Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Zweiter Brief

eingestellt: 29.6.2007

Die einsylbigen Bestimmwörter mit e im Plural ohne Umlaut

 
Baireuth den 25. Febr. 1817

Ihr Lob meines Jennerbriefes, reizende Freundin, feuert mich mehr, als Sie wissen, an; ob Sie mir gleich ein unverdientes geben, wenn Sie mich den zweiten einkleidenden Merkel nennen. Deutschen, Verehrte, wird Leichtigkeit nicht leicht; nur selten schlägt einer und der andere von uns, wie Sebastian Bach, geschmackvolle Doppeltriller mit den Füßen auf dem Pedal. – Die einsylbigen Bestimmwörter mit  e im Plural ohne Umlaut, auf welche ich heute komme, werden wieder sämtlich ohne Genitiv- s oder sonstige Bindformel dem Grundwort angetrauet, wie folgende Muster zeigen: Armbrust, Bergbau, Fischfang, Roßtäuscher, Hauchlehre, Steinsammlung, Briefträger, Stückgießer. – Nur noch einige aus dieser Volkmenge führ ich Ihnen zu beliebigen Trauungen vor: Wein, Deich, Bein, Stein, Kinn, Wind, Tier, Hirsch, Tisch, Bier, Hecht, Heer, Meer, Ring, Preis, Kreis (folglich Greis), Mond, Haar, Jahr, Tag, Schaf, Salz, Herbst, Spiel. Da aber diese Wörterklasse die volkreichste ist, so sind Abweichungen von ihrer Regel auf der einen Seite natürlicher als auf der andern desto sündhafter und zum Ausschneiden reifer. Am meisten verwerflich sind regelfremde Zusammenfügungen bei Übergewicht der regelrechten desselben Wortes; folglich die Meerstiefe und die Eidsgenossenschaft einiger Schreiber; oder Schiffssoldaten und Schiffszierat mitten unter Schiffleuten, -knechten, -köchen, -schlächtern, -schreibern und -trompetern und bei Schiffbruch, -zoll, -boden, -rose, -zwieback, -fahne, -mühle etc. Wieder ein anderes falsches Fügen der Wörter dieser Klasse – wie das nächtliche Fügen der Schweizer Jünglinge – gibt es, wo die Regel neben mehren Getreuen auch viele Abtrünnige zählt; z. B. wo neben Jahr-zahl, Jahr-buch, Jahr-tag, Jahr-woche, Jahr-markt und Jahr-geld sich Jahr slauf, Jahr sbericht, -fest, -sold, -zeiten stellen, oder wo hinter Tagdieb, -lohn, -schläfer, -arbeit, -fahrt, -blatt, -garn, -schlaf, -schmetterling, -wache dennoch Tagsstunde, -zeit geschrieben wird. Mond enschein kann sich nur hinter den Dichter flüchten gegen Mondlicht, -sucht, -flecken, -karte, -kugel, -nacht, -lauf, -strahlen, -mann, -schatte und -wechsel. – Feind und Freund suchen ihrem  d durch ein  es die Weichheit zu erhalten z. B. Feind esliebe –, welche der Dieb seinem  b gerade durch sein  s noch mehr verkümmert – z. B. Dieb sbande, Dieb ssinn. – Der Hund läßt und nimmt seinem  d wechselnd die Weichheit durch  e und  s, z. B. Hund ebrot, -peitsche, -loch etc., und wieder Hund skot, -nase, -zähne, -tage etc. – Weit schöner benahm sich sonst das Pferd, das zwar dreizehn Male durch  e sein weichmäuliges  d, z. B. in Pferd efutter, Pferd estriegel, bewahrte, aber dafür 53 Male dem Zaume dieses zweiten Regelbriefes gehorchte und alle  s verbiß; aber dieses tat es nur in des Spaten »teutschen Sprachschatze«; jetzo schäumts in allen Büchern e und  s. – Wenn der Greis sich in seinen Heiraten mit Grundwörtern nicht nach Preis und Kreis und den übrigen Bestimmwörtern dieses zweiten Briefes an Sie richtet, sondern Greisesfreude, Greisenlocke u.s.w. behauptet: so halte man es ihm zu gut, daß der alte Mann sein Substantiv Greis auf alle Weise suchen muß von dem erbärmlichen Adjektiv-Verwandten greis durch Flektieren zu unterscheiden, indes freilich der Kreis (z. B. ein deutscher) oder der Preis (z. B. ein akademischer) als ein Bestimmwort sich von nichts regieren oder beugen läßt.

Wenn der Mönch gegen meine Ordenregel ein  s sich überall hinten so unrichtig ansetzt in »Mönch skloster« etc. als oft vornen das sanctus-S: so wundert es mich nicht, da an ihm ohnehin so viel aufzuheben ist, nicht bloß sein Kloster, sondern sogar er selber. – Das elende Schwein will ich in einem Brief an Sie gar nicht berühren, aber wohl anderorts. – Der abscheuliche Krieg pflanzt sich regellos, wie überall, mit dem Hund- und Zisch- und Sauselaut an die Grundwörter, so wie sein Nachzügler und Reim, der Sieg, und quartiert uns in der Sprache alle mögliche Krieg s- und Sieg s-Völker mit ihren Freund es- und Feind esleuten, mit Krieg s- und Sieg sliedern ein. Für das  s als Ausnahme einer so durchgehenden Regel spricht hier nicht ein Grund, der dasselbe nicht auch bei dem wörterreichen Berg einführen könnte, z. B. Berg shauptmann, Berg sgericht. Gleich den armen Bergleuten aber Kriegleute und Wirtleute einzuführen, würde ein Ries Papier als Gegengewicht gegen die Kraft der mündlichen Rede kosten. – Indes Landsmann scheint, ob es gleich aus der Verwandtschaft von Landfriede, Landplage, -karte, -tag, -streicher geschlagen ist, doch als Unterschied von Landmann der Nachsicht und Beibehaltung würdig. So schneid ich auch der heiligen römischen Reich sordnung von Reich swörtern das s nicht weg; auf Millionen alten Blättern ist das s uns als ein sanctus-S übrig geblieben, und diesen letzten Heiligennachschein des heiligen Reichs auswischen, hieße den Franzosen während der Revolution gleich werden, welche in den Tagen ihrer titanischen Heiligen-Stürmerei an allen Pariser Häusern das St. oder Saint auskratzen ließen. Wollen wir lieber durch die Fortbewahrung des Reichs-S ihnen auf der schönern Seite nacharten, nämlich auf der, wo sie, nicht eben als besondere Liebhaber und Kenner der griechischen Sprache bekannt, doch jede chemische Erfindung mit einem griechischen Namen taufen, oder auf der Seite, wo sie, ebenso wenig als besondere Liebhaber und Kenner des Christentums berühmt, doch die Namen ihrer Dörfer immer mit Saint anfangen, indes in frühern Zeiten gerade die Dörfer die unbekehrten Heidensitze bezeichneten, wie paganus von pagus Ihnen, meine Verehrteste, beweiset. – Aber ich ermüde Sie; ich fahre daher fort im nächsten Märzmonat und bleibe unverändert der Ihrige.

J. P.


 

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