Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Vorrede

eingestellt: 29.6.2007



Die erste Hälfte des Werkchens enthält den Wiederabdruck der im Morgenblatt 1818 gegebenen zwölf Briefe über die Doppelwörter, samt einigen Zusätzen und wenigen Verbesserungen. Denn letzte gehörten und kamen meistens in die zweite oder neue Hälfte, welche den Briefen zwölf Postskripte als ebenso viele Kreditbriefe nachliefert, in denen ich meine bessern Gegner nach Vermögen bestreite.

Meinen Versuch, der Sprache einen Übellaut, Überfluß und Verstoß zugleich zu ersparen, haben schon einige vor mir gemacht. In Köppens beiden neuen Werken – worin kein Poltergeist des neuern Philosophierens, sondern ein Astralgeist des alten erscheint und regiert –, in der »Politik nach platonischen Grundsätzen« und in der »Rechtslehre«, haben einige Chöre Mißklänge oder Zischlaute verstummen müssen. In Schillers gesammelten Werken ist überall »Religionempfindung, Wahrheitgefühl, Landschaftmalerei, Einbildungkraft« zu finden. Auch Klopstock soll, wie mein geliebter Heinrich Voß mir sagte, für die Trauformeln der Doppelwörter eine bessere Agende haben setzen wollen. Hätt ers doch getan und uns ein halbes Zisch- und Fehljahrhundert erspart!

Wahrlich, wer in Grimms Meister-Grammatik – diesem deutschen Sprachheroum – es lesen muß, wie unsere Sprache die reiche Klang-Singstimme ihrer Jugend durch die Jahre eingebüßt und sie nun, gleich einer alten Frau, da kreischt und pfeift, wo sie früher sang: der möchte weinen über einen Verlust auf ewig. Denn er muß in Grimm lesen, wie z. B. unsere Deklination Tag sonst in Taga, Tago, Tagum umgebogen wurde; unsere andere Hirt sonst in Hirti, Hirta, Hirto, Hirtum; und wie eine andere auf a, u, o, ono, om und wieder eine auf eo, eon, eono ausklang oder ein Adjektiv auf emo, u, an, ero, iu, era, eru, o. Ja man muß – denn an die oft griechischtönenden Beugungen der vorigen Zeitwörter darf man gar nicht denken – von Grimm noch erfahren, wie Ort- und Flußnamen z. B. in Hessen und Thüringen sonst geklungen gegen jetzo; z. B. Phiopha lautet heut zu Tage Pfiefe – Fanaha jetzt Venne – Passaha jetzt Besse – Thiatmelli jetzt Ditmold – Mursenaha jetzt Morschen – Miminunga jetzt Meinungen – Slutiza jetzt Schlitz – Butinesbah jetzt Butzbach.

– Aber ich muß die Grimmsche Grammatik bei Seite legen, um mit der Gelassenheit eines grammatischen Vorredners die jetzige Sprache anzuhören und anzusehen, bei ihrer S-Krätze von Außen und dem E-Gries von Innen, welche beide Samstag- oder Schabbes-Buchstaben an die Stelle der vollen Sonntagbuchstaben sich jüdelnd eingelispelt. Allerdings hat sie seitdem an Reichtum gewonnen, wie sie an Weichheit des Klangs verloren, wie ein Mensch zugleich reicher und härter wird. Neben ihre hellen Silbersaiten sind viele kostbare, aber dumpfe Goldsaiten aufgezogen.

Was ist zu tun? Wenigstens gewöhne man, da kein Echo des vorigen Wohlklangs aufzuwecken ist, ihr so viel Übellaute ab, als man kann. Ich werde, hoff ich für meine langwierige Mühe doch zwei Kränze aufzusetzen bekommen – denn an den dritten und größten, durch zwölf Briefe hindurch Recht zu behalten und Recht einzuführen, zumal über die ungs, keits, ions, ist gar nicht zu denken –; aber der erste Kranz kann sein, daß das Näherbringen der Natur der Doppelwörter tausend Schreiber an einige Auslese im Gebrauchen alter, falscher Zusammensetzungen und an einige Behutsamkeit im Erschaffen ähnlicher neuer erinnert, wie z. B. leider Eidsgenossenschaft ist; denn bei so vielen alten Ausnahmen von der Regel sind neue desto sündiger, gleichsam ein Auswuchs aus dem Auswuchs, oder kleinste Staaten eines Staats im Staate. In der Tat wär es endlich gut, Ohr und Zeit und Recht zu schonen. Mein zweiter Kranz ist der, den ich mir selber zum Teil im Morgenblatte geflochten, daß ich durch meine zwölf Fächer der Sammwörter vielleicht der Sprache, besonders für künftige Forscher und für Fremde, ein größeres Geschenk gemacht, als Herr Grimm anerkennen will, dessen deutsche Deklinationen doch meinen Klassen unbewußt sich nähern. Hat man nur einmal Regel und Klasse, hat man nur eine Kirche gebauet, so findet sich der Kirchhof von selber.

Besonders den Ausländern, die sich in unsere verwickelte Sprache hineinwagen wollen, ist jetzo vielleicht das ganze Dickicht der Doppelwörter so gelichtet und ausgehauen, daß ein Lehrling, sobald er nur erträglich deutsch zu deklinieren weiß, in den lichten Gängen der Sammwörter kaum mehr abweichen oder im Kompaß-Sinne deklinieren wird. Mich dünkt, in den jetzigen Zeiten allseitiger Völkerberührungen gewinnt von Außen ein Volk mehr durch Erleichterung seiner Sprache als durch Erschwerung derselben mit Ausnahmen; nur sonst mußten die Städte sich voll krummer Gassen bauen, um den Feinden den Kampf darin sauerer zu machen.

Übrigens soll mein grammatischer Versuch, sei auch noch so viel daran zu verwerfen, wenigstens ein neues Zeugnis meiner Hochachtung für die Sprache ablegen, deren Klang und Bau ich niemal weder kalt aus Parteilichkeit für den Stoff, noch willkürlich aus eigensüchtigen Absichten behandelt habe; und darum wird mir jährlich nur das Denken leichter, aber das Schreiben schwerer. Indes werd ich neue Einwendungen gegen meine Ansicht der Sammwörter nicht wieder beantworten, weder in Sedez, geschweige in Klein-Oktav. Aus dem Werkchen selber müssen schon die Auflösungen der Einwürfe zu holen sein, sonst taugt das ganze Werkchen nichts; und man müßte für jedes Buch immer wieder eines schreiben. Es ist aber besser, zu dichten als zu streiten, und ich will lieber, so zu sagen, – erlauben Vorreden solche Sprünge – Flöten bohren als Kanonen bohren.

Die deutsche Sprache bleibt unter allen europäischen Sprachinstrumenten eigentlich als die Orgel – doch soll auch die französische gelten als Schnarrwerk oder Flageolett und die englische als Bootmannspfeife – dastehen, und ihre Engelstimme und ihre Menschenstimme (vox angelica und humana) und ihr 32füßiges Grobgedackt und ihre vielen Mixturenregister sind ordentlich für dichterisch-fliegende Vogler gemacht. Da ich nun nicht sowohl ein Orgelbauer als ein Orgelspieler bin: so sieht man es vielleicht gern, wenn ich die Stimmpfeife weglege; ich setze daher, statt noch länger an den Zinnpfeifen zu kneipen, mich wieder auf den Orgelstuhl und die Füße aufs Pedal und ziehe an den verschiedenen Registerknöpfen entweder die Bockflöte – oder den Subbaß – oder im nächsten Jahr den einförmigen Vogelgesang – oder später die schöne Menschenstimme mit dem Tremulanten; denn ich kann künftig alle Mixturen wechseln, ja mischen.

Schließlich verzeihe man mir den kleinen Stolz, daß ich – da jetzo alle Welt, sogar die politische, Charaden macht, ich aber aus Mangel an Versen keine zu Wege bringe – das Meinige auch dazu habe stellen wollen durch zwölf Briefe und Postskripte über die Sammwörter, mit welchen letzten allein, wie bekannt, Charaden zu erzeugen sind durch Tisch- und Bett-Scheidung und Wiedertrauung des Doppelworts.

 
Baireuth den 15. Nov. 1819

Dr. Jean Paul Fr. Richter


 

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