Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Zweites Postskript

eingestellt: 29.6.2007

Rechtfertigung des Fachordnens der Doppelwörter nach dem Plural – schärfere Bestimmung ihrer Natur

 
Baireuth den 21. August 1819

Zuerst, Gnädige, wollen die wenigsten Gegner aus meinem Fachordnen nach der Mehrzahl so viel machen als ich. Herr Grimm z. B. schrieb im Hermes, ich brächte ganz unähnliche Wörter wie Held, Graf, Tat etc. in eine Klasse, welche in den ältesten Zeiten sehr verschieden von einander gebogen worden. Uns alle gehen aber nur die neuesten Zeiten an, nicht die stummen alten, sondern nur die lauten neuen. Sonst könnte Herr Grimm mir mit ähnlichem Recht die untergegangnen zwölf deutschen Deklinationen samt ihren mehrfachem Beugefällen (casus) entgegensetzen; aber davon künftig mehr, wenn ich ihn widerlege.

Indes lassen Sie mich auch immer die unähnlichsten Wörter aller Art in dem nämlichen Plurale versammeln: was such ich denn eigentlich damit? Ich will bloß der grammatische Ritter Linnäus sein, welcher so viele tausend Bestimmwörter in zwölf Klassen, wie sein botanischer Vorfahrer in Schweden noch mehrere tausend Pflanzen in 24 Klassen, durch leichte, aber scharfe Abzeichen absonderte und auseinander sperrte; ich durch das Abzeichen der Mehrzahl, welche gewöhnlich alle Beugefälle eines Wortes entscheidet, und der Ritter durch das der Staubfäden, ebenfalls Väter der Mehrzahl. Denn bei ihm rückt Gleichzahl der Staubfäden oft auch die unähnlichsten Gewächse zusammen, wie z. B. zwei Staubfäden den Pfeffer zu dem Jasmin, oder fünf Staubfäden die Ulme zu dem Gänsefuß, oder es wirft die Ungleichzahl die ähnlichen auseinander, wie sie z. B. den Rosmarin mit zwei Staubfäden von dem Lavendel mit einem Staubfaden trennt. Ja ich gebe meine Plurale bloß für Nummerhölzer aus, womit man Gewächse bezeichnet, und die wenigstens dem fremden Lehrling der Sprache zu Wegzeigern dienen können. Sogar ein Widersacher meiner Sache und der Liebhaber der Ausnahmen kann durch mich letzte zum Gebrauche in leichterer Übersicht vor sich finden. Bisher wurden die Zusammensetz-Weisen durcheinander geworfen und alle die Unterschiede nicht aufgezählt und geordnet, die durch Wurzelwörter und Einsylben, durch Mehrsylben, durch den Umlaut und durch die Geschlechter entstehen.

Es schlage mir doch einer – der mir den Ruhm eines grammatischen Ritters von Linnée verkümmern will, wie es leider dem schwedischen auch geschehen von Buffon und andern – nur bessere Einteilgründe vor. Denn weder die Genitive, noch die Anhängsylben wären dergleichen; und weiter gibts nichts.

Aus Genitiven waren darum keine Fächer zu zimmern, weil die weiblichen Wörter keine haben, und die männlichen streng genommen nur drei Unterschiede – s, n und ens – hergeben. – Einteilungen der Bestimmwörter nach Vor- und Nachsylben würden erstlich meine ersten fünf Klassen der Einsylben gar nicht berührt haben; zweitens wären unter den Mehrsylben auch die sechste, siebente, achte weggeblieben; in der neunten hätten die Vorhängsel ge und ver den vorigen gefolgt, bloß ling ausgenommen; und erst die 10te, 11te und 12te hätte uns einige Unterschiede gegeben.

Möchten doch meine Gegner in verschiedenen Hauptstädten meinem Fachwerk etwas Besseres entgegensetzen, nämlich ein neues, anstatt ihrer Unzufriedenheit; – und ich bitte sie geradezu darum in diesem Postskripte, Gnädige, weil ich weiß, daß Sie dessen Druck erlauben werden und es vor feindliche Augen gelangen kann! – Eine noch wissenschaftlichere Abteilung der Bestimmwörter ist jetzo nach der meinigen um vieles durch die einfachern Wege erleichtert, auf welchen den Quellen der einzelnen Ausnahmen nachzusteigen ist. –

Noch will ich, Verehrte, in diesem Postskripte das reine Verhältnis des Bestimmwortes zum Grundworte im Allgemeinen festsetzen und so erst den Boden selber ausmessen und umzäunen, bevor ich in spätern Postskripten das Kraut und Unkraut einzelner Einwürfe entweder ausraufe, oder versetze und behacke.

In meinem Jennerbrief von 1817 beschrieb ich zwar das Bestimmwort als ein verstärktes Adjektiv oder Beiwort; aber vom 1. Jenner 1817 an bis zum 21. August 1819 kam ich allmählich so weit, daß ich einsah, wie wenig ich damit vor anderthalb Jahren gesagt. Jedes Bestimmen ist Beschränken; das Bestimmwort folglich ist Einschränkung des Grundworts, indem es die Gattung desselben in die Art, oder die Art in die Unterart, oder überhaupt das Allgemeine in das Besondere verwandelt. Z. B. aus Schule überhaupt wird durch das Bestimmwort Baum die Unterart Baumschule; es gibt viele Bänder, aber ein Halsband ist eine Besonderheit derselben. Daher kann ein Grundwort, sobald es ein Einzelwesen bezeichnet und also den höchsten Grad der Bestimmung schon an sich trägt, keine mehr durch ein Bestimmwort annehmen; und man kann nicht gut sagen: der Spott-Sokrates, der Weisheits-Sokrates, ausgenommen etwa wo das Einzelwesen selber sich noch entzweiet und teilt, so daß man sagen könnte: der Gott-Christus, der Mensch-Christus. Hingegen das Einzelwesen selber eignet sich desto schärfer zu einem Bestimm- und Einschränkworte, z. B. Christus zu Christuskopf. Zwar beschränkt an sich jedes Beiwort sein Hauptwort, z. B. in feuriger Wolke; aber erst das Bestimmwort Feuer macht Feuerwolke zu einer besondern Wolkenklasse. Dazu kommt noch nebenher, daß die Sprache in der größten Armut an sinnlichen Adjektiven lebt, bei allem Reichtum an übersinnlichen. Ziehen Sie z. B. nur den ersten Jennerbrief aus Ihrer Schreiblade: so werden Sie in seinen ersten Beispielen finden, daß wir von Kranz, Kahn, Stall, Saal, Topf, Frosch, Hut, Pflug, Stuhl keine Beiwörter gebildet haben und wir also statt kranziger oder kranzhafter Zierde sagen müssen Kranzzierde u.s.w. Auch die wenigen sinnlichen Beiwörter, die wir besitzen, treten nur schief und flach an die Stelle ordentlicher Bestimmwörter, z. B. hölzerner, holziger Apfel statt Holzapfel; oder öliger, ölhafter Trank statt Öltrank.

Das sonst einschränkende Adjektiv muß, wenn man es als Grundwort gebraucht, sich wieder beschränken lassen durch sein Bestimmwort, sei dieses nun selber ein Adjektiv oder ein Hauptwort; z. B. in großaugig oder in blutdurstig wird aus dem Mancherlei von Auge und Durst durch groß und Blut der engere Ausschuß gehoben.

Diese einschränkende Verwandlung des Hauptwortes ist aber weder durch den Genitiv noch den Dativ des Bestimmwortes noch durch eine vermittelnde Präposition zu erreichen. Gipfel ist in »Baumgipfel« zu etwas Bestimmtern geworden als in »Gipfel des Baumes« oder in »Baumes Gipfel«. Ferner im Dativ ist »ein den Göttern gleicher Geist« nicht so entschieden und abgeschieden als »ein göttergleicher Geist«. Endlich wird durch die Präposition in » Predigt auf dem Berge« oder » Scheu vor dem Wasser« nichts von den eng abgeschloßnen Wörtern »Bergpredigt« oder »Wasserscheu« ersetzt. –

Ebenso ist Zartgefühl mehr selbständig und abgesondert als zartes Gefühl, so wie Sehrohr mehr als Rohr zum Sehen; dort wurde das Adjektiv und hier das Zeitwort zu einem Bestimmwort zugeschnitten.

Da das Bestimmwort ganz in das Grundwort zerschmelzen und verwachsen soll und sich eigentlich nur ein Wort zur Anschauung darstellt, so daß die Bestimmwörter nur Vorsylben des Grundwortes ausmachen, wie Ver bei Ver-Mögen und Un-ver-Mögen: so hat das Grundwort nichts an den Bestimmwörtern zu regieren – es wäre ebenso viel, als wollt es sich selber regieren –, sondern diese müssen vielmehr selber alle Kennzeichen eigner Ständigkeit und Unterwürfigkeit sogar bis zur Verstümmelung wegwerfen. Sie danken, wo es nötig ist, drei Genitiv- s ab, z. B. Steinobstbaumzweig – alle Dativ- n, z. B. götterähnliche – alle Präpositionen, z. B. Brettspiel, wasserdicht, feuerfest, Walfischboot, Dampfschiff – die Infinitiven der Zeitwörter, z. B. Lernbegierde – die Enden der Adjektive, z. B. Frohgefühl – sogar die Adjektive ihr wie, z. B. luchsaugig, armdick, pechschwarz – und häufig die Zeichen der Mehrzahl, z. B. Uhrmacher, Fußbad.

Dieselbe Entfernung aller Regierinsignien dauert noch fort, wenn sogar ein Doppelwort zum Bestimmwort eines zweiten Doppelworts gezwungen, ja wenn zwei, drei Doppelwörter zu bloßen Bestimmwörtern eines letzten Grundworts zusammengetrieben werden; z. B. das Doppelwort »Regenbogen« wird Bestimmwort in Regenbogenfarbenglanz, so Blattlaus in Blattlausschlupfwespe; nicht zu erwähnen der Adjektiven wie pechschwarz-haarig, mattblau-augig. Einer setze statt meines obigen Steinobstbaumzweig einmal Steinesobstesbaumeszweig oder gar – wie die Franzosen durch den article partitif – Zweig von Baum mit Obst voll Stein und schaue dann die matte Anschauung an, die er vom Zweige bekommen. Je mehre Bestimmwörter, desto schneller und folglich abgerundeter müssen sie dem Grundworte zurollen, um sich alle im Brennpunkt eines Begriffs zu verdichten.

Wie die Bestimmwörter, Verehrteste, eilen und fliegen müssen, um ihren Hofkreis schnell um das Grundwort als ihren Fürsten zu ziehen, dazu will ich, um die Sache an einem Beispiele zu zeigen, nicht einmal ein so langes Samm- oder Doppelwort erfinden, als die Sankritsprache hat, welche nach Forster Sammwörter von 152 Sylben aufweiset, sondern ich will nur ein kurzes, wie es etwa Aristophanes oder die Wiener Kanzlei- und Finanzsprache hervorbringen und zusammenketten, gleichsam einen Wortbandwurm nehmen. Letzte Metapher behalt ich sogleich und häng ihr noch an stock: so hab ich Wortbandwurmstock; – ich stricke auf einmal noch an Abtreibmittellehrbuch: so steht Wortbandwurmstockabtreibmittellehrbuch vor uns. Um kurz zu sein, schweiß ich auf einmal damit das ganz andere Wort Stempelkostenersatzberechnung zusammen und sehe nun in der Tat das ansehnliche überwiener Sammwort: Wortbandwurmstockabtreibmittellehrbuchstempelkostenersatzberechnung vor meinen Augen lebendig.

Und hier werde das Postskript, damit es nicht so lange wie das Sammwort darin ausfällt, mit meiner ewigen Versicherung geschlossen, daß ich bin. etc.

N. S. Es regnet heute etwas; da aber der zweite Tag nach dem Neumond mit seinem Wetter nichts bedeutet: so ist mirs ganz lieb auf der einen Seite, und auf der andern hab ichs eben vorausgesagt.

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