Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Fünfter Brief

eingestellt: 29.6.2007

(Vorwort)

Mein neues Auftreten mit Briefen in diesem Morgenblatt beweiset am stärksten den verdienten Beifall, womit meine vorigen von Lesern und Leserinnen des Morgenblattes aufgenommen worden. Mein Dank bleibt ihnen. Aber enthalten kann ich mich nicht, bei dieser Gelegenheit meine Freude auszusprechen, daß in Deutschland jetzo alles ästhetische Verdienst, sei es auch noch so gering, an jedem belohnt wird, vom Schauspieldichter Kotzebue an bis zu Aubrys Hund herunter, der nur das nachspielt, was ein edlerer Hund ihm vorgefühlt. – Hier der fünfte Brief.

 
Die Bestimmwörter auf en im Plural

 
Baireuth den 1sten Mai 1817

Verehrteste Freundin! Schon im nächsten Briefe gelangen wir zu den mehrsylbigen Bestimmwörtern. An dem heutigen schönen Tag hab ich Sie bloß zu überzeugen, daß der weibliche Teil der einsylbigen auf  en im Plural sich ohne allen Sylben-Kitt mit den Grundwörtern verbindet, als: Last (nicht Lasts- und nicht Lastenträger) – Jagd – Fracht – Tat – Pest – See – Welt – Beicht – Zeit – Birn – Burg – Stirn – Saat – Schrift – Pflicht – Flur (z. B. Flurbuch, Flurschütz) – Schuld – Tür. Wenn der Dichter zuweilen die Mehrzahl  en zum Paaren wählt – z. B. Lastenträger, Tatendrang, Saatengrün, Weltenschöpfung –, weil er die Wort- und Bilderkraft verdoppeln will: so sündigt er nicht im Geringsten gegen unsere Regel, Gnädigste; denn die Mehrzahl verträgt sich so gut nach uns beiden – obwohl nicht nach Wolke – mit dem Verhältnis des Bestimmwortes zum Grundworte als die Einzahl. – Nur das  en an Frau (z. B. in Frauenwort, -kleid, -putz etc.) vermählt sich eigentlich als ein Wohllaut- en (n euphonicum) gleichsam als Eingebrachtes dem Grundwort an, aber gar nicht etwan als ein bloßer alter Genitiv; was ich in einem künftigen Briefe, wo ich dasselbe von Blumen behaupte, auf die Frauen anwenden werde. – Dieses Wohllaut- en nehmen auch die männlichen Einsylben, denen es ohnehin nötiger ist, in ihren Anfügungen an; wie Fürst, Graf, Bauer (z. B. statt ein Fürst- und Grafkind Fürsten- und Grafenkind), Held, Herr, Bär, Narr, Pfau, Mohr, Ochs, Schöps, Strahl, Mensch, Christ. Daß dieses  en weder die Mehrzahl aussprechen will, sehen Sie, Edelste, aus den Wörtern: eine Menschenstimme, ein Menschenzahn, ein Fürstensohn, noch auch den Genitiv anzeigen, dies erweisen die Wörter: Christen-, Frauenmensch, d. h. ein Mensch, der ein Christ, eine Frau ist. Nur die Neutra schließen sich an die Regelmäßigkeit der weiblichen Bestimmwörter, als Bett (weder Bettes- noch Betten-, sondern Bettmeister etc.), Hemd, Ohr und Herz. Von beiden letzten gehen in neuerer Zeit die Zusammensetzungen am öftersten regelmäßig, als Herzkammer, -schlag, -ohr; aber Ohr selber nur in Ohrfeige. Allein nichts setzt wohl einem Autor, der die Bestimmwörter in seinen Werken regelrecht reihen will, mehr zu als der Staat, der, nach der Regel unseres fünften Briefs, sich seinem Grundwort entweder ganz einfach oder mit dem Wohllaut- en anschließen sollte, der aber mit dem Raketen- s nachzischt in Staat smann, Staat skunst und in allen Staat swörtern. Dieses nachlispelnde s kann nicht einmal im Scherze als das Doppel- s in Sanctus oder gar als das s, das man oft an Säle schreibt und welches Silentium bedeutet, meine Vortrefflichste, genommen und verteidigt werden.

Wahrscheinlich geht der Staat nur wegen seiner ausländischen Abkunft von Status (daher man auch in früheren Zeiten Stat geschrieben) wie gewöhnlich so undeutsch.

Vergeblich will Adelung das Wort Staat als Regierform von dem Worte Staat als Putzform durch das Schweig- s unterschieden wissen und dem Putze das  s entziehen. Aber diesem ist es ebenso wenig abzuschneiden; in Staatskleid und Staatsmann sind Rang und Pracht unzertrennlich. – Es sind dies wahre grammatische Verdrüßlichkeiten. Stets der Ihrige etc.


 

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