Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Drittes Postskript

eingestellt: 29.6.2007

Antwort auf Herrn Prof. Docens Antwort – allgemeine Widerlegung und Grablegung der Genitiv- und S-Verfechter der Sache

 
Baireuth den 22. August 1819

Meine Anfechtungen über meine britischen oder schottländischen Trauungen der Bestimmwörter mit den Grundwörtern ohne Heiratgut von  s und andern Genitiven sind Ihnen, vortreffliche Kanonissin, nicht halb so bekannt als mir selber; auch geben jene mir weit weniger Recht als Unrecht und gehen absichtlich darauf aus, zu beweisen, daß man meine zwölf Geschwornen-Briefe gegen die Genitive nicht hätte zu drucken und zu schreiben gebraucht, woraus ich schließen kann, was die Feinde vollends zu einem zweiten Abdruck denken mögen. Warum schlägt sich besonders Herr Grimm nicht mit dem Rädelsführer Wolke öffentlich herum (in einigen von mir nicht angenommenen Behauptungen greift er ihn an, aber ungenannt), oder warum tuts Wolke selber samt der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache nicht, sondern läßt mich allein auf meinem Schlachtfelde toben und schwitzen, indes ich in den nächsten Garten gehen und einigen Blumensamen für die nächste Messe aussäen könnte?

Herr Docen erwies in der sach- und ernstreichen Eos – welche wie die meisten Tagblätter ihr Titelwort bricht, nur aber zum Lesers-Vorteil, indem sie statt spielender Aurora-Farben mehr aufgehende Sonnenstrahlen gibt – mir einen wahren Gefallen, daß er bemerkte, wie man sonst Heiratgut und sogar Rechtbuch, nicht Rechtsbuch gesagt, und daß er den Wörtern Gericht sbarkeit, Volk stum, jenseit s, öfter s, nirgend s das S verübelte. Denn wirklich ist Gericht sbarkeit nicht besser als Dank sbarkeit und Geschmack slosigkeit, so wie Volk stum nicht besser als Herzog stum, Papst estum; denn »barkeit« und »tum« können als Nachsylben nichts regieren.

Rathaus läßt er gegenüber dem Ratsdiener gelten als ein »selbständiges Ganzes«, – aber dieses ist eben jedes Doppelwort; – nur müßte er eben darum Amtstube gegenüber dem Amtsknecht schreiben – – so könnt ich antworten, wenn ich etwan auf jede einzelne Flinte wieder mit einer zielen wollte; es muß aber lieber auf den ganzen Feind geschossen werden. Wenn ganze Klassen von Doppelwörtern, wie zumal meine reiche erste der Einsylben mit dem Pluralumlaut (z. B. Faustkampf) und meine reiche zweite derer mit dem Plural- e (Bergkette, Tischbein) zu Tausenden die S abweisen: so können die ketzerischen Ausnahmen, die sich ein S zulegen, dasselbe nicht behalten, wenn sie dafür keinen andern Grund als einen bloßen logischen anzuführen haben, welcher mit gleicher Gültigkeit auf die ganze regelrechte Klasse passen würde. Einen logischen nenn ich, wenn meine Gegner, besonders Pastor Rink in Venedig, das angehangne S für ein Zeichen erklären, daß der Sinn das Bestimmwort selbständig mache und vor dem Verschmelzen ins Grundwort bewahre; so ists z. B., sagt Rink, bei Wolfshaut, Bockshorn. Aber derselbe logische Grund, den man für das falsche S an Wolf aussinnt, müßte dann auch ein S an Frosch ansetzen, da beide ganz sich in derselben Beugung und Bezeichnung gleichen und es wäre nach Wolfshaut, Wolfsfuß, Wolfsauge etc. auch Froscheshaut, Froschesfuß, Froschesauge zu sagen. Eben daher ist Bockshorn, Bocksfuß unrichtig, zumal hinter dem richtigen Bockfell, Bockleder, Bockstall etc. – Ich will aus der zweiten Klasse Beispiele der Regel und der Ausnahme, und zwar wieder von Tieren, sogar von Säugtieren, um nur jede Ausflucht abzuschneiden, erwähnen. Will man das falsche Genitiv- s in Schwein sborsten, Schwein sleder, Schwein szunge, Schwein smagen, Schwein smutter u.s.w. durch den logischen Grund der Hervorhebung des Bestimmwortes rechtfertigen: so verlangen Schaf, Stier, Hirsch dasselbe S mit demselben Grunde für ihr Leder und Blut, ihre Zunge, ihren Magen, ihre Haare und alle übrigen Glieder und für ihre Mutter. Hält man wieder Schaf aus dieser Klasse mit seinem Feinde Wolf aus der ersten nebeneinander: so wird der härter klingende Wolf ohne allen Grund mit dem Zisch- s gegen das Schaf bereichert, wenn man zugleich sagt Wolf s- und doch Schaf-pelz, -fuß, -magen, -saiten, -fleisch, -Milch, -hund, -stall etc.

– – Verzeihung, Gnädige, daß ich Sie wie eine Sonne durch einen Tierkreis gehen lasse; aber auf dem Wege zur Wahrheit kann oft der feinste Herr, der eine Dame spazieren führt, nicht Umgang nehmen, einer Herde aufzustoßen und mit der Angeputzten (was fast komisch) hinter dem trägen Viehe nachzuziehen.

Außerdem daß dieses Genitiv- s, welches als das Zeichen der Selbständigkeit und Absonderung nur einigen Bestimmwörtern dienen soll, sich ja ganz gemein und vermischt allen Bestimmwörtern auf heit, keit, ung etc. anhängt, mithin durch seine ewigen Ausnahmen gerade keine mehr macht, müßte noch nachgewiesen werden, warum dasselbe in vielen tausenden Doppel- und Mehrwörtern meiner drei ersten Klassen unausgesetzt wegbleibt, unter welchen doch mehre Bestimmwörter als die paar Dutzend Ausnahmen eine logische Befugnis zur Auszeichnung und Vorhebung und also zum S besitzen müßten. Hätten wenigstens nicht Bestimmwörter, welche selber zusammengesetzt sind und oft an Größe das Grundwort übertreffen, z. B. Regenbogen in Regenbogenfarben, nicht größeres Recht, durch das Genitiv- s ihren großen Körper vor der Einschmelzung in einen kleinen zu bewahren, als das Wörtchen Schiff in Schiffssoldat? Man denke nur an mein braves Wiener Kanzleiwort: Wortbandwurmstockabtreibmittellehrbuchstempelkostenersatzberechnung, das ich am liebsten mit den römischen Mauern verglichen sehe, welche ohne allen Mörtel bloß aus übereinander gelegten nackten Quadern bestehen. – Überhaupt ist jedes Beispiel, womit die Gegner eine S-Kokarde als eine Sinn-Auszeichnung des Bestimmwortes zu rechtfertigen suchen, mit einem Gegenbeispiel zu bekämpfen; z. B. in »Leibarzt« (sagt Herr Rink), in »Lammfleisch«, »Meerwasser« ist das Bestimmwort mit dem Grundwort mehr zu einem Begriffe verschmolzen als in Leibesnahrung, Lammsgeduld, Meeresstrand etc., daher das S der letzten kommt. Was sagt er aber dann zu Leibspeise, Lammskopf, Seestrand? – »Bruderliebe«, sagt er noch, sei in brüderliche Liebe aufzulösen, aber nicht »Bruderssohn«; – so wenig, fahr ich fort, als Froschhaut, Stuhlbein und die meisten sinnlichen Hauptwörter, deren Unauflösbarkeit in Beiwörter eben durch das bloße Aneinanderstellen in ganzen Stücken soll vergütet werden.

Indes statt der logischen Gründe können für die S-Anschiebung leicht grammatische sprechen, und es werden wohl Postskripte kommen, die sich mehr darauf einlassen.

Herr Professor Docen greift ferner meinen elften Brief an Sie, Verehrte, an und behauptet, in Frau enkleid, Sonne nschein, so Same nkorn und Schade nersatz und andern Wörtern sei das  n kein Wohllaut-N, wie ich geschrieben, sondern das N des alten Genitivs. Ich hingegen hatte im elften Briefe dasselbe gesagt, nur aber es umgekehrt, es sei nicht das alte Genitiv-N, sondern das Wohllaut-N. So aber, wenn ich ja sage, und er nein, weiß ich nicht, wie mir und ihm zu helfen ist, wenns nicht Gründe tun. Und diese sind zum Glücke zu haben. Erstlich behaupt ich mein Wohllaut-N steif fort, ob ich gleich der erste bedeutende Grammatiker bin, der nur davon redet. Adelung erklärt bloß in seiner dritten Deklination der Eigennamen Max, Franz etc. das eingeschobene en in Maxens, Franzens für ein Wohllaut-N. – Das N zweitens haben die Deutschen so gern, wie das E ungern. In dem Name n- Ne nne n selber kann das N gar nicht aufhören, sich zu nennen und selber gern zu hören, und in allen Infinitiven und Beugefällen will solches das letzte Wort nicht sowohl als de n letzte n Buchstabe n habe n. Der stille scheue Deutsche drückt daher mit diesem leisen und in dem Munde versteckten Mitlauter sein Nei n und in Zeitungen am liebsten seinen Namen mit zwei N. N. aus, wiewohl nicht ohne alle Sorge, ob er sich damit nicht zu deutlich herauslasse.

Vielleicht schreibt sich – wenn es im Vorbeigehen anzumerken ist – von dieser deutschen Vorliebe für Verschweigen und Verbergen die ziemlich allgemeine Freude her, die sich jetzo über das öffentliche Versiegeln schon entsiegelter Briefe und eingesperrter Papiere äußert, weil man sieht, daß die heiligen Mysterien des Hauses sogar polizeimäßig gegen fremde Augen beschirmt und bewacht werden und alles sub rosa, wenn auch mit einigen Polizei-Dornen, gesetzt wird.

Stellte übrigens das gedachte N bloß den alten Genitiv in den Doppelwörtern vor: so dürft es als ein Beugezeichen niemal weggeschnitten werden, wie doch in Seelsorger, Schulbuch, Schulrat, Mühlrad längst geschehen. Beiläufig kehr ich diese Einrede auch gegen das S der Doppelwörter, welches die Adelungische Schule vor Grundwörtern, die mit S anfangen, z. B. in Geburtstunde, dem Wohlklange zu opfern erlaubt; denn wär es ein wahres Genitivzeichen, so dürfte kein Wohlklang das Opfer fodern.

Aber steht denn dieses N nicht zuweilen auch in Bestimmwörtern, wo offenbar kein Genitiv, höchstens ein Nominativ gedenkbar ist, z. B. in Riesenmensch, Blumenpolype, Rosenmund, ein Blumenwesen, Lilienhals, Frauenmensch, Höllenort? – Überhaupt wer das zweite Postskript an Sie, Gnädige, gelesen, worin gezeigt wird, was alles die armen Bestimmwörter von Präpositionen, von Dativ- und von Plural- und von Infinitiv-Enden sich müssen abschneiden lassen, bis sie für ein Grundwort genug zugestutzt worden: der erstaunt über das Geschrei, womit man das Genitiv-Schwänzchen oder -Zöpfchen festhält und nicht hergeben will zum Englisieren und Zopfabschneiden. Himmel! was müssen nicht in Sammwörtern wie Dachwohnung, Grablegung, Kopfrechnen, Hausschlachten für ganz andere und immer verschiedene Nebenbestimmungen in Gedanken ergänzt werden, sogar um selber einen heimlichen Genitiv abzuwehren und nicht an eine Wohnung des Dachs, sondern unter (nicht einmal auf) dem Dache zu denken, noch an eine Legung eines Grabes, sondern in ein Grab u.s.w.! – Indes geh ich hierin mit einer eignen Krieglist zu Werk und schlage die Feinde unglaublich leicht. Wollen sie für ihr S entweder als Beugefall- oder auch als Verbindzeichen fechten: so bestellt sie Ihr Präbendarius bloß auf das freie Feld seiner ersten Klasse mit den männlichen Worten: Kahn, Zahn, Ast und Dachs, oder mit den weiblichen: Nuß, Schoß, Haut und Braut; und zum Überfluß noch auf die Ebene der zweiten Klasse mit: Stein, Bein, Tisch und Hecht, und fragt sie, wo das S der Klassen hingeraten. – Rücken sie mit einem besondern selbständigen Wert und Sinne feindlich vor, der an manchen Bestimmwörtern durch ein S darzustellen sei: so sagt der Präbendarius bloß: Kahn, Zahn, Ast und Dachs, alsdann: Nuß, Schoß, Haut und Braut, und zuletzt: Stein, Bein, Tisch und Hecht, und fragt, ob alle diese nie eines besondern Sinnes fähig sind. – Wollen die Feinde die schöne S-freie dritte Klasse: Wild, Vieh, Sand, Obst etc. zwar laufen lassen ohne S, aber unter dem Vorbehalt, daß sie nur als Abstracta und Collectiva diese Begünstigung hätten: so führt der Kanonikus wieder Kahn und Dachs, Haut und Braut, Tisch und Hecht entgegen und fragt, wie abstrakt und kollektiv wohl diese seien und ihre andern tausend Gesellen gleichfalls. – Und ziehen gar die Plural- und Plusmacher mit ihren Eseltreibern, Ziegenhirten, Bärenführern an: so sagt der Präbendarius bloß: Kahn und Dachs, Nuß und Braut, und Stein und Hecht; sogleich kommen ihm Fuchsjäger, Kuhhirten und Kuhherden, Hechtfischer und Schafhirten und Schafherden zu Hülfe – – und der Kanonikus geht mit einer Triumphbogenkurve auf der Achsel zufrieden nach Hause.

Noch setzt Herr Professor Docen mir das S in Eigennamen, z. B. Landshut, Königsberg, entgegen; ich hebe aber meinen Widerstand dagegen für Herrn Bibliothekar Grimm auf, um auch an ihm eines und das Andere zu widerlegen.

Sie haben, Verehrteste, in der trefflichen Eos, die ich Ihnen immer richtig zusende – zumal da Ihnen an dieser Aurora und Morgengöttin besonders die Abendmalerei der Vergangenheit zu gefallen scheint –, gewiß nicht Herrn Docens Einwürfe gegen meine Briefe übersehen; also weiß ich, daß Sie außer seiner Ein- und Umsicht, oder Tiefe und Weite, auch noch die mir so angenehme und so unentbehrliche Höflichkeit wahrgenommen, womit er mich angreift. Wahrlich Einwürfe läßt sich der Mensch gern machen, werden ihm nur dabei die nötigsten Loberhebungen gemacht; – diese erhielt ich aber eben.

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