuschießen; brachte nun der Schneidermeister den Rock, den er irgendeiner Verwachsung desselben angemessen und, wie er hoffte, recht gut angepaßt hatte, froh unter dem Arm getragen: so fand er einen ganz neuen Verwachsenen zum Anprobieren vor sich, kein Rockschoß und Ärmel wollte stehen, und der Meister wußte nicht, was er machen sollte aus der Sache und aus dem Rock.

 
Deutschland



Je älter die deutschen Ritterschlösser, desto weniger Fenster und desto mehr Schießscharten haben sie. Deutschland hatt es bisher umgekehrt und mehr Licht als Feuer gegeben.

 
Erziehung



Alles der kräftigen Jugend recht leicht machen, heißt darauf sinnen, recht leichte Anker zu schmieden. Hingegen dem ermatteten Alter werde alles so leicht wie die Schwimmfeder einer Angel gemacht.

 
Rat an einen neuesten Sonettisten



Der Verfasser dieses munterte den Sonettisten zu Werken auf, welche durchaus dem ganzen Publikum, auch dem verehrten Museum gefallen werden. »Bekanntlich« - sagte er zu ihm -»schrieb Brockes ein Gedicht von 70 Versen ohne ein R; - und doch warum führ ich Ihnen dieses an, da ja der Neapolitaner Vincentius Cardone im 17ten Jahrhunderte, der selber kein R aussprechen konnte, unter dem Titel LR sbandita gar ein Gedicht über die Liebe von etlichen tausend Versen geschrieben, worin kein einziges R vorkam? - Diese Parteilichkeit wider einen Schnarr- und Hundbuchstaben, der meinen Namen beginnt und beschließt, ist überhaupt einfältig. Aber, Sonettist, könnten Sie, der Sie in Ihren Sonetten die größten Lasten des Versbaues leicht bewegen und besiegen, nicht jenes Cardonesche Verdienst um 23 mal übertreffen, wenn Sie (was Sie gewiß können) nur Gedichte lieferten, worin außer dem R noch die übrigen 23 Buchstaben geschickt vermieden wären? Ein solches Verdienst um die deutsche Dichtkunst wäre desto größer, je unerkannter es bliebe.« -

 
Die Bildungen von außen und die von innen



Unter den auf dem Bildungwege hintereinander schreitenden Völkern geht stets eines an der Spitze, dem sich die andern in Abstufungen nacharbeiten. Aber jedes nachkommende Volk, das sich die Selbstverbesserung des ersten einverleibt, bekommt diese gewaltsamer und schneller, weil sie ihm nicht, wie jenem, von innen, also aus einem langsamen Zubereiten erwachsen. So müssen einem Heere die letzten Abteilungen desselben am schnellsten nachziehen.

 
Volkbildung



Kinder und Völker müssen dem Ulysses nicht bloß im Talente, beredt und klug zu sein, sondern auch im Vermögen, Ulysses-Bogen zu spannen, nachgebildet werden.

 
Preis der Kunst



Gesetze, Zeiten, Völker überleben sich mit ihren Werken; nur die Sternbilder der Kunst schimmern in alter Unvergänglichkeit über den Kirchhöfen der Zeit.

 
Der langsame Wagen und die langsame Menschheit



Es gibt, könnte man behaupten, einen Wagen, der noch langsamer fährt als ein Postwagen oder ein Lastwagen oder ein Staatwagen oder ein Leichenwagen, - nämlich der gestirnte Wagen am Himmel; denn er steht seit Jahrtausenden gar fest, was wohl der geringste Grad von Schnelle ist. Ebenso langsam, könnte man fortfahren, rückt Glück und Licht der Menschheit weiter; denn es rückt nie. Aber fliege nur hinauf, näher ans Wagengestirn, so siehst du dessen Sonnen fliegen, und die ferne Erde wird ihm nur träger nachgezogen, und sie weiß von nichts.

 
Die Tonkunst



Chladni bauet mit Tönen Gestalten aus Steinchen, Amphion aus Steinen, Orpheus aus Felsen, der Tongenius aus Menschenherzen; und so bauet die Harmonie die Welt.

 
Bewegliche Handelhäuser



Sonst zählten Deutsche auch die Häuser unter die beweglichen Güter, aber durch das römische Recht wurden sie um diese leichte Ansicht gebracht. Erst später oder jetzt muß es durch die glücklichsten Zufälle sich fügen, daß wir wieder zum altdeutschen Gesetze zurück dürfen und können, so daß jetzo nicht bloß die gemeinen leichten Häuser, sondern auch die gewichtigen Handelhäuser bewegliche Güter, ja fliegende geworden, und jeder Kredit zugleich mit jedem Heere mobil, und daß ein Bankerutt im Kriege ein Erdbeben ist, das ein massives Haus mehr versetzt als verschlingt.

 
Zweierlei Anker



Es gibt einen Flut-Anker und einen Ebbe-Anker; jener halte die Jugend, dieser das Alter.

 
Verschiedenheit des Zanks



Die kalten Worte, welche in die Liebe oder Freundschaft fallen, sind Frühlingschnee, welcher bald zu glänzendem Tau einschmilzt; die kalten Worte, die der Haß hagelt, sind herbstlicher Schnee, welcher den hohen winterlichen verkündigt.

 
Dreiklang



Das Leben - das Sterben - die Unsterblichkeit: diese drei bilden den Dreiklang der menschlichen Endlichkeit.

 
Zwei Träume



Mir träumte: ich nahm einem Lande voll Reichtum, voll Menschen und voll Sonnenschein den weisen Fürsten, der zugleich ein guter war: da erlags. - Mir träumte wieder: ich gab einem erlegenen, welken Lande voll Wüste, Dürftigkeit und Klage diesen weisen und guten Fürsten: da erstands. - Endlich erwacht ich und sah umher, aber zum Glücke war der weise und gute Fürst keinem Lande entnommen; er herrschte über Glückliche und Unglückliche zugleich und verwandelte niemand als diese in jene.

 
Herder und Schiller



Zu Wundärzten wollten beide in der Jugend sich bilden. Aber das Schicksal sagte: »Nein! Es gibt tiefere Wunden als die Wunden des Leibes - heilet die tiefern!« - und beide schrieben.

 
Schutzwehr der Jungfrau



Zeigt ihr statt fremder Sünden bloß den eigenen Wert und erwärmet und befruchtet alles Reine und Himmlische in der jungfräulichen Natur zur paradiesischen Blüte: dann ist sie beschirmt genug vor der Entheiligung. Ihr vergiftet sie aber früher als der Feind selber, wenn ihr die reine Unbefangenheit durch hellgemalte Warnungen und Bilder der Feinde verscheucht und die Unschuld hinter kokette Sicherheitregeln verschanzt. So wird der junge zarte Baum bedornet und gesichert gegen die Zähne hungriger Tiere im Winter; aber die Dornen zerstechen die weiche Rinde und zerstören das Bäumchen.

  • Seite:
  • 1
  • 2
< I. Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus
III. Frage über das Entstehen der ersten Pflanzen, Tiere und Menschen >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.