Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Einleitung | Erster Brief | Zweiter Brief | Dritter Brief | Vierter Brief | Fünfter Brief | Sechster Brief | Siebenter Brief | Achter Brief | Neunter Brief | Zehnter Brief | Eilfter Brief | Zwölfter Brief | Bescheidene Notwehr und geharnischte Nachschrift gegen grammatische ... | Erstes Postskript | Zweites Postskript | Drittes Postskript | Viertes Postskript | Fünftes Postskript | Sechstes Postskript | Siebentes Postskript | Achtes Postskript | Neuntes Postskript | Zehntes Postskript | Elftes bis zwölftes Postskript |

Weitere Werke von Jean Paul

Museum | Das Kampaner Tal | Leben Fibels | Der Komet | Der Jubelsenior |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Über die deutschen Doppelwörter) ausdrucken 'Über die deutschen Doppelwörter' als PDF herunterladen

Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Sechstes Postskript

eingestellt: 29.6.2007

Antwort auf einen Gegenbrief des Herrn Hofrat Thiersch


Baireuth den 25., 26., 27. August 1819

Meinetwegen, Gnädige! Das Wetter verschiebt also recht offenbar, wie ich nur zu deutlich sehe, seine Aufheiterung – so wie die meinige bei Ihnen – aufs erste Viertel, welches morgen einfällt. Die böse Witterung hatte doch die gute Folge gehabt, daß ich meine beiden Druckgegner nach Verhältnis umgeworfen.

Dafür steht wieder ein langer starker Briefgegner vor mir da und stützt sich auf seine Waffen, die er gegen mich gebraucht. Ich mache kein Geheimnis daraus, daß er mir im Gefechte, das auf beiden Seiten tapfer genug war, an der rechten Schreibehand einen Finger abgehauen, und den sechsten zwar, den ich jedoch willig entrate. In der Tat wurd ich in einigen Punkten bekehrt; denn warum sollt ich unaufhörlich Recht haben? Ists nicht genug für einen armen Kanonikus, daß ers so oft hat? –

Ich hoffe daher, Ihnen, meine Gönnerin, einiges Vergnügen zu machen, wenn ich mein Postskript mit seinem Briefe durchschieße und wieder den Brief selber mit meinen Zwischen-Antworten durchschneide. Schon dieses Briefes wegen wünscht ich, die Postskripte würden gedruckt, damit jener vor mehre Gelehrte käme, welche mit Freuden ein paar ungedruckte Zeilen von einem Manne aus der Pairie griechischer Sprachkenner lesen würden. Auch Sie, Gnädige, werden sich mit den griechischen Fremdlingen im Briefe leicht befreunden, da Sie gewiß so viel Griechisch verstehen als – wie ich wohl ohne Schmeichelei behaupten darf – die meisten Vers- und Romanschreiber. – Und hier folgt denn das Schreiben.

 
München, den 19. Sept. 1818

»Ew. Wohlgeboren!

nehme ich mir die Freiheit, Ihrer öffentlichen Auffoderung zu Folge in Bezug auf Ihre Ansicht über das verbindende S in deutschen zusammengesetzten Wörtern Bemerkungen mitzuteilen, wie sie mir während einiger Gespräche über den Gegenstand, zu denen Ihre geistreichen Briefe über denselben im M. Bl. veranlaßten, entstanden sind. Ich schicke sie Ihnen selber zu, weil ich mit Freuden eine Gelegenheit ergreife, nach langer Zeit einen frühern freundlichen Verkehr durch schriftliche Mitteilungen zwischen uns zu erneuern, und weil ich wünsche, daß meine Bemerkungen, einfach und anspruchlos wie sie sind, vor allem Ihrem Urteil sich unterwerfen sollen. Finden Sie bei Ihrer umfassenden Kenntnis des Gegenstands, daß andere schon gesagt haben, was ich, mehr in den Grammatiken der alten Sprachen umhergetrieben als in der einheimischen zu Hause, Ihnen vorlege, oder daß es in Ihren eigenen Beobachtungen seine Widerlegung antrifft, so bleibt natürlich die ganze Sache auf sich beruhend. Stimmen Sie aber dahin, daß die hier angegebne Ansicht über das Verbindende S die von Ihnen verteidigte aufhebt, so steht Ihnen frei, von diesem Papier jeden Ihnen beliebigen Gebrauch zu machen.

Es handelt sich aber von Wörtern, welche aus einem Hauptworte und einem andern Worte zusammengesetzt sind: nicht von solchen, wie sprechlustig, Sprechlust, hörbar, von sprechen, hören, sondern solchen, wie sprachlustig, Sprachkunde, Gehörsinn, Geschäftsgang, Freiheitshalber, von Sprache, Gehör, Geschäft, Freiheit. Auch meinethalb, eurethalb gehören hieher als aus fürwörtlichen Hauptwörtern zusammengesetzt.«

– Gönnerin! wie könnte Sprechlust kein Doppelwort sein, da die Zeitwörter mit ihren weggeworfenen Infinitiv- en überall Bestimmwörter bilden nach dem zwölften Brief an Sie? – Und wie könnten dagegen wieder Freiheitshalber und meinethalb Doppelwörter vorstellen, da halber und halb nur das an das regierte Wort angeschmolzene Fürwort wegen ist? – Wollte man das Für- oder Nachwort halber oder wegen gegen die ganze Natur eines Doppelwortes zu einem Grundworte adeln: so hätte man auf der Stelle ein neues deutsches Zwillinglexikon gezeugt und in der Hand, da wegen ja hinter jedes Substantiv des adelungischen Wörterbuchs zu setzen ist. –

»Bei Zusammensetzungen nun aus einem Hauptwort und einem andern haben die Sprachen nicht genug, das nackte Hauptwort voranzustellen, einen Begriff an den andern anzuschieben, sondern sie bringen, wo möglich, eine nähere Verbindung zwischen beiden zu Stande, und zwar entweder durch Zurückführung des Hauptworts auf seinen Stamm, wodurch es seine Selbständigkeit verliert und allein ohne das andere, dem es soll vereint werden, nicht mehr bestehen kann, oder durch Beugung und Angabe der Beziehungsfälle (casus). Letztere Zusammensetzung ist weit vorzüglicher, weil durch die Beugung zugleich die Art der Beziehung angegeben wird, in der beide Wörter, aus denen das zusammengesetzte entsprang, zu einander stehen, welche Beziehung im ersten Falle, eines Zeichens ermangelnd, nur geschlossen werden kann.«

– Verehrteste! Den 14ten Sept. 1818 gab das Morgenblatt das Ende meiner Abhandlung, und den 19ten Herr Thiersch mir schon den Brief darüber; – daraus also läßt sich die Sache erklären, da ein Zeitblatt doch erst einige Postzeit zum Ankommen und einige Umlaufzeit unter den Lesern bedarf und mein Gegner folglich meine Behauptungen mehr aus Gesprächen – wie der Briefanfang selber zu verstehen gibt – und das noch reisende Ende gar nicht kennen konnte, daraus, sag ich, läßt sichs erklären. Denn sonst wüßt ich auf keine Weise zu begreifen, wie er in den vorigen Zeilen unter den verschiedenen Ehen oder Kopulierweisen der Wörter gerade die einzige allgemeine und von mir als die rechtmäßigste verteidigte auslassen konnte und nur zwei andere anerkennt, wovon die eine die seltenste und die andere die verbotene ist. Wie konnt er sagen: »Den Sprachen ists nicht genug, das nackte Hauptwort (das Bestimmwort) voranzustellen«? Die deutsche (wie sogar die römische zuweilen, z. B. in puerpera, in solstitium) stellt es ja eben in einem fort in den unzähligen Wörtern meiner ersten, zweiten, dritten, vierten, sechsten, siebenten, achten, ja neunten Klasse nackt voran. Die eine und erste von ihm gebilligte Kopulierweise ist, daß das Bestimmwort seine Zweige abwirft und nur mit dem Stamme sich dem Grundwort einverleibt; z. B., sagt er weiter unten, aus Liebe wird Lieb-losigkeit, aus Sprache Sprachkunde. Ich setze noch dazu, daß ich diesen wenigen Fällen der elften Klasse noch in der zwölften die Fälle der Zeitwörter, welche ihr Infinitiv- en verschlucken, hinzugesetzt. Aber eben die elfte (wie zum Teil die fünfte) führt gerade eine Überzahl von Wörtern auf, welche anstatt des Entäußerns vielmehr sich vergrößern und bereichern – nämlich mit dem Wohllaut- n –, um sich zu verbinden, z. B. Blumenblatt, Nasenspitze etc. Und wohin will er die ausgespreizten sperrigen Wörter verstecken, welche wie Wahr-haft-ig-keit- s-Liebe anstatt mit einem abgeschälten Stamme sich gar mit einem ganzen Busch von Ästen und Blättern auf das Grundwort pflanzen? – Gegen die zweite Art von Wörterehen, zu welchen die Beugezeichen die Morgengabe bringen sollen, ist in meinen Briefen und – seit dem schlechten Wetter – in den Postskripten derselben das Nötigste schon aufgetreten.

»Um mich deutlich zu machen, muß ich mich neben dem Deutschen auch ein wenig des Griechischen bedienen, und Sie werden das umso mehr erlauben, da beide Sprachen auch rücksichtlich der Bildung ihrer zusammengesetzten Wörter sehr nahe verwandt sind und die griechische häufig die Sprachformen rein ausgeprägt enthält, wo die deutsche, in der Beugungsfähigkeit hinter ihr unermeßlich weit zurücktretend, nur leise und gleichsam in einem und dem andern Zuge andeutet. – Dagegen verspreche ich, die Sache mit so wenig Beispielen als möglich abzutun, und bitte nur, im Fall der Brief etwa in ein Abend- oder Morgenblatt wandern sollte, im voraus, daß mit den griechischen Wörtern recht säuberlich umgegangen wird; denn es ist zum Erschrecken, wie das Griechische oft zugerichtet wird, wenn es zufällig in ein Blatt gerät, in welches es eigentlich nicht gehöret. – Zurückführung auf den Stamm findet Statt in Sprachkunde, Lieblosigkeit, wo in die Zusammensetzung nur sprach, lieb, die Stämme von Sprache, Liebe, aufgenommen sind, in φιλοσοφος, οπλοθηκη, wo in die Zusammensetzung ebenfalls nur φιλο, οπλο, die Stämme von φιλος, οπλον, aufgenommen sind. – Häufig geschieht es im Griechischen, daß, wenn die Sylbe, welche beide Wörter verbindet, zu schwach lautet, oder auch im Allgemeinen als ein Bindungsmittel das S Σ eintritt, z. B. in σακεσπαλος, θεσφατον aus σακε und θε (θεο), den Stämmen von σακος, θεος.«

– – Gnädige Frau! Sie sollen hier selber entscheiden, ob ich überflügelt bin, wenn ein Paar Sigmata als zischende Feldschlangen gegen mich abgelassen werden, da ich jede Minute den Index des Scapula aufmachen kann, wo so viele tausend Omikrons (auch einige Omegas) und viele Jotas (die Römer stellen von letzten noch mehre) sich in den Fugen und Ritzen der Doppelwörter aufhalten, welche mir alle stündlich durch bloßes lautes Geschrei – es ist zugleich Sieggeschrei – zu Hülfe kommen können. – – Aber ich höre Sie vollends sagen: das Deutsche ist ja ohnehin nur der jüngere Bruder des Griechischen und hat so manches nicht geerbt, wie die 2 Aoristos, die 3 Futura, die Participia und Media und die ganze Vielbeugsamkeit eines Verbi; warum soll es ihm alles nachmachen wollen – bloß der Verwandtschaft wegen? – Dies kann ich herrlich gegen Herrn Thiersch gebrauchen, wenn er so fortfährt:

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
< Fünftes Postskript
Siebentes Postskript >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.