Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

27. Abend

eingestellt: 6.6.2007





Mathias. Na, Vater, wie war denn der Spanier unter die Wilden gekommen?

Vater. Nur noch ein wenig Geduld, so wirst dus hören! Es hat sich unterdeß noch etwas Anderes ereignet, welches ich zuerst erzählen muß.

Johannes. Nun, das sol mich wundern!

Vater. Robinson war neugierig, einen der beiden zurükgelassenen Kanoes zu besichtigen; trat also hinzu und fand in einem derselben zu seiner großen Verwunderung noch einen unglüklichen Menschen liegen, der so, wie der Spanier, an Händen und Füßen fest geknebelt war. Er schien mehr todt, als lebendig zu sein.

Robinson eilte, seine Bande aufzulösen, und wolte ihm aufhelfen. Allein er war weder im Stande zu stehen, noch zu reden, sondern winselte nur erbärmlich, weil er vermuthlich in der Meinung stand, daß man ihn jezt zur Schlachtbank führen wolte.

Da dieser kein Europäer, sondern ein Wilder war: so rief Robinson seinen Freitag herbei, der eben die todten Körper zusammen schlepte, um in seiner Landessprache mit ihm zu reden. Aber kaum hatte dieser ihn recht ins Auge gefaßt, so erfolgte ein Auftrit, dem Robinson und der Spanier nicht ohne Tränen beiwohnen konten. Freitag war nemlich auf einmahl, wie ausser sich. Er flog dem Gefangenen in die Arme, küßte, drükte ihn, schrie, lachte, hüpfte, tanzte, weinte, rang die Hände, zerschlug sich Gesicht und Brust, schrie wiederum und bezeugte sich durchaus, als ein Wahnwiziger. Es dauerte eine gute Weile, ehe Robinson auf sein wiederhohltes Fragen, die Antwort von ihm heraus brachte: mein Vater!

Es ist unmöglich alle Aeusserungen der Entzükkung und der kindlichen Liebe dieses guten Burschen zu beschreiben. Zwanzig mahl sprang er aus dem Kahne und wieder in den Kahn. Bald sezt er sich nieder, machte seine Jakke auf und legte seines Vaters Kopf an seine Brust, um ihn zu erwärmen; bald rieb er ihm die Arme und Knöchel, welche von dem festen Binden steif geworden waren; bald fiel er ihm wieder um den Hals oder um den Leib und bedekte ihn mit liebevollen Küssen. Robinson hatte noch etwas Wein in der Flasche, womit er ihn die angelaufenen Gliedmaßen seines Vaters bestreichen ließ; und ging, um ihn seiner Freude ganz zu überlassen, ein wenig auf die Seite.

Da er nach einer guten Weile zurükkam, fragt er ihn: ob er seinem Vater nicht ein bischen Brod gegeben hätte? »Der Schlingel hat alles selber aufgegessen!« antwortete Freitag, indem er auf sich selbst wies. Robinson reichte ihm darauf sein eigenes Frühstük, welches er noch in der Tasche hatte, und Freitag gab es seinem Vater. Kaum hatt er dies gethan, so sahe man ihn eiligst aus dem Kahne springen, und mit der Geschwindigkeit des Sturmwindes davon laufen. Ehe Robinson Wohin? aussprechen konte, war er ihm schon aus dem Gesichte.

In kurzer Zeit sahe man ihn zurük kommen, jedoch viel langsamer, als er hingelaufen war. Da er näher kam, zeigt es sich, daß er in der einen Hand einen irdenen Krug mit Wasser, in der andern etwas Brod und Käse trug. Jenes reicht er seinem Vater, dieses seinem Herrn, um ihn für das abgetretene Frühstük schadlos zu halten. Das frische Wasser erquikte den Alten zusehends, weil er vor Durst beinahe ohnmächtig gewesen war.

Jezt wandte sich Robinson zu dem Spanier, der sich ganz kraftlos ins Gras gestrekt hatte. Er ließ ihn gleichfalls durch Freitag tränken und bot ihm etwas Brod und Käse zur Erquikkung an. Dieser blikte mit freundlicher Dankbarkeit zu ihm auf; versuchte aufzustehen, aber es war ihm unmöglich; so viel Schmerzen empfand er in den Knöcheln der Hände und Füsse, die von dem starken Binden sehr angeschwollen waren. Freitag muste sich neben ihm setzen, um sie ihm gleichfalls mit etwas Wein sanft zu reiben, so wie er vorher seinem Vater gethan hatte.

Da war es nun sehr rührend anzusehen, wie dieser gute Sohn während des ihm aufgetragenen Geschäftes alle Augenblikke den Kopf nach seinem Vater hindrehete, um zu sehen, was er mache? Einmahl, da der Alte, um besser auszuruhen, sich ganz niedergelegt hatte, flog Freitag, ohne ein Wort zu sagen, so geschwind zu ihm hin, daß man kaum bemerken konte, daß er den Boden berührte; kehrte aber augenbliklich wieder zurük, so bald er gesehen hatte, daß sein Vater sich nur aus Gemächlichkeit ein wenig niedergelegt habe. Dan wolte Robinson versuchen, ob er mit Freitags Hülfe den Spanier nach dem Kahne führen könte: aber Freitag, als ein junger starker Kerl, nahm den ganzen Spanier, als eine Kleinigkeit, auf den Rükken, und trug ihn allein dahin. Nachdem sie darauf die Kanonen, und die Flinten, nebst den erbeuteten Waffen der Erschlagenen in den andern Kahn gebracht hatten, sprang Freitag wieder in den ersten, und ruderte, ohngeachtet ein starker Wind zu wehen angefangen hatte, so schnel damit fort, daß Robinson nicht so geschwind am Strande laufen konte, als jener schifte. Dieser war daher noch nicht auf die Hälfte des Weges gekommen, als er Freitag schon wieder bei sich vorbei zurük rennen sahe, um auch den andern Kahn herbei zu hohlen; und ehe noch Robinson an dem Orte anlangen konte, wo der erste Kahn mit den Kranken lag, war Freitag mit dem andern auch schon da. So groß war die Geschwindigkeit, mit welcher dieser laufen und rudern konte!

Jezt waren sie der Burg gegen über. Um die Fortbringung der beiden Kranken zu erleichtern, lief Robinson hin, eine Tragbahre zu holen. Auf diese wurde Einer nach dem Andern gesezt und von Robinson und Freitag zur Burg getragen. Beiden schien der Schlaf nöthiger, als alles andere zu sein. Indeß nun Freitag für jeden ein Lager bereitete, wärmte Robinson etwas Wein, um ihre geschwollene Knöchel damit zu waschen. Dan musten sie sich zur Ruhe begeben.

Und nun machten die beiden Wirthe Anstalt zu einer erquikkenden Abendmahlzeit. Freitag wurde abgeschikt ein junges Lama zu holen und Robinson besorgte das Uebrige. Dieser konte nicht umhin zu lächeln, da ihm der Gedanke einfiel, daß er einem ordentlichen Könige nun immer ähnlicher werde. Die ganze Insel war sein Eigenthum; seine Unterthanen, die ihm alle ihr Leben verdankten, hingen lediglich von seinem Willen ab, und waren verbunden, wenn es sein müste, Leib und Leben für ihn zu wagen. Am merkwürdigsten schien ihm dabei der Umstand zu sein, daß er grade eben so viele Religionssekten, als Unterthanen, in seinem Reiche hatte. Freitag hatte diejenige christliche Religion von ihm angenommen, welche die Protestanten bekennen. (Ihr Grössern wißt, was dieser Nahme bedeutet; ihr Kleinern aber, müst euch gedulden, bis ihr erst ein wenig verständiger geworden seid; dan solt ihrs auch hören.) Freitag also, war, wie gesagt, ein Protestant, der Spanier ein katholischer Christ, Freitags Vater sogar noch ein Heide.

»Was must du nun wohl dabei thun?« dachte Robinson. »Hättest du nicht etwa das Recht, sie alle mit Gewalt zu zwingen, sich zu demjenigen Glauben zu bekennen, den du für den besten hältst?« Er san darüber nach, weil es eine Sache war, an die er noch niemahls gedacht hatte.

Und was meint ihr nun, Kinder, daß sein gesunder Menschenverstand ihm darauf geantwortet habe? Durft er seine Unterthanen zwingen seine eigene Religion anzunehmen, oder nicht?

Alle. O bei Leibe nicht!

Vater. Warum denn nicht?

Johannes. Ja, weil das keinen etwas angeht, was Einer glaubt, wenn er nur so lebt, wie sichs gebührt.

Vater. Aber wenn nun Einer, der über einen Andern Macht hat, einsieht, daß dieser einen Irthum habe; solt es ihm dan nicht erlaubt sein, ihn zu zwingen, seinen Irthum fahren zu lassen?

Hans. Ja, was würde das helfen? Dadurch, daß einer gezwungen wird, etwas zu glauben, wird er ja nicht klüger und nicht besser.

Vater. Richtig! Denn dadurch wird er ja nicht überzeugt, daß er vorher im Irthum gewesen sei. Und was kan uns ein Bekentniß nüzen, von dessen Wahrheit wir nicht überzeugt sind? - Und denn, woher weiß denn der Erste so ganz gewiß, daß der Andere, den er zu seinem Glauben zwingen wil, im Irthum sei? Könt es nicht auch möglich sein, daß er, er selbst, sich darin befände?

Hans. O ja!

Vater. Warum?

Hans. Weil alle Menschen irren können.

Vater. Und sich also keiner einfallen lassen darf, seine Meinungen für untrügliche Wahrheit zu halten!

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