Joachim Heinrich Campe
Robinson der Jüngere
17. Abend
eingestellt: 6.6.2007
Johannes. Nun sol mich doch verlangen zu hören, was Robinson mit seinem Freitag alles vornehmen wird!
Diderich. O nun wird er schon viel mehr machen können, als vorher, weil er jezt einen Gehülfen hat!
Vater. Ihr werdet immer mehr sehen, Kinder, was für große Vortheile dem Menschen durch die Geselligkeit zufliessen, und wie viel Ursache wir also haben, Gott zu
danken, daß er den Trieb nach Umgang und Freundschaft mit andern Menschen uns so tief eingepflanzt hat!
Das erste, was Robinson mit seinem Freitag am andern Morgen vornahm, war ein Gang nach der Stelle, wo die Wilden den Tag vorher ihre unmenschliche Siegesmahlzeit gehalten hatten. Im Hingehen kamen sie zu nächst an den Ort, wo die beiden von Robinson erschlagenen Wilden verschart lagen. Freitag zeigte seinem Herrn die Stelle,
und ließ sich nicht undeutlich merken, daß er wohl Lust hätte, die todten Leiber wieder auszugraben, um eine Mahlzeit davon zu halten. Aber Robinson machte ein erschrekliches, Unwillen und Abscheu ausdrükkendes Gesicht, hob seine Lanze drohend empor, und gab ihm zu verstehen, daß er ihn auf der Stelle tödten wurde, sobald er sich jemahls wieder einfallen liesse, Menschenfleisch zu essen. Freitag verstand die Drohung, und unterwarf sich
demüthig dem Willen seines Herrn, ohngeachtet er nicht begreifen konte, was er doch für Ursachen haben mögte, ihm ein Vergnügen zu versagen, von dessen Abscheulichkeit er ganz und gar keinen Begrif hatte.
Jezt waren sie bei der Feuerstelle angekommen. Welch ein Anblik! Hier lagen Knochen, dort halb zernagte Fleischstükken von Menschen und an verschiedenen Stellen war der Boden mit Blut gefärbt. Robinson muste seine Augen davon
abkehren. Er befahl Freitag, alles auf einen Haufen zu werfen, dan ein Loch in die Erde zu graben, und die traurigen Ueberbleibsel der Unmenschlichkeit seiner Landsleute darin zu verscharren; und Freitag gehorchte.
Robinson suchte unterdeß mit grosser Sorgfalt die Asche durch, ob nicht vielleicht ein Fünkchen Feuer mögte übrig geblieben sein? Aber umsonst. Es war gänzlich erloschen. Das war nun sehr traurig für
ihn; denn nachdem der Himmel ihm einen Geselschafter verliehen hatte, blieb ihm vor der Hand fast nichts zu wünschen übrig, als - Feuer. Indem er nun mit gesenktem Kopfe da stand und mit traurigen Blikken die todte Asche betrachtete: machte Freitag, der ihm eine Zeitlang aufmerksam zugesehen hatte, einige ihm unverständliche Zeichen, ergrif darauf plözlich das Beil, rante wie der Wind nach dem Walde und ließ Robinson, der seine Absicht nicht begrif,
vol Verwunderung über dieses plözliche Weglaufen zurük.
»Was ist das?« dacht er, indem er vol Erstaunen ihm nachsahe. »Solte der Undankbare dich verlassen, dich sogar deines Beils berauben wollen? Solt er grausam genug sein, sich deiner Wohnung zu bemächtigen, dich mit Gewalt davon ausschliessen, oder gar dich seinen unmenschlichen Landsleuten verrathen zu wollen?« - »Schändlich! Schändlich!« rief er
aus, und ergrif von Unwillen, über eine so unerhörte Undankbarkeit entbrannt, den Spieß, um dem Verräther nachzulaufen und ihn zu hindern, seine schwarzen Anschläge auszuführen.
Schon hatt er mit schnellen Schritten sich auf den Weg gemacht, als er plözlich Freitag in vollem Laufe wieder zurükkommen sahe. Robinson blieb betroffen stehen, und sahe mit Verwunderung, daß sein vermeinter Verräther im
Herzulaufen eine handvol dürres Gras in die Höhe hielt, aus welchem Rauch empor stieg. Jezt faßt es Flamme; Freitag warf es zur Erde, legte augenbliklich noch mehr troknes Gras und etwas Reisholz hinzu und Robinson sahe zu seinem freudigem Erstaunen in demselben Augenblikke ein helles, lustiges Feuer auflodern. Auf einmahl war ihm Freitags plözliches Weglaufen begreiflich; und vor Freude ausser sich fiel er ihm um den Hals, drükte und
küßte ihn mit Inbrunst, und bat in Gedanken ihn tausendmahl um Verzeihung, daß er einen so ungegründeten Verdacht auf ihn geworfen hatte.
Nikolas. Aber wo mogte denn Freitag das Feuer her gekriegt haben?
Vater. Er war mit dem Beile in den Wald gerant, um von einem troknen Stamme zwei Holzstükke abzuhauen. Diese hatt er so geschwind und so geschikt zu reiben gewust, daß sie sich entzündeten. Dan hatte er
hurtig das glimmende Holz in etwas Heu gewikkelt, und war mit diesem Heu in der Hand so schnel, als möglich, davon gerant. Durch die geschwinde Bewegung gerieth das entzündete Heu in Flammen.
Fr. R. Da hat mir unser Freund Robinson einmahl wieder gar nicht gefallen!
Johannes. Warum nicht?
Fr. R. Darum nicht, daß er, ohne hinlängliche Anzeigen von Freitags Untreue zu haben, so gleich einen so
schwarzen Argwohn gegen ihn faßte. Fi! wer wolte wohl so mistrauisch sein!
Johannes. Ja, es hätte aber doch wohl sein können, daß es wahr gewesen wäre, was er besorgte; und da must er sich doch vor ihn in Acht nehmen!
Fr. R. Versteh mich recht, lieber Johannes! daß der Gedanke an Freitags mögliche Untreue ihm einfiel, verdenk ich ihm nicht; auch das nicht, daß er ihm nachlief, um ihn zu hindern,
fals er etwas wider ihn im Schilde führen solte: denn diese Vorsichtigkeit gegen einen noch unbekanten Menschen war allerdings nöthig und gut. Aber das verdenk ich ihm, daß er diesen Argwohn nun gleich für gegründet hielt, daß er in Leidenschaft gerieth und, von Unwillen entbrannt, sich gar nicht einfallen ließ, daß Freitag doch wohl unschuldig sein könte. - Nein! so weit muß unser Mistrauen gegen andere Menschen niemahls
gehen, wenn wir nicht die gewissesten Beweise ihrer Untreue in Händen haben. In zweifelhaften Fällen muß man von Andern immer das Beste, nie das Schlimste, vermuthen.
Vater. Eine gute Regel! Merkt sie euch, Kinder, und richtet euch darnach. -
Nun, unser Robinson war, wie gesagt, vor Freuden ausser sich, da er seinen Argwohn zernichtet und sich nun auf einmahl wieder im Besiz des so lange entbehrten und so
sehnlich gewünschten Feuers sahe. Lange weidete er seine Augen an den auflodernden Flammen und konte sich nicht sat daran sehen. Endlich nahm er einen glühenden Feuerbrand und lief damit, von Freitag begleitet, nach seiner Wohnung.
Hier macht er augenbliklich ein helles Feuer in seiner Küche an, legte einige Kartoffeln dazu und flog darauf, wie der Wind, nach seiner Heerde, um ein junges Lama zu holen. Dieses wurde augenbliklich geschlachtet,
abgestreift, zerlegt und ein Viertel davon an den Spieß gestekt. Freitag wurde zum Bratenwender bestellt.
Unterdeß daß dieser sein Amt verrichtete, schnit Robinson ein Bruststük ab, und legt es wohl gewaschen in einen seiner Töpfe. Dan schält er einige Kartoffeln, zerstampfte zwischen zweien Steinen eine Handvol Maiz zu Mehl that beides zu dem Fleisch im Topf und goß so viel reines Wasser darauf, als ihm
nöthig zu sein schien. Auch vergaß er nicht etwas Salz dazu zu werfen, und dan sezt er diesen Topf gleichfalls an das Feuer.
Lotte. Ich weiß schon, was er davon machen wolte! - Suppe!
Vater. Ganz recht; - eine Speise, die er nun wenigstens in acht Jahren nicht genossen hatte! Ihr könt denken, wie der Mund ihm darnach wässern muste!
Freitag machte bei diesen Zurüstungen grosse Augen, weil er
noch nicht begreifen konte, wozu das alles solte? Vom Kochen hatt er nie etwas gehört oder gesehen; er wuste daher auch schlechterdings nicht zu errathen, was das Wasser im Topfe bei dem Feuer machen solle? Als nun Robinson auf einige Augenblikke in seine Höhle gegangen war, und das Wasser im Topfe zu kochen anfing: stuzte Freitag, weil es ihm unbegreiflich war, was doch wohl das Wasser auf einmahl in Bewegung sezen mögte? Da es aber vollends aufbrausete
und von allen Seiten anfing überzulaufen, gerieth er auf den närrischen Einfal, daß vielleicht irgend ein lebendiges Thier darin sei, welches diese plözliche Bewegung verursachte; und um zu verhüten, daß dieses Thier nicht alles Wasser aus dem Topfe heraus drengte: stekt er hurtig seine Hand hinein, um es zu fangen. Aber in eben demselben Augenblikke fing er ein so entsezliches Geschrei an, daß die Felsenwand der Höhle davon erbebte.
Angst und Schrekken ergriffen unsern armen Robinson, da er dies gewaltige Geschrei vernahm, weil er in dem ersten Augenblikke nichts anders vermuthen konte, als daß die Wilden da wären und seinen Freitag schon gepakt hätten. Furcht und Selbstliebe riethen ihm, sich durch seinen verborgenen unterirdischen Gang auf die Flucht zu begeben, um sein eigenes Leben zu retten. Aber er verwarf diesen Einfal augenbliklich wieder, weil er es mit Recht für
schändlich hielt, seinen neuen Hausgenossen und Freund im Stiche zu lassen. Ohne sich also länger zu besinnen, stürzt er aus der Höhle hervor, fest entschlossen, für Freitags abermahlige Befreiung aus den Händen der Unmenschen Blut und Leben zu wagen.
Fr. B. So gefälst du mir, Freund Robinson!
Vater. Er stürzte also hervor, das Beil in der Hand: aber - wie erstaunt er nicht, da
er Freitag ganz allein, wie einen Unsinnigen mit unaufhörlichen Geschrei herumtanzen und die allerseltsamsten Gebehrden machen sahe. Lange stand er, wie verduzt, und wuste nicht, was er davon denken solte? Endlich kam es zu Erklärungen, und da erfuhr er denn durch Zeichen, daß das ganze Unheil nur darin bestehe, daß
Freitag sich die Hand ein wenig verbrant habe.
Diesen zu beruhigen, kostete ihm nicht wenig Mühe. Damit ihr aber
begreifen möget, (was Robinson erst ein Jahr nachher, da Freitag mit ihm reden konte, begrif) warum er, um einer solchen Kleinigkeit willen, einen so entsezlichen Lerm machte und sich so wunderlich gebehrdete: so muß ich euch erst sagen, was unwissende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete Menschen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas begegnet, wovon sie die Ursache nicht einzusehen vermögen.
Diese armen einfältigen Menschen gerathen
nemlich alsdan fast immer auf den Gedanken, daß irgend ein unsichtbares Wesen, ein Geist, die Ursache von demjenigen sei, was sie nicht begreifen können; und sie meinen, daß dieser Geist eine solche Wirkung auf Befehl irgend eines Menschen thue, dem er dienstbar geworden sei. Einen solchen Menschen, dem sie diese Herschaft über einen oder mehrere Geister zutrauen, nennen sie dan einen Zauberer oder Hexenmeister, und wenns ein Frauenzimmer ist, eine
Zauberin oder Hexe.
Wenn zum Beispiel einem armen unwissenden Landmann plözlich ein Pferd oder eine Kuh krank wird, ohne daß ihm die Ursache dieser Krankheit bekant ist: so geräth er leicht auf den dummen Gedanken, daß irgend ein Hexenmeister oder eine Hexe im Dorfe sei, die sein Pferd oder seine Kuh bezaubert, das heißt, durch Hülfe eines unsichtbaren bösen Geistes krank gemacht hätten. Da giebts denn
gemeiniglich auch einen listigen und boshaften Betrüger, der sich der Unwissenheit und des Aberglaubens dieser armen Leute zu Nuze macht, um Geld von ihnen zu ziehen. Ein solcher Betrüger bestärkt sie darauf in ihrem Aberglauben; weiß sich eine wichtige Miene zu geben; sagt, sie hätten ganz recht, das Thier wäre wirklich behext; aber, wenn sie ihm nur so oder so viel Geld geben wolten, so wäre er im Stande, das Thier wieder zu entzaubern, oder den
Zauberer und den bösen Geist zu zwingen, davon abzulassen. Das thun denn diese einfältigen Leute, und der Teufelsbanner (so nennen sie den Betrüger) macht dafür allerlei närrische Gaukeleien. Wird das Vieh dan etwa zufälliger Weise wieder gesund: so schwören sie darauf, daß es wirklich behext gewesen, aber von dem klugen Manne (so pflegen sie den Betrüger auch wohl zu nennen) wieder entzaubert worden sei. Stirbt das Vieh aber doch;
nun so hat der kluge Man tausend Ausreden, wodurch er dem Volke begreiflich zu machen weiß, warum seine Bannung ohne seine Schuld fruchtlos geblieben sei.
Je dummer die Menschen sind, desto mehr sind sie diesem schädlichen Aberglauben ergeben. Ihr könt also denken, daß er vornemlich unter den Wilden im Schwange gehen muß. Alles, was diese mit ihrem einfältigen Verstande nicht begreifen können, das schreiben sie den Wirkungen
böser Geister zu; und dies war der Fal worin sich unser Freitag jezt befand.
Nie hatt er gehört oder erfahren, daß man Wasser heiß machen könne; nie hatt er auch gefühlt, wie es thut, wenn man die Hand in kochendes Wasser stekt: er konte also auch schlechterdings nicht begreifen, woher die so sehr schmerzhafte Empfindung komme, die ihn plözlich überfiel, so bald das kochende Wasser seine Hand berührte. Er glaubte
also steif und fest, daß es mit Zauberei zugehe und daß sein Herr ein Hexenmeister sei.
Nun, Kinder, - macht euch nur darauf gefaßt, - es wird euch künftig auch wohl einmahl eins und das Andere vorkommen, dessen Ursache ihr nicht werdet begreifen können. Ihr werdet Taschenspieler und Gaukler sehen, die wunderseltsame Dinge machen können, die z. B. dem Scheine nach, einen Vogel in eine Maus verwandeln, einen geköpften
Vogel wieder lebendig machen können u. s. w. ohne, daß ihr bei der größten Aufmerksamkeit im Stande seid, die Gaukelei zu entdekken; wenn euch denn auch etwa der Gedanke anwandeln solte: das geht nicht mit rechten Dingen zu; das muß ein Hexenmeister sein! so erinnert euch unsers Freitags und seid versichert, daß es euch eben so, wie ihm geht, daß ihr nemlich aus Unwissenheit etwas für uebernatürlich haltet, was im
Grunde sehr natürlich zu geht. Um euch noch mehr darauf vorzubereiten, wollen wir euch gelegentlich einige solcher Taschenspielerkünste erklären, damit ihr von diesen auf andere schliessen könt.
Es kostete, wie gesagt, viele Mühe, den armen Freitag zu beruhigen und ihn zu bewegen, sich wieder zu dem Braten zu sezen, um ihn zu wenden. Zwar that er dies endlich, aber den Topf sah er noch immer mit Grausen und seinen Herrn, den er nun für
ein unmenschliches Wesen hielt, mit furchtsamer Ehrerbietung an. In diesem Glauben bestärkte ihn die europäische weisse Gesichtsfarbe und der lange Bart desselben, wodurch er ein ganz anderes Ansehen erhielt, als Freitag nebst seinen schwarzbraunen und unbärtigen Landsleuten hatten.
Nikolas. Haben denn die Wilden in Amerika keinen Bart?
Vater. Nein! man hat daher fast durchgängig geglaubt, daß die Natur den
Amerikanischen Männern den Bart versagt habe: jezt aber wil man bemerkt haben, daß sie ihn blos deswegen nicht haben, weil sie die Haare des Kinnes, so bald sie hervorwachsen, sorgfältig auszuraufen pflegen.
Suppe, Kartoffeln und Braten waren jezt gar. Da es an Löffeln fehlte, so goß Robinson zwei Porzionen Suppe in zwei andere Töpfe, um sie aus diesen zu trinken. Aber Freitag war durchaus nicht zu bewegen, einen
derselben anzunehmen, weil er die Suppe für einen Zaubertrank hielt; und es schauderte ihn, da er Robinson ansezen, und die bezauberte Brühe trinken sahe. Von dem Braten hingegen und von den Kartoffeln aß auch er mit großem Wohlgefallen.
Wie sehr der Genuß warmer und nahrhafter Speisen unsern Robinson erfreuen muste, könt ihr euch vorstellen. Er vergaß darüber aller ausgestandnen Mühseeligkeiten der
verflossenen kümmerlichen Jahre, vergaß, daß er noch immer auf seiner Insel sei, glaubte in ein ander Land, glaubte wieder mitten in Europa versezt zu sein. So weiß die gütige Vorsehung die Wunden unsers Herzens, die sie zu unserm Besten schlug, und die wir in der Empfindung des Schmerzens für unheilbar hielten, oft in einem einzigen Augenblikke durch den Balsam unverhofter Freuden gänzlich wieder zu heilen! Ob übrigens Robinson im
Genuß dieser neuen Gottesgaben auch an den Geber derselben mit Lieb und Dankbarkeit gedacht habe, brauch ich euch wohl nicht erst zu sagen.
Nach der Mahlzeit lagert er sich in seinem Gedankenwinkel, um über die glükliche Veränderung seines Zustandes ernsthafte Betrachtungen anzustellen. Alles hatte nun eine andere, viel angenehmere Gestalt für ihn gewonnen. Sein Leben war nun nicht mehr einsam; er hatte einen Geselschafter, mit dem er jezt
zwar noch nicht reden konte, aber dessen bloße Geselschaft ihm doch schon jezt zum Troste und zur Hülfe gereichte; er hatte wieder Feuer und der wohlschmekkenden und gesunden Nahrungsmittel genug, um die Bedürfnisse des Gaums und des Magens hinlänglich befriedigen zu können. »Was kan dich, dacht er, nun noch hindern, vergnügt und unbekümmert zu leben? Geneuß also der mannigfaltigen Wohlthaten des Himmels; iß und trink von deiner Heerde
und von den Früchten des Landes das Beste, (denn du hast ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun durch Ruhe und gutes Essen und Trinken schadlos für die ausgestandnen Mühseeligkeiten und den Mangel der verflossenen Jahre! Dein Freitag mag für dich arbeiten; er ist jung und stark und du hast es ja um ihn verdient, daß er dein Knecht sei.« Hier stokten seine Gedanken; denn es kam ihnen eine andere Betrachtung in die Queer.
»Aber wie? dacht er, wenn deine ganze gegenwärtige Glükseeligkeit einmahl wieder ein Ende nähme? Wenn Freitag stürbe? Wenn dein Feuer abermahls erlöschte?« Ein kalter Schauder lief ihm bei diesem Gedanken durch alle Glieder.
»Und dacht er weiter, wenn du durch ein weichliches und wollüstiges Leben dich dan so verwöhnt hättest, daß es dir unmöglich fiele, zu der Härte und Armseeligkeit deiner vorigen Lebensart zurük zu kehren? Und wenn du dennoch, dazu zurük zu kehren, gezwungen würdest?« Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
Dan dacht er weiter: »Wem hast denn du es vornemlich zu zuschreiben, daß du durch Gottes Hülfe manche Schwachheit und Untugend abgelegt hast, die dir vorher eigen waren? Nicht wahr, lediglich der arbeitsamen und mäßigen Lebensart, die du bisher zu führen gezwungen warest? Und du wolltest nun durch Müßiggang und sinliches Wohlleben dich in Gefahr sezen, der Gesundheit des Leibes und des Geistes, welche Mäßigkeit und Arbeitsamkeit dir verliehen haben, wieder verlustig zu werden? da sei Gott vor!« dacht er, sprang von seinem Lager auf und ging mit hastigen Schritten in seinem Hofraume auf und nieder. Freitag trug unterdeß die übrig gebliebenen Speisen in den Keller und ging, auf Robinsons Befehl, die Lamas zu melken.
Robinson fuhr in seiner Betrachtung also fort: »Und, dacht er, wenn du von nun an ein ruhiges und schwelgerisches Leben führtest, wie lange würd es dauern, daß du aller überstandenen Noth, und der väterlichen Hülfe, die dein lieber Gott bis hieher dir geleistet hat, vergessen würdest? Wie bald würdest du übermüthig, trozig, gottvergessen werden? Schreklich! schreklich!« rief er aus und fiel auf seine Knie, um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja vor diesem abscheulichen Undanke bewahren mögte.
Noch stand er einige Minuten im tiefen Nachdenken; dan faßte seine Sele folgende mänliche und wahrhaftig heilsame Entschliessung:
»Ich wil, dacht er, der neuen götlichen Wohlthaten zwar geniessen; aber immer mit der größten Mäßigkeit. Die einfachsten Speisen sollen auch künftig meine Nahrung sein, so groß und mannigfaltig mein Vorrath auch immer sein mag. Meine Arbeiten will ich eben so unverdrossen und eben so ununterbrochen fortsezen, als bisher, ohngeachtet sie nicht mehr eben so nothwendig sein werden. An einem Tage einer jeden Woche, und dies sei der Sonnabend, wil ich von eben den rohen Speisen leben, die mich bis hieher ernährt haben, und den lezten Tag eines jeden Monats wil ich eben so einsam hinbringen, als ich die ganze verflossene Zeit meines hiesigen Aufenthalts habe hinbringen müssen. Freitag sol dan jedesmahl einen Tag und eine Nacht sich fern von mir in meinem Sommerpallast aufhalten.«
Er empfand, nachdem er diese tugendhaften Vorsäze gefaßt hatte, die reine himlische Freude, welche jedes Bestreben unsers Geistes nach grösserer Volkommenheit allemahl zu begleiten pflegt. Seine Stirn glühete, sein Herz empfand schon zum voraus die seeligen Folgen dieser freiwilligen Aufopferungen und schlug lebhafter; es war ihm unaussprechlich wohl zu Muthe. Aber er kante nun schon die Wankelmüthigkeit des menschlichen Herzens, auch seines Herzens, und sahe daher voraus, wie leicht es möglich sei, daß er dieser seiner guten Vorsäze wieder vergessen könte. Er glaubte daher, daß es nicht undienlich sein werde, wenn er sich irgend ein sinliches Merkzeichen machte, bei dessen Anblik er sich täglich wieder daran erinnern könte. In dieser Absicht ergrif er sein Beil und hieb in die Felsenwand über dem Eingange zu seiner Höhle die beiden Worte ein: Arbeitsamkeit und Mäßigkeit.
Nun Kinder, ich geb euch bis Morgen Zeit, über diesen lehrreichen Umstand in unsers Freundes Leben nachzudenken, ob vielleicht etwas darin sei, welches ihr zu eurem Besten nachmachen köntet. Wenn wir wieder zusammen kommen, solt ihr mir eure Gedanken darüber mittheilen, so wie ich euch die Meinigen sagen werde.