Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

20. Abend

eingestellt: 6.6.2007





Vater. Nun, Kinder, Robinson und Freitag haben eingepakt, und der Wind ist günstig. Macht euch also gefaßt, ihnen ein ewiges Lebewohl zu sagen: denn wer weiß, ob wir jemahls wieder von ihnen etwas sehen, oder hören werden!

Alle. (Bestürzt und traurig.) Oh!

Vater. So ist es nun einmahl in der Welt! Man kan nicht immer bei seinen Freunden sein; der Schmerz der Trennung ist unvermeidlich; man muß sich also auch darauf schon in voraus vorzubereiten suchen.

Da Robinson seine Burg verlassen hatte, blieb er auf dem Hügel über derselben nachdenkend stehen, und hieß seinen Gefährten ein wenig voran gehen. Dan überdacht er noch einmahl alle überstandene Schiksale seines einsamen Lebens an diesem Orte, und ward über die wunderbare Führung des Himmels, die ihn bis dahin so sichtbar geleitet hatte, tief im Innersten seines Herzens gerührt. Ein Strom dankbarer Freudentränen entstürzte seinen Augen. Dan hob er seine ausgebreiteten Arme gen Himmel und betete mit glühender Andacht:

»O du lieber, lieber himlischer Vater, wie sol ich dir danken für Alles, was du bis hieher an mir gethan hast? Siehe! (indem er auf die Knie fiel) hier lieg ich vor deinem alsehenden Auge im Staube, unfähig, die heissen Gefühle meines Herzens durch Worte auszudrükken! Aber du siehst dies Herz, siehst die unaussprechlichen Empfindungen der Dankbarkeit, von denen es so ganz, so ganz durchdrungen ist. Dies von dir gebesserte, dich über alles liebende Herz, dies so oft durch Trübsal verwundete, so oft von dir geheilte Herz, ist alles alles, was ich dir, mein gütiger Vater, für alle deine unzählbaren Wohlthaten wieder zu geben vermag. Nim es an, mein Vater, o nim es ganz und vollende das Werk der Besserung, welches du mit ihm angefangen hast! Siehe! ich werfe mich von neuem in deine Vaterarme! Mache du es mit mir nach deinem väterlichen Wohlgefallen. Nur daß ich nie wieder verlasse den Weg der Tugend, auf den deine Barmherzigkeit mich zurükgeführt hat! Nur das nicht, mein Vater, nur das nicht! Sonst mag es mit mir gehen, wie dein weiser Rath beschlossen hat. Ich gehe, wohin du mich führen wirst; gehe im Vertrauen auf dich jeder neuen Gefahr, die meiner vielleicht wartet, muthig entgegen. Begleite mich, mein Gott; bewache meine unsterbliche Sele mit deinem unsichtbaren Schuze bei jeder mir vielleicht bevorstehenden Versuchung zur Kleinmüthigkeit, zur Ungeduld und zur Undankbarkeit gegen dich - gegen dich, o du ewige himlische Liebe, mein Schöpfer, mein Vater, mein Gott! Gott! Gott! -«

Hier wurde seine Empfindung so heftig, daß er nichts bestimtes mehr zu denken vermogte. Er warf sich mit dem Gesicht zur Erde, um auszuweinen. Dan richtete er sich, gestärkt durch götlichen Trost, wieder auf und übersahe noch einmahl die ihm nun so liebe Gegend, die er jezt verlassen solte. Es war ihm, wie einem, der sein Vaterland verlassen sol, und es nie wieder zu sehen hoffen darf. Sein nasser Blik blieb liebevol und traurig hangen an jedem Baume, in dessen Schatten ihm einst wohl gewesen war, an jedem Werke seiner Hände, welches er im Schweisse seines Angesichts gemacht hatte. Es war ihm nicht anders dabei zu Muthe, als wenn er sich von eben so vielen Freunden trennen solte. Und da er nun vollends seine am Fuß des Berges im Grase weidende Lamas erblikte, must er sein Gesicht von ihnen wegkehren, um in seiner Entschliessung zur Abreise nicht wankend zu werden.

Endlich hatt er ausgekämpft. Er ermante sich, breitete seine Arme gegen die ganze Gegend aus, als wenn er Alles, was darin war, umarmen wolte, und rief mit lauter Stimme aus: lebt wohl, ihr theuren Zeugen meiner überstandenen Leiden! Lebt wohl! Wohl! Wohl! - Das lezte Wohl verlohr sich in einem lauten Schluchzen. Jezt richtete er noch einmahl seine Augen gen Himmel und trat entschlossen den Weg zum Strande an.

Im Weggehen bemerkt er seinen trauten Pol, der von Baum zu Baum neben ihm herflatterte. Er konte dem Verlangen, ihn mitzunehmen, nicht wiederstehn; also strekt er seine Hand gegen ihn aus, rief: Pol! Pol! und Polchen hüpfte hurtig herab, kletterte gaukelnd von seines Herrn Hand auf seine Schulter und blieb da sizen. So kam Robinson bei seinem, ihn mit Ungeduld erwartenden Freitag an und beide stiegen in das Schif.

Es war der 30ste November des Morgens um 8 Uhr, im neunten Jahr des Aufenthalts unsers Freundes auf dieser einsamen Insel, da sie bei völlig heiterem Wetter und mit frischen günstigen Winde vom Lande abstiessen. Sie waren kaum einige tausend Schritte fortgesegelt, als sie an ein Rif von Klippen kamen -

Lotte. O sage uns doch erst, was das ist, ein Rif!

Vater. So nennen die Schiffer eine Reihe an einander hängender Felsen, die entweder unter dem Wasser verborgen liegen, oder hie und da hervorragen. Dieses Rif, oder diese Kettenfelsen liefen von einem Vorgebirge der Insel über zwei deutsche Meilen weit schief in die See hinein. Darüber weg zu fahren, schien beiden gefährlich zu sein; also gaben sie dem Segel eine andere Richtung, um durch einen Umweg dieser Felsenreihe auszubeugen.

Nikolas. Wie konten sie denn aber wissen, wie weit das Rif ins Meer hinauslief, wenn das Wasser darüber herfloß?

Vater. Das konten sie aus den Brechungen der Meereswogen sehen, die an solchen Orten, wo Felsen verborgen sind, höher aufbrausen und zugleich schäumen, weil sie von denen unterm Wasser befindlichen Felsen aufgehalten und gebrochen werden.

Kaum hatten sie die äusserste Spize des Rifs erreicht, als ihr Kahn auf einmahl mit solcher Geschwindigkeit fortgerissen ward, als wenn sie zwanzig Segel angesezt und den stärksten Sturmwind im Rükken gehabt hätten. Beide erschraken und strichen geschwind das Segel, weil sie glaubten, daß ein plözlicher Windstoß Schuld daran wäre. Aber das half nichts; es schoß vielmehr der Kahn noch eben so schnel durch die Fluth, als vorher: und nun sahen sie zu ihrem Schrekken, daß sie sich mitten auf einem reissenden Meerstrome befänden.

Frizchen. I, sind denn in dem Meere auch Ströme?

Vater. O ja, Frizchen! Weil der Grund des Meeres eben so ungleich, als die Oberfläche des festen Landes, ist; weil es da eben so, wie hier zu Lande, Berge, Hügel und Thäler gibt: so kriegt das Wasser nach den niedrigern Gegenden hin einen stärkern Schuß, und daher entstehen dan mitten im Meere eben solche große Ströme, als unsere Elbe ist, und die pflegen gemeiniglich sehr reissend zu sein. Da ist es dan oft sehr gefährlich für die Schiffe, besonders für die kleinen, wenn sie auf einen solchen Meerstrom gerathen; weil sie nicht im Stande sind, wieder davon zu kommen, und oft wohl funfzig und mehr Meilen weit ins weite Meer verschlagen werden.

Gotlieb. Ach, armer, armer Robinson, wie wird dirs nun gehn?

Lotte. Wär er doch nur auf seiner Insel geblieben! Ich dacht es wohl, daß wieder was daraus herkommen würde!

Vater. Diesmahl war es nicht Vorwiz, nicht Leichtsin, wodurch er zu dieser Reise angetrieben ward. Er hatte vielmehr die vernünftigsten Bewegungsgründe dazu gehabt. Alles also, was ihm jezt begegnet, darf er für eine götliche Schikkung halten; und in diese hatt er sich ja ergeben.

Beide strengten alle ihre Kräfte an, um wo möglich, den Kahn durch Rudern aus dem Strome heraus zu arbeiten; aber vergebens! Eine unwiderstehliche Gewalt riß sie mit der Schnelligkeit eines Pfeils dahin und schon waren sie so weit fortgetrieben, daß sie das flache Land ihrer Insel aus dem Gesichte verloren. Ihr Untergang schien nun unvermeidlich zu sein: denn es konte höchstens nur noch eine halbe Stunde währen: so waren auch die höchsten Gipfel der Berge aus ihrem Gesicht verschwunden; und wenn dan auch die Gewalt des Stromes über kurz oder lang nachließ: so war es ihnen doch unmöglich den Rükweg nach der Insel zu finden, weil sie keinen Kompaß hatten.

Frizchen. Keinen - ?

Vater. Keinen Kompaß, sag ich. Nikolas, der ein Schifskapitain werden wil, wird dir sagen, was das sei.

Nikolas. (lachend.) Wenn ich alles andere, was dazu gehört, auch schon so gut wüste, als das? - Frizchen, das ist eine Magnetnadel in einem kleinen runden Kästchen -

Frizchen. Ja, was ist eine Magnetnadel?

Nikolas. Das ist eine ordentliche Nadel von Stahl; die hat man mit einem gewissen Stein bestrichen, welcher der Magnet genant wird. Dadurch hat die Nadel die wunderbare Eigenschaft gekriegt, daß sie immer nach Norden - dort hin über Wandsbek hinaus - weiset. Darnach richten sich denn die Schiffer, wenn sie nichts mehr, als Luft und Wasser sehen können, sonst wurden sie auf dem großen Meere sich bald verirren und gar nicht wissen, nach welcher Himmelsgegend sie hinsegeln.

Vater. Hast du das verstanden, Friz?

Frizchen. Ja! Nur zu!

Vater. Da also Robinson einen solchen Kompaß nicht hatte: so war es ihm unmöglich wieder zurük zu finden, so bald er die Insel völlig aus den Augen verloren hatte. Und welch ein schreklicher Zustand wartete seiner dan? Mitten auf den Ozean getrieben zu werden, in einem kleinen unsichern Nachen, und nur auf einige Tage Lebensmittel zu haben. Kan auch etwas Fürchterlicheres erdacht werden?

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