Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

13. Abend

eingestellt: 6.6.2007



Am folgenden Abend rief der Vater seine Kleinen etwas früher zusammen, weil er, wie er sagte, erst eine Rathsversamlung mit ihnen halten müste, bevor er in seiner Erzählung weiter gehen könte.

Worüber wollen wir uns denn berathschlagen? riefen die Kleinen, indem sie rund um ihn herum zusammentrafen.

Vater. Ueber eine Sache, die unserm Robinson die ganze Nacht hindurch im Kopfe herum gegangen ist, und wovor er kein Auge hat zu thun können.

Alle. Nun?

Vater. Es war die Frage, ob er den alten Kokusbaum, den er gestern gesehen hatte, in der ungewissen Hofnung, ob er daraus ein Schif würde machen können, umhauen oder stehen lassen solte.

Johannes. Ich hätt ihn hübsch wollen stehen lassen.

Diderich. Und ich hätt ihn umgehauen.

Vater. Da sind also zwei entgegengesezte Meinungen; der Eine wil den Baum umhauen, der Andere wil ihn stehen lassen. Laßt doch hören, ihr Andern, was ihr dazu sagt?

Gotlieb. Ich halt es mit Johannes.

Lotte. Ich auch, lieber Vater! Der Baum sol stehen bleiben.

Frizchen. Nein er sol umgehauen werden, daß der arme Robinson ein Schif kriegt.

Nikolas. Das sag ich auch!

Vater. Nun so stellt euch in zwei Partheien; und dan wollen wir hören, was jeder für Grund zu seiner Meinung hat. - So! Nun, Johannes, mache du den Anfang; warum sol der Baum stehen bleiben?

Johannes. I, weil er so schöne Früchte trägt, und weil diese Art von Bäumen so was Seltenes auf der Insel ist!

Diderich. O es ist schon ein alter Baum; der wird doch nicht lange mehr Früchte tragen!

Johannes. Woher weißt du das? Er ist ja nur erst ein wenig hohl; und wie viel hohle Bäume giebts nicht, die noch manches Jahr Früchte tragen.

Nikolas. Robinson hat ja schon andere Bäume gepfropft; nun wird er bald Kokusbäume genug kriegen?

Gotlieb. Ja, aber sind die denn sogleich groß? Da können ja wohl vier Jahre über hingehen, ehe die anfangen, Früchte zu tragen.

Frizchen. Ist es denn nicht besser, daß er ein Schif kriegt, und wieder zu Menschen fährt, als daß er da immer auf seiner Insel sizt und Kokusnüsse ißt?

Johannes. Ja, wenn das Schif so gleich fertig wäre! Womit wil er denn den Baum umhauen, und womit wil er ihn aushöhlen, da er nur eine steinerne Axt hat?

Diderich. O, wenn er nur lange genug daran hauet und nicht ungeduldig wird, so wird er schon damit zu Stande kommen!

Gotlieb. Aber denn so hat er ja noch kein Segel! Was wil er denn mit dem blossen Schiffe anfangen?

Nikolas. O er muß sich mit Rudern helfen!

Lotte. Ja, das wird schön gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemünde auf der Ostsee waren*, und dem einen Matrosen das Ruder brach, wie es uns da beinahe gegangen wäre? Vater sagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrauchen gewesen wäre: so hätte uns der andere Matrose allein nicht wieder ans Land bringen können.

Diderich. O das war auch ein grosser Kahn, und waren ja achtzehn Menschen drin. Wenn sich Robinson einen kleinen Kahn und zwei Ruder macht, so wird er ihn schon allein regieren können.

Vater. Nun, Kinder, ihr seht, die Sache ist gar nicht leicht zu entscheiden. Alles, was ihr da gesagt habt, ging dem guten Robinson die ganze Nacht hindurch auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sache überlegen, wenn man nachdenkt, ob es besser sei, sie zu thun, oder nicht zu thun. Seitdem Robinson die traurigen Folgen seiner übereilten Entschliessung, in die weite Welt zu reisen, empfunden hatte, hatt er sichs zur beständigen Regel gemacht, nie wieder etwas zu thun, ohne erst vorher eine vernünftige Ueberlegung darüber angestellt zu haben. Das that er also auch jezt. Nachdem er nun die Sache lange genug hin und her überdacht hatte; so fand er, daß Alles auf die Frage ankomme: ob es recht sei, einen kleinen, aber gewissen Vortheil hinzugeben, um einen grössern, aber noch ungewissen Vortheil dadurch zu erlangen? Da fiel ihm nun zuerst die Fabel von dem Hunde ein, der das Stük Fleisch, welches er im Munde hielt, fahren ließ, um nach dem Schatten desselben im Wasser zu greifen, und darüber am Ende gar nichts hatte. Aber bald darauf erinnerte er sich auch, wie es die Landleute machen; daß sie nemlich einen Theil des Korns, welches sie schon haben, ausstreuen, in der Hofnung, noch weit mehr dadurch zu gewinnen. Das Verfahren des Hundes nent jederman unvernünftig, das Verfahren des Landmans hingegen vernünftig und klug: »was mag denn wohl, dachte Robinson, der Unterschied hiebei sein?«

Er san noch ein Weilchen darüber nach und dan sagt er zu sich selbst: »ja, ja, so ists! Der Hund handelte unvernünftig, weil er nur seiner Begierde folgte, ohne zu überlegen, ob er das, was er haschen wolte, auch wirklich erlangen könte. Der Akkersman aber handelt vernünftig, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit hoffen kan, daß er mehr Korn wieder bekommen werde, als er ausstreuet.«

»Nun, sagt er ferner, bin ich nicht in demselben Falle? Ist es nicht wahrscheinlich, daß ich durch anhaltenden Fleiß endlich damit zu Stande kommen werde, aus dem alten Baume einen Kahn zu machen? Und wenn mir dieses glükken solte, hab ich dan nicht Hofnung, mich damit aus dieser traurigen Einöde befreien zu können?«

Der Gedanke an seine Befreiung wurde in diesem Augenblikke so lebhaft in seiner Sele, daß er plözlich aufsprang, sein steinernes Beil ergrif, und spornstreichs nach dem Baume hinlief, um das große Werk sogleich anzufangen.

Aber hatt er jemahls ein mühseeliges und langwieriges Geschäft unternommen, so war es dieses! Tausend andere Menschen werden nach dem ersten Hiebe den Arm muthlos wieder haben sinken lassen, und die Sache für unmöglich gehalten haben. Aber Robinson hatte sich nun einmahl, wie wir wissen, zum Gesez gemacht, sich durch keine Schwierigkeit von irgend einem vernünftigen Vorhaben abschrekken zu lassen; und also blieb er auch diesmahl mit großer Standhaftigkeit bei seinem einmahl gefaßten Vorsaze, die Ausführung desselben mögte ihm auch noch so viel Zeit und noch so viel Arbeit kosten!

Nachdem er von Sonnenaufgang an, bis gegen Mittag fast unaufhörlich gearbeitet hatte, war das Loch, welches er durch tausend Hiebe in den Stam gehauen hatte, noch nicht so groß, daß er seine Hand hineinlegen konte. Daraus könt ihr in voraus schliessen, wie viel Zeit er brauchen wird, um den ganzen ziemlich dikken Baum völlig umzuhauen, und ein Schif daraus zu zimmern.

Er sahe nun wohl, daß das eine Arbeit von mehreren Jahren sein würde; und er hielt daher für nöthig, eine ordentliche Eintheilung seiner Tageszeit zu machen, um für jede Stunde ein gewisses Geschäft zu haben: Denn er hatte nun schon aus der Erfahrung gelernet, daß bei einem geschäftigen Leben nichts mehr unsern Fleiß befördert und erleichtert, als Ordnung und regelmäßige Eintheilung der Tagesstunden. Hier ist ein Verzeichniß, woraus ihr sehen könt, wozu er jede Stunde gewidmet hatte.

Sobald der Tag anbrach, stand er auf, und lief nach der Quelle, um Kopf, Hände, Brust und Füsse zu waschen. Da er kein Handtuch hatte, so must er sich von der Luft troknen lassen, welches er dadurch beförderte, daß er jedesmahl in vollem Laufe nach seiner Wohnung zurük rante. Dan kleidete er sich völlig an. War dieses geschehen, so erstieg er den Hügel über seiner Höhle, wo er eine freie Aussicht hatte, warf sich daselbst auf die Knie und verrichtete ein andächtiges Morgengebeth, wobei er nie vergaß, Gott um Seegen für seine lieben Eltern zu bitten. Hierauf molk er seine Lamas, von denen er sich nach und nach eine kleine Heerde zugezogen hatte. Einen Theil der jedesmahligen Milch verwahrt er in seinem Keller, die Uebrige genoß er zum Frühstük. Darüber war denn ohngefähr eine Stunde verflossen. Nun legt er alles, was zu seiner Bewafnung gehörte, an und machte sich auf den Weg, entweder gleich nach dem Orte, wo der Baum stand, oder, fals es eben Ebbezeit war, erst nach dem Strande, um einige Austern zum Mittagsessen aufzulegen. Seine Lamas liefen dan gewöhnlich alle hinter ihm her und weideten neben ihm herum, indeß er selbst mit Hauen beschäftigst war.

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