Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

23. Abend

eingestellt: 6.6.2007





Vater. Der anbrechende Morgen hatte kaum den untersten Rand des östlichen Himmels geröthet: als der muntre Robinson seinen Gefährten wekte, um das Werk zu vollenden, welches sie gestern angefangen hatten. Sie arbeiteten den ganzen Tag über so unverdrossen, daß sie noch denselben Abend mit dem Flößholze zu Stande kamen.

Sie hatten eine doppelte Reihe von Balken, theils durch Strikke, theils durch biegsame und zähe Gerten von indianischen Weiden so fest an einander gebunden, daß sie ein völlig sichres Fahrzeug abgaben, welches ohngefähr zwanzig Fuß lang und fast eben so breit war. Auch hatten sie die Vorsichtigkeit gehabt es dicht am Strande und auf Walzen zu erbauen, um es ohne Zeitverlust und ohne große Mühe gleich aufs Wasser bringen zu können.

Zum Glük traf mit dem Anbruch des nächsten Morgens grade die Zeit der Ebbe ein. Sie säumten also keinen Augenblik, das Flösholz vom Strande hinab zu rollen, um mit dem Wasser, welches vom Ufer sich in das Meer zurük zog, wie auf einem Strome, nach dem gestrandeten Schiffe hin zu fahren. Jezt ging die Reise fort, und ehe eine halbe Stunde verstrich, waren sie schon an Ort und Stelle.

Wie schlug unserm Robinson das Herz, da ihm das große Europäische Schif vor Augen stand! Es fehlte nicht viel, so hätt er die Wand desselben geküßt, so werth macht es ihm der Umstand, daß es aus seinem Vaterlande gekommen, von Europäern erbauet, von Europäern hierher geführt war!

Aber ach! diese lieben Europäer selbst waren verschwunden! Waren vielleicht vom Meere verschlungen worden! Wie zerriß dieser traurige Gedanke das Herz des armen Robinsons, der gern die Hälfte seines noch künftigen Lebens dahin gegeben hätte, wenn er damit die verschwundene Manschaft des Schiffes wieder hätte herbei schaffen und mit ihnen nach Europa segeln können! Aber das war nun einmahl unmöglich; es blieb ihm also nichts übrig, als von der Ladung des Schiffes so viel zu retten, als er konte, um es zu seiner grösseren Bequemlichkeit anzuwenden.

Gotlieb. Ja, durft er denn aber etwas von den Sachen nehmen, die nicht sein waren?

Vater. Was meinst du, Johannes? Durft er?

Johannes. Ja, er durfte sie wohl aus dem Schiffe heraus nehmen und ans Land bringen; aber wenn die Leute sich wieder einfanden: so must er sie ihnen wieder geben.

Vater. Richtig! Denn nahm er die Sachen nicht heraus, so wurden sie nach und nach ein Raub der Wellen. Deswegen kont er auch mit gutem Gewissen sich so gleich dasjenige davon zu eignen, was ihm an unentbehrlichsten war, und es den Leuten, wenn sie jemahls wiederkämen, für die Mühe und Arbeit anrechnen, die er auf die Rettung des Schifguts verwandt hatte.

Was überhaupt die gestrandeten Schiffe betrift: so sind die Menschen in einigen gesitteten Ländern darin übereingekommen, daß die geretteten Sachen jedesmahl in drei Porzionen getheilt werden. Die Eine davon kriegen die vorigen Besizer wieder, wenn sie noch leben, oder ihre Erben, wenn sie todt sind; die Andere wird denjenigen zuerkant, welche diese Sachen gerettet haben, und die Dritte fält dem Landesherrn zu.

Nikolas. Dem Landesherrn? Warum kriegt denn der was davon ab?

Vater. Das ist nun so eine Frage - die ich euch jezt wohl nicht gut werde beantworten können. Indeß etwas kan ich euch doch darüber sagen, was euch schon jezt begreiflich sein wird. Seht, Kinder, der König, oder der Fürst, oder wie der Landesherr sonst heissen mag, hält auf den Küsten gewisse Leute, die dahin sehen müssen, daß von einem solchen gestrandeten Schiffe nichts geraubt, sondern alles, was gerettet werden kan, hübsch an einen sichern Ort gebracht werde. Geschähe dieses nicht, so würde der Kaufman, dem die Ladung des Schiffes gehörte, wohl selten etwas davon wieder kriegen, weil die Sachen entweder verderben, oder gestohlen werden würden. Nun kostet es aber dem Landesherrn sein Geld, solche Leute, die darnach sehen müssen, zu unterhalten. Es ist also billig, daß dieses von denen wieder erstattet werde, denen diese heilsame Anordnung zu Gute komt. Deswegen hat man also festgesezt, daß der dritte Theil der geborgenen Sachen (so pflegt man sie nemlich zu nennen) jedesmahl dem Herrn des Strandes zufallen solle; und diese einmahl festgesezte Anordnung nent man das Strandrecht.

Diesem zufolge hatte Robinson das Recht, von allen Sachen, die er aus dem gestrandeten Schiffe retten konte, gleich zwei Drittel als sein rechtmäßiges Eigenthum zu gebrauchen, wozu sie gut waren.

Johannes. Zwei Drittel?

Vater. Ja; eins für Mühe und Arbeit, das Andere als einziger rechtmäßiger Herr der Insel, bei welcher der Schifbruch sich ereignet hatte.

Diderich. Ja, wer hatte ihn denn aber zum Herrn der Insel gemacht?

Vater. Die gesunde Vernunft. Ein Stük Landes, das bisher noch gar keinen Herrn gehabt hat, gehört natürlicher Weise dem zu, der es zuerst in Besiz nimt. Und das war hier der Fal.

Der erste Wunsch, der in Robinsons Sele erwachte, da er sich von der starken Empfindung der Freude über den Anblik eines Europäischen Schiffes erhohlt hatte, war dieser, daß das Schif noch unbeschädigt sein, und wieder flot werden mögte. In diesem Falle war er fest entschlossen, sich mit Freitag darauf zu sezen, und, wo nicht nach Europa selbst, doch nach irgend einem europäischen Pflanzorte in Amerika zu segeln; so gefährlich es auch immer sein mögte, sich mit einem großen unbemanten Schiffe, und ohne die nöthigen Kentnisse von der Schiffarth zu haben, auf das offenbare Meer zu wagen. Er fuhr also auf dem Flößholze rund um das Schif herum, um den Grund des Meeres zu untersuchen; und da fand er denn bald zu seiner wahren Betrübniß, daß an kein Flotwerden desselben zu denken sei.

Der Sturm hatte nemlich das Schif grade zwischen zwei Felsen geworfen, von denen es nun so zusammengeklemt wurde, daß es weder rük- noch vorwärts bewegt werden konte. Hier must es also so lange stekken bleiben, bis die anschlagenden Wellen es nach und nach zertrümmern würden. Nachdem diese Hofnung also vereitelt war, eilte Robinson, an Bord des Schiffes zu steigen, um zu sehen, worin die Ladung desselben bestehe, und ob diese auch noch unverdorben sei. Dem guten Freitag war der Schrekken von ehegestern noch so gegenwärtig, daß er sich kaum entschliessen konte, seinen Herrn auf das Verdek des Schiffes zu begleiten. Er that es jedoch, wiewohl nicht ohne Zittern, besonders da das gehörnte Ungeheuer das Erste war, was sich seinen Blikken wieder darbot.

Aber das gehörnte Ungeheuer war dasmahl nicht so muthig, als gestern. Es lag vielmehr so kraftlos da, als wenn es gar nicht mehr aufzustehen vermögte, weil ihm nemlich seit ehegestern keiner das gewöhnliche Futter gereicht hatte. Robinson, der diese Ursache seiner Mattigkeit merkte, ließ seine erste Sorge sein, etwas aufzusuchen, was er dem ausgehungerten Thiere zu fressen geben könte. Weil er mit der innern Einrichtung eines Schiffes vollkommen bekant war; so fand er auch bald, was er suchte, und hatte das Vergnügen zu sehen, wie begierig die Ziege von dem vorgeworfenen Futter ihren Heißhunger stilte. Freitag hatte unterdeß an der ihm unbekanten Gestalt des Thieres genug zu bewundern gehabt.

Nun fing Robinson eine ordentliche Untersuchung an. Er stieg aus einer Kajüte in die andere, aus einem Schifsboden in den andern hinab, und sahe überal tausend Dinge, die in Europa kaum geachtet werden, für ihn aber einen ganz unschäzbaren Werth hatten. Da waren ganze Tonnen vol Schifszwiebak, vol Reiß, vol Mehl, vol Korn, vol Wein, vol Schießpulver, vol Kugeln und Schroot; da waren Kanonen, Flinten, Pistolen, Degen, und Hirschfänger; ferner Beile, Sägen, Meissel, Bohrer, Raspeln, Hobel, Hammer, eiserne Stangen, Nägel, Messer, Scheeren, Nadeln; da waren Töpfe, Schüsseln, Teller, Löffel, Feuerzangen, Blasebälge, Näpfe, und anderes hölzernes, eisernes, zinnernes, und kupfernes Küchengeräth; da waren endlich auch ganze Kisten vol Kleider, Wäsche, Strümpfe, Schuhe, Stiefel und hundert andere Sachen, für deren jede der entzükte Robinson gern seinen ganzen längstvergessenen Goldklumpen hin gegeben haben würde, wenn man eins oder das andere davon ihm zum Kauf angeboten hätte.

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