Jean Paul
Museum
VII. Bruchstücke aus der »Kunst, stets heiter zu sein«
eingestellt: 24.7.2007
Überschmerz ist Selbmord des Herzens, und wie man in Schlesien den Selbmörder mit dem Gesicht gegen die Erde gewandt begräbt: so liegt der Über-Traurige ebenso mit dem Gesichte, das er gegen den verlornen, gegenwärtigen und künftigen Himmel erheben sollte, auf die Erde gekehrt, ohne doch in ihr zu sein. Richte dich auf, blick umher und schaue etwas Höheres und Heiterers als Erde, Erdwürmer und Erdenschwarz. Nicht Genießen, sondern Heiterkeit ist
unsere Pflicht und sei unser Ziel. In einer Seele voll Unmut und Verdruß erstickt die dumpfe schwere Luft alle geistigen Blüten und den sittlichen Wuchs. Der süßen Wehmut, dem Mitschmerze öffne sich das Herz, aber nicht dem kalten Mißmut und dem Niedergeschlagensein, so wie die Blume zwar vor dem Tau offen bleibt, sich aber vor dem Regen zuschließt. Das Übelsein ist so wenig und das Wohlsein so sehr unserer Natur zugehörig, daß wir bei gleichem Grade der Täuschung nur die Täuschung, welche
gepeinigt, nicht die, welche erfreuet hatte, bereuen.
2.
Erfrischender wirken große Beraubungen als große Freudengaben nach - so wie umgekehrt kleine Leiden mehr entkräften als kleine Freuden verstärken -; denn nach dem Sonnenstiche der Entzückung sind die Herzkammern allen unsern Feinden aufgetan, indes der Überschmerz sie leicht den Freunden öffnet. Aber das Glück des Lebens besteht wie der Tag nicht in einzelnen Blitzen, sondern in einer stäten milden Heiterkeit; das Herz lebt in diesem ruhigen gleichen Lichte, und wär es nur Mondlicht oder Dämmern, seine schönere Zeit. Nur kann uns diese himmlische Heiterkeit und Unbetrübnis bloß der Geist bescheren, nicht das Glück, das nur stoßweise gibt wie raubt; und wir spüren immer den Stoß des Schicksals, gleichviel ob er uns in den Himmel oder in die Hölle werfe.
3.
Aber auf welche Weise vermag dies der Mensch? Nicht durch Anpflanzen der Freuden, sondern durch Entwurzeln und Abhalten der Schmerzen, worauf der unkrautlose Boden von selber süße Früchte trägt; also nicht dadurch, daß er sich Freuden schafft, und daß er sich Himmel über Himmel bauet, welche oft eine einzige Wolke alle bedeckt, sondern daß er den Schmerzen die Furienmasken abzieht und ihr alltägliches Schauspielergesicht aufdeckt und anschauet. Hat er nur einmal diese entlarvt, d. h. besiegt, so hat er schon den Gartenschlüssel zum Eden; denn es bleibt bei ihm, noch alle Segnungen des Schicksals und der Pflicht gar nicht eingerechnet, zuerst das stille milde Erfreuen über das Sein, das in dieser Freiheit von Schmerzen und Freuden sogar sich stärker offenbaren kann; ein Freuen, welches, obwohl auf tieferer Stufe, schon der Wilde in der Hütte, der Morgenländer unter dem Baumschatten und der Landmann auf der Haustürbank dadurch genießt, daß er, ohne etwas zu tun oder zu bekommen, ruhig hingelagert sich und die Welt schauet und fühlt; welches milde Gefühl, zu sein, nicht nur der Schmerz, auch die Entzückung unterbricht. Denn als ein fortwährendes Gefühl ist es eben darum ein schwächeres. Wir haben also ein fortbleibendes (perennierendes) Vergißmeinnicht der Freude, aber kein ähnliches der Pein. Und so ist der blaue Himmel größer als jedes Gewölk darin, und dauerhafter dazu.
4.
Und wie sind nun die Leiden zu besiegen? Alle sind geistige; sogar das körperliche wird, da es nur in der Zeit, also nur in Augenblicken stechen kann, zu einem geistigen, indem wir die Stiche, wovon wir einzeln jeden tiefsten ertrügen, aus Vergangenheit und Zukunft zusammen rechnend sammeln und so die Strahlen zum Brennpunkte verdichtet auf uns einäschernd richten. Da nun das geistige Leiden nur von Vorstellungen entsteht, so muß es auch, wenn diese durch andere aufgehoben sind, von selber wegfallen. Nicht die Allmacht der Religion, noch die Macht eines großen Ziels, unter dessen Verfolgen der Mensch so wenig wie der Krieger in der Schlacht die Wunden fühlt, werde hier in Anspruch genommen, sondern etwas, das jeder den ganzen Tag auf sich herumträgt, der Kopf. Das nächste Heilmittel gegen verwundende Vorstellungen ist bloß diese: alles, was dich trifft, hat dich getroffen und ist also schon vergangen, ehe du zu klagen nur anfingst. Nun ist aber die Trauer über eine Vergangenheit, d. h. über eine Unabänderlichkeit, welche dieselbe bleibt, ob sie eine Stunde oder ein Menschenalter alt ist, weiter nichts als ein Wehklagen über das Dasein eines Winters, Todes oder Jahrhunderts. Halte dir es einmal recht wacker vor das Auge, daß der Schmerz über eine minuten-alte Vergangenheit gerade so töricht ist wie einer über eine dreißigjährige. Die Unabänderlichkeit bleibt dieselbe, ob der Verlust eine Minute oder ein Jahrzehend hinter dir ist, wiewohl du, wie ein Mönch dich geiselnd, den kleinsten jüngsten Verlust schwerer zu tragen findest als den größten ältesten. Ebensogut könntest du dich ärgern und beklagen, daß du nicht Gott selber geworden, als welcher du dann mehr Freuden genossen haben würdest, als du nur an deine sämtlichen Endlichen hättest verteilen können.
5.
Seltsam genug halten wir oft die eine Unabänderlichkeit für unbiegsam und bleiben vergnügt; und eine andere für biegsam und werden wild, wir ertragen z. B. ohne Murren einen ganzen Winter, aber nicht einen Maifrost. Wir halten das Schalttägige in der Natur für willkürlicher als das Alltägliche, als ob die Unabänderlichkeit nicht dieselbe wäre. So ist die physische Empfindung dieselbe, wenn man im Regen eine Stunde lang spazieren geht, und wenn man im Regen vor einer versperrten Haustüre eine Stunde warten muß; - und die Unabänderlichkeit ist auch dieselbe -; aber man halte nun gegen diese Gleichheit des Äußern die Ungleichheit des Innern, das dort schweigt und schwelgt, und das hier tobt und brennt. Dies entsteht aus vier Täuschungen. Erstlich aus einem schlaffen Wohlbehagen am Gefühle, gekränkt zu sein, aus einer Mattigkeit, in welcher der Mensch ungern mitten im Schmerze sich zur Kraft der Klarheit und Ansicht anspannt; er will am Unglück doch etwas genießen, das leidende Hingegebensein. Er weiß, er könnte sich trösten und den Hagel des Schicksals in seinen Händen schmelzen, aber er will sich nicht erkälten, so wie er mitten im Zorne sich künftiges Verzeihen weissagt, aber den Verlust des zürnenden Kraft-Gefühls und die Mühe der Selbbezwingung und Selb-Erhellung scheuet; er will trostfaul und denkmüßig nicht sein eignet Arzt sein, sondern auf einen fremden liegend warten; er will, nur das Glück soll ihn aufrufen und aufreizen, nicht das Unglück. Er hat aber sehr Unrecht, der Mensch. So treibt er, indem er nicht die Vorstellungen gegen die Gefühle, sondern umgekehrt für diese und also das Denken für das Leiden anwirbt, sich den Pfeil des Zufalls bis auf die Knochenhaut hinein.
Die zweite Täuschung ist, daß wir fremde Freiheit nicht für Notwendigkeit in Rücksicht unserer halten, weil wir fremde mit eigner verwechseln; als ob der freie Wille des andern mehr in unserer Gewalt stände als die gejagte Wolke über uns. Sogar der eigne Wille ist, insofern er geschehen, zur Unabänderlichkeit geworden, und an dem vergangnen ist nichts mehr zu bereuen, sondern nur am künftigen zu bessern. Eigentlich haben wir unbewußt die Reue und Qual nur über den noch fortlebenden Wurmstock des Unmoralischen in uns, ob wir gleich auch diesen mit einem Tritte tapfern Entschlusses zerknirschen könnten. Was unsern Schmerz über fremde Unsittlichkeit anlangt, so gilt noch das Vorige: eine seit einer Minute verübte ist für die Ewigkeit versteinert, und wir können an dieser Versteinerung so wenig verrücken als an den vorsündflutigen (antediluvianischen) Sünden, oder wir müßten uns, scharf genommen, ebensogut über die Adame, Even, Kaine und Nimrods rückwärts betrüben als über die neuesten noch vorwärts.
Eine dritte Täuschung ist: der Mensch steckt voll lauter täuschender Erwartungen und Hoffnungen, wie voll geistiger Eingeweidewürmer; jede davon zeugt in einigen Minuten eine größere; morgen erzeugen sich wieder andere, übermorgen ganz andere. Jeden Tag sticht er sich eine neue Himmelkarte seines künftigen Himmels, und »darnach«, sagt er, »sollen sich Erd- und Himmelkörper richten, oder ich will kein ehrlicher Mann sein.« Und letztes hält er auch oft. Diese bewegliche Veränderlichkeit seiner freien Natur mutet er nun der starren Festigkeit des toten zu und erwartet, daß die eiserne sich der wächsernen nachbiege. Trifft freilich zufällig sein innerer Wechsel mit dem äußern zusammen, so sagt er: »Es gibt doch eine Vorsehung und Belohnung schon hienieden!« Der hiesige Mensch ist sehr närrisch. Hoffen ist überhaupt in Rücksicht der Standhaftigkeit gefährlicher, als man wohl denkt. Nicht nur nimmt sich die Hoffnung den weitesten Spielraum heraus und will das Ozeans-Becken der Zeit gern als Trinkschale der Stunde an die Lippen setzen; sondern auch durch ihre Süßlichkeit entkräftet sie zu scharfem Widerstande und erschwert das entscheidende Verzichtleisten. Denn so lange sie nicht vom Schicksale widerlegt worden, will man sie genießen und bauet sich auf ihren weichen Wogen an. Wollet ihr doch Hoffnungen haben: gut! so haltet sie für frohe Träume. Man erwacht, der Traum und seine Gabe ist verloren; aber man trauert nicht. Und so mag auch der Traum des Lebens voll solcher Träume bleiben, sobald man sie nicht betrauert. - War denn die Hoffnung weniger ein Genuß der ersten Gegenwart gewesen, weil kein größerer einer zweiten, keine Erfüllung darauf folgte? - Und hat sie denn keine blumige Vergangenheit hinter euch angebauet, und ist ihr hängender Garten keiner mehr, bloß weil er euch jetzo zu hoch hangt?
Aber darnach fragt ihr nichts; in euern Berechnungen über Licht und Nacht eueres Lebens führt ihr zwar die verdunkelnde Furcht, aber nicht die erhellende Hoffnung auf, so wie man etwan dem Pole ein Halbjahr Nacht so wie ein Halbjahr Tag zuschreibt, ohne von jener drei Monate Dämmerung abzurechnen.
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